Di 06.04.2004
Kays Eingeständnis zerschmettert die Rechtfertigungen des Bush Regimes für den Krieg gegen den Irak. Es ist eine unwiderlegbare Bestätigung dafür, dass der Krieg auf Basis von Betrug und Lügen geführt wurde. Indem die Existenz von Saddams Massenvernichtungswaffen widerlegt wurde, wurde gleichzeitig die Begründung für Präventivkriege – diese würden die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen verhindern - untermeniert.
Ursprünglich gestand US-Staatssekretär Colin Powell ein, dass ein Fehlen von Waffenlagern ‚das politische Kalkül ändere’, ob ein Krieg gerechtfertigt sei. Doch schon am nächsten Tag schwenkte er auf die Linie von Bush, Rumsfeld & Co ein: „Das Wesentliche ist: der Präsident traf die richtige Entscheidung“. Die Glaubwürdigkeit von Bush’ Regime betreffend Massenvernichtungswaffen ist zerstört. Auch konnten Bush & Co keine glaubwürdigen Beweise von Verbindungen zwischen Saddam und Al-Qua’ida belegen, und das trotz monatelanger Verhöre von mehr als 11.000 Gefangenen im Irak.
Mit der Behauptung ‘alle haben Fehler gemacht’ versucht Bush nun die Schuld von sich zu weisen, indem er die Verantwortung vor allem auf die Geheimdienste abschiebt. Aber, wie ein ehemaliger Waffeninspektor, Scott Ritter, feststellte: „Nicht jeder lag in der Einschätzung daneben“. (International Herald Tribune, 6. Februar) Ritter selbst legte immer wieder Beweismaterial dafür vor, dass der Irak schon 1996 in Folge der US-erzwungenen Sanktionen und der UN-Waffeninspektionen „fundamental entwaffnet“ war. Die selbe Einschätzung teilten auch Ralph Ekeus und Hans Blix, ehemalige Leiter des UN-Inspektionsteams, ebenso wie Mohamed El Baradei, Vorsitzender des UN-Teams für Atomwaffeninspektionen.
Tatsächlich hat das US-Regime, dominiert von den neo-konservativen Falken Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz, schon lange vor dem 11. September 2001 (9/11) eine Invasion im Irak entschieden. Dennoch, ohne den Nimbus der Geheimdienstberichte hätten sie weder Unterstützung vom Kongress noch von der öffentlichen Meinung erhalten. Eine Reihe leitender Geheimdienstangestellte hatte große Zweifel, was die Existenz von Massenvernichtungswaffen oder mögliche Verbindungen zur Al-Qua’ida betraf. „Das größte Problem [vor dem Krieg]“, sagte Greg Theilmann, Top-Offizier des State Department, „war, dass die leitende Administrationsbeamten eine sogenannte ‚dogmatische Intelligenz’ haben. Sie wussten genau, was die Geheimdienste zeigen sollten ...“ (The Threatening Record, TomPaine.com) George Tenet, Chef des CIA, versucht nun Bush die Einwände und Vorbehalte der Geheimdienste in Erinnerung zu rufen. In Wahrheit aber haben Tenet und andere leitende Geheimdienstbeamte mit Bush kollaboriert und falsche und irreführende Geheimdienstdossiers präsentiert.
Bush hatte zuletzt keine andere Möglichkeit mehr, eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt. Angeführt von einem rechten Richter setzt sie sich aus den ‚Großen und Guten’ zusammen. Der Auftrag besteht nur in der Untersuchung der Fehler der Geheimdienste, nicht in der Verzerrung und Erfindung der Berichte seitens des Bush Regimes. Auf jeden Fall sind vor den Präsidentenwahlen im November keine Ergebnisse zu erwarten.
Dennoch, Versuche einer offiziellen Vertuschung werden diesmal nicht funktionieren. Ähnlich wie Lord Hutton’s unglaubwürdige Schönfärberei in Großbritannien, wird mehr und mehr an die Oberfläche dringen und die Glaubwürdigkeit der Bush Administration weiter zerstören.
