Mi 01.06.2016
Der Magdeburger Parteitag der LINKEN stand im Zeichen der Aufarbeitung der Wahlniederlagen vom März, des Kampfs gegen AfD und Rassismus und des Aufrufs der Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping zu einer „Revolution der Gerechtigkeit“ und einem radikal-frecheren Auftreten der Partei. Die von den Delegierten ausgesendeten Signale gingen erkennbar mehr nach links als bei vergangenen Parteitagen, die schleichende Rechtsverschiebung der letzten Jahre wurde zumindest gebremst. Nun muss sich in der Praxis zeigen, ob die Partei und ihre Führung tatsächlich den Weg der Anpassung an SPD und Grüne verlassen werden.
Im Vorfeld des Parteitags war viel von einem „Aufbruch“ die Rede. Bernd Riexinger begann sein Grundsatzreferat sogar mit der Aussage, er sei sicher, von dem Kongress werde ein kraftvolles Signal des Aufbruchs ausgehen. Dazu wäre es nötig gewesen, eine offene Debatte um die unterschiedlichen politischen Vorstellungen und die unterschiedliche Praxis verschiedener Teile der Partei zu führen. Dies wurde durch das Gebot, nach außen Einigkeit zu demonstrieren weitgehend verhindert.
Ausgerechnet Gregor Gysi hielt sich nicht daran (erschien dann aber nicht beim Parteitag, weil man ihm keine Sonderredezeit gewähren wollte). Er hatte zwei Tage vor Parteitagsbeginn DIE LINKE als „saft- und kraftlos“ bezeichnet und davor schon in Forderung erhoben, einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten von SPD, Grünen und LINKEN zu küren. Damit hatte er sich diametral gegen die Aussagen von Katja Kipping und Bernd Riexinger gestellt, die in ihrem Diskussionspapier „Revolution für Soziale Gerechtigkeit und Demokratie“ endlich der Idee eines „linken Lager“ dieser drei Parteien eine Absage erteilt hatten und die Partei auf Eigenständigkeit statt Orientierung auf eine rot-rot-grüne Koalitionsbildung nach den Bundestagswahlen 2017 einstellen wollten.
Um dies auch in einen Beschluss zu gießen, beantragte die AKL im Leitantrag die Formulierung aus Katja Kippings und Bernd Riexingers Papier aufzunehmen: „Denn SPD und Grüne sind von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt als je zuvor, es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr.“ Dieser Antrag wurde mit 218 zu 243 Stimmen knapp abgelehnt – er wurde zurecht von vielen auch als Signal gegen Regierungsbeteiligungen auf Landesebene verstanden. Riexinger, Kipping und Wagenknecht erteilten der Vorstellung, es gäbe ein linkes Lager aber auch in ihren Reden eine deutliche Absage. Sie sprachen sich gegen Lagerwahlkämpfe in den anstehenden Landtagswahlen aus – gerade das hätte die Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt mitverschuldet. Eine grundsätzliche Absage an Regierungsbeteiligungen oder Kritik an den bestehenden Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen war damit jedoch nicht gemeint, wie sich an Äußerungen von Sahra Wagenknecht („Wir sind koalitionsfähig“) und Bernd Riexinger („Es wäre deshalb wichtig, dass sich die Gewerkschaften an die Spitze einer Bewegung für eine Gerechtigkeitswende setzen. Sie müssten sagen, wir verlangen von SPD, Grünen und auch von der Linken, dass ihr euch zusammentut, um etwas zu bewegen. Die müssten Druck darauf machen“) nach dem Parteitag zeigte.
Gegen Abschiebungen
Der Parteitag sprach sich für Solidarität mit Geflüchteten, gegen jede Form von Asylrechtsverschärfungen und gegen Abschiebungen aus. Während der Jugendverband und Parteilinke auch die Abschiebungen in Thüringen und Brandenburg thematisierten, fanden Anträge keine Mehrheit, die von der LINKEN in Landesregierungen forderten, eine solche Abschiebepolitik sofort zu stoppen. AKL-Bundessprecherin und SAV-Mitglied Lucy Redler mahnte die Delegierten in ihrem Beitrag: „Wenn auch in Thüringen Menschen nachts aus den Betten gerissen und Familien getrennt werden und DIE LINKE das in der Regierung nicht verhindern kann und wir Glaubwürdigkeit verlieren, dann ist das Ausdruck davon, dass man mit SPD und Grünen keine linke Politik durchsetzen kann.” In einem der wenigen Momente realer Debatte reagierte darauf die thüringische Landesvorsitzende Susanne Henning-Wellsow und rechtfertigte ihre Politik mit den Worten: „Ja, Thüringen muss abschieben. Wer glaubt, dass das nicht an unserer Menschlichkeit nagt, der hat sich geirrt.“ In ihrer Logik müsse Bundesrecht aber umgesetzt werden und sind Abschiebungen kein Grund, eine Regierungskoalition nicht einzugehen bzw. nicht fortzusetzen.
