Mo 01.06.1998
Revolutionen sind keineswegs eine Erscheinung der Vergangenheit! In diesen Tagen entwickelt sich am anderen Ende der Welt - in Indonesien - ein revolutionärer Prozeß. Ausgelöst durch eine tiefe Wirtschaftskrise kam es zu monatelangen Protesten, die letztlich den Rücktritt von Suharto erzwangen. Für bürgerliche Kommentatoren ist damit der Prozeß mehr oder weniger beendet - für MarxistInnen ist aber klar, daß damit die Revolution erst begonnen hat. Um eine wirkliche Befreiung der Ausgebeuteten und Unterdrückten in Indonesien zu erreichen, muß nicht nur die Diktatur Suhartos, sondern die Diktatur des Marktes beseitigt werden.
Vor knapp einem Jahr brach in einer Reihe südostasiatischer Staaten die Wirtschaft zusammen. Indonesien wurde von dieser „Asiatischen Grippe“, die bald die ganze Weltwirtschaft infiziert hatte, besonders hart getroffen. Hatte der IWF Indonesien 1996 noch auf Platz 7 der wirtschaftlich aufstrebenden Länder gereiht, sieht es sich heute mit der tiefsten Krise seit Jahrzehnten konfrontiert. "Krismon", die Krise des monetären (=Geld-)Sektors, die zu einer Abwertung der nationalen Währung Rupiah um mehr als 80% führte, wird heuer zu einem Minuswachstum der Wirtschaft um rund 10 % führen. Die Inflation hat bereits 35 % erreicht, ein Anstieg auf bis zu 100 % wird befürchtet. Die Gesamtverschuldung (Staat und Private) liegt bei ca. 140 Milliarden Dollar, rund 1/3 davon werden heuer fällig.
Die Krise trifft natürlich nicht die 200 Superreichen, die die 200 Millionen Indonesier wirtschaftlich und politisch kontrollieren, sondern die Millionen ArbeiterInnen sowie die Armen in den Städten und auf dem Land. Seit Beginn der Krise haben über vier Millionen ihren Job verloren, die Arbeitslosigkeit in den großen Städten hat sich seit Juli ‘97 verdoppelt. Schon damals waren allerdings rund 35 Millionen Menschen unterbeschäftigt! Die Löhne von jenen, die noch einen Job haben sind im selben Zeitraum um ca. 50 % gefallen. Gleichzeit stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel um 1/3.
Die StudentInnen beginnen den Kampf!
Im Februar ‘98 begann sich an einer Reihe von Universitäten der Widerstand zu formieren. Die Bewegung, die als Protest gegen die verheerenden sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise, gegen "korupsi“ und „nepotisma" (Neoptismus ist Vetternwirtschaft), angefangen hatte, wurde aber rasch politisch und forderte "reformasi" aber auch "revolusi" und nicht weniger als den Rücktritt des verhaßten Diktators Suharto.
Das Regime versuchte, die Bewegung zu isolieren und verbot den StudentInnen, außerhalb des Campus zu demonstrieren. Aber viele NichtstudentInnen - ArbeiterInnen, Hausfrauen, Busfahrer und generell arme - kamen, um teilzunehmen. In Solo z.B. waren bereits im April mehr als 1/3 der DemonstrantInnen von außerhalb.
Der Widerstand wird sowohl von den offiziellen StudentInnenstrukturen - den Senaten - als auch den unabhängigen Strukturen - "Komitees", in denen die kämpferischsten, aktivsten StudentInnen organisiert sind - angeführt. Ein Netzwerk zwischen verschiedenen Universitäten wurde aufgebaut und die StudentInnen versuchten, die Bewegung zu verbreitern. "Workers Organiser" besuchendie Arbeitenden, um sie zu organisieren.
Der Sturm bricht los
Anfang Mai kam es zu neuerlichen Preissteigerungen - Benzin, auf das rund 60 % aller IndonesierInnen angewiesen sind, da ein großer Teil des Verkehrs mit Mopeds erledigt wird, wurde um 71 % teurer. Als dann am 12. Mai bei einer Demonstration der Elite-Universität Trisakti eine Reihe von StudentInnen erschossen wurden, brach der Sturm los. Es folgte ein Aufstand, der nur wenige Tage später zum Rücktritt Suhartos führte. Nach 32 Jahren installierte der 76jährige Diktator, der mittels eines Blutbades an die Macht gekommen war, seinen Nachfolger. Rund 500 Menschen starben in diesen Tagen, die von der Presse als "Chaos und Anarchie" bezeichnet werden. Es kam zu Plünderungen, doch diese spiegeln v.a. die Verzweiflung auf der Suche nach dem Lebensnotwendigen wieder. Es kam auch zu Progromen gegen Chinesen. Diese wurden teilweise von Teilen der Armee (um Suharto Schwiegersohn Prabowo, Chef der Eliteeinheit Kostrad) angestiftet, um dann ein hartes Durchgreifen zu "rechtfertigen". Häufig richteten sich die Übergriffe der Massen gegen das Eigentum von Vertretern der herrschenden Clique zu denen auch Chinesen, wie Lim Sie Liong, der einer der reichsten Männer Indonesiens ist, gehören.
Habibie - niemandes Liebling
Der neue Präsident Habibie ist ein politischer Ziehsohn Suhartos der über keine wirkliche Unterstützung verfügt und von allen nur als Übergangslösung gesehen wird. Sein neues Kabinett unterscheidet sich nur durch wenige Namen von Suhartos alter "Regierung". Er hat zwar Wahlen angekündigt, aber es ist weder bekannt, wann diese stattfinden sollen, noch wer wählen bzw. wer kandidieren kann.