Überdies ist Misstrauen ansteckend. Die Ablehnung der Legitimität des Kriegs, sogar unter jenen, die Kriegspolitik von Bush als Reaktion auf den 9/11 unterstützen, wird tiefe Unzufriedenheit mit Bush’ extrem Big-Business-freundlicher und arbeitnehmerInnenfeindlicher Politik hervorrufen. Seriöse RepräsentantInnen der herrschenden Klasse beginnen nun, die Kosten des Kriegs und den Nutzen von Bush Politik für die Wirtschaft zu erheben. Sie befürchten, dass eine Vertiefung der sozialen und politischen Krise unter Bush eine Massenbewegung gegen das politische Establishment und deren korruptes System hervorrufen könnte.
Die Irak-Falle
“Die Welt ist heute sicherer und der irakische Bevölkerung geht es seither [seit der Invasion] besser“, teilte kürzlich US Verteidigungsminister Rumsfeld dem für das Militär zuständigen Senats-Ausschuss mit (4. Februar). Seine Behauptungen klingen völlig hohl. Weitab davon, Befreier zu sein, werden die US-Streitkräfte von der Mehrheit als Besatzungsmacht gesehen. Statt abzuklingen wächst der irakische Widerstand dagegen permanent an.
Seit Beginn des Krieges wurden mindestens 10.433 nicht-kämpfende irakische ZivilistInnen getötet (alleine 350 seit Jahresbeginn) – und das ist vermutlich noch eine zu niedrige Zahl. (Independent on Sunday, 15. Februar) Noch weitaus mehr Menschen wurden verwundet und sind auf die völlig inadäquaten medizinischen Betreuungsmöglichkeiten angewiesen. Mehr als 11.000 Gefangene sind zur Zeit in einem US-Behelfsgefängnis unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt.
Schulen und Spitäler sind zwar großteils wiedereröffnet. „Aber die Elektrizitätsversorgung, das Telefonnetz und die Verfügbarkeit von Benzin zum Kochen und Heizen ist ebenso mangelhaft wie vor der Invasion. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 50%, und das, obwohl die Koalitionstruppen rund 400.000 neue Jobs geschaffen haben. Der [neue] irakische Dinar zeigt eine gewisse Stärke, aber ein tatsächlicher wirtschaftlicher Aufschwung bleibt in weiter Ferne“. (Military and Economic Trends in Postwar Iraq, New York Times, 11. Februar). Neben privaten Sicherheitsdiensten sind die meisten der von den Besatzertruppen geschaffenen Jobs mit dem Wiederaufbau verbunden. Die Verträge wurden großen US-Unternehmen zuerkannt, diese erhoffen sich ernorme Gewinne.
Die US-Truppen haben ständig Verluste. Seit Kriegsbeginn wurden bereits 536 US-SoldatInnen (12. Februar) getötet, alleine 398 seit dem ‚Ende der Hauptfeindlichkeiten’ am 1. Mai 2003. Auch 57 britische, 17 italienische, acht spanische und ein Dutzend SoldatInnen von anderen Kontingenten kamen ums Leben. Das Pentagon hat sich geweigert, offizielle Zahlen für verletzte SoldatInnen zu nennen, doch hat es kürzlich zugegeben, dass bis Mitte Dezember 10.854 US-SoldatInnen ‚medizinisch evakuiert’ wurden. Alleine 2003 wurden 2.190 britische Armeeangehörige wegen Verwundung oder Krankheit evakuiert.
Vor dem Krieg prahlte Rumsfeld damit, dass die US-Streitkräfte Saddams Regime im Eiltempo zerschmettern und eine stabile, demokratische Verwaltung im Irak etablieren würden. Aus den Einnahmen des irakischen Öls würde der Wiederaufbau aus dem Land selbst finanziert werden. Das irakische Volk, meinte er, werde ewig dankbar sein. Die Realität sieht völlig anders aus. Die Kosten der humanen Katastrophe, ausdrückt in Toten, Verletzten und zerstörten sozialen Einrichtungen sind horrend. Der US-Imperialismus ist in seiner eigenen Falle gefangen. Während verzweifelt der Anschein eines Ausweges präsentiert wird, hat Bush angeordnet, dass die ‚Souveränität' bis zum 1. Juli an eine irakischen Behörde zu übergeben sei. Das hat aber nichts mit der Situation im Irak zu tun, es geht Bush nur um die kommenden US-Präsidentenwahlen. Bush möchte der öffentlichen Wahrnehmung über eine fortgesetzte Besatzung mit weiteren US-Verlusten zuvorkommen.
