Di 23.05.2006
Am 16. März veröffentlichte die Bush-Administration ihre “neue nationale Sicherheitsstrategie”. Bereits der erste Satz des 49-seitigen Dokuments macht alles klar: “Amerika befindet sich im Krieg.” Offiziell ist der Krieg im Irak bereits seit 3 Jahren zu Ende, doch die Lage im Irak wird immer schlimmer. Über 2.100 US-Soldaten sind seit dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen im Mai 2003 ums Leben gekommen, rund 30.000 wurden verwundet. Dieser Blutzoll trägt erheblich dazu bei, dass sich die Umfragewerte von George W. Bush jun. im freien Fall befinden. Nur noch 29% der Befragten in einer Gallup-Umfrage im März hatten eine positive Meinung von George W. Bush, gerade einmal 34% meinten, er würde seinen Job gut erledigen. So unbeliebt war kein Präsident seit Richard Nixon in den 1970ern mehr. Am 21.6. wird dieser Mann nun von Schüssel und der EU in Wien empfangen - und von einer Großdemonstration die sich gegen dieses imperialistische Gipfeltreffen richtet. Tatsächlich scheinen Bushs Alleingänge inzwischen vor allem als Risiko für das internationale Kapital.
Bush unter Druck
Bush und seinen Freunden steht allerdings nicht nur im Irak das Wasser buchstäblich bis zum Hals. An den Folgen des Hurrikans Katrina hätte sich der Präsident beinah verschluckt. Die Wut über die offensichtliche Unfähigkeit des Krisenmanagements, brach große Risse in der amerikanischen Gesellschaft auf. Hunderttausende, vor allem Arme und Angehörige ethnischer Minderheiten stellten die Frage, was die Nationalgarde im Irak zu suchen hat, wenn die verbliebenen Kräfte nicht einmal reichen, um die Leute im eigenen Land vor einer Naturkatastrophe, die sich noch dazu tagelang angekündigt hat, zu schützen. Katrina gab dem “Sicherheitsbegriff” des durchschnittlichen Bewohners New Orleans einen neuen Inhalt.
Doch die Natur war nicht die einzige Kraft, die George W. Bush übel mitspielte. Im letzten Jahr deutet eine Zunahme an Streiks und Protestbewegungen, die in den massiven Protesten von EinwandererInnen ihren bisherigen Höhepunkt fanden, auf ein Wiedererwachen des “schlafenden Riesen” hin: Die US-amerikanische ArbeiterInnenklasse hat sich eindrucksvoll zurück gemeldet.
Zu Weihnachten gingen - gegen eine gewaltige Medienhatz - die New Yorker U-Bahn-FahrerInnen in einen 3-tägigen Streik Gefordert wurden eine substantielle Lohnerhöhung, eine Krankenversicherung, die vom Arbeitgeber bezahlt wird, sowie Pensionserhöhungen. Der Streik ging zwar in den Hauptfragen verloren, die Kampfkraft der ArbeiterInnen bleibt aber aufrecht, wie die Ablehnung eines Kompromisses bei einer Urabstimmung nach dem Streik zeigt.
Auch in der Autoindustrie - einem Herzstück der amerikanischen Industrie - organisieren und wehren sich die ArbeiterInnen mit zunehmend militanten Mitteln gegen immer dreistere Angriffe. Die jüngsten Vorschläge der Konzernbosse sehen massive Lohneinbußen vor.
Eine Welle von Klassenkämpfen überrollte die USA in den ersten Tagen des Mai. Millionen EinwandererInnen gingen gegen eine Verschärfung der Einwanderungsgesetze auf die Straße. Sehr bewusst strich diese Bewegung auch ihre wirtschaftliche Macht heraus: “Nichts ginge mehr, wenn die EinwandererInnen ihre Arbeit nicht mehr machen würden”.
Die “normalen” Menschen in den USA glauben den Lügengebäuden der Administration Bush nicht mehr; sie erkennen, dass ihren Sicherheitsinteressen nicht mit dem Konzept des “Krieges gegen den Terror” entsprochen werden kann.
Neben der massiven Anti-Kriegsstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung, die sich auch in einer stärker werden Anti-Kriegs-Bewegung ausdrückt, rückt auch ein Teil des Establishments vom Kriegskurs des Präsidenten ab. Zwar sind die Forderungen nach einer Truppenreduzierung und die Beschwerden über die Unfähigkeit der US-Army, Frieden in den Irak zu bringen, oft nicht mehr als populistisches Geheul vor den im Herbst anstehenden Wahlen zu Abgeordnetenhaus und Kongress. Dennoch drücken sie das immer weniger zu leugnende Gefühl der Herrschenden aus, im Irak in einen Albtraum ohne erkennbarem Ende zu stecken.
