Di 11.05.2010
Schwarz-gelb hat in Nordrhein-Westfalen eine deutliche Klatsche erhalten. Die Abwahl von Rüttgers ist die Quittung für die schamlose Klientel-Politik zu Gunsten der Reichen und der Banken, welche die Regierung Merkel betrieben und die FDP arrogant zelebriert hat. Auch die „siegreiche“ SPD hat Stimmen verloren und kann allein mit den Grünen keine Mehrheit bilden. DIE LINKE zieht mit 11 Abgeordneten in den nordrhein-westfälischen Landtag ein und kann sich damit erfolgreich im größten Bundesland festsetzen. Die Partei steht vor großen Herausforderungen. Die Debatte über eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen hat bereits begonnen.
Die CDU hat eine verheerende Niederlage erlitten. Im Vergleich mit den Landtagswahlen 2005 hat sie über 1 Million Stimmen verloren, ist von 3,7 Mio. auf unter 2,7 Mio. Stimmen gefallen.
Die absoluten Zahlen verdeutlichen, dass die SPD sich keineswegs als Sieger fühlen dürfte. Sie hat im Vergleich mit 2005, einem historisch schlechten Wahlergebnis, noch einmal über 380.000 Stimmen verloren und liegt gleichauf mit der CDU bei 2,7 Mio. Stimmen. Der „Erfolg“ der SPD besteht darin, dass die Partei im Vergleich mit dem katastrophalen Ergebnis der Bundestagswahl 2009 keine weiteren Stimmen verloren hat.
Die Grünen haben ihren prozentualen Anteil auf 12,1 Prozent gesteigert, ihre Stimmen im Vergleich mit der letzten Landtagswahl nahezu verdoppelt und gegenüber der für sie erfolgreichen Bundestagswahl keine Stimmen verloren.
Die FDP hat im Vergleich mit der letzten NRW-Wahl in Prozenten und absoluten Stimmen zugelegt, doch damals gingen die bürgerlichen WählerInnen zur CDU. Der Vergleich mit der Bundestagwahl 2009 erklärt, warum die FDPler bei den TV-Runden so belämmert aus der Wäsche guckten: Im Herbst letzten Jahres holte die FDP 1,4 Mio. Stimmen in NRW, nur nach wenigen Monaten Westerwelle in der Regierung ist sie auf 523.000 gefallen, über 60 Prozent der WählerInnen sind davongelaufen.
Die faschistische Gruppe ProNRW hat ihr Ziel erreicht, zur stärksten Kraft im rechten Lager zu werden. NPD und REP haben über 50.000 Stimmen verloren, ProNRW konnte aus dem Stand 100.000 Stimmen gewinnen (1,4 Prozent). Insgesamt vereinigen die rechtsextremen Kandidaturen rund 180.000 Stimmen auf sich. In ihrer Hochburg Köln blieb ProNRW mit 2,4 Prozent wohl unter den eigenen Erwartungen, in Gelsenkirchen und Duisburg manifestierte sich mit rund 4 Prozent, dass die Ausdehnung über das Rheinland hinaus teilweise funktioniert hat. Spektakulär ist das Wahlergebnis von ProNRW vor allem in der Fläche nicht, aber das Potenzial für eine stärkere islamophobe, rassistische Kraft existiert ohne Zweifel.
Erfolg mit Beigeschmack
DIE LINKE hat auf den ersten Blick einen großen Erfolg errungen. Die anderen Parteien haben DIE LINKE z.T. als „Wahnsinnige“ abqualifiziert, die Medien haben entweder gar nicht oder extrem tendenziös berichtet. Nun ist die Partei im größten Bundesland im Parlament und beschränkt dadurch den Spielraum der etablierten Parteien, untereinander zu kungeln und ihre Politik ohne Kritik und Widerstand durchzusetzen. Die wahlkampfbedingte Wiederentdeckung sozialer Fragen durch die SPD kann durch DIE LINKE auf den Prüfstand gestellt und entlarvt werden. Alle Hoffnungen der Bürgerlichen, DIE LINKE wäre ein „vorübergehendes Phänomen“, auf die ostdeutschen Länder oder die Stadtstaaten beschränkt, sind damit gestorben. Dies wurde mit einem Wahlprogramm erreicht, in dem radikale, klare Reformforderungen enthalten waren: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Vergesellschaftung der Energiekonzerne EON und RWE unter demokratischer Kontrolle, keine Beteiligung an einer Regierung, die Sozialabbau betreibt.
Diesen Erfolg sollte man gebührend feiern. Doch ist ein zweiter Blick nötig, um das Ergebnis realistisch einschätzen zu können. Dass wir bei einem Wahlergebnis von 5,6 Prozent jubeln liegt auch an der undemokratischen 5 Prozent-Hürde. Gäbe es diese absurde Grenze nicht, die Teile der Bevölkerung von der parlamentarischen Vertretung ausschließt, würde das Ergebnis weit kritischer gesehen werden. Dann würde man auf die Idee kommen, dass allein der Einzug ins Parlament noch nichts über den Erfolg einer Partei aussagt, die im Vergleich mit der Bundestagswahl massiv WählerInnen verloren hat.