Mit oder ohne vorherige Wahlen wird solch eine ‚Machtübergabe’ eine weitere Quelle für Konflikte zwischen den imperialistischen Besatzungsmächten und Iraks zerstrittenen politischen Kräften sein – der schiitischen Mehrheit, die eine dominante Rolle im neuen Irak spielen möchte, den SunnitInnen, die aus den Machtposition, die sie unter Saddam und Regimes davor innehatten, vertrieben wurden, und den KurdInnen, die größere Autonomie oder sogar Unabhängigkeit für ihre Gebiete im Norden des Irak fordern. Die US Pläne für eine Kontrolle des irakischen Öls und für den Aufbau von permanenten Militärbasen werden ebenfalls auf Widerstand der Massen stoßen.
In Wirklichkeit wird eine Übergabe Ende Juni, in welcher Form auch immer, keine US-Exit Strategie sein, sondern eine Täuschung, ein legalistisches Manöver um die fortgesetzte US Besatzung zu verdecken. Bremers Behauptung, die USA würden den IrakerInnen „ein demokratisches, geeintes, stabiles und friedliches Land“ geben, ist lachhaft. Wesentlich realistischer die Antwort von General Richard Myers auf die Frage, wann die US-Truppen ihren Rückzug beginnen: “Wir denken an keinen bestimmten Zeitpunkt. Wir werden ihn von den zukünftigen Ereignissen abhängig machen.“ (International Herald Tribune 20. Februar)
Präsident für eine Amtszeit?
“Ich bin ein Kriegspräsident. Ich treffe Entscheidungen hier im Oval-Office ... Krieg bestimmt meine Gedanken“. (8. Februar) Das ist eindeutig Bush beste Karte im Präsidentschaftswahlkampf. Aber seinem ‚Kriegs-Kommandanten’ Spiel wird nun die ‚Vietnamkriegs-Veteran’ Karte von John Kerry entgegengesetzt, der zur Zeit als wahrscheinlichster Kandidat der Demokraten im November gilt.
Kerrys Auszeichnung als hochdekorierter Militärkommandant im Vietnamkrieg macht es den Republikanern schwer, ihn der Abtrünnigkeit und Feigheit zu bezichtigen. Demgegenüber steht die privilegierte Aufnahme von Bush in die elitäre Air National Guard, die seine Einberufung zum Vietnamkrieg verhinderte, in starkem Gegensatz,. Gewisse Zeiten der Abwesenheit vom Militärdienst sind nach wie vor ungeklärt. Doch Kerry wurde auch als Führer der Antikriegsbewegung Vietnam Veterans Against the War (VVAW) aktenkundig, was er auch in seiner Kampagne in den Vordergrund stellt. Er bekommt dabei starke Unterstützung von der Vietnam Generation (über 11 Millionen AmerikanerInnen dienten in der US-Army während des Kriegs, 2.1 Millionen direkt in Vietnam), die von der Barbarei des Konflikts und dessen Nachwirkungen zu Hause traumatisiert ist – doch auch jüngere KriegsgegnerInnen unterstützen ihn.
Durch die Eigenheiten der US Wahlausscheidung, die im Fernsehen wie ein Zeichentrickfilm präsentiert wird, hat Kerry den Gegenkandidaten Howard Dean, der vor den ersten Vorwahlen in Iowa als Favorit galt, seiner Anti-Kriegs- und Anti-Establishment-Kampagne beraubt. Und das trotz der Tatsache, dass Kerry in einer Abstimmung zur Kriegsermächtigung für Bush stimmte (23 Senatoren und 133 Abgeordnete stimmten dagegen), obwohl er gleichzeitig gegen den 87 Milliarden US-$ Kriegskredit stimmte. Kerry, der ein langjähriger Gefolgsmann der Demokraten ist, erhält regelmäßig große Spendensummen von Lobbyisten des ‚Big-Business’. Nichtsdestotrotz trumpfte Kerry im medialen Wettbewerb in den Augen der demokratischen Wähler als der ‚bessere’ Kandidat auf.
