Sa 01.03.1997
„Das Proletariat ist rechts“- verkünden Haider und „linksliberale“ Intellektuelle im Chor. Tatsächlich scheint die Unterstützung für die FPÖ - vor allem bei Arbeitern - zur Zeit unbegrenzt. Bei den EU-Wahlen am 13. Oktober ‘96 erreichte die FPÖ mit 27,62% der Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis. Manche MeinungsforscherInnen schätzen, daß rund die Hälfte der ArbeiterInnen, die zur Wahl gingen, die FPÖ wählten. Der nächste Paukenschlag war die Ankündigung der FPÖ, eine eigene Gewerkschaft zu gründen.
Seit 1945 hat es von keiner Seite einen ernsthaften Versuch gegeben, eine politische Richtungsgewerkschaft zu gründen. Dementsprechend groß war die Aufregung über den Haider-Vorstoß bei den ÖGB-Funktionären. Im Folgenden bewies die FPÖ, daß sie eine Partei des „Auspackln“ ist: Mit der Zusage der ÖGB-Spitze, die FPÖ verstärkt zu den Futtertrögen zu lassen, ließ sich Haider seine Pläne vorerst abkaufen.
Tatsächlich ist die FPÖ im Moment noch nicht in der Lage, die Spaltung der Gewerkschaften durchzuziehen und den entsprechenden Konflikt durchzuhalten. Wozu auch? Die derzeitige Lösung ist bequemer und zudem permanent aufkündbar. Haiders wichtigste Aufgabe ist es, die Wut der ArbeiterInnen über Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Privilegien und Freunderlwirtschaft in die falsche Richtung zu leiten. Das heißt, den ÖGB zugunsten des Kapitals in seiner Handlungsfähigkeit einzuschränken und ihn politisch noch mehr zu lähmen. Unter dem Deckmantel der "Demokratisierung" forderten die Freiheitlichen die Offenlegung der Streikfonds, obwohl das nur den Unternehmern nutzen würde. Außerdem winken bei der Integration in den ÖGB Geld und wichtige Informationen aus Sozialpartnerschaft und Arbeitswelt. Seit den FPÖ-Drohgebärden versuchen ÖGB-FunktionärInnen, die FPÖ noch mehr in den ÖGB zu integrieren. Kurzfristig war sogar von einem freiheitlichen ÖGB-Vizepräsidenten die Rede. Die ÖGB-Spitze begegnet dem größten Angriff auf die Gewerkschaften seit 1945 mit vorauseilendem Gehorsam.
Was will die FPÖ „für“ die ArbeiterInnenklasse?
Wirtschafts- und sozialpolitisch setzt sie sich für eine Lockerung des ArbeitnehmerInnenschutzes (zeitweilige Außerkraftsetzung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes), für Flexibilisierung und Deregulierung ein. Sie fordert außerdem eine umfassende Privatisierung aller noch vorhandenen Staatsbetriebe, eine Auslagerung aller staatlichen und kommunalen Dienstleistungen und die Reduzierung der BeamtInnenschaft um ