Mo 21.11.2022
*Diese Stellungnahme wurde vor den Entwicklungen rund um die Aussagen von Thomas Schmidt erstellt. Die Ereignisse seit den Aussagen bestätigen und vertiefen aber die Widersprüche in der Koalition weiter.
Aktuell entwickelt sich die globale und innenpolitische Lage sehr schnell. Wir stolpern von einer Krise in die nächste. Gleichzeitig sehen wir in Österreich aktuell noch wenig Ansatzpunkte, wie sich Widerstand und eine Alternative von unten entwickeln könnte. Diese Resolution beschreibt die zentralen politischen Entwicklungen, wo sich Widerstand entwickeln könnte und was die Aufgaben von Sozialist*innen in der aktuellen Situation sind.
Wir stehen am Beginn einer weltweiten Rezession, die in Kombination mit einer weiter hohen Inflation die Belastungen für die Arbeiter*innenklasse weiter erhöhen wird. Die hohen staatlichen Stützungen von Konzernprofiten erhöhen den Spardruck weiter und verschärfen einen sich entwickelnden Notstand im Gesundheit-, Bildungs- und Sozialbereich. Von diesen Entwicklungen besonders betroffen sind Frauen aus der Arbeiter*innenklasse. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen drücken sich auch in einer immer größeren politischen Instabilität und einer Krise der etablierten Parteien aus, die keine Perspektive aufzeigen können. Die Arbeiter*innenklasse und Jugend hat nur eine Möglichkeit, um diese Angriffe auf ihren Lebensstandard abzuwehren: Klassenkampf von unten. Aber die Entwicklung von Widerstand von unten ist in keinem Bereich ein Automatismus: die mangelnde Kampferfahrung und die katastrophale Rolle der Gewerkschaftsspitze sind massive Hürden bei der Entwicklung dieses Widerstandes. Die Rolle von subjektiver Führung - Individuen, Gruppen von Beschäftigten und Jugendlichen oder politischen Organisationen - bei der Verwandlung von Wut in Widerstand kann enorm groß sein. Die wichtigste Aufgabe von Sozialist*innen in der aktuellen Periode ist es, genau den kämpferischten Schichten der Arbeiter*innenklasse und Jugend dabei zu helfen, zu kämpfen und sich zu organisieren und in diesem Prozess eine sozialistische Alternative einzubringen.
Internationale Entwicklungen
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Der Kapitalismus befindet sich in einer Periode der sich überlagernden und vielschichtigen Krisen. Fast jeden Tag sind wir mit neuen immer tieferen Krisen konfrontiert. Diese Krisen sind kein Unfall, sondern die direkten Folgen der Widersprüche eines Systems, in dem die Vielen den Reichtum erarbeiten und nur wenige ihn sich aneignen. Alle Krisen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, gehen im Kern auf die Widersprüche dieses Systems zurück.
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Der Ukraine-Krieg dauert schon mehr als ein halbes Jahr und hat zu unglaublichem Leid geführt. Tatsächlich sehen wir aber gerade eine Intensivierung des Krieges. Die russische Armee musste mehrere wichtige Niederlagen gegen die mit westlichen Waffen hochgerüstete ukrainische Armee hinnehmen. Aber wir sehen, dass diese Entwicklung kein Ende des Krieges näherbringt, sondern die Spirale imperialistischer Eskalation nur noch weiter fortsetzt. Mit einer Mobilmachung in Russland, Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines, noch mehr Waffen und Sanktionen. Den Preis dafür zahlen in erster Linie die normalen Menschen in der Ukraine und Russland, aber auch wir in Europa. Die Kosten der Sanktionen werden auf unserem Rücken abgewälzt.
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Der Ukraine-Krieg wird zu einem beschleunigenden Faktor, der die Weltwirtschaft auf den Kurs der Rezession schickt. Tatsächlich sind die Grundlagen der Weltwirtschaft aber schon vor dem Krieg instabil gewesen und jetzt wird dieser Prozess nur beschleunigt.