Dean fiel aus der allgemeinen, feigen Linie der Führer der Demokraten heraus - die meisten unterstützten nach 9/11 die Bush-Doktrin des Präventivkriegs. Sein Antikriegs-Standpunkt rief bei aktiven DemokratInnen, aber vor allem bei breiteren Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen, eine starke Zustimmung hervor. Er drückte die Wut vieler gegen Bush massive Steuerentlastungspolitik für Konzerne und Superreiche aus. Seine populistische Kritik an der Parteihierarchie der Demokraten, an deren Konservatismus und den Verbindungen mit ‚besonderen Interessen’ (Big Business) fand eine kräftige Unterstützung – mehr als 600.000 UnterstützerInnen unterschrieben für seine Kandidatur.
Bei breiteren WählerInnenschichten der Demokraten schaffte Dean den ‚Wählbarkeitstest’ jedoch nicht. Ein unbedeutender Gouverneur des kleinen Staats Vermont, der konservative Steuerpolitik nach Clinton-Manier umsetzte. Kühn, aber auch oft zu ‚scharf’, manchmal auch mit ungeschickten Kommentaren zur Hand – seine markante Sprüche wurden im Fernsehen endlos wiederholt. Darüber hinaus wurden Deans Wahlchancen durch wilde Attacken der Medien zerstört, die vom Establishment der Demokraten angestiftet und unterstützt wurden.
“Ich will jeden, nur nicht Bush”, sagt ein Wähler der Demokraten: “Wir können hier jetzt nicht herumblödeln, wir müssen Bush loswerden“. Konfrontiert mit der plumpen Wahl zwischen Bush und einem eigenen Kandidaten, tendieren die WählerInnen der Demokraten, den ‚wählbarsten’, also den (zumindest von den Medien) als ‚breitesten’ Kandidaten präsentierten, und nicht ihren eigenen Favoriten zu bevorzugen. In Charleston, South Carolina, kommentierte es ein lokaler Gewerkschafter der Docker’s folgendermaßen: „Du wirst vermutlich jemanden finden, der deinen eigenen Interessen näher steht, aber dieser Kandidat kann nicht gewinnen. John Kerry kann gewinnen.“ (The ‘electability’ contest, The Nation, 23. Februar). Darin besteht die teuflische Wahlfalle für die Präsidentschaftswahlen, die von den beiden Big-Business Parteien dominiert wird.
Nach den Iowa Vorwahlen erschienen Poster in New Hampshire: ‚Dated Dean. Married Kerry’ (Ausgehen mit Dean, aber geheiratet wird Kerry). Kerry hat von seinem Rivalen viel abgekupfert: Deans Ärger über die Bush Administration, Edwards populistischer Appell an die sozial untersten Schichten der ArbeiterInnen, Gephardts Betonung der Gesundheitsvorsorge. „Ohne Dean“, schrieb die Financial Times in einem Kommentar, „ist es schwer vorstellbar, dass sich Kerry von dem trockenen Politiker in Washington, der er noch vor einem Jahr war, zum Fahnenträger der Demokratischen Opposition entwickelt hätte... Für die Demokraten dürfte ‚Deanismus’ ohne Dean die Verschreibung des Arztes gewesen sein.“ (The Dean Mutiny, 19 Februar)
Lässt man die Wahldemagogie bei Seite, ist Kerry immer noch ein Politiker des Big-Business, der für die arbeitenden Menschen keine Lösungen zu bieten hat. Trotz der „Jeden, bloß nicht Bush“ Stimmung begrüßen wir die Entscheidung von Ralph Nader, als unabhängiger Kandidat anzutreten. Aus der Perspektive der ArbeiterInnenklasse ist es eine erfreuliche Entwicklung, dass es einen von der Demokratischen Partei völlig unabhängigen Kandidaten geben wird, der radikal gegen den Krieg und die Macht der Banken und Konzerne auftritt.
