Di 24.02.2015
Aufgrund der Krise des Kapitalismus seit 2007/8 spitzt sich weltweite die soziale Lage weiter zu. Unwille und Unfähigkeit der politischen und ökonomischen Eliten, diese im Interesse der Massen zu beenden, führte zu Protesten auf der Straße, Streiks, Hausbesetzungen und ähnlichen Widerstandsformen. Auch die nationale Frage – die Forderung nach mehr Autonomie oder auch Unabhängigkeit – hat in diversen Ländern als Ventil für die Unzufriedenheit an Bedeutung hinzugewonnen, bzw. wurde als solche wiederentdeckt. In vielen Fällen war die nationale Frage immer eine zentrale, wie in Kurdistan. In anderen Fällen bricht eine gelöst geglaubte nationale Frage als Folge der ökonomischen Krise wieder auf. So in Schottland, wo das Recht auf nationale Selbstbestimmung seit der Thatcher-Regierung und ihrem Neoliberalismus wieder an Bedeutung gewann und nun im Referendum zur Unabhängigkeit mündete. Für die ArbeiterInnenklasse stellt sie dort eine Ausdrucksform des Widerstands dar, mit der dem Wunsch nach einem Ausweg daraus Ausdruck verliehen wurde.
Die Schwesterpartei der SLP in Schottland, die Socialist Party Scotland (SPS), fordert ein unabhängiges sozialistisches Schottland und führte eine Kampagne rund um die sozialen, die Klasseninteressen durch. Zentral waren die Ablehnung jeglicher Sozialkürzungen und die Forderung nach Übernahme der Reichtümer Schottlands durch die Öffentlichkeit, mit demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die ArbeiterInnenklasse. Diese Positionen wurden in Massenkundgebungen verbreitet und führten auch zu einem starkem Wachstum der SPS. Die „richtige Position“ der SPS bestand dabei sowohl in der Verteidigung des Selbstbestimmungsrechte für eine jede sich selbst als Volksgruppe sehende Gemeinschaft, als auch auf der essentiellen Verbindung der nationalen mit der sozialen Frage. Denn eine reine Konzentration auf den nationalen Aspekt führt in eine Sackgasse: Nur weil sich eine Nation konstituiert, bedeutet es nicht, dass Klassengegensätze überwunden werden. Sollte also Schottland sich von Großbritannien trennen, würde das für die ArbeiterInnenklasse noch keine Zukunft ohne Ausbeutung heißen. Nur die Kombination von Lösung der nationalen Frage und Überwindung des Kapitalismus können zu einer tatsächlichen Perspektive für die unterdrückten Klassen werden.
Gut ersichtlich war diese Problematik in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Formal war Jugoslawien ein „sozialistischer“ Republikenbund, der zwei Alphabete, drei Religionen, vier Sprachen, fünf Nationalitäten in sechs Ländern mit sieben Nachbarn und acht Minderheiten zusammenhalten sollte. Real fehlte echte ArbeiterInnendemokratie, die soziale Frage war nicht gelöst, und damit auch die nationale nicht, da die Verteilung der knappen Ressourcen diese wieder anheizte. Und mit der Zuspitzung der sozialen Probleme ab den 1980er Jahren brach die nationale Frage unter dem erhöhten sozialen Druck wieder auf, führte zum Zerfall Jugoslawiens und blutigen Kriegen. Die stalinistische Etappentheorie (zuerst national, dann sozial), der auch der Titoismus folgte, führte somit letztlich auch zum späteren reaktionär-nationalistischen Backlash in den einzelnen Teilrepubliken.
MarxistInnen stehen grundsätzlich für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker. Doch eine Lösung der konkreten Fälle kann nicht in einem bloßen Zitieren aus historischen Schriften gefunden werden. Die theoretische Basis ist dort gelegt, doch an aktuelle Herausforderungen muss dynamisch herangegangen werden. Zur Illustration hervorragend geeignet: Die Israel/Palästina-Frage. Teile der „Linken“ ziehen Trotzki-Texte von vor der Gründung Israels als Argumentationsgrundlage heran. Trotzki lehnte eine solche Gründung ab, erklärte, dass damit kein sicherer Hafen für JüdInnen zu schaffen wäre. Doch seither sind Jahrzehnte vergangen. Israel existiert, hat eine eigene Bourgeoisie und Proletariat entwickelt, es ist damit umzugehen wie mit anderen bürgerlichen und imperialistischen Staaten auch. Holocaust/Shoa einerseits und die Vertreibung und Unterdrückung der PalästinenserInnen andererseits haben die Situation weiter verkompliziert.
Auf kapitalistischer Grundlage kann gerade diese nationale Frage nicht gelöst werden. Die gemeinsamen sozialen Anliegen der israelischen und palästinensischen ArbeiterInnenklasse müssen ebenso ein Ansatzpunkt sein, wie die jeweils berechtigten Wünsche nach Sicherheit, Frieden und eigenem Land. Um diesen gordischen Knoten zu lösen, liegt die Lösung nicht in einem starrem Überstülpen von Texten, die in einer anderen Situation geschrieben wurden, sondern in der Anwendung des Instruments des dialektischen Materialismus. Ein sozialistisches Israel und ein sozialistisches Palästina als Teil einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten verbinden nationale wie soziale Bedürfnisse. Nationalismus ist nicht progressiv, wenn er Instrument einer herrschenden Klasse zur Unterdrückung Anderer ist. Nur die ArbeiterInnenklasse kann in einem vereinigtem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft die nationale Unterdrückung und Spaltung auf Dauer lösen und überwinden.