Di 01.09.1998
Nach den Unruhen im Mai und dem Rücktritt des Langzeitdiktators Suharto ist es scheinbar ruhig geworden um Indonesien. Tatsache ist aber, daß die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme keineswegs gelöst sind. In der Vorwärts-Juninummer schrieben wir: „Die Revolution hat begonnen“ – heute ist es notwendig, diese weiterzuführen, um die Probleme, mit denen die 209 Millionen IndonesierInnen täglich konfrontiert sind, zu lösen.
Die versprochenen Wahlen finden frühestens 1999 statt, unklar ist, welches Wahlsystem es geben wird, wer kandidieren und wer wählen darf. Es gibt zwar eine Vielzahl neuer Parteien (bisher rund 60 Neugründungen), aber diese müssen sich an „Pancasila“, der Staatsphilosophie, orientieren – was Klassenkampf und Sozialismus ausschließt.
Die Arbeitslosigkeit erreicht einen traurigen Höhepunkt nach dem anderen und die einzige Antwort des neuen Präsidenten Habibie auf Hunger und Reismangel ist der Vorschlag, doch gemäß des Islam Fastentage einzulegen! Habibie, treuer Gefolgsmann und Freund von Suharto und selbst sehr reich, ist Teil der herrschenden Klasse und hat keinerlei Interesse, an den Ausbeutungsstrukturen etwas zu ändern.
Aber auch die bürgerliche Opposition um Megawatti, Amien Rais und Gus Dur sind eng mit Großgrundbesitzern, Industriellen und dem ausländischem Kapital verbunden. Auch von dieser Seite ist daher keine wirkliche Veränderung zu erwarten.
Neuer Charakter
Die Bewegung hat im Mai einen Höhepunkt erreicht, sich aber seither stark verändert. Unter den Student-Innen sind die verschiedenen Klasseninteressen deutlich geworden, die am Anfang der Bewegung noch vom gemeinsamen Wunsch „Down with Suharto“ überdeckt wurden. Bei der Parlamentsbesetzung im Mai versuchten die kämpferischeren StudentInnnen, die Bewegung auf andere Bevölkerungsschichten auszuweiten und auch ArbeiterInnen und die arme städtische Bevölkerung in die Besetzung einzubeziehen. Die „moderaten“ Student-Innen, die zwar Suhartos Herrschaft, nicht aber das System an sich in Frage stellen, verhinderten das, indem sie Ausweiskontrollen durchführten.
Die „radikaleren“ StudentInnen, die nicht bloß „Reformasi“, sondern „Total Reformasi“ fordern, was „Revolution“ bedeutet, haben den Kampf, im Gegensatz zu ihren „moderaten“ KollegInnen, nicht beendet. Sie sind Teil jener Komitees, die in manchen Städten wie z.B. Yogyakarta die Interessen der ArbeiterInnen, StudentInnen, Landlosen und der armen Bevölkerung gegen die offiziellen Staatsorgane vertreten.
Unabhängige Gewerkschaften
Die wesentliche Veränderung zum Mai ist aber die Aktivität der ArbeiterInnen. Diese organisieren sich zunehmend in unabhängigen Gewerkschaften. Neben der zwar oppositionellen, aber pro-kapitalistischen SBSI (die u.a. von der CDU gesponsert wird) unter Muchtar Pakpahan bilden sich auch auf regionaler und betrieblicher Ebene Gewerkschaften. Deren Forderungen sind neben Lohnerhöhungen v.a. das Recht auf freie Organisierung und ein Ende der Verbindung von Arbeitsministerium und Unternehmern. Ein wesentlicher Punkt ist der Kampf gegen das neue Arbeitsgesetz, das im Oktober verabschiedet werden soll und das wesentliche Verschlechterungen für die Beschäftigten bedeuten würde. (Mehr dazu in der nächsten Ausgabe von „Die Einheit“).
Was fehlt? - Die Partei!
Der revolutionäre Prozeß in Indonesien ist noch keineswegs zu Ende, er hat erst begonnen. Um die politischen und sozialen Probleme zu lösen, reicht es nicht, Suharto oder auch Habibie zu stürzen, sondern es muß das System der kapitalistischen Produktionsweise beseitigt werden. Was in Indonesien fehlt, ist eine revolutionäre Partei, die die in den letzten Monaten zunehmenden Streiks der ArbeiterInnen, die Landbesetzungen und die StudentInnen verbinden kann, die Bewegung aus ihrer Trägheit reißt und wieder in die Offensive führt. Die PRD, die demokratische Volkspartei, eine linke Partei mit enormer Unterstützung in der Bevölkerung, könnte diese Rolle zwar spielen, sie hat aber bisher nur zaghafte Schritte in die Legalität gewagt. Die PRD sieht den Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Aufklärung und der Arbeit für, aber nicht mit den Unterdrückten. Wenn aber keine revolutionäre Partei das Ruder herumreißt, so kann sich nicht nur das Regime Habibie stabilisieren, sondern bleibt auch die Gefahr eines Militärputsches nach wie vor aufrecht.