Dass der Kampf gegen Rassismus die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen muss, zog sich wie ein roter Faden durch Anträge und viele Redebeiträge. Daniel Kehl, Delegierter des Jugendverbandes und SAV-Mitglied sagte in seinem Beitrag: „Und es ist dieser gemeinsame soziale Kampf, der am ehesten das Potenzial hat, die Rechten zu stoppen. Dafür müssen wir politische Alternativen formulieren, nicht nur zur AfD sondern auch zum Rest des neoliberalen und rassistischen Einheitsbreis, egal ob CDU, SPD, FDP oder Grüne.“
Der gleiche Gedanke wurde auch von Sahra Wagenknecht aufgegriffen, die feststellte, die AfD bezeichne sich zu Unrecht als Partei gegen alle anderen, sie sei “Teil des neoliberalen Parteienkartells und muss als solche bekämpft werden.” In ihrer kämpferischen Rede sprach sie ausführlich gegen die AfD und Rassismus.
Ihre in den letzten Wochen kontrovers debattierten Äußerungen zur Flüchtlingspolitik wiederholte sie nicht. Der Parteitag beschloss sich gegen alle Abschiebungen auszusprechen, was als inhaltliche Absage an Wagenknechts Überlegungen zu verstehen ist und von großer Bedeutung ist, da diese Haltung in der Vergangenheit nicht Beschlusslage eines Parteitags war. Wichtig ist auch, dass ein Antrag der AKL angenommen wurde, der eine deutliche Ausweitung des Asylrechts fordert: „DIE LINKE kämpft für eine Ausweitung des Asylrechts für Menschen, die aufgrund von Krieg, staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung, politischer und gewerkschaftlicher Betätigung, nationaler, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlecht, Umweltzerstörung oder sozialer Not bedroht sind und fliehen.“
Dass es kaum zu kritischen Äußerungen zu Wagenknechts Flüchtlingspolitik kam, lag auch daran, dass der Tortenwurf auf sie den gegenteiligen Effekt als von dem sich als Antifaschisten bezeichnenden Werfer hatte. Es gab eine von der Parteiführung voran getriebene Solidarisierung mit Sahra Wagenknecht, die eine inhaltliche Debatte über ihre Positionen erschwerte.
Kampagnen
Mehr Betonung als bei vergangenen Parteitagen wurde auf Kampagnen der Partei und Widerstand gelegt. Zu den Demonstrationen gegen TTIP und CETA soll mobilisiert und DIE LINKE als die politische Partei gegen die neoliberalen Freihandelsabkommen präsentiert werden. Parteivorsitzender Bernd Riexinger will das Thema Mietensteigerung besetzen und benannte den Kampf der Beschäftigten der Charité mehrfach als Beispiel für erfolgreiche Gegenwehr. Er findet eine strategische Ausrichtung der Partei auf Beschäftigte im Gesundheitswesen wichtig.
Aus dem Jugendverband stellte Daniela Weber aus Dortmund die Kampagne der örtlichen linksjugend [‘solid] gegen den „Tag der deutschen Zukunft“ vor, der am 4. Juni verhindert werden soll. Aleksandra aus Aachen berichtete von Aktivitäten des Jugendverbandes gegen die Bundeswehr. Aus Berlin wurde zur Demonstration Aufstehen gegen Rassismus am 3. September eingeladen. Zusätzlich wurde von Aktiven im Blockupy-Bündnis wie Nina Eumann dazu aufgerufen, ebenfalls den Protest gegen Rassismus und Nahles Sozialpolitik am 2. September im Rahmen des Aktionswochenendes zu unterstützen.
Widersprüchliches zur EU
Widersprüchliche Entscheidungen gab es zur EU. Bereits im Vorfeld des Parteitags übernahm der Parteivorstand mit einer Stimme Mehrheit den Änderungsantrag der AKL, der diese EU als undemokratisch, unsozial und militaristisch bezeichnet. Das war bedeutsam, da diese Formulierung beim Europaparteitag vor zwei Jahren in einer knappen Entscheidung abgelehnt worden war. Jedoch wurde in einem anderen Änderungsantrag festgehalten, ein „Scheitern der Europäischen Union“ sei “zu verhindern” und ein Antrag, der vorsah, das Recht von Ländern zu gewährleisten aus dem Euro auszusteigen, wurde abgelehnt. Wie so oft, werden durch solche Beschlüsse die verschiedenen Lager „zu bedient“ und wirkliche Richtungsentscheidungen verhindert.