Selbst wenn er weniger als die 2.8 Millionen Stimmen, wie im Jahr 2000, erhält, ist es notwendig zu warnen, dass es auch mit den, von den Interessen des Big-Business dominierten Demokraten keinen Weg nach vorne geben kann (was nicht zuletzt der Niedergang von Deans Kampagne zeigt). Nader sollte an Deans UnterstützerInnen sowie an die breite Antikriegs- und Antikapitalistische Bewegung appellieren. Unserer Meinung nach sollte die Opposition zur Besatzung im Irak an vorderster Stelle seiner Kampagne stehen, mit einem klaren Aufruf für den sofortigen Rückzug der US-Militärs. Nader sollte aber ebenso die brennenden sozialen und ökonomischen Probleme der ArbeitnehmerInnen zusammen mit dem Kampf für mehr Gewerkschaftsrechte thematisieren. Eine starke Nader-Kampagne könnte Kräfte mobilisieren, die auch noch nach den Novemberwahlen eine wichtige Rolle in der Bildung für eine radikale, antikapitalistische Partei darstellen – eine längst überfällige Aufgabe in den USA – um politisch unabhängige Organisationen und Vertretungen der ArbeiterInnenklasse aufzubauen.
Wirtschaftlicher Untergang?
Bush Chance auf eine zweite Amtszeit hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Monaten ab. Der Widerstand gegen die Besatzung des Irak wird ohne Zweifel wachsen. Die für die meisten Menschen entscheidenden Faktoren werden aber die Entwicklungen bei Jobs, Löhnen, im Gesundheitswesen und beim Zinsniveau sein. Ungeachtet der Langzeitkonsequenzen für den US-Kapitalismus hat Bush alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen kurzfristigen Wachstumsschub zu erzeugen,
Der scharfe Anstieg bei Militär- und Sicherheitsausgaben erzeugte letztes Jahr zusammen mit den Steuernachlässen (die für die meisten Steuerzahler bescheiden ausfielen) ein bemerkenswertes (auf das Jahr umgelegte) Wachstum von 8.2% des Bruttoinlandprodukts im dritten Quartal (das aber im vierten Quartal auf 4% fiel). Viel wichtiger waren jedoch die niedrige Zinssatz- und die monetäre Expansionspolitik die von Greenspan, Chef der US-amerikanischen Notenbank, durchgeführt wurden. Das vergrößert den ohnehin schon aufgeblähten Wohnungsmarkt, die Hauptstütze der hohen Privatkonsumausgaben, die trotz der Rezession im Jahr 2000 andauert. Als Folge davon hat die durchschnittliche amerikanische Familie ein Rekordlevel an Privatverschuldung erreicht, welches sogar ihr Jahreshaushaltseinkommen übertrifft. Das wird auf Dauer unhaltbar werden, doch Bush betet, dass der Konsumboom bis November anhalten wird.
Trotz der Bemühungen der Bush Regierung hat sich die Perspektive auf neue Jobs nicht verbessert. Im Jänner 2004 lag die Zahl der Jobs (ohne dem landwirtschaftliche Sektor) bei 130.2 Millionen – die selbe Anzahl wie im Jänner 2003. Ungefähr 2.8 Millionen Industriejobs gingen in den vergangenen 41 Monaten verloren und wurden durch Jobs im Handel- und Dienstleistungsbereich ersetzt – dabei handelt es sich meistens um Jobs mit geringeren Löhnen und schlechterer Gesundheitsvorsorge, außerdem sind es oft Teilzeitjobs und/oder zeitlich befristete Jobs.. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen lag weit unter 150.000 pro Monat, jener Zahl die notwendig ist, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen (die Zahl offiziell arbeitslos gemeldeter waren rückläufig, weil entmutigte ArbeiterInnen ihre Suche aufgegeben haben). Beinahe täglich erscheinen in den Medien neue Meldungen über Standortverlegungen: Industriebetriebe verlagern ihre Fertigung nach China, Call-Center und IT-Jobs wandern nach Indien ab. Nur ein nachhaltiger Anstieg des Investitionen kann einen Zuwachs an Arbeitsplätzen und bessere Löhne schaffen, bis jetzt gibt es keine Anzeichen einer solchen Erholung.
