Mo 19.03.2007
Die „Verstärkung des Schutzes von Innovationen gegen Produkt- und Markenpiraterie“ ist ein zentrales Anliegen von Angela Merkel beim diesjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm. Dabei soll es vor allem um eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zur effizienten Bekämpfung von besagten „Piraten“ gehen. Wer aber sind diese Piraten eigentlich?
Wie wird man eigentlich „Pirat“? Was veranlasst die G8, sich als Chef-Piratenjäger zu engagieren?
Piraten wie du und ich
Da sind natürlich die vielen Jugendlichen (aber nicht nur die), die Filme und Musik aus dem Internet runterladen oder sich von Freunden kopieren – weil sie nicht verstehen, warum sich ein paar Millionäre an ihrem Taschengeld bereichern, oder weil sie keine 15-20 Euro für ein Stück Plastik übrig haben. Und weil sie damit niemandem was wegnehmen – es ist ja eine Kopie, also eine Vermehrung.
Auch LehrerInnen und ProfessorInnen sind verdächtig: Wenn sie für ihre Klassen Texte aus Büchern kopieren, so soll das laut neuem Urheberrecht in Deutschland illegal und damit Piraterie sein. Da hilft auch nicht die Rechtfertigung, dass die Unibibliotheken sich die teuren Veröffentlichungen nicht mehr leisten können, die als Ergebnis jahrelanger Forschung an der eigenen Hochschule geschrieben wurden. Oder dass es einfach Unsinn ist, wenn 20 SchülerInnen sich ein Buch kaufen müssen, aus dem man gerade mal zehn Seiten für eine Unterrichtseinheit braucht.
So mancher Ahnungslose wird auch zum Piraten, wenn er oder sie meint, im Auftrag der Demokratie Aufklärung zu betreiben: Scientology verklagte in der Vergangenheit regelmäßig mit Erfolg KritikerInnen, die interne Texte der Sekte im Internet veröffentlichten, um Menschen vor deren Praktiken zu warnen. Schließ-lich sei das eine Verletzung des Copyright.
Zu Piraten gemacht werden immer wieder Indigena in Ländern der „Dritten Welt“,, wenn multinationale Konzerne auftauchen und sich deren traditionelles Wissen als eigene „Erfindung“ patentieren lassen – plötzlich brauchen sie für ihre Produkte Lizenzen vom neuen „Besitzer“. Das betrifft zum Beispiel den indischen Neem-Baum, der traditionell als Heilmittel, aber auch für Zahnpasta, Seife und andere Produkte verwendet wird und auf den westliche Konzerne mittlerweile diverse Patente angemeldet haben.
In den „Entwicklungsländern“ sind es heute noch die Bauern, die Saatgut tauschen und durch Kreuzung weiter entwickeln. Dabei verwenden sie einen Teil ihrer Ernte im nächsten Jahr als Saatgut weiter. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, das nicht zu tun, außer der Tatsache, dass mehr und mehr von diesen Bauern zu Piraten werden – nämlich sobald sie einmal patentiertes Saatgut großer Agrarkonzerne gekauft haben, die ihnen die Wiederaussaat von Teilen der Ernte verbieten.
Firmen in unterentwickelten Ländern produzieren Nachahmungen von Medikamenten gegen AIDS und andere schwere Krankheiten oft zu einem Zehntel des Preises der Pharmakonzerne. Auch diesen „Piraten“ möchte Merkel gern das Handwerk legen.
Wo kommen all die Piraten her?
All diese Piraten werden zu Verbrechern gemacht, weil sie Ideen benutzen, die jemand anderem gehören: so genanntes „geistiges Eigentum“. Das ist privates Eigentum an immateriellen Gütern, die unabhängig von ihrer konkreten Realisierung in einem Gegenstand existieren und deshalb prinzipiell ohne großen Aufwand beliebig verbreitet werden können – Ideen, Konzepte, Theorien.
Die Idee des geistigen Eigentums macht nur aus der Logik des Kapitalismus Sinn, in der der Eigentümer von Produktionsmitteln eine Ware produziert, um daraus Profit zu erwirtschaften.
Wenn man anderen Menschen verbietet, Erfindungen zu nutzen oder nachzuahmen, wenn man die Verbreitung von Ideen stoppt, schwächt man die Konkurrenz und stärkt die eigene Profitsituation.
Das ist die Logik von Privilegrechten: die Idee, oder Erfindung, oder Geschichte wird zum „geistigen Eigentum“ einzelner, die – zumindest für eine bestimmte Zeit – anderen verbieten können, dieses Eigentum zu benutzen, zu verbreiten, zu verändern... Die bekanntesten dieser Privilegrechte sind das Urheberrecht (für Texte, Kunstwerke, Musik, und andere kreative Leistungen), das Patentrecht (für technische Erfindungen), und das Markenrecht (für Markennamen).
