Mo 16.08.2010
Dutzende Menschen sind bei Bränden gestorben, hunderte wurden verhaftet, tausende sind während des letzten Monats ertrunken, während Moskau der Mittelpunkt der ökologischen Krise und des Kampfes gegen ihre Ursachen ist.
In diesem Sommer wurden schon 18 Hitzerekorde gebrochen, während die Temperaturen stetig gestiegen sind, von knapp 30 °C Mitte Juni über ca. 35°C im Juli bis zu den aktuellen Werten um 40°C. MeteorologInnen sagen, dass diese Hitzewelle bis September andauern und sogar noch schlimmer werden könnte. Noch nie wurden in Moskau solche Temperaturen gemessen. Die sowieso schon erdrückende Hitze wurde noch verschlimmert durch den Ausbruch von Wald- und Torfbränden in über zwanzig Regionen, darunter Moskau. Die Stadt ist von einem zunehmend bitter schmeckenden Smog eingehüllt, der so dicht ist, dass man selbst in U-Bahn-Stationen nicht mehr vom einen Ende des Bahnsteiges zum Anderen sehen kann. Neben den etwa vierzig Menschen die starben als ihre Häuser abbrannten sind tausende beim Versuch sich (häufig unter Alkoholeinfluss) abzukühlen in Flüssen und Seen ertrunken. Niemand kennt genaue Zahlen, aber viele Hunderte, wenn nicht Tausende, sterben früher, weil die aktuellen Bedingungen bestehende Herz- und Lungenkrankheiten verschlimmern.
Die Behörden behandeln die Situation natürlich als Naturkatastrophe. Das neue Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, geht weiter, indem er behauptet, es sei Gottes Rache – die Russen sollten nicht mehr sündigen. „Man sollte nicht glauben, dass die Dürre vorbeigeht, wenn wir nur zu Gott beten und es dann vergessen und der Sünde verfallen“, sagte er bei einem Besuch in einem abgebrannten Dorf. Das Problem ist, dass es in Moskau im Moment so heiß wird, dass einige denken könnten in der Hölle sei es kühler!
Aber in Wirklichkeit hat die kurz- und langfristige Politik der russischen Regierung, die keine Schritte gegen den Klimawandel unternommen hat, und ihre Wirtschaftspolitik dazu geführt, dass die Behörden kaum angemessen reagieren können.
Russland gehört zu den großen Exporteuren von Holz. Natürlich wirken die riesigen Wälder, die sich für tausende von Kilometern über Russland erstrecken sehr anziehend auf die, die die natürlichen Ressourcen des Landes ausbeuten wollen. Während die Wälder zur Zeit der Sowjetunion Staatseigentum waren und durch die Entfernung toter Bäume für eine gewisse Ordnung gesorgt wurde, interessieren sich die Firmen, die die Wälder jetzt ausbeuten nicht für ihre Pflege, sie lassen Abfälle und Totholz wo sie es finden.
Weil die ländlichen Gebiete während der letzten zwanzig Jahre in immer tiefere Armut verfallen sind, ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden – der Abbau von Torf zum Heizen. Die Wirtschaftskrise hat die kleinen Torfstecher schwer getroffen. Viele sind pleite gegangen und haben ihre Abbaustellen einfach offen gelassen, ohne Schutz vor Bränden.
Diese Bedingungen machen das Land natürlich anfällig für die Brände, die in der Hitzewelle bei 45 bis 40°C entstanden sind. Früher gab es ein System von Feuerwachen, die einen Alarm auslösen konnten, so dass Ausbrüche schnell unter Kontrolle gebracht werden konnten. Vor drei Jahren wurde jedoch mit Putins neuem, auf Drängen der Holzindustrie entstandenen, Waldgesetz die Anzahl der Feuerwachen um 75 Prozent gesenkt. Jetzt wurde das ganze System zentralisiert (mit 12.000 neuen Verwaltern). Während vor drei Jahren Feuerwehren einen Tag brauchten, um Krisengebiete zu erreichen, kann es heute eine Woche dauern. Und der Notdienst ist so stark unterfinanziert, dass Feuerwehrautos der Treibstoff ausgeht.