Bei der Bundestagswahl 2009 haben 790.000 in NRW DIE LINKE gewählt, bei der Landtagswahl nur 435.000. Rund 365.000 WählerInnen konnten nicht erneut mobilisiert werden. Vor allem in den von Armut und Arbeitslosigkeit betroffenen Ruhrgebietsstädten wie Duisburg, Oberhausen oder Gelsenkirchen gaben z.T. nur knapp die Hälfte der WählerInnen der Bundestagswahl erneut ihre Stimme für DIE LINKE ab.
DIE LINKE hat zwar WählerInnen von allen anderen Parteien gewonnen, aber 20.000 WählerInnen von WASG bzw. PDS 2005 sind zu Nicht-WählerInnen geworden. Die SPD hat zwar 70.000 an DIE LINKE verloren, aber 130.000 ehemalige SPD-WählerInnen haben gar nicht gewählt. Die Wahlbeteiligung ist erneut gesunken. DIE LINKE hat es nicht geschafft, Nicht-WählerInnen im größeren Maßstab zu mobilisieren, hat es nicht geschafft, diejenigen zu erreichen, die von Krise und Verarmung massiv betroffen sind, die sich – zu Recht – von allen etablierten Parteien und dem Staat betrogen fühlen.
Für Teile der Partei ist das kein großes Problem. Sie sehen sich als eine „Ergänzungspartei“, als eine Kraft, die je nach Thema und Art der Wahl zwischen 5 und 10 Prozent holt, meistens bei SPD und Grünen, langfristig auch mal wachsen will, die aber erst einmal damit zufrieden ist, als parlamentarische Opposition bestimmte Themen zu besetzen oder sich für eine Beteiligung an der Regierung bereit zu halten.
Angesichts des rapiden sozialen Verfalls auf der Grundlage der kapitalistischen Krise, angesichts der Verschärfung der Angriffe auf die sozialen Errungenschaften brauchen die arbeitenden und erwerblsosen Menschen jedoch eine andere Art von Partei. Nötig ist eine Klassenpartei, eine Arbeiterpartei, die darauf setzt, durch die Verankerung in den sozialen Bewegungen, in Betrieben, Stadtteilen, Schulen und Unis eine grundlegende Opposition aufzubauen, die beweist, dass es sich lohnt, sich zu organisieren und zu kämpfen. Diese Partei würde nicht darauf abzielen, zu einer parlamentarischen Ergänzungs- oder Korrektivpartei zu werden, sondern würde sich zum Ziel setzen, mittelfristig zur Hauptpartei der ArbeitnehmerInnen, der Armen, der Erwerbslosen und der Jugend zu werden. Sie müsste dafür arbeiten, die von der Politik Entfremdeten, die Ausgegrenzten, die enttäuschten NichtwählerInnen zu erreichen.
DIE LINKE in NRW hat durchaus Ansätze in diese Richtung, sowohl programmatisch als auch in der täglichen Praxis von Orts- und Kreisverbänden. Aber die Praxis vieler Fraktionen in den Stadträten sieht anders aus. Hier wirkt die Partei oftmals wie der linke Flügel des bürgerlichen Parlamentarismus, sozial, sympathisch, aber keineswegs wie eine echte Alternative. Auch die Außendarstellung im Landtagswahlkampf, in Pressemitteilungen, Interviews, bei TV-Auftritten und im Wahlkampfmaterial wirkte eher, als wäre die Partei der linke Flügel, das soziale Korrektiv der bestehenden Parteienlandschaft.
Damit konnte sie kritische SPD- und Grünen-WählerInnen erreichen. Aber sie entwickelte zu wenig Ausstrahlung in Richtung der ausgegrenzten, wütenden Schichten. Die eigene pragmatisch-parlamentarische Argumentation wendete sich gegen die Partei. Im Januar konnte DIE LINKE noch sagen, dass nur mit ihr im Parlament Rüttgers keine Mehrheit mehr hätte. Das stimmte Ende April nicht mehr, als SPD und Grüne massiv zulegten und klar wurde, dass der Einzug der LINKE. in den Landtag die Abwahl der CDU verkomplizieren könnte.
Regieren oder verändern?
Offen ist, ob die SPD sich leisten kann, eine Koalition mit dem Wahlverlierer CDU einzugehen. Zumindest werden jetzt die Möglichkeiten ausgelotet werden, DIE LINKE in die Regierung zu holen. Im November 2009 schrieben wir über den Landesparteitag der LINKE.: „Es wird gewaltiger Druck auf DIE LINKE ausgeübt werden, ,Verantwortung zu übernehmen" – seitens der Medien, seitens einer sich links gebärdenden SPD, seitens der Gewerkschaftsführungen und nicht zuletzt seitens der eigenen Parteiführung in Berlin. Tatsächlich kann sich eine solche Stimmung auch in der Bevölkerung aufbauen. Der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Schneider hat in seiner Rede schon einmal einen Vorgeschmack darauf gegeben, welcher Druck ausgeübt werden wird, wenn es rechnerisch reicht, schwarz-gelb abzulösen.“ (http://www.sozialismus.info/?sid=3384).