Daß Habibie keine wirkliche Veränderung darstellt ist allen klar. Die StudentInnen und die Massen, die Suharto gestürzt haben wissen, daß er nur eine von seinen Marionetten ist. Das Militär hofft, ihn kontrollieren zu können, und somit weiterhin die Macht zu behalten. Der Westen hofft auf eine Stabilisierung der Lage, um seine Investitionen zu sichern. Obwohl nicht klar ist, was in den nächsten Tagen und Wochen geschehen wird, so kann doch eines gesagt werden: Habibie hat erstens kein Interesse an wirklich demokratischen Reformen und wird zweitens an der Ausbeutung der indonesischen Massen nichts ändern. Der Versuch durch den Staat, die Bewegung niederzuschlagen würde die Stimmung weiter anheizen, Reformen und Konzessionen andererseits würden sie ermutigen. Die Revolution hat also gerade erst begonnen - es ist davon auszugehen, daß es in der nächsten Zeit zu weiteren Bewegungen kommen wird.
Ein großer Unsicherheitsfaktor dabei sind "ABRI", die bewaffneten Kräfte, bei denen in Polizei und Militär gemeinsam rund 500.000 unter Waffen stehen, bei denen es aber, wie in der gesamten herrschenden Klasse, unterschiedliche Flügel gibt. Ein Putsch ist zwar nach wie vor nicht auszuschließen, aber zur Zeit nicht die wahrscheinlichste Perspektive. Aber auch wenn sich die Vertreter der herrschenden Klasse der noch bis vor kurzem unterdrückten liberalen prokapitalistischen Opposition zuwenden und eine "Reformregierung" mit größerer Glaubwürdigkeit einsetzen, so ist es doch unwahrscheinlich, daß auf diese Weise längerfristige Stabilität für Indonesien zu gewährleistet wird.
Die Opposition
In den letzten Wochen hat sich Amien Rais, der Kopf der rund 28 Millionen starken Muslimorganisation Muhammadiyah als die zentrale Figur der bürgerlich-liberalen Opposition herauskristallisiert. Obwohl er nicht an der Mobilisierung der Massenproteste gegen Suharto beteiligt war, ja sogar teilweise versuchte diese zu Bremsen, und noch vor kurzem Suharto eine "letzte Chance" bis Jahresende gegeben hatte, präsentiert er sich zunehmend als Oppositionsführer. Er ist nicht nur ein enger persönlicher Freund von Habibie, sondern hat offensichtlich auch enge Kontakte zum Militär. Er wird auch vom Westen favorisiert, da er auch den IWF als "einzige Alternative" sieht.
Eine weitere prominente Figur der Opposition, Megawati Sukarnoputi, die Tochter des ersten Präsidenten Sukarno. Megawati, Anführerin der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI), die 1996 vom Militär als Vorsitzende abgesetzt worden war, hatte sich bisher sehr im Hintergrund gehalten, und hat erst nach der Ermordung der StudentInnen der Trisakti-Universität ihr Schweigen gebrochen. Sie appelliert v.a. im Namen der Staatsphilosophie Pancasila und von Gott, hat aber an Programm wenig zu bieten.
Auf die sozialen Fragen, auf die Probleme der von der Wirtschaftskrise hart getroffenen Massen, haben weder Rais noch Megawati eine Antwort.
Die linken Kräfte
Nach der völligen Ausmerzung der PKI 1965 (siehe Kasten) gab es lange Zeit so gut wie keine organisierten linken Kräfte in Indonesien. In den letzten Jahren haben sich aber in der 1994 gegründeten und 1996 verbotenen Demokratischen Volkspartei (PRD) AktivistInnen zusammengefunden, die sich selbst auch als SozialistInnen sehen. Die PRD organisierte in ihren verschiedenen Teilorganisation ArbeiterInnen (PPBI), StudentInnen (SMID), BäuerInnen (STN) und KünstlerInnen (Jakar). Seit zwei Jahren muß sie im Untergrund agieren, viele ihrer Anführer Innen sind im Gefängnis, viele stehen auf "schwarzen Listen" und werden verfolgt, viele sind einfach "verschwunden“.
In den letzten Monaten war die PRD aber offensichtlich aus dem Untergrund heraus an der Bewegung beteiligt und stellt Forderungen wie jene nach Vergesellschaftung auf.
Die sozialistischen Kräfte in Indonesien sind noch schwach und stehen unter einem enormen Druck. Sie müssen nicht nur die Bewegung auf die ArbeiterInnen ausweiten und vorantreiben, sondern auch die bürgerlichen Führer wie Rais und Megawati demaskieren.
Suhartos Ende geht Hand in Hand mit dem Ende der "Tigerstaaten", die bis vor einem Jahr den Kapitalismus als funktionierendes System präsentieren konnten. Suharto mußte gehen, aber die Krise des Kapitalismus ist nach wie vor allgegenwärtig für die Massen in Asien. Der Kampf der StudentInnen, ArbeiterInnen und der Armen in Indonesien hat nicht nur internationales Aufsehen erregt, sondern wird auch internationale Auswirkungen haben, denn die ArbeiterInnen der gesamten Region - in den Philippinen, in Südkorea und in Japan - schauen nach Indonesien.