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Die Folgen der als Finanzkrise 2008 bezeichneten Krise sind nicht überwunden, die Krise der Profitabilität verstärkt sich, die Politik des billigen Geldes (Quantitative Easing & niedrige Zinsen) hat die Investitionen nicht verstärkt, dazu kommen Lieferkettenprobleme und zunehmend auch die folgen der Klimakrise auf die Wirtschaft. Gerade jene Elemente, die in Form des Neoliberalismus (Finanzialisierung, Globalisierung) seit den 80er Jahren die Weltwirtschaft stimuliert hatten, werden nun zum Flaschenhals - die Ära des Neoliberalismus ist vorbei, aber “es kommt nichts besseres nach”. Für Deutschland wird eine Rezession mit Jahreswechsel prognostiziert, auch Italien befindet sich in einer Rezession. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte Weltwirtschaft in eine Rezession rutscht. Der genaue Verlauf dieser Rezession ist noch unklar, aber es ist klar, dass Österreich aufgrund seiner Exportabhängigkeit stark von internationalen Dynamiken betroffen ist.
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Die Inflation auf globaler Ebene hat in einigen Ländern zu massenhaften Widerstand geführt (revolutionäre Entwicklungen in Sri Lanka, Massendemonstrationen in Tschechien etc.) und in anderen zu einem Wiedererwachen der Arbeiter*innenbewegung (Streikwelle in Britannien, Generalstreik in Belgien). Trotzdem hat sich in der Mehrheit der Länder kein verallgemeinerter Widerstand und Klassenkampf gegen die Auswirkungen der Teuerung entwickelt. Vor allem, weil Gewerkschaften oder linke Parteien keine entsprechende Führung anbieten. Wir können davon ausgehen, dass eine Rezession eine kurzfristige Bremse für Kämpfe vor allem auf der betrieblichen Ebene wird, bevor sie zu neuen führen kann.
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Ein weiterer zentraler internationaler Trend ist eine reaktionäre Offensive von Teilen der herrschenden Klasse. Während wir in den letzten Jahren Erfolge für einen - im weitesten Sinn - liberalen Teil der herrschenden Klasse gesehen haben (Biden, Ampelkoalition, Welle an linken Regierungen in Lateinamerika) sehen wir aktuell in einigen Ländern auch ein Erstarken von rechten Kräften (Italien, Schweden, USA) - v.a. teilweise organisierter als bisher. Wir sehen einen weltweiten Trend, dass die herrschende Klasse aus unterschiedlichen Gründen dazu gezwungen ist, sich stärker auf eine reaktionäre Ideologie zu stützen: einerseits, weil die liberale Mitte politisch verbraucht ist, aber andererseits auch, weil eine reaktionäre Ideologie stärker eher den Anforderungen eines Kapitalismus in einer immer tieferen Krise entspricht. Natürlich wird auch diese Entwicklung ungleichmäßig vor sich gehen und diese neuen rechten Regierungen an ihre Grenzen stoßen, trotzdem ist es ein internationaler Trend den wir perspektivisch auch noch stärker in Österreich beobachten werden können (z.B. durch einen Rechtsruck der ÖVP und auch, wenn die FPÖ für die Herrschenden wieder aus dem Schmuddeleck herausgeholt und als Regierungsoption gesehen wird).
Ökonomische Situation in Österreich
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Die Inflation führt zu dem schärfsten Verfall des Lebensstandards in Österreich seit dem 2. Weltkrieg. Dieser kommt nach Jahrzehnten, in denen durch Neoliberalismus der Lebensstandard vieler Menschen ohnehin schon langsam abgesenkt wurde.
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Eine bevorstehende globale Rezession wird ohne Frage auch die österreichische Wirtschaft aufgrund ihrer Exportabhängigkeit massiv treffen und diese Situation durch steigende Arbeitslosigkeit usw. noch weiter verschärfen.