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie schon jetzt in Düsseldorf die Unterhändler, Spione und Schmeichler von SPD und Grünen auf den Fluren herumwuseln, um zu checken, was mit der NRW-LINKE. geht und wie günstig man sich einen Juniorpartner zum Regieren einkaufen kann.
Eigentlich ist die Beschlusslage der Partei klar: Keine Regierung mit Parteien, die Sozialabbau betreiben. Genau das werden SPD und Grüne aber sicher tun. Sie mögen die Studiengebühren früher oder später abschaffen, vielleicht sogar das gemeinsame Lernen an den Schulen erleichtern. Aber sie werden ohne jeden Zweifel massive Kürzungsprogramme beschließen, spätestens 2012, wenn die Vorbereitungen für die Umsetzung der gesetzlich verankerten „Schuldenbremse“ beginnen, wahrscheinlicher noch dieses Jahr oder 2011. Der Bund ist hoch verschuldet, das Land auch, viele Kommunen in NRW faktisch pleite. Jede Regierung, die nicht bereit ist, eine grundlegende Umverteilung vorzunehmen, die Reichen zu besteuern und die Macht der Banken und Konzerne zu brechen, wird die Arbeiterklasse und die Armen für die kapitalistische Krise zur Kasse bitten.
Eine LINKE., die als Juniorpartner mit rot-grün regieren würde, wäre in der Falle der sogenannten „Sachzwänge“ gefangen, würde, wie es so schön heißt, „Verantwortung“ übernehmen, aber ohne jede Möglichkeit, die Regierungspolitik real zu verändern. Sie könnte nicht einmal den außerparlamentarischen Widerstand stärken, weil sie dann gegen sich selbst demonstrieren müsste.
Es wäre die Aufgabe des Landesvorstandes und der SpitzenkandidatInnen, dies heute schon deutlich zu sagen anstatt sich auf die bürgerlichen Politikspielchen einzulassen und die Illusion zu nähren, dass ein Politikwechsel mit dieser SPD und diesen Grünen möglich sei.
Einige mögen denken, dass man sich jetzt regierungsbereit geben müsse, damit der SPD der Schwarze Peter zufalle, wenn diese nicht bereit für rot-rot-grün sei. Das ist ein Irrtum. DIE LINKE gewinnt nicht bei den Taktik-Spielereien dieser Art. Entweder sie lässt sich ernsthaft drauf ein, dann gerät sie auf die Rutschbahn, ein Essential nach dem Anderen aufzugeben – weil man ja die so wichtige Koalition nicht platzen lassen möchte. Oder sie bekommt doch den Schwarzen Peter für das Scheitern zugeschoben.
Nur wenn sie radikal anders ist, ehrlich, glaubwürdig, geradlinig, wird sie mittelfristig stärker, auch wenn viele ArbeiterInnen es heute noch nicht verstehen, warum DIE LINKE Keine Koalition mit SPD und Grünen bilden möchte.
Natürlich wäre es falsch, als Partei von Verweigerern oder „Fundamentaloppositionellen“ zu erscheinen. Aber das ist nicht nötig, DIE LINKE sollte erklären:
„Wir wählen Rüttgers ab und Kraft zur Ministerpräsidentin. SPD und Grüne haben jetzt die Chance, eine andere Politik zu machen. Wir werden im Parlament jede Maßnahme unterstützen, die im Interesse der ArbeitnehmerInnen, der Armen, der Jugend ist, sei sie auch noch so bescheiden. Wir werden außerdem eigene Vorschläge ins Parlament einbringen, die Kommunen besser auszustatten, EON/RWE zu vergesellschaften und qualifizierte und tariflich bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. An uns scheitert weder die Abwahl der CDU noch eine einzelne fortschrittliche Maßnahme. Wir werden aber nicht mit der Regierung Kraft stimmen, wenn diese Sozialkürzungen oder Personalabbau beschließt. Wir stehen für einen Politikwechsel, nicht dafür, per Posten an Regierungen beteiligt zu werden. Wenn die SPD nicht dazu bereit, ihre Politik solch einem Check zu unterziehen, nicht bereit ist, ihre Pläne offen zu diskutieren und stattdessen mit der CDU eine Koalition bildet, zeigt sich, dass sie es nicht ehrlich meint mit ihren sozialen Wahlkampfparolen.“
Wie gesagt, nicht alle werden heute damit übereinstimmen. Der Gedanke des „kleineren Übels“ ist weit verbreitet. Solch eine Haltung ist jedoch der einzige Weg, eine linke Partei aufzubauen, die glaubwürdig und kämpferisch ist und einen Beitrag dazu leistet, den Widerstand gegen die Folgen der kapitalistischen Krise zu stärken. Egal, ob die SPD Vorstöße in Richtung rot-rot-grün macht oder schnell zum Bündnis mit der CDU schwenkt, DIE LINKE braucht eine konsequente und klare Haltung. Die Debatte muss in der Partei geführt werden.