Mi 09.01.2008
Dean Roberts, Journalist von “The Socialist” – der Zeitung der Socialist Party, der australischen Schwesterorganisation der SLP – besuchte China, wo er Li Gang einen 25 jährigen Angestellten und Sozialisten aus Shanghai traf.
Li Gang arbeitet für die staatliche chinesische Eisenbahngesellschaft. Unten ist die Mitschrift des Interviews das mit ihm Mitte Dezember 2007 geführt wurde.
Dean Roberts: Kannst du uns über die Arbeitsbedingungen für Menschen in China berichten?
Li Gang: Die ArbeiterInnen in China können grob in zwei Gruppen unterteilt werden. Die erste Gruppe sind jene, die das Glück hatten an einer Universität zugelassen zu werden. Sie bekommen dann Angestelltenposten in staatlichen Unternehmen. In großen Städten wie Shanghai oder Peking verdienen UniversitätsabgängerInnen ungefähr 2000 Yuan (188 Euro) im Monat.
Das Problem ist allerdings, dass viele Universitätsabgänger keine Arbeit bekommen, weil es nirgends genug freie Stellen gibt. In den letzten Jahren wurden die Arbeitsplätze in den staatlichen Unternehmen drastisch gekürzt und in den Privatfirmen sind die Löhne und Arbeitsbedingungen deutlich schlechter. In staatlichen Firmen arbeitet man Montags bis Freitags von Acht Uhr Morgens bis Fünf Uhr Nachmittags und hat erhält außerdem eine Gesundheitsversicherung und andere Vorteile.
Die andere Gruppe sind diejenigen, die keinen Studienplatz bekommen haben oder Menschen die auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt gekommen sind. Diese Gruppe von Menschen arbeitet in Fabriken, auf Baustellen oder in anderen schlecht bezahlten Bereichen, wie zum Beispiel im Einzelhandel. Viele arbeiten auch im informellen Sektor. Ihr Durchschnittslohn liegt bei etwa 1000 Yuan (94 Euro) im Monat. Sie haben nur etwa vier Tage im Monat frei – und das auch nur wenn sie Glück haben – und arbeiten bis zu zwölf Stunden am Tag!
In privaten Unternehmen gibt es keine Gesundheitsversicherung sondern nur das Gehalt. Außerdem hat man nur etwa vier Tage im Monat frei. Ein normaler Arbeitstag beginnt um Acht Uhr Morgens und endet erst dann, wenn die Arbeit beendet ist, das heißt er kann oft bis um Neun oder Zehn Uhr in der Nacht dauern.
Menschen, die vom Land in die Stadt gezogen sind, werden stark diskriminiert. Wegen ‚Hukou’ haben sie weniger Rechte als die, die in der Stadt geboren sind. ‚Hukou’ ist das Gesetz, das bestimmt wo jemand in China arbeiten darf. Die Menschen werden grob als ‚ländliche’ oder ‚städtische’ ArbeiterInnen definiert. Wenn man vom Land stammt, ist es praktisch unmöglich eine Anstellung in einem staatlichen Unternehmen zu bekommen.!
Dean Roberts: In welchem Zustand sind die chinesischen Gewerkschaften?
Li Gang: In China ist die Macht der Gewerkschaften stark eingeschränkt, um es freundlich auszudrücken. Zum Beispiel sind Streiks gesetzlich verboten. Im Vergleich zu den meisten anderen Industrieländern sind die ArbeiterInnenrechte in China ein Witz.
Chinas ‘offizielle’ Gewerkschaften sind eigentlich nur der verlängerte Arm des Staates. Sie sind ein Instrument der Kontrolle über die ArbeiterInnen und nicht des Kampfes für ihre Rechte. Mir ist bekannt, dass in Australien die Gewerkschaften mehr damit beschäftigt sind ihren Mitgliedern billige Computer oder Kinokarten zu organisieren anstatt die ArbeiterInnen kämpferisch zu vertreten. In China wurde das auf ein neues Niveau gehoben. Die Gewerkschaften hier sind sehr gut darin, Ausflüge ins Museum oder Besichtigungen der Großen Mauer zu organisieren, haben aber keine Ahnung davon, wie man gegen die extreme Ausbeutung der ArbeiterInnen kämpfen sollte.
In meinem Betrieb sitzt der Gewerkschaftssekretär im selben Büro wie der Manager und ist in der Tat auch so etwas ähnliches wie der stellvertretende Geschäftsführer.
Dean Roberts: Was sind die Hauptprobleme, die sich den chinesischen ArbeiterInnen stellen?