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Für Österreich sagt das Wifo für das kommende Jahr eine “Stagflation” (also eine hohe Inflation, aber kaum Wachstum) voraus. Erwartet wird ein Wachstum von gerade einmal 0,2 % bei 6,5% Inflation. Gleichzeitig sieht man, wie es angesichts der Inflation zu einer massiven Umverteilung kommt: heuer sollen die Bruttolöhne um 4,2% sinken, gleichzeitig steigen die Unternehmensprofite kräftig an. Eine Entwicklung, die man auch an einer sinkenden Lohnquote (dem Anteil von Beschäftigten am gesamten “Volkseinkommen”). https://www.derstandard.at/story/2000139754823/kaum-wachstum-hohe-inflation-oesterreich-steuert-2023-auf-stagflation-zu?ref=instagram
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Diese Entwicklungen haben auch zentrale Auswirkungen auf das Budget. Obwohl durch die Inflation die Steuereinnahmen massiv ansteigen und sich die Arbeiter*innenklasse die staatlichen “Hilfen” weitgehend selbst zahlt, geht für das kommende Budget das Finanzministerium - v.a. aufgrund der staatlichen Unterstützung für Unternehmen - von einem Minus von 17 Milliarden aus. Der Schuldenstand wird durch die steigenden Leitzinsen der EZB auch zu einem größeren Problem. Wir können davon ausgehen, dass diese steigenden Schulden den Spardruck verschärfen, der vor allem auf uns (Sozialleistungen, Gesundheit, Bildung, Soziales) abgeladen werden wird. https://orf.at/stories/3289369/
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Die Situation im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereichs (des öffentlichen Anteils der sozialen Reproduktion, also der Arbeit, die zum Erhalt des Funktionierens der Arbeitskräfte nötig ist) ist ohnehin schon in einer tiefen Krise. Die Auswirkungen von Kürzungspolitik, Personalabwanderung aufgrund schlechter Bezahlung und unerträglichen Arbeitsbedingungen, Corona usw. führen den gesamten Sektor an den Rand des Zusammenbruchs: in Graz müssen Kindergartengruppen bzw. ganze Einrichtungen aufgrund von Personalmangel schließen, in Wiener Spitälern fehlen 2000 Pflegekräfte und ganze Stationen schließen, viele Sozialeinrichtungen funktionieren de facto nur noch im Notbetrieb, in Schulen macht der Lehrer*innenmangel einen “normalen” Betrieb teilweise unmöglich. Diese Krisen verstärken sich gegenseitig: Elementarpädagog*innen müssen den Job wechseln, weil zusätzlich zu den katastrophalen Arbeitsbedingungen die Bezahlung angesichts der Inflation einfach nicht mehr ausreicht um über die Runden zu kommen, Pfleger*innen ihre Arbeitszeit reduzieren, weil nicht mehr genug Personal in den Kindergärten vorhanden ist, Menschen die eigentlich eine spezifische Betreuung brauchen, werden suboptimal versorgt und ihr Zustand verschlechtert sich. Dieser Notstand bildet die Grundlage für Widerstand. Kommt es nicht zu Widerstand, kann das auch zu einer Niederlage ohne soziale Kämpfe und damit zur Demoralisierung wichtiger Teile der Beschäftigten führen.
Politische Situation
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“Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.” (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie) Wir sehen schon jetzt, dass die unterschiedlichen Krisen und der Verfall des Lebensstandards entscheidende Veränderungen im Bewusstsein produzieren: u.a. ein weiteres Anwachsen einer Anti-Establishment-Stimmung. Aber dieser Unmut findet - aufgrund mangelnder Erfahrung und Führung durch die Gewerkschaftsspitze, die fest in sozialpartnerschaftlicher pro-kapitalistische Politik verwurzelt ist - noch keinen Ausdruck in Widerstand und Klassenkampf. Das Säbelrasseln bei den KV-Verhandlungen hat - trotz teilweise relativ hoher Forderungen - noch keine neue Qualität, ist aber dennoch Ausdruck für den Druck von unten.