Obwohl Bushs Militärausgaben der Wirtschaft, insbesondere der Waffen- und Flugzeugindustrie einen unmittelbaren Schub gab, werden sie zu einer riesigen Belastung für den US-Kapitalismus werden. Bushs vorgeschlagener Staatshaushalt sieht Erhöhungen der Militärausgaben um 7% oder atemberaubende 401.7 Milliarden US-Dollar vor. Das inkludiert aber noch nicht einmal die mit mindestens 50 Milliarden US-$ veranschlagten Kosten für die Besatzung des Iraks – diese Extrakosten will Bush erst nach November beantragen. Die Ausgaben für die innere Sicherheit wurden um 9.7% auf 30.5 Milliarden US-$ erhöht. Familien der ArbeiterInnenklasse werden bald einen hohen Preis dafür zahlen, da frei verfügbare Ausgaben (ohne den verbindlichen Ausgaben für soziale Dienstleistungen wie Pensionen und Gesundheit) nur um 0.5% ansteigen werden. Sofern der Kongress keine dramatischen Änderungen am Haushalt einbringt, bedeutet das massive Kürzungen in Bildungs- und Umweltprogrammen und verminderte Zuschüsse an die Bundesstaaten.
Die Steuergeschenke von Bush an die Superreichen (Top 5%), die Hyperreichen (Top 1%) und an die Konzerne – die Steuereinnahmen sind von 20.9% des BIP (Jahr 2000) auf 15.7% des BIP (2004) gesunken - bewirken ein kolossales Defizit im Bundesbudget von mindestens 520 Milliarden US-$ nach derzeitigen Berechungen. Bush, erklärt die New York Times (16. Februar) , “halst der Nation uneinbringbare Schulden auf.“ Bush führt den Vorsitz über eine ‚Doppel-Defizit’ Situation, wobei das Bundesdefizit von einem rekordverdächtigen Handelsdefizit ergänzt wird (490 Milliarden US-$ im Dezember). Die Gesamtbilanz des Zahlungsdefizits (plus 550 Milliarden US-$) entspricht 5.5% des BIP. Addiert man dazu die Netto Investitionsverschuldung an den Rest der Welt – phänomenale 2.6 Billiarden US-$ (Economic Report of the President 2004, table B-107) – so wird aus der weltweit größten Supermacht der weltweit größte Schuldner.
Führende VertreterInnen des US-Kapitalismus hoffen, dass eine Abwertung des US-Dollar gegenüber anderen Hauptwährungen die US-Exporte ankurbeln und somit das Wirtschaftswachstum stimulieren könnte. Aber ein entsprechender Anstieg von Euro, Yen, Pfund, etc könnte die Weltwirtschaft in eine neue Rezession stoßen – und auf den ‚Motor’ USA direkt rückwirken. Außerdem würde ein schwacher Dollar kombiniert mit einem Zinssatz nahe Null zu Kapitalflucht aus den USA führen, und damit wäre das ‚Doppel-Defizit’ nicht mehr tragbar. Starke Schwankungen des Dollars könnten eine Krise auf den internationalen Finanzmärkten erzeugen, im schlimmsten Fall sogar einen Zusammenbruch. Eine kontrollierte Abwertung des Dollars wird für den US-Imperialismus kein einfacher Weg werden. (siehe auch The fall of the dollar, The Socialist, 28. Februar)
Syndrom: eine Wiederkehr von Beschwerden
“Bei Gott, wir haben das Vietnam Syndrom ein für allemal überwunden”, kündigte Präsident George HW Bush nach dem Golfkrieg 1991 an. Bush senior behauptete, dass der US-Imperialismus das Problem der Antikriegsopposition, die sich damals als Reaktion auf die enormen humanen, ökonomischen und sozialen Kosten des Vietnamkriegs bildete, endgültig überwunden hat.
Die Behauptung von Bush senior war verfrüht. Die neo-konservativen Falken seiner damaligen Regierung, die heute wieder im Weißen Haus und im Pentagon sitzen, betrachteten den Job als nur halb erledigt. Ihrer Meinung nach hätte die USA schon damals Saddams Regime zerschlagen, den Irak besetzen und ihre Militärmacht nutzen sollen, um eine neue imperialistische Weltordnung im gesamten Nahen Osten zu etablieren. Nur damit hätte die USA ihr Vietnam-Syndrom begraben können. Es war eben dieser, Anfang der 1990er formulierte Plan, der zur derzeitigen Besetzung des Irak führte. Weit davon entfernt, das Vietnam-Syndrom abzubauen haben die Bush-Falken es unter neuen Bedingungen wiederbelebt.