Totales Chaos im Irak
Eigentlich befinden sich die USA laut offiziellen Angaben aus dem Weißen Haus seit Mai 2003 nicht mehr im Krieg, sondern im Aufbau der befreiten Nation Irak. Die Realität sieht anders aus: Die Wirtschaftsleistung des Irak liegt weit unter dem Niveau vor dem Krieg, der Irak bringt heute weniger Öl auf den Weltmarkt als zu Zeiten des UN-Embargos (Oil for Food-Programm). Doch selbst von den Einnahmen, die aus der Ölförderung erwachsen, haben die normalen IrakerInnen nichts. Dieses Geld versickert irgendwo zwischen US-Konzernen, der irakischen Regierung und regionalen Führern. Die Elektrizitätsversorgung, das Gesundheitswesen und das Transportwesen sind de facto noch immer nicht wieder funktionstüchtig.
Die US-Truppen sind weit davon entfernt etwas zum Aufbau des Iraks beizutragen. Im Gegenteil, die Anzahl der Luftangriffe hat sich von rund 25 monatlich anfangs des Jahres 2005 auf rund 150 pro Monat im Dezember desselben Jahres erhöht. Das kann nicht gerade als Wiederaufbauprogramm bezeichnet werden. Die Truppen sind zunehmend damit beschäftigt, ihre eigene Haut zu retten.
Die Bush-Administration versucht gerade im Wahljahr die Truppenstärke von ca. 135.000 - 150.000 auf rund 100.000 zu reduzieren. Dies soll durch eine “Irakisierung” des Konflikts gelingen: Einheimische Truppen (und eine wachsende Zahl von Söldnern) müssen mehr und mehr Aufgaben übernehmen, während sich die regulären Truppen auf die Sicherung von Stützpunkten und strategisch bedeutsamen Gebieten beschränken.
Dabei stützen sich die Besatzer aus den USA, Großbritannien und ihrer Verbündeten auf verschiedene Milizen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind entlang ethnischer und religiöser Linien aufgebaut. So gibt es sowohl schiitische, sunnitische und kurdische Einheiten. Der zunehmende Einfluss dieser Milizen erhöht die ethnischen und religiösen Spannungen in diesem Pulverfass noch mehr.
Die von den Besatzern eingesetzte Marionettenregierung, die schiitisch dominiert ist, gießt mit eigenen (schiitischen) Todesschwadronen und Geheimgefängnissen noch mehr Öl ins Feuer. Die Situation entwickelt sich von einem mehr schlecht als recht kontrollierten Chaos Richtung unkontrollierbarer Katastrophe. Nach dem Bomben-Anschlag auf die Al-Aksawi-Moschee in Samarra, einer der heiligen Stätten des schiitischen Islams, stand das Land mit mehr als nur einem Fuß im Bürgerkrieg. Im Gegenzug zündeten schiitische Milizen sunnitische Moscheen an. Dass sich die schiitischen Milizen noch etwas “zurückhalten”, liegt paradoxerweise am mäßigendem Einfluss des Feindes Nr. 1 der USA: dem Iran. In einem Prozess, in dem das ehemalige Saddamreich in 3 kleinere Dikaturen zu zerfallen droht, kann der Punkt, an dem sich das Regime in Teheran gezwungen sieht, auf den verstärkten Einsatz dieser Milizen zu setzen, aber schneller kommen, als den Amerikanern lieb ist. Auch der Iran hat vitale Interessen am Schiiten-Gebiet mit samt seinem Öl-Reichtum.
70% der IrakerInnen sind für einen sofortigen Abzug der Besatzungstruppen, 87% (64% der KurdInnen) wollen zumindest einen Zeitplan für den Rückzug. Die Pro-Besatzungs-Partei rund um Ex-Premier Allawi erreichte bei den Wahlen gerade 20 der 275 Parlamentssitze. Die Besatzer spielen die verschiedenen Gruppen gegeneinander aus und versuchen so ein Gleichgewicht herzustellen, das ihnen als Grundlage ihrer Herrschaft dient. Doch die Taktik des “Teile-und-Herrsche” erscheint zunehmend zu einem Spiel mit dem Feuer zu werden und das auf einem riesigen Pulverfass.
Palästina: “Falsch” gewählt
In Palästina erlitt eine zentrale Propagandalüge des Bush'schen Kreuzzuges einen schweren Dämpfer: Die Behauptung von der Demokratisierung der Region. Der US-Imperialismus hat erkannt, dass die alten, ganz und gar nicht demokratischen, Regime in der Region immer instabiler werden. Neue, loyale Führungen müssen also her.