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Die aktuellen Umfragen, die Wahlen in Tirol und letztlich auch bei der Bundespräsidentschaftswahl zeigen wachsende Unzufriedenheit mit der Bundesregierung - stellvertretend für das gesamte politische System. Die beiden Regierungsparteien kommen in den meisten Umfragen gemeinsam auf gerade einmal 30%. Die Verluste beider Regierungsparteien in Tirol werden die inner-koalitionären Probleme weiter verschärfen, da sie beide Parteien dazu drängen, sich stärker auf Kosten des Koalitionspartners zu profilieren. Obwohl weder ÖVP noch Grüne ein Interesse an Neuwahlen haben, können solche Konflikte ihre eigene Dynamik entwickeln, die zu einem Ende der Koalition führt. Ein nächster Knackpunkt könnten die Landtagswahlen in Niederösterreich im Frühjahr 2023 werden, bei der vor allem der ÖVP ein drastischer Einbruch droht.
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Trotz der tiefen Krise der Regierungsparteien kann sich keine Kraft in der Opposition als klare Alternative herauskristallisieren und noch weniger als eine solche profilieren. Obwohl die SPÖ in Umfragen dazu gewinnt, halten sich diese Zugewinne in Grenzen, sind nicht von Begeisterung getragen, sondern einer “Kleineres-Übel”-Logik. Die Gründe dafür sind die noch immer existierenden Konflikte in der Partei, aber vor allem der Fakt, dass die SPÖ in Landesregierungen in Wien, Kärnten und dem Burgenland nicht anders regiert als ÖVP-Länder oder der Bund. Das beste Beispiel dafür sind die massiven Miet- und Gebührenerhöhungen in Wien sowie die aktuelle Krise der Wien Energie. (https://www.slp.at/artikel/was-ist-los-bei-wien-energie-die-ursachen-liegen-im-kapitalismus-10939)
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Die Bundespräsidentschaftswahlen waren insgesamt weniger polarisiert, als man angesichts der tiefen Krise erwarten könnte. Das zeigt auch, dass viele Menschen diese Wahl nur begrenzt nutzen, um ihren Protest auszudrücken. Trotzdem zeigen die unterschiedlichen Protestkandidaten und der Fakt, dass überhaupt nur eine Parlamentspartei einen offiziellen Kandidaten hatte, die Krise des politischen Systems. Gleichzeitig zeigt das Ergebnis von VdB, dass es vielen Menschen wichtig war, angesichts der vielen Krisen irgendwie zu versuchen, Stabilität zu erhalten.
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Das gute Abschneiden von Dominik Wlazny (Marco Pogo) zeigt auf eine widersprüchliche Art und Weise sowohl das Potenzial für linken Protest als auch den Wunsch nach “bodenständiger” Politik. Dabei reflektiert er unterschiedliche Stimmungen in der Bevölkerung und vermischt sie zu einem enorm schwammigen linksliberalen Programm und dem Anspruch einer “sauberen Politik”. Das führt zu einer Mischung aus attraktiven Forderungen und wichtigen Themen (Gewalt an Frauen, Pflegenotstand, Personenkomitee aus systemrelevanten Beschäftigten), mit politischen Plattitüden und sogar krass rechten und elitären Forderungen (Offenheit gegenüber der Nato, Eignungstests für Minister*innen). Insgesamt zeigen die Themen und der Erfolg von Dominik Wlazny, deshalb zwar teilweise das Potenzial für linken Protest, er bietet aber keinerlei positive Perspektive. Ob es hier ein neues Projekt geben wird bzw. wie sich ein solches entwickelt, ist noch offen, wie andere kann es aber kurzlebig sein.
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Obwohl die verschiedenen rechten Kandidaten über 30% auf sich vereinen konnten, ist es den rechten und rechtsextremen Kräften noch nicht gelungen, so stark von der Krise zu profitieren, wie es angesichts des Versagens der ÖGB-Führung möglich gewesen wäre. Offensichtlich sind die inneren Streitereien, die Diskreditierung durch Covid und eine gewisse linke Grundstimmung vor allem unter jungen Menschen Bremsen für dieses Erstarken. Trotzdem kann sich das auch schnell ändern, wenn sich keine klassenkämpferische Perspektive entwickelt und diese rechte Option für das Kapital wieder interessanter wird.