Die Regierung hat selbstverständlich schnell unterstellt, dass einige, die bei den Bränden ihre Häuser verloren haben (Dörfer auf dem Land werden normalerweise von den ärmsten Schichten der russischen Gesellschaft bewohnt, die in Holzhäusern wohnen), sie selbst angezündet haben um Hilfsgelder von der Regierung zu bekommen. Tatsächlich hat die Regierung zugesagt etwas zu bezahlen, aber niemand glaubt, dass die Versprechen von Schadenersatz eingelöst werden. Selbst wenn das Geld das Finanzministerium verlässt, wird es von den verschiedenen Schichten von BürokratInnen aufgesogen, bevor irgendetwas davon bei den Opfern ankommt.
Es gibt einen anderen Teil der Gesellschaft der diese Feuer zum eigenen Vorteil nutzt – LandspekulantInnen und Baufirmen. In der Vergangenheit wurden um die meisten großen Städte, insbesondere um Moskau, bewusst „Grüngürtel“ aus Wäldern erhalten. Mit beinahe zwölf Millionen EinwohnerInnen ist die Stadt für ihre Sauerstoffversorgung auf die Vegetation angewiesen. Doch als die Grundstückspreise nach oben schnellten, begann ein ständiger Kampf darum diese Gebiete zur Bebauung freizugeben. Und die Moskauer Stadtregierung verteidigt den Grüngürtel nicht mehr. Schließlich ist die Frau des Bürgermeisters als Besitzerin der größten Bauunternehmen der Stadt zur drittreichsten Frau der Welt geworden.
Auf dem Höhepunkt der Hitze der letzten Woche erreichte der Kampf um den Khiminskii-Wald seinen Höhepunkt. Das ist ein Waldgebiet zwischen dem Hauptflughafen von Moskau und der Stadt selbst. Die Regierung hat entschieden, dass eine neue private, mautfinanzierte Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg unbedingt mitten durch diesen Wald verlaufen muss. Wie bei allen anderen Maßnahmen dieser Regierung wird die Situation für die Reichen verbessert, während der Rest der Bevölkerung weiter unter den alten Bedingungen leidet.
Typisch dafür ist auch der kürzlich eingeführte Hochgeschwindigkeitszug Moskau-St. Petersburg, der für die Strecke nur vier statt acht Stunden braucht. Aber abgesehen davon, dass die Tickets fast so teuer sind wie eine Flugreise, beschweren sich AnwohnerInnen an der Bahnstrecke über riesigen Lärm und Druckwellen wenn der Zug vorbeikommt und, noch schlimmer, Regionalzüge fahren nicht während der Hochgeschwindigkeitszug durchfährt. Die Züge sind ein einfaches Ziel – LokführerInnen beschweren sich, dass AnwohnerInnen fast bei jeder Durchfahrt des Zuges Steine auf ihn werfen.
Obwohl die Baufirma noch nicht alle notwendigen Genehmigungen hat um mit der Arbeit zu beginnen, haben sie angefangen, einen breiten Streifen des Waldes abzuholzen. Als Reaktion darauf hat eine Gruppe von etwa 100 „WaldschützerInnen“ die Baufahrzeuge blockiert und manchmal sogar FahrerInnen überzeugt, nicht weiter zu fällen. Die Firma und der Staat haben eine aggressive Antwort darauf organisiert. Am Wochenende 31.Juli/1. August wurde das Camp der WaldschützerInnen von einem maskierten Schlägertrupp angegriffen, und als die Polizei gerufen wurde, griff sie nicht ein. Einer der Polizisten sagte zu einem Protestierenden: „Das passiert, wenn ihr euch gegen Putin stellt“. Am Morgen des folgenden Montags kamen UnterstützerInnen des Camps in einem Bus an – alle wurden beim Aussteigen verhaftet.