Li Gang: Ich weiß nicht wo ich anfangen soll! Die Lebenshaltungskosten für die einfachen Menschen sind extrem hoch. Die Wohnungspreise sind wie die Gesundheitsversicherung eine extreme Belastung für einfache ArbeiterInnen. Glauben Sie mir, in China setzt man alles daran, nicht krank zu werden! Ein Krankenhausbesuch kann bis zu 500 Yuan (47 Euro) kosten. Dann muss man auch noch für die Medizin extra bezahlen. Die Korruption wuchert im Gesundheitswesen. Wir haben die Situation, dass ÄrztInnen Schmiergelder von Pharmaunternehmen erhalten und dafür unnötigerweise sehr teure Medikamente verschreiben.
Bildung in China ist alles andere als kostenfrei. Studiengebühren an den Universitäten können bis zu 5000 Yuan (470 Euro) pro Jahr ausmachen. Wenn man die chinesischen Löhne bedenkt so sieht man, dass das für die meisten absolut unerreichbar ist.
Umweltprobleme betreffen die ArbeiterInnen in China auch immer mehr ganz direkt. Die Verschmutzung des Wassers und der Luft in den großen Städten wird immer schlimmer. Es gab bereits mehrere Massenproteste wegen Umweltfragen, und das wird sich fortsetzen.
Dean Roberts: Was brachte dich dazu zum Sozialisten zu werden?
Li Gang: In China lernen wir über ‘Marxismus’ und ‘Sozialismus’ in der Schule. Der Staat erzählt uns sogar, wir hätten Sozialismus in China! Sie bringen uns nur eine entstellte Form des Marxismus bei, um die Menschen zu kontrollieren. Für sie selbst ist der Marxismus nur gut um zitiert zu werden und nicht als Werkzeug um die Welt zu verändern. Der Staat ist zufrieden mit uns so lange wir nur die Theorie lernen und sie nicht in die Praxis umsetzen.
Die Lehren der Regierung sind nicht der wahre Marxismus und wir haben auch keinen Sozialismus in China. Mit all der Ungleichheit die in China existiert glaubt keiner wirklich, dass wir echten Sozialismus haben. Ich persönlich wollte die wahren Ideen von Marx, Engels, Lenin und Trotzki lernen um damit die Welt zu verändern.
Ich bin wütend über den riesigen Unterschied zwischen arm und reich in China. Die Ungleichheiten sind unvorstellbar für die meisten ArbeiterInnen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Viele Menschen in China haben kein Geld für die grundlegendste Gesundheitsvorsorge, für Bildung oder eine anständige Wohnung. Es muss einen Weg geben die Gesellschaft besser zu organisieren. Ich will an der Seite von SozialistInnen in allen Ländern für die Gleichheit der Menschen in der ganzen Welt kämpfen.
Dean Roberts: Welche Gefahren stellen sich echten SozialistInnen in China?
Li Gang: In China Sozialist zu sein ist ein sehr gefährlicher Job. Wir riskieren Verhaftung, Jahre im Gefängnis und sogar den Tod. Es ist gesetzlich verboten die Regierung zu kritisieren.
Man muss sich nur die Ereignisse von 1989 ansehen um zu erkennen wie die Regierung mit Widerspruch umgeht. In dieser zeit wurden tausende StudentInnen ermordet – die wahre Zahl wird wohl nie bekannt werden. Diese StudentInnen kämpften gegen die staatliche Korruption und für demokratische Rechte. Einige kämpften sogar für echten Sozialismus.
Dean Roberts: Wissen junge Leute heute viel über die Proteste von 1989?
Li Gang: Nein, die Ereignisse, die 1989 in China stattfanden, und im besonderen das Massaker am Tianamenplatz in Peking, waren zwar ein bedeutender Moment der Weltgeschichte, aber die chinesische Regierung hätte gerne, dass die Menschen glauben, es wäre nie passiert. Es ist normal, dass junge Menschen in China nichts über die Proteste wissen. Wegen der Zensur ist es selbst im Internet extrem schwer, Informationen über die Ereignisse zu finden. Das Ganze wurde von der Regierung zu einem ‚verbotenen Thema’ gemacht.
Wir glauben, dass eine neue Situation, wie die von 1989 unumgänglich ist. Man kann nicht für immer seine Augen vor der explosiven Situation in China verschließen. Die gegenwärtige Politik der Regierung verschlimmert die bestehenden Ungleichheiten nur noch. Wenn sich die Situation der Weltwirtschaft verschlechtert, werden auch die Spannungen in der chinesischen Gesellschaft zunehmen.
Die Aufgabe von SozialistInnen ist es aktiv am Aufbau einer neuen ArbeiterInnenbewegung teil zu nehmen und die Ideen des Marxismus zu verbreiten. Wenn sich die Bewegung auf breiterer Basis entwickelt, wird die ArbeiterInnenklasse in China einmal mehr Geschichte schreiben und die Grundlage für eine sozialistische Welt legen.