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Eine wichtige Rolle in den politischen Entwicklungen in Österreich kann der weitere Zustrom von Geflüchteten spielen. Schon jetzt sehen wir, wie die ÖVP schon eine geringe Zunahme an Geflüchteten für rassistische Stimmungsmache instrumentalisiert. Durch eine Eskalation des Ukrainekriegs, aber auch die immer schlechter werdenden Bedingungen in anderen Ländern (humanitäre Krise in Afghanistan, Jahrhundertflut in Pakistan, Auswirkungen des Klimawandel in Indien und Afrika) wird die Anzahl von Geflüchteten weiter steigen. Dieser Anstieg trifft auf einen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich, der ohnehin schon völlig überlastet ist. Es ist wahrscheinlich, dass eine ÖVP mit Vertiefung der Wirtschaftskrise das alte rassistische “Teile und Herrsche” einsetzen und wieder verstärkt gegen Flüchtlinge Stimmung machen wird. Umso wichtiger ist es, von Anfang an klar zu machen, dass die Herausforderungen für das österreichische Sozialsystem nicht von Geflüchteten ausgehen, sondern von der kriminellen Unterfinanzierung durch die Bundes- und Landesregierungen - bei gleichzeitigen Rekordprofiten von Unternehmen.
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Perspektivisch können wir davon ausgehen, dass sich die Krise des gesamten politischen Systems weiter zuspitzen wird. Bis zu den nächsten Nationalratswahlen kann vieles passieren. Das Ergebnis der Bundespräsidentschaftswahlen erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für Parteineugründungen (rund um Marco Pogo, Grosz oder Wallentin), die bei den nächsten Nationalratswahlen versuchen in Parlament einzuziehen und teilweise sogar Chancen auf Wahlerfolge hätten (die aber wahrscheinlich aufgrund ihrer Ausrichtung und Methode eher kurzlebig wären). Auf der politischen Linken gibt es keine Anzeichen für eine echte, klassenkämpferische, sozialistische Alternative, die sich über die Proteste aufbauen und verankern könnte und somit ein Ansatz für eine neue Arbeiter*innenpartei wäre. Es gibt noch nichtmal Anzeichen für eine ernstzunehmende linke Kandidatur, die einen Schritt in diese Richtung bedeuten würde.
Bewusstsein und Widerstand
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Die zentrale Herausforderung im Bewusstsein bleibt: obwohl es enorm viel Unmut gibt, entwickelt sich kein echter Kristallisationspunkt für Widerstand, der diesem Bewusstsein einen Ausdruck geben und es dadurch qualitativ weiterentwickeln könnte. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: mangelnde Führung vor allem durch die Gewerkschaften, aber auch die politische Linke (z.B. die KP Steiermark), mangelnde Erfahrung mit Widerstand in weiten Teilen der Arbeiter*innenklasse und Jugend usw.
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Die Niederlage der ÖGB-“Preise-runter”-Demonstration (https://www.slp.at/artikel/nach-dem-179-reinen-tisch-machen-statt-sch%C3%B6nreden-10972) zeigt, dass der ÖGB nicht dazu willens bzw. in der Lage ist, zu so einem Kristallisationspunkt zu werden. Die schwache Mobilisierung zeigt, dass es dem ÖGB nicht mal mehr gelingt, seine Kernschichten zu mobilisieren, und der mangelnde Plan danach zeigt, dass der ÖGB außerhalb von symbolischen Aktionen keinen Widerstand gegen die Teuerung plant. Das war auch die zentrale politische Schwäche der Demonstration, die Verbindung mit den KV-Verhandlungen hat gefehlt wie auch eine allgemeine Perspektive, wie Forderungen auch tatsächlich erkämpft werden können. Deshalb ist die schwache Beteiligung auch kein Wunder, weil die meisten Menschen den Sinn von symbolischen Mobilisierungen nicht sehen (tlws. nur als Unterstützung für die SPÖ).