Spätestens nach dem Wahltriumph der radikal-islamistischen Hamas in Palästina, ist klar wie hohl die Phrasen des Westens sind. Da das Wahlergebnis nicht passt, werden “Hilfsgelder” gestrichen und neue Drohszenarien entwickelt. Israels Premier Olmert bastelt im Hintergrund an einer einseitigen “Lösung” des Problems. “Palästina ist was übrigbleibt”, scheint das Motto der israelischen herrschenden Klasse zu sein. Und dieses “übrig”, dürfte nicht viel sein. Schon jetzt empfindet die überwältigende Mehrheit der PalästinenserInnen, ihr Land als Freiluft-Gefängnis. Daran wird zwar auch die Hamas sicher nichts ändern, da diese reaktionäre, antisemistische und rassistische Organisation mit ihren Methoden nicht zuletzt den Interessen der PalästinenserInnen schadet. Dass sich aber angesichts des weiter erhöhten Drucks auf die Bevölkerung, die Lage entspannen könnte, darf ebenso bezweifelt werden. Ein Kommentator bringt es am 16. Februar 2006 im International Herald Tribune unter der Schlagzeile “Der Umgang mit der Hamas” auf den Punkt: “Sie [die PalästinenserInnen, Anm.] werden bereits von ihrer Wut, ihrem Frust und durch bittere Armut in den Wahnsinn getrieben. Ist es wirklich zu erwarten, dass mehr Bestrafung durch die Israelis und die Amerikaner, diesmal dafür, dass sie nicht so gewählt haben, wie wir es wollten, sie dazu bringt, ihre Finger von der Hamas zu lassen? In der langen, traurigen Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts findet sich nicht der kleinste Beweis, dass eine weitere Verschärfung der ökonomischen Lage für die palästinensische Bevölkerung dazu führen würde, dass sie ihre politischen Ansichten mäßigen würde. Die Erfahrung lehrt uns das exakte Gegenteil.”
Iran gestärkt
Obwohl die Führung in den USA, den Iran zunehmend zum Hauptfeind erklärt, spielen diese Entwicklungen dem Regime in Teheran derzeit in die Hände. Das Mullah-Regime sieht nicht zu unrecht die Zeit gekommen, sich auf den Weg zu einer bedeutenden Regionalmacht zu machen. Der Einfluss Teherans auf die Mehrheit im Irak (die Schiiten) wächst, auch in Afghanistan unterhalten die Mullahs Kontakte zu diversen Milizen. Im Libanon kam mit der Hisbollah eine traditionell Iran-nahe Bewegung in die Regierung. Die Hamas-Regierung in Palästina findet ebenfalls ausschließlich in Teheran Unterstützung.
Vor einem erstarkten Iran graut den Strategen in Washington, weniger aus ideologischen, denn aus ökonomischen Gründen. So strebt das Regime in Teheran die Einrichtung einer Ölhandels-Börse, die erstmals nicht mehr in Dollar sondern in Euro verrechnet an. Ähnliche Pläne hatte auch der Irak - vor dem Einmarsch der US-Truppen.
Obwohl der Chef der internationalen Atombehörde IAEO, El-Baradei, “keine Anzeichen” für die Entwicklung von waffenfähigem Material im iranischen Atom-Programm erkennen konnte, verschärft die US-Regierung den Ton. Außenministerin Condoleezza Rice erklärte den Iran “zur größten Bedrohung für die freie Welt”. Sie will dem Großmachtstreben des iranischen Regimes etwas entgegensetzen. Weil der militärische Apparat der USA im Irak ohnehin bereits über seine Grenzen strapaziert ist, ist ein Einmarsch im Iran extrem unwahrscheinlich bis unmöglich. Auch wegen dieser Schwäche muss Bush auf “Regime Change” setzen. Doch da sich im Iran so gut wie keine pro-amerikanische Opposition finden lässt, muss die amerikanische Regierung inzwischen von einem “Change within the Regime” (Wechsel innerhalb des Regimes) sprechen. Die Ansätze der “Reformer”, die in den vergangenen Jahren eine verstärkte Öffnung des iranischen Marktes für westliches Kapital anstrebten, sind aber aufgrund ihrer Unfähigkeit, die Lebenssituation der IranerInnen zu verbessern, völlig diskreditiert. Gerade dieses Versagen hat einem Populisten wie Achmedinejad den Weg bereitet. Mit Versprechungen für Arbeit zu sorgen und Wohnen billiger zu machen, konnte er die Wahl gewinnen und die Macht der Mullahs sichern. Nun nützt Achmedinejad den Konflikt mit den USA um das Atomprogramm, um die Herrschaft der herrschenden Elite zu stabilisieren. In breiten Schichten der iranischen Bevölkerung gibt es Zustimmung zur nuklearen Bewaffnung. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wird der Iran von Atommächten (Israel, Russland, China, Pakistan, USA im Irak) geradezu umzingelt. Die Türkei, ein Nachbarstaat des Iran, hat ebenfalls angemeldet, nuklear aufrüsten zu wollen. Die USA und die iranische Führung profitieren somit beide im Moment davon diesen Konflikt am köcheln zu halten. Eine langfristige Lösung scheint also ohne tatsächlichen “Regime-Wechsel” in beiden Staaten durch eine Bewegung von “Unten” - die jenseits solcher Interessen steht - ausgeschlossen.
