Mi 21.05.2014
1952 bildeten Frankreich, Deutschland und vier weitere Länder die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“. Unmittelbar nach dem Weltkrieg war nicht nur die Infrastruktur massiv angeschlagen. Auch der Kapitalismus befand sich im Wiederaufbau. Gleichzeitig existierte mit dem Stalinismus ein alternatives Wirtschaftssystem im Weltmaßstab. Noch dazu ging die Sowjetunion aus dem Krieg und den darauf folgenden kolonialen Revolutionen gestärkt hervor. Das war für den Kapitalismus, ungeachtet seiner eigenen zwischenstaatlichen Konflikte, eine existentielle Bedrohung. Aus der deutsch-französisch-italienischen Kooperation zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit entwickelte sich die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ und daraus eine Säule der mit dem Maastricht-Vertrag 1992 gegründeten „Europäischen Union“ (EU). Zuvor hatten sich nicht nur die USA zur führenden Weltmacht gemausert. Angesichts der Rolle Japans und Chinas in der globalisierten Wirtschaft strebten die besitzenden Klassen in Europa nach einer besseren Position. Die 90er sahen die Hochphase dieser EU. Alles schien möglich, wenn man der Euphorie des größten Teils des Bürgertums glauben mochte. Der Grund lag in der durch den Zusammenbruch des Stalinismus ab 1989 geänderten Weltlage. Die kapitalistische Krise hatte Europa noch nicht im Würgegriff. So träumten einige vom EU-Bundesstaat, der zur Weltmacht aufsteigen würde. Mittlerweile wird allerdings eher über EU-Ausstieg und Euro-Ausschluss spekuliert. Damals wie heute: wir hören vollmundige Versprechungen, was uns die EU nicht alles bringt.
Mythos 1: Friedensunion. Die Tatsache, dass es auf europäischem Territorium seit 1945 keine offenen Kriegshandlungen zwischen den EU-Großmächten gab, ist als Argument altbacken und wertlos. Man verwechsle nicht Ursache und Wirkung: Die EU/EG ist ja geradewegs ein Ergebnis jener politischen und wirtschaftlichen Umstände der Nachkriegszeit. Die EU hat jedoch Kriege in Europa (Balkan!) nicht nur nicht verhindert, sondern sie durch Interventionen entscheidend angeheizt. Sie bezieht derzeit im Kampf um die Neue Weltordnung ihre Schützengräben. In einem militärischen Strategiepapier für den EU-Rüstungsgipfel Ende 2013 wurden „Gebiete von privilegiertem EU-Interesse“ ausgelotet. Sie reichen von Zentralasien über Suez bis in die Arktis. Die „Europäische Verteidigungsagentur“ ist dafür verantwortlich, dass die EU bei Kriegswaffenexporten seit 2000 erstmals weltweit führend ist! Es geht um Kapital-Interessen, nicht um Frieden.
Mythos 2: Wohlstandsunion. Die EU-Kommission berichtet, dass „mehr als 120 Mio. Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“ sind. Das entspricht 24 % der Gesamtbevölkerung! Die Lösung der Kommission? „Es ist fraglich, ob die Systeme der sozialen Sicherheit langfristig tragbar sind.“ Seit 1996 ist es offizielles EU-Ziel, „die Lohnskala nach unten zu spreizen“ und „Lohnersatz- und Sozialleistungen“ zu kürzen. Die EU bekämpft die bestehende Armut nicht effektiv, sondern verschärft zusätzlich durch ihre neoliberale Politik die soziale Lage von Millionen Menschen. Die Lohnquote (Anteil der Löhne und Gehälter an den Gesamteinkommen) in EUropa liegt inzwischen deutlich unter jener in Japan und den USA. Wenn Menschen in ärmeren Regionen Hoffnungen in einen EU-Beitritt haben, werden diese enttäuscht. Schon in den Beitrittsverhandlungen drängt die EU auf Kürzungs- und Privatisierungsprogramme.