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Die politische Linke spiegelt die Fehler des ÖGB beim Kampf gegen die Teuerung als Karikatur wider. An der groß angekündigten “Es reicht”-Demonstration - zu der fast die gesamte Linke von SJ über KPÖ bis hin zur autonomen Antifa - aufgerufen hatte, beteiligten sich nicht mehr als 300 Personen. Auch dieser Demonstration fehlte jede Perspektive, wie man Forderungen durchsetzen kann und vor allem eine Orientierung auf die Lohnverhandlungen sowie Gewerkschaftsopposition. Durch diese fehlende Perspektive wie ein Kampf der Arbeiter*innenklasse tatsächlich entstehen kann ändert auch das Aufgreifen eines Themas mit großer Bedeutung für die große Mehrheit der Arbeiter*innenklasse und Jugend nichts an der Isolation der Linken und bleibt im Endeffekt linke Symbolpolitik. Die potenziell wichtigsten Ereignisse, wo sich aktuell Kristallisationspunkte für Widerstand entwickeln können, sind die KV-Verhandlungen. Aktuell verhandeln Metallbereich, Bahn, SWÖ und Handel, gefolgt vom öffentlichen Dienst. In allen Branchen gibt es unterschiedliche Faktoren, die zu viel Wut und Konfliktpotenzial führen können. Es ist wahrscheinlich, dass es zumindest im Metallbereich, bei der Bahn und im SWÖ zu Streiks kommt. Gerade die Gewerkschaft vida prescht in der Öffentlichkeit mit einer recht hohen 500,- Forderung und vorgezogenen Verhandlungen vor. Trotzdem gibt es aktuell außerhalb des SWÖs noch keine Anzeichen für eine Dynamik an der Basis, die den sozialpartnerschaftlichen Kurs herausfordern könnte. Aber gerade, wenn es mehrere Mobilisierungen und Streiks gibt und ein Abschluss aufgrund der sich anbahnenden Rezession schwieriger wird, können sich hier Dynamiken entwickeln, die die Kontrolle der Gewerkschaftsführung herausfordern. Wenn es in anderen Ländern, wo die gewerkschaftliche Politik kämpferischer ist - Streikwelle in Britannien, Generalstreik in Belgien etc - zu Erfolgen kommt, kann das ebenfalls Druck erzeugen. Aber auch bei den KV-Verhandlungen bleibt ein begrenzender Faktor die niedrige Erwartungshaltung von den meisten Kolleg*innen an die Gewerkschaft und die Verhandlungen selbst.
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Ein weiteres bevorstehendes Konfliktfeld mit wahrscheinlich noch mehr Kampfpotenzial ist der gesamte Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Wie oben skizziert, steht der gesamte Bereich am Rand eines Notstandes. Schon jetzt sind unterschiedliche Kämpfe angedroht: die Kindergärten in Oberösterreich drohen mit Streik, in Wien sind die Proteste der Elementarpädagog*innen nur pausiert, im Spitalsbereich (KuK) in Linz gab es schon im Juni einen Warnstreik und weitere Aktionen wären für September angekündigt, im SWÖ wird es fast sicher zu Streiks während der KV-Runde kommen und auch andere Entwicklungen in Spitälern oder Schulen sind nicht unwahrscheinlich. Auch im öffentlichen Dienst im Bund (ein Großteil der Spitäler, viele Lehrer*innen) stehen Lohnverhandlungen bevor.
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Auch bezüglich des Jugendbewusstseins sehen wir, dass sich noch keine Perspektive für Jugendwiderstand gegen Teuerung entwickelt. Die Gründe dafür sind ähnliche wie in der Gesamtbevölkerung. Auch sonst drückt sich die Politisierung von jungen Menschen nur sehr begrenzt in Protesten auf der Straße aus. Ein gutes Beispiel dafür sind die Klimastreiks: früher waren sie eine dynamische Bewegung geprägt von wütenden Schüler*innen, jetzt sind sie dominiert von NGOs und teilweise werden Schüler*innen durch die Schule regelrecht gezwungen, daran teilzunehmen. Ein gegenteiliges Beispiel sind die Proteste in Solidarität mit der Bewegung im Iran, bei denen es gelungen ist, viele Menschen neu für politischen Protest zu mobilisieren - auch außerhalb der iranischen Community. Wir sehen, dass der Widerstand gegen Frauen- und LGBTQ+ Unterdrückung zu den wichtigsten Themen für junge Menschen gehört.