Albtraum ohne Ende?
Nach jahrelangem neoliberalen Raubzug in der Region, der die Zerschlagung der - in manchen Ländern wie Ägypten und dem Irak recht starken - staatlichen Sektoren der Wirtschaft brachte und die Bevölkerung verarmen ließ, finden sich Millionen Menschen in einem Albtraum aus Armut und Krieg wieder. Selbst die einfachen Soldaten der imperialistischen Armeen im Irak, können ein durchaus leidvolles Lied davon singen. Hass schlägt ihnen entgegen. Jedes Verlassen des Stützpunktes ist potentiell tödlich. Von britischen Soldaten wird berichtet, sie seien so verzweifelt, dass sie sogar Geld für ihren Abzug zahlen würden.
Wie kann dieser Albtraum beendet werden? Ziehen sich die imperialistischen Truppen zurück, versinkt der Irak und damit vielleicht der halbe Mittlere Osten im BürgerInnenkrieg. Wie soll Frieden zwischen Palästina und Israel möglich werden, solange mit Bomben gegen ZivilistInnen vorgegangen wird? Warum sollte mehr Demokratie besser sein, wo doch allzu oft islamische Fundamentalisten die Wahlen gewinnen und so erst recht eine Diktatur im Raum steht? Sind “die Moslems” einfach von Haus aus Fundis?
Historisch ist der Fundamentalismus - etwa gerade im Iran Ende der 1970er Jahre - erst durch das Versagen der kommunistischen Partei die Macht im Rahmen der Massenbewegung gegen den Schah zu übernehmen, entstanden. Ebenso existierten in vielen Ländern der Region über Jahrzehnte Ansätze verschiedener Regime die aus “Volksbewegungen” entstanden waren, durch antikapitalistische Politik Verbesserungen für die Bevölkerung umzusetzen. Fundamentalistische Gruppen (Hamas, Afghanistan) wurden demgegenüber vom Imperialismus bewusst gegen diese Ansätze unterstützt. Der politische Islam profitiert nun letztlich vom Scheitern der Regime und Befreiungsbewegungen (wie die PLO) die ihren “Antikapitalismus” aufgaben und zunehmend diktatorische Züge trugen. Dennoch: Es gibt nur eine Kraft, die diesem Horror ein Ende setzen kann, die ArbeiterInnenklasse.
Neue Ansätze dazu sind heute noch klein, werden aber stärker. Im Gaza-Streifen bildeten sich ArbeiterInnenkomitees, um für Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitslosenversicherung zu kämpfen. In Teheran gründete sich nach mehr als 20 Jahren die legendäre Busfahrer-Gewerkschaft wieder und trat Anfang des Jahres in den Streik. Selbst im Irak gab es bis 2004 noch gemeinsame ArbeiterInnenproteste verschiedener ethnischer Gruppen gegen Versorgungsproblem und Arbeitslosigkeit. Diese Bewegungen sind Ansatzpunkte für eine neue internationale ArbeiterInnenbewegung, die den Kampf um soziale Rechte mit dem Kampf gegen lokale Despoten und imperialistische Besatzer verbindet. Eine solche Bewegung müsste im Irak durch den Aufbau von multiethnischen ArbeiterInnenkomitees einerseits die Sicherheit vor Übergriffen militanter Islamisten und imperialistischen Besatzern organisieren und andererseits den Wiederaufbau unter ihre Kontrolle bringen. Mit einem sozialistischen Programm bewaffnet, das einerseits auf die Errichtung einer demokratisch geplanten Wirtschaft, in der die Schlüsselindustrien - allen voran das Öl - vergesellschaftet sind, abzielt und andererseits durch sich durch die Garantie für volle Minderheitenrechte über ethnische und religiöse Grenzen hinwegsetzen kann, kann es gelingen zum Albtraum für George Bush & Co zu werden und gleichzeitig den Albtraum von Millionen zu beenden.