Mythos 3: Menschenrechte, Demokratie und Freizügigkeit. Die EU bringt nicht mehr Demokratie. Das EU-Parlament ist weitgehend zahnlos, die Regierung (EU-Kommission) wird nicht demokratisch gewählt. In Krisensituationen agiert die EU mit diktatorischen Verfügungen (Troika in Griechenland). Eine Kontrolle der Demokratie-Standards in den Mitgliedsstaaten erfolgt halbherzig. Als die ungarische Regierung ArbeiterInnenrechte außer Kraft setzte und die Medien zensierte, gab es nur oberflächliche Proteste der EU. Sie stützt in der Ukraine eine Regierung, in der Faschisten und korrupte OligarchInnen sitzen.
Die EU-Flüchtlingspolitik verstößt permanent gegen grundlegende Menschenrechte. Tausende Menschen sterben jedes Jahr beim Versuch, die Außen-Grenzen zu überwinden. Wer es schafft, dem drohen Abschiebung oder Rechtlosigkeit unter miesesten Bedingungen und unterbezahlte Arbeit.
Die Kritik an der EU darf nicht den Rechten und NationalistInnen überlassen werden.
Dass BürgerInnen eines EU-Landes heute leichter im EU-Ausland leben und arbeiten können als früher ist eine feine Sache. Doch Arbeitsmigration wird missbraucht, um Löhne zu drücken. Beispiel Öffnung des Arbeitsmarktes nach Osteuropa 2011: In Westeuropa wurde Panik vor einer „MigrantInnenflut“ geschürt, während Österreich in Ungarn Plakat-Werbung zur Anwerbung von (billigen) Arbeitskräften machte. Als in Frankreich Roma gegen geltendes Gesetz nach Rumänien abgeschoben werden sollten, zeigte die EU, wie ernst ihr die Verteidigung der Freizügigkeit wirklich ist. Nach kurzer diplomatischer Verstimmung ließ man alle angekündigten rechtlichen Schritte fallen. Man begnügt sich mit jährlichen Statusberichten. Die EU beglaubigt somit die rassistischen Praktiken ihrer nationalen Bestandteile.
Die EU ist ein Instrument der KapitalistInnen, um Profite zu steigern und Märkte zu erobern. Das große Dilemma: Es gibt kein wirklich einheitlich agierendes europäisches Kapital. Zu groß sind die Interessensgegensätze zwischen den EU-Staaten. Ein entscheidendes Merkmal des Kapitalismus ist die Konkurrenz. Das Schutzschild im globalen Wettbewerb bleibt der Nationalstaat. Die „EU-Integration“ der 90er hat ihren Zenit überschritten. Der Kapitalismus wird durch die bereits begonnene Serie von Krisen alle Widersprüche zuspitzen: zwischen den globalen Blöcken, zwischen den Nationalstaaten in der EU sowie zwischen den besitzenden und arbeitenden Klassen.
Die Zukunft der EU hängt von der Konjunktur des kapitalistischen Verfalls ab. Ohne jede einzelne Wendung vorhersehen zu können, ist der Trend klar: statt einer Ausweitung wird es eine Zunahme an EU-Skepsis auf allen Ebenen geben. Von Austritten kleiner oder gar großer Länder (Britannien?) bis zur Umsetzung des Projekts „Kerneuropa“ (D/FR/Ö/B): durch Umbrüche oder Neuformierungen wird sich für die ArbeiterInnenklassen nichts Grundlegendes ändern. Die sozialen Probleme bestehen im Krisen-Kapitalismus so oder so.
Wir haben nicht das Geringste mit jener nationalistisch geprägten EU-Ablehnung zu tun, die in ihren vielfältigen Schattierungen von (leider auch) so manchen Linken, über Pseudolinken, „Euro-GegnerInnen“ und „PatriotInnen“ bis hin zum militanten Rechtsextremismus reichen. Wir kämpfen für ein geeintes Europa der ArbeiterInnen und Jugendlichen auf sozialistischer Grundlage! Die EU ist dabei genauso Gegner wie jeder nationalstaatliche Kapitalismus.