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Obwohl es allgemein keinen verallgemeinerten Widerstand gegen die Teuerung gibt, wird sich die angestaute Wut und Verzweiflung irgendwann auch in Protest verwandeln, z.B. wenn immer mehr Menschen ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten können. Das bedeutet, dass wir mit unterschiedlichen Formen von spontanen explosiven Bewegungen von unten rechnen müssen, auch wenn wir nicht genau vorhersagen können, wann und wie diese sich entwickeln. Aber auch solche Explosionen von unten werden die Herausforderungen im Bewusstsein nicht auflösen und oft sehr verwirrt sein. Umso wichtiger wird sein, dass Sozialist*innen in solche Explosionen intervenieren und dabei helfen sie rund um ein klares Programm zu organisieren.
Aufgaben für Sozialist*innen
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In der aktuellen Situation ist es zentral, dort aktiv zu sein, wo sich Menschen real beginnen zu wehren, dabei zu helfen, diese Bewegung zu organisieren und sozialistische Ideen hinein zu tragen. Dafür müssen wir Perspektiven entwickeln, wo sich dieser Widerstand am ehesten entwickelt und ein Programm und Methoden, um bestmöglich einzugreifen. Als ISA sind wir der Meinung, die aktuell zentralsten Punkte dafür sind: die Gehaltsverhandlungen in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), die KV-Verhandlungen allgemein, der Widerstand und die Organisierung rund um Frauen- und LGBTQI+Themen.
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Der SWÖ gehört in den letzten Jahren zu den kämpferischten Branchen, es gibt zahlreiche kämpferische Betriebsrät*innen, aktive Beschäftigte und Basisinitiativen wie “Sozial aber nicht blöd”. Die Mehrbelastung durch Pandemie und Inflation macht einen guten Abschluss (sowohl Arbeitszeitverkürzung als auch deutliche Gehaltserhöhung) immer dringender. Gleichzeitig hat die Auseinandersetzung eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung: während der Pandemie ist allen klar geworden, wie wichtig die Arbeit in dieser Branche ist. Das alles schafft die Möglichkeit eines Arbeitskampfes, der auch über die Grenzen der sozialpartnerschaftlichen Routine hinausgeht und dadurch auch eine Inspiration für andere Branchen ist. Sozialist*innen haben die Aufgabe den Kampf, um einen kämpferischen Kurs zu unterstützen und Solidarität mit dem Arbeitskampf aufzubauen.
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In den meisten anderen Kollektivverträgen gibt es keine kämpferischen Basisstrukturen, die einen vergleichbaren Einfluss haben. Trotzdem ist es notwendig, in allen KV-Verhandlungen zu versuchen, Druck von unten auf die Gewerkschaftsspitze zu machen, um sie so weit wie möglich zu Forderungen und Methoden zu drängen, die nötig sind. Gleichzeitig kann man von unten erste Ansätze für die notwendige Solidarität zwischen unterschiedlichen Branchen aufbauen, die notwendig wären: z.B. durch gegenseitige Betriebsbesuche, gemeinsame Aktionen usw.
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Sozialistischer Feminismus: Frauen sind weiterhin besonders von Teuerung und Krise betroffen. Die unterschiedlichen Krisen verstärken sich auch hier gegenseitig: Frauen verdienen weniger, die Inflation wirkt hier besonders dramatisch, die Krise führt zu mehr Gewalt und macht es schwieriger, ihr zu entkommen, der Druck auf weibliche Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich steigt usw. Termine wie der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.) oder der 8. März sind die Möglichkeiten, internationale Entwicklungen, den Kampf gegen Teuerung, für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich und gegen Gewalt zusammenzuführen und Frauen und junge Menschen dadurch zu mobilisieren.
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Insgesamt haben die vielen verschiedenen Krisen auch ohne aktive Bewegungen einschneidende Auswirkungen auf das Bewusstsein von Arbeiter*innen und Jugendlichen und schaffen größere Offenheit für sozialistische Ideen. Um in kommende Bewegungen so effektiv wie möglich eingreifen, ist es notwendig, diese Offenheit schon heute so gut wie möglich rund um sozialistische Ideen zu organisieren. Das machen wir mit dem Aufbau der Internationalen Sozialistischen Alternative.