Die Verwertungsrechte können abgegeben werden – in der Regel gehen sie von Künstlern oder Erfindern an Konzerne, die ihre materielle Realisierung (in Form von Büchern, CDs oder Maschinen) durchführen. Insbesondere müssen Verwertungsrechte für Erfindungen, die in Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz gemacht werden, an den Arbeitgeber abgetreten werden. Das heißt, in der Realität liegt der Großteil der Verwertungsrechte an geistigem Eigentum nicht bei kreativen Individuen, sondern bei (meist großen) Konzernen. So sind 63 Prozent der in den USA erteilten Patente auf menschliche Gene im Besitz von Privatkonzernen. Ein weiterer großer Teil der Patente liegt (noch) bei öffentlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Die G8 auf Piratenjagd
Führende Neoliberale (unter anderem Angela Merkel) forcieren heute die weltweite Durchsetzung von Urheber- und Patentrechten auf Niveau des US-Rechts. Zentrale Initiatoren dieser Kampagne waren eine Reihe von US-Konzernen (unter anderem IBM, General Motors und Monsanto, organisiert im Intellectual Property Committee – IPC) und in ihrem Gefolge die US-Regierung und die G8.
Die G8-Staaten setzen das „geistige Eigentum“ seit etwa zehn Jahren immer wieder auf Tagesordnung und stellen die Verfolgung der Piraten geradezu als Verteidigung der „öffentlichen Sicherheit“ dar. Eine Rolle spielt hierbei, dass die Produktionskosten im Vergleich zu den Kosten von Erfindung und Entwicklung von Produkten rapide gesunken sind. Mit dem Internet steht ein Mittel bereit, das die massenhafte quasi-kostenlose Verbreitung von Texten, Musik, Filmen ohne Qualitätsverlust ermöglicht. Angesichts des verzweifelten Wettstreits um Profitmaximierung besteht aus Sicht der Konzerne also Handlungsbedarf.
Die teilweise enorme Differenz zwischen den reinen Produktionskosten von Waren, bei denen das „geistige Eigentum“ geschützt ist, und ihren Verkaufspreisen verlockt natürlich zu billigeren Imitaten – selbst bei höheren Produktionskosten und niedrigeren Preisen lässt sich daran zum Teil noch gut verdienen. Diese Tatsache hat unter anderem dazu geführt, dass sich zum Beispiel seit 1998 die Zahl der gefälschten Waren, die an den Außengrenzen der EU abgefangen werden, verzehnfacht hat. Weltweit liegt der illegale Umsatz Schätzungen zufolge bei etwa 350 Milliarden Euro.
Ein weiterer Dorn im Auge der G8-Staaten ist, dass „Schwellenländer“ wie Indien, Brasilien und vor allem der Gigant China systematisch versuchen, ihre technologische Rückständigkeit durch Nachahmung von High-Tech Produkten aus Industriestaaten abzubauen.
Das TRIPS – ein Meilenstein
Ein Meilenstein in der Geschichte des „geistigen Eigentums“ war die Gründung der Welthandelsorganisation WTO. Durch den Druck des Intellectual Property Committee (IPC), der US-Regierung und der G8 wurde das TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) in die WTO-Verträge aufgenommen. Das TRIPS setzt Mindeststandards für nationales Recht und ist für alle WTO-Mitgliedsstaaten bindend.
Es beinhaltet unter anderem die Pflicht für „Entwicklungsländer“, Patent- und Urheberrechte einzuführen. In Anbetracht der Tatsache, dass 97 Prozent der Patente in Hand von Konzernen, Institutionen oder Personen aus westlichen Industrieländern sind, bedeutet dies einen Ausschluss dieser Länder von technologischem Fortschritt.
Außerdem werden durch das TRIPS nationale Ausnahmen zu Patent- und Urheberrecht eingeschränkt und dem Urteil des WTO-Schiedsgerichts unterworfen. Die Erfahrung zeigt, dass dort im Zweifelsfall die Interessen von Konzernen mehr gelten als Gesundheit, Bildung, Ernährung und sonstige soziale Probleme. Besonders gefährlich ist dies, da dieser Vertrag Vorrang vor allen anderen internationalen Verträgen (zu Arbeitsrechten, Gesundheit oder Umwelt) hat.
Doch auch das TRIPS geht den Herrschenden noch nicht weit genug. Nachdem die Rechtslage auf internationaler Ebene geklärt ist, versuchen sie vor allem Druck auf „Entwicklungsländer“ auszuüben, Verstöße gegen die neuen Gesetze aggressiv zu verfolgen.
Geistiges Eigentum ist öffentliches Eigentum!
Wenn es also heute um den „Schutz von geistigem Eigentum“ geht, dann sind damit vor allem zwei Dinge gemeint: Schutz der Profite vor den KonsumentInnen und Schutz des technologischen (und damit des ökonomischen) Fortschritts der führenden Industrieländer gegen die rückständigen Länder. Beide Aspekte haben eins gemeinsam: Das private Interesse am Profit steht in schreiendem Widerspruch zum öffentlichen Interesse nach größtmöglicher Teilhabe aller am gesellschaftlich produzierten Reichtum und nach Steuerung des technologischen Fortschritts im Interesse aller Menschen.