Trotz des schnellen militärischen Siegs gegen Saddam ist die USA nun in eine kostenintensive Besatzung verwickelt, die wichtigsten kapitalistischen Verbündeten stehen abseits, eine Exit-Strategie ist nicht in Sicht. Ob nun die USA die Besatzung gegen anwachsenden Widerstand fortsetzen werden oder sich ohne Etablierung eines US-freundlichen Regimes zurückziehen müssen, der Imperialismus wird jedenfalls massiv an Macht und Prestige verlieren.
Obwohl behauptet wurde, dass die Einnahmen aus dem, unter US-Kontrolle stehendem Öl, die Kosten der Invasion und der Besatzung finanzieren würden, wird das Irak-Abenteuer und der generelle US-militärische Aufbau für den amerikanischen Kapitalismus eine enorme Belastung bedeuten. Diese Kosten werden den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse am stärksten treffen. Die Schwäche der dominanten US-kapitalistischen Ökonomie wird in Verbindung mit den strukturellen Problemen der Weltwirtschaft die aktuelle Periode der Stagnation verstärken.
Die Verstrickungen im Irak haben den US Imperialismus in keiner Weise gestärkt, sondern seine Position enorm verkompliziert. Der Konflikt Israel-Palästina ist heftiger als zuvor und eine permanente Quelle der Destabilisierung im Nahen Osten und der islamischen Welt. Nach den anfänglichen ökonomischen und militärischen Drohungen an Nordkorea war die USA gezwungen, China, Japan und der EU Verhandlungen mit dem Regime über dessen Nuklearwaffen sowie die Beziehungen zu seinen Nachbarn zuzugestehen. Nachdem die Vereinten Nationen vor der Invasion des Irak nur als Steigbügelhalter und Feigenblatt des US-Imperialismus dienten, bitten die USA nun die UNO um eine Beteiligung beim Wiederaufbau. Dahinter steht die Hoffnung, dass Frankreich, Deutschland und andere Mächte sich vor allem an den Kosten der Besatzung beteiligen.
Obwohl Bush anfangs die öffentliche Meinung und den Kongress auf diesen Krieg einschwor und die Reaktionen auf die 9/11 Terrorattacken ausnutzte, wurde die öffentliche Unterstützung in den USA durch das herrschende Chaos der Besatzung und die fortdauernden US-Verluste untergraben. Als deutlich wurde, dass die Massenvernichtungswaffen nur ein vorgeschobener Scheingrund für den Krieg war, war die Legitimität von Bush Politik der Präventivkriege untergraben. Saddams Regime war keine ‚klare und ständige’ Gefahr für die amerikanische Nation. Wenn dem Präsident nicht in fundamentalen Angelegenheiten von Krieg und Frieden vertraut werden kann, worin ist ihm dann noch zu trauen?
Das Schreckbild Vietnam ist mit aller Macht wiedererschienen. Der Architekt von Präsident Johnsons Vietnam Kriegsstrategie, Robert McNamara, trat kürzlich bei einem Berkeley Seminar auf, das auch von vielen Anti-Vietnam KriegsgegnerInnen besucht wurde. Bei seinem Schlusswort meinte McNamara, dass der Vietnamkrieg ein monumentaler Fehler für den US Imperialismus gewesen ist. Bush, sagte er, wiederholt nun denselben Fehler im Irak: „Es ist einfach falsch, was wir momentan machen. Es ist moralisch falsch, es ist politisch falsch, es ist ökonomisch falsch.“ (Boston Globe, 24 Jänner)
Mittlerweile ist sehr wahrscheinlich, dass Bush bei den Novemberwahlen auf John Kerry, das personifizierte Vietnam-Kriegs-Syndrom treffen wird. Meinungsumfragen zeigen einen starken Rückgang in der Unterstützung für Bush, es ist durchaus denkbar, dass Kerry gewinnen wird. Auf Grund der fortgesetzten US-Besatzung im Irak und einer kränkelnden US Wirtschaft könnte Bush dasselbe Schicksal wie sein Vater ereilen – eine Niederlage nach nur einer Amtsperiode. Für Bush hat sich das Vietnam Syndrom zum Irak Syndrom gewandelt.