So 01.09.2002
Um die Jahreswende 2001/02 sammelten die Regimes von Indien und Pakistan ca. eine Million Soldaten auf beiden Seiten der Front im umkämpften und beiderseits besetzten Kaschmir. Der Kaschmir-Konflikt ist kein neuer Konflikt. Seit 1947 ist das Gebiet durch eine Frontlinie geteilt. Die Kaschmiris mussten seither drei Kriege und permanente Belagerung über sich ergehen lassen. Der Hintergrund für die momentane Eskalation liegt in den aktuellen innenpolitischen Spannungen beider Staaten und den Auswirkungen der US-Politik. Die Militärdiktatur Musharrafs in Pakistan war durch die Kooperation mit dem US-Imperialismus im Afghanistan-Krieg unter Druck geraten. Fundamentalistische Kräfte, auch im mächtigen Geheimdienst ISI, nutzten die breite Ablehnung in Pakistan gegenüber dem US-Krieg, um die eigene Position zu stärken. Musharraf versucht einen Balanceakt und eine Beschwichtigung der inneren Opposition, in dem er Muskeln zeigt. Er spielt mit dem - berechtigten - Wunsch der kaschmirischen Bevölkerung nach Unabhängigkeit und Frieden. Musharraf will sein Profil als Vertreter “moslemischer” Interessen gegenüber Indien schärfen. Tatsächlich hat die pakistanische Politik nichts mit Freiheit und Unabhängigkeit für Kaschmir zu tun. Im pakistanisch besetzen Teil des Landes müssen alle, die für ein politisches Amt kandidieren wollen, zuerst ihre Loyalität gegenüber Pakistan beschwören.
Auch Indiens Regierung, von der ultrareaktionären Hindu-Partei BJP unter Premier Vajpayee geführt, spielte die nationalistische Karte mit der Eskalation rund um Kaschmir. Die indische Parteienlandschaft besteht neben den beiden Großparteien BJP und Congress aus unzähligen Parteien von Sprach-, Kasten- und ethnischen Gruppen. Jede Koalitionsbildung ist ein Drahtseilakt, der die Fragmentierung der indischen Gesellschaft widerspiegelt. Nicht zuletzt deshalb braucht die indische Regierung externe Feinde, um sich eine breitere Basis in der Gesellschaft zu sichern. Noch dramatischer als ein militärischer Verlust Kaschmirs an die pakistanische Armee wäre, wenn Kaschmir unabhängig würde: Das könnte ein Signal an andere Gruppen und Nationen in der Region sein; der erste Schritt zu einer völligen Zerteilung Indiens.
Kurze Geschichte des Konflikts
Mit dem Ende des II. Weltkrieges wurde für den britischen Imperialismus klar, dass er seine Kolonie Indien nicht mehr wie bisher halten konnte, weil der Widerstand gegen die Kolonialmacht zu groß wurde. Man fürchtete um die Existenz der Kapitalismus in der Region. Britannien unterstützte deshalb die Pläne reaktionärer religiöser Führer zu einer Teilung des Subkontinents entlang grober religiöser Linien. ‚Teile und Herrsche’ jieß und heißt das Prinzip: Durch eine „Balance der Kräfte“ in der Region sollte dem britischen Imperialismus als Schiedsrichter weiter eine dominierende Rolle zukommen. Kaschmir spielte schon damals eine zentrale Rolle: Ein fruchtbares, wasserreiches Tal im Norden, das vor allem große strategische Bedeutung als Bollwerk gegen die Sowjetunion und später China hatte. Der britische Imperialismus sprach diese Region, obwohl mehrheitlich von Moslems bewohnt, Indien zu. Heute geht eine der weltweit am höchsten militarisierten „Waffenstillstandslinie“ quer durch Kaschmir, ein Nordzipfel ist von China okkupiert.
Sozialistische Alternative
Weder das pakistanische noch das indische Regime können und wollen Kaschmir Selbstbestimmung und Frieden bringen. Sie brauchen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, massive Repressionsapparate, sowie die nationalistische Politik, die bereits an den Rand eines Atomkrieges führte. SozialistInnen kämpfen für einen unabhängigen sozialistischen Kaschmir als Teil einer sozialistischen Föderation im Sub-Kontinent. Jedoch muss solch ein Programm Garantien für die kulturellen und Sprachrechte aller ethnischer, religiöser und Stammes- Minderheiten innerhalb dieser Staaten umfassen. Dieses würde Rechte der Autonomie in Regionen wie Gilgit-Baltistan und Ladakh umfassen, wo es Furcht vor moslemischer Dominanz gibt. Nur auf diese Art können die Millionen der ArbeiterInnen und armen LandarbeiterInnen, die so viel in den letzten fünf Dekaden erlitten haben, eine Lösung für ihren sozialen, ökonomischen und nationalen Wünsche finden.
Selbst während den kriegerischen Ereignisse gibt es schon jetzt Menschen in Kaschmir, die für ein solches Programm eintreten. Erst Anfang Juni organisierten linke AktivistInnen, Mitglieder des CWI (Internationale der SLP), der Kaschmir National Awami Party (NAP) und der National Student Federation (NSF) eine Demonstration in Kotli; im pakistanisch besetzten Kaschmir an der “Line of Control” gelegen. Das Motto: “Nein zum Krieg! Nein zum Terrorismus! Nein zu religiösem Sektierertum! Ja zu Jobs, freie Bildung, Gesundheitsversorgung und reines Wasser! Nieder mit dem US Imperialismus!”. Fundamentalistische Mujaheddin-Kämpfer, die von Pakistan gedeckt werden, griffen die Demo an, schossen mit Maschinengewehren und verletzten mehrere DemonstrantInnen. Wenn sich solche Proteste mit Kämpfen der ArbeiterInnenklasse sowohl von Pakistan als auch Indien verbinden können, kann das den Regimes die Grundlage entziehen und einen Weg zur ArbeiterInnen-Demokratie öffnen, die Selbstbestimmung und den Ausweg aus Kriegsgefahr und Armut bieten kann.