Engagiert wurde auch über das Thema Krieg und Rüstung diskutiert und beschlossen: „DIE LINKE wendet sich gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung – gleichgültig, von welcher Regierung sie ausgehen.” Ein Antrag aus den Reihen des Forums demokratischer Sozialismus (fds), der die Forderung nach „Rückzug aller internationalenStreitkräfte vom Schlachtfeld Naher und Mittlerer Osten“ streichen wollte, wurde abgelehnt.
Wahlen zum Parteivorstand
Ohne GegenkandidatInnen wurden die Vorsitzenden und der geschäftsführende Parteivorstand wieder gewählt. Hier ist sicher die Wiederwahl des bekannten Antikriegsaktivisten Tobias Pflüger hervorzuheben, der in seinem Redebeitrag deutliche Worte fand und die Türkeipolitik der Bundesregierung als „Beihilfe zum Mord“ bezeichnete.
Im erweiterten Parteivorstand hat sich das grundlegende Kräfteverhältnis zwischen Parteilinken, Zentrum und Parteirechten nicht qualitativ verschoben. Aber die Wahlen können als Erfolg für die Parteilinke gewertet werden, die bis auf einen alle ihre KandidatInnen in den Parteivorstand gewählt bekam (darunter sechs AKL-UnterstützerInnen), während mehrere Kandidaten aus dem Spektrum des fds nicht gewählt wurden.
Mit knapp 45 Prozent der Stimmen wurde Lucy Redler erstmals in den Vorstand gewählt. Eine Fürrede für sie wurde von der Charité-Streikaktivistin Dana Lützkendorf gehalten, die berichtete, wie diese seit Jahren die gewerkschaftlichen Kämpfe an der Charité unterstützt.
Mit Thies Gleiss wurde nicht nur ein zweiter AKL-Sprecher in den Vorstand gewählt. Beide sind in der Partei dafür bekannt, dass sie Kritik an der Parteiführung offen und deutlich formulieren und keine Rücksicht auf vermeintliche Autoritäten nehmen. Ihre Wahl ist auch Ausdruck davon, dass die AKL – entgegen nicht weniger anderslautender Prognosen aus den letzten Jahren – nicht isoliert ist, sondern ihre Anerkennung und Unterstützung auf der Basis deutlicher, antikapitalistischer Positionen ausbauen konnte.
Neu in den Vorstand wurden auch der bekannte linke Publizist und Aktivist Raul Zelik und das Mitglied des sächsischen Liebknecht-Kreises Franziska Riekewald gewählt. Diese werden sich im Vorstand hoffentlich gemeinsam mit anderen für eine kämpferische und bewegungsorientierte Ausrichtung der Partei einsetzen, um Rechtspopulismus und Rassismus den Boden zu entziehen.
Der Parteitag war sicher nicht der von Bernd Riexinger erwartete Aufbruch. Er war aber auch kein einfaches „Weiter so!“. Die schleichende Rechtsverschiebung aus den letzten Jahren hat sich auf dem Parteitag selbst nicht fortgesetzt. Im Gegenteil wurden einige wichtige Signale nach links ausgesendet. Entscheidend wird aber sein, ob diese in praktische Politik umgesetzt werden und ob die in den Massenmedien auftretenden ParteiführerInnen entsprechend auftreten. Wenn aus der Absage an die etablierten Parteien und den Bekenntnissen zu Kampagnen und Bewegung die richtigen Taten folgen, hat DIE LINKE die Möglichkeit, stärker zu werden. Doch dazu ist weiterhin ein tatsächlicher Kurswechsel, eine „Revolutionierung der Partei“, nötig, der bei diesem Parteitag zwar thematisiert, aber nicht eingeleitet wurde. Die Widersprüche in der Partei bestehen weiter. Es besteht die Gefahr, dass auch in Zukunft das Gesicht der LINKEN mehr von den Parlamentsfraktionen und Mitgliedern der Landesregierungen geprägt wird und dass dies durch die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern noch verstärkt wird. Die Parteilinke muss weiter dagegen halten: mit klaren Positionen, selbstbewussten Vorschlägen und dadurch, dass sie dafür sorgen, dass Parteigliederungen sich an sozialen Kämpfen und Bewegungen beispielhaft beteiligen.
Zusammensetzung des Parteitags: Der Bericht der Mandatsprüfungskommission warf ein Licht auf die Zusammensetzung des Parteitags. Über die Hälfte der Delegierten sind über 45 Jahre alt. Vierzig Prozent haben kommunale, Landtags- oder Bundestagsmandate oder sind bei der Partei oder Fraktion beschäftigt. Unter der Hälfte der Delegierten sind Mitglied einer Gewerkschaft. Die Atmosphäre des Parteitags ist wenig einladend für AktivistInnen aus sozialen Bewegungen und der Parteibasis.