Mi 04.10.2006
Zwanzig Jahre nachdem Johannes Paul II. (in politischen und gesellschaftlichen Fragen selber ein Reaktionär) Geistliche aller Religionen zum gemeinsamen Friedensgebet in Assisi zusammen führte, provoziert Benedikt XVI. Muslime in aller Welt – durch ein sechshundert Jahre altes Zitat eines byzantinischen Kaisers. Jener Kaiser, Manuel II. Palaiologos, klagte über die seiner Ansicht nach dem Islam innewohnende religiöse Gewalt und warb selber ein paar Jahre später bei den Herrschern Europas für einen Kreuzzug.
Der Skandal, den der Papst nun mit einem Zitat Manuels II. auslöste, war wohl kalkuliert, denn wer in der theologischen Literatur nach Beiträgen zu Fragen wie Religion und Gewalt oder Religion und Vernunft sucht, der stößt nicht zuerst auf diesen vergessenen Kaiser, es sei denn er sucht danach. Ratzinger bedauerte auch nur „die Reaktionen auf einige Passagen meiner Rede“, nicht aber die Inhalte der Passagen.
Benedikt XVI. hatte übrigens, kaum im Amt, auch schon den Erzbischof Michael Fitzgerald, zuständig für den Dialog mit anderen Religionen und ein Kenner des Islam im Vatikan, entlassen.
Eigeninteressen der katholischen Kirche
Doch der fein dosierte Angriff auf den Islam – einen Tag nach dem fünften Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September – war nur der Aufhänger für eine umfassendere Zielsetzung, die Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede erläuterte. Es geht dabei nicht nur um eine Auseinandersetzung mit dem Islam, sondern auch um einen kulturellen und politischen Rollback in den westlichen Gesellschaften, insbesondere in Europa.
Die römische Kirche versucht auf ihre Weise vom „Kampf der Kulturen“ zu profitieren, in dem der Papst die Gefahr eines expansiven und gewalttätigen Islam zeichnet, um am Ende seiner Regensburger Rede die katholische Kirche als einzig möglichen Vermittler in diesem Konflikt anzubieten. Als Voraussetzung für diese Vermittlerfunktion in einem Dialog mit den Muslimen nennt er die Abkehr von „gottloser“ Vernunft und die Hinwendung zur „göttlichen Vernunft“ in den westlichen Gesellschaften. Einer Vernunft, die er ausdrücklich allein in der katholischen Theologie verwirklicht sieht. Dabei wurde in der Geschichte des Vatikan nicht selten das Schwert gebraucht: ob Kreuzzüge, Inquisition oder Hexenverbrennung.
Neben der plumpen Provokation gegen Muslime stehen dabei theologisch anspruchsvoller formulierte aber nicht weniger heftige Angriffe gegen reformerische Strömungen in der katholischen Kirche, sowie gegen Luther und den Protestantismus. Letzterem wirft Benedikt „Enthellinisierung“ des Christentums und damit die Abkehr von einem „Wesensmerkmal des Christentums“ vor.
Neue Weltlage, neue Feinde
Dennoch sind es nicht Protestanten, die auf die Straßen gehen und deutsche Fahnen oder Papstpuppen verbrennen, sondern Muslime. Denn um Religion geht es bei der Rede des Papstes nur vordergründig.
Ein theologischer Diskurs kreist nicht um abstrakte Begriffe im luftleeren Raum, sondern ist Ausdruck höchst irdischer Konflikte und Interessen.
Der Koran hat sich in den zwanzig Jahren seit dem Weltreligionstreffen in Assisi nicht verändert. Umso mehr jedoch haben sich die politischen Konflikte und Interessen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verändert.
So wurden die Muslime (einschließlich fundamentalistischer Gotteskrieger) von Verbündeten im Kampf gegen den „gottlosen“ Kommunismus in der westlichen Öffentlichkeit zu menschenverachtenden Terroristen umdeklariert. Aus freiheitsliebenden frommen Kämpfern wurden rückständige Barbaren. Warum? Weil sich die führenden imperialistischen Kräfte, allen voran die USA, gezwungen sehen, die Rohstoffvorkommen im Nahen Osten viel umfassender und direkter auszuplündern und die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch die herrschenden Klassen Europas drängen nun verstärkt militärisch dorthin. So fiel Ratzingers Rede de facto mit dem Bundeswehreinsatz vor dem Libanon zusammen.
Die veränderte Interessenlage der westlichen Kapitalistenklassen trifft jedoch nicht nur Muslime. Auch der Dalai Lama, der Jahrzehnte lang nicht fehlen durfte, wenn es darum ging, den Kommunismus anzuprangern, wirkt heute eher als lästiges Handelshemmnis in den Wirtschaftsbeziehungen zu China.
Flanke für imperialistische Politik im Nahen Osten
Die veränderte weltpolitische Lage bedrohte über etwa ein Jahrzehnt auch die katholische Kirche selbst. Nachdem die bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts ihr fast alles genommen hatten, was sie an politischem Einfluss und irdischen Gütern besaß, blühte sie seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts (auch in Bündnissen mit faschistischen Regimen) als Bollwerk gegen die „kommunistische Bedrohung“ wieder auf. Am Ende dieser Entwicklung stand das Pontifikat Johannes Pauls II., der von bürgerlichen Politikern und Medien unabhängig von ihrem konfessionellen Hintergrund gerne als „Freiheitskämpfer“ gegen den Stalinismus tituliert wurde.
Doch mit dem Zusammenbruch des Ostblocks kam der katholischen Kirche ihre wichtigste politische Aufgabe der letzten Jahrzehnte abhanden. Seit Beginn der neunziger Jahre war sie auf der Suche nach neuen Aufgaben. Ihre beständiges Klagen über die Repression gegen die Christen in China wurden in den letzten Jahren von den Herrschenden des Abendlandes wenig honoriert. Ihr Kampf gegen Kondome und Homosexuelle wirkte auf weite Teile der Kapitalisten befremdlich und teilweise bizarr.
Im Kampf um die Eindämmung des Islam, der indirekten Legitimierung von Kriegen im Nahen und Mittleren Osten und die Unterstützung der herrschenden Klassen Europas bei der Formierung der EU als Club auf konservativ-christlicher Grundlage bietet sich der römischen Kirche allerdings ein neues vielversprechendes Betätigungsfeld.
Diese neue Aufgabenstellung hat Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede theologisch und philosophisch verklausuliert erläutert.