Neben diesen etwa fünfzig Festgenommenen wurden am 31. Juli neunzig Menschen in St. Petersburg und noch einmal fünfzig in Moskau festgenommen, nachdem liberale Oppositionelle versucht hatten sich über die Angriffe auf demokratische Rechte zu beschweren. So viele Festnahmen an zwei Tagen hat es in den beiden Großstädten lange nicht mehr gegeben.
Die Verhaftung der UmweltschützerInnen hat den Widerstand gegen eine Baufirma in einen offenen politischen Kampf gegen die Zentralregierung verwandelt. Und ein politischer Kampf gegen die Umweltpolitik der Regierung ist notwendig.
Sie hat eine unglaublich zynische Herangehensweise an die globale Erwärmung, die sich in der russischen Klimadoktrin ausdrückt, die den Klimawandel nicht als Bedrohung für die Menschheit, sondern eine wirtschaftliche Möglichkeit für den russischen Kapitalismus behandelt. Sie besagt: „Die potentiellen Vorteile für Russland beinhalten die Einsparung von zum Heizen benötigter Energie, die Verbesserung des Eisgürtels, das bedeutet die Verbesserung von Transportwegen im Polarmeer, einfacheren Zugang zum arktischen Kontinentalschelf (wo es Öl und Gas gibt), die Verlängerung der Vegetationsperiode, die Möglichkeit, zusätzliche Pflanzen anzubauen und die verbesserte Effizienz der Viehzucht“.
In Wahrheit wird, wenn die globale Erwärmung mit der aktuellen Geschwindigkeit weitergeht, der Permafrostboden in Sibirien schmelzen (nach Angaben von Wissenschaftlern ist der Prozess schon weit fortgeschritten), wodurch riesige Mengen von Kohlenmonoxid zusätzlich in die Atmosphäre gelangen und den Klimawandel zu einer noch größeren Bedrohung als jetzt machen würden. Nach Angaben von WissenschaftlerInnen ist der Prozess schon weit fortgeschritten. Doch die russischen KapitalistInnen stört das nicht, solange Moskau nicht unter dem Meeresspiegel versinkt - und die Öl- und Gasoligarchen bekommen die Kontrolle über einen noch größeren Teil der weltweiten Energiereserven.
Der Angriff auf die AktivistInnen im Khiminskii-Wald zeigt auch den harten Umgang der Behörden mit jedem Protest. Im Juli hielt die vom Kreml finanzierte Jugendorganisation „Naschi“ mit Tausenden Jugendlichen ihr Sommercamp ab. In einer von Kreml-Meinungsmachern geförderten Ausstellung wurde das Camp mit großen Karikaturen von Oppositionellen und MenschenrechtsaktivistInnen dekoriert, die im Hitlerkostüm Geld aus dem Westen erhalten. Diese Aktion hat Ela Panfilova, eine liberale Politikerin die in den letzten sieben Jahren dem Kreml als „Menschenrechtsombudsfrau“ gedient hat, dazu gebracht von ihrem Amt zurückzutreten. In einem Kommentar in der „Nezavisimaya Gazeta“ wurde angemerkt, dass dies die moderaten Kräfte innerhalb des Regimes weiter schwächt – in einer Phase, in der mit bevorstehenden Massenprotesten gerechnet wird.
Es gibt sicherlich genügend Zündstoff, um sicherzustellen dass sich die Hitzewelle des Sommers in einen Proteststurm im Herbst verwandelt. Trotz beruhigender Erklärungen über die geplanten Haushaltskürzungen der Regierung, die über einen längeren Zeitraum verteilt werden sollen, wurden bereits Schulschließungen angekündigt. Doch der Handlungsspielraum der Regierung wird kleiner. Es gibt nur wenig Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung, und die Hitzewelle und Dürre schädigen die Wirtschaft zusätzlich.
Die Trockenheit im europäischen Teil Russlands bedeutet, dass mit ca. 40 Prozent geringeren Ernteerträgen als in normalen Jahren gerechnet wird. Das führt schon jetzt zu einem sprunghaften Anstieg der Inflation – in manchen Gegenden ist der Weizenpreis schon um 20 Prozent gestiegen. Nach Erfahrungen aus den frühen 1990ern haben einige Regionalgouverneure aus Angst vor Protesten in ihren Regionen den Export von Grundnahrungsmitteln in andere Regionen verboten (die wichtigste „andere Region“ ist natürlich Moskau). Doch das bedeutet auch, dass Russland in diesem Jahr nicht in der Lage sein wird eine nennenswerte Menge Getreide zu exportieren, das Haushaltsloch wird dadurch noch größer.
Um die Krise zu bewältigen, ist der Bürgermeister von Moskau, Luschkow, in den Urlaub gefahren, Präsident Medwedew hat Moskau verlassen und arbeitet jetzt in Sochi am Schwarzen Meer, wo die Temperaturen bedeutend niedriger sind. Premier Putin reist durch das Land wie üblich, mobilisiert Truppen zur Brandbekämpfung, feuert gelegentlich einen Kommandanten und verspricht Schadenersatz zu zahlen. Aber nichts wird ernsthaft unternommen, um die Bedingungen in Moskau zu verbessern.
Das CWI fordert die einfachsten Maßnahmen – Straßen mit Wasser abzukühlen (was aktuell nur vor Regierungsgebäuden und in den Straßen der sehr Reichen passiert), klimatisierte Busse an den Eingängen von Metrostationen und anderen Orten zu parken, so dass sich die Menschen für einen Moment hinsetzen können, um sich von der Hitze und der schlechten Luft zu erholen. Manche Arbeitgeber kürzen die Arbeitszeiten und lassen ihre Beschäftigten früher nach Hause gehen – aber kürzen auch die Löhne. Wir sagen, dass alle nicht unbedingt notwendigen Fabriken die Produktion während der Hitzewelle einstellen sollten, während die ArbeiterInnen vollen Lohn bekommen. Ein weiterer Faktor, der die Atmosphäre verschlechtert, ist die Anwesenheit feinster Partikel in der Luft, von denen viele Krebs erzeugend sind – die Werte sind um mehr als das Zehnfache erhöht. In der Nähe größerer Straßen ist das besonders schlimm. Wir sagen, dass nur der wichtigste Autoverkehr während der Krise erlaubt sein sollte, private Taxis und Busse sollten beschlagnahmt werden um allen die sie brauchen Transportmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Aber offensichtlich ist die aktuelle Hitzewelle nur ein Vorbote dessen, was noch kommen wird. Die Wälder und Seen im Umkreis von Moskau müssen wieder öffentliches Eigentum werden, um sie vor den gierigen Klauen von Spekulanten und Bauunternehmen zu schützen. Ein völliger Neuaufbau des Transportsystems ist nötig, die Prioritäten müssen verschoben werden, weg von Zügen und Autobahnen für die Elite hin zu einer Verringerung des Autoverkehrs. Dafür werden große Investitionen ins Bahnsystem gebraucht, sowohl für den ÖPNV in Moskau als auch für Verbindungen zwischen großen Städten.
Es ist verständlich, dass es hohe TeilnehmerInnenzahlen beim Sommercamp des CWI Ende Juli und – trotz der furchtbaren Hitze und des Smogs – eine Rekordbeteiligung an den beiden Ortsgruppentreffen in Moskau in der letzten Woche gab, ein Hinweis auf die sich verändernde Stimmung. Als das CWI einen Aufruf zum Protest gegen die unbegründete Verhaftung von zwei jungen Antifaschisten nach Steinwürfen auf lokale Behörden im Khimki gestartet hat, haben binnen eines Tages 400 Menschen Protestbriefe geschickt. Jetzt verbringt das CWI den Rest des heißen Sommers mit der Vorbereitung für die unvermeidlichen Proteste gegen die Haushaltskürzungen und die Angriffe auf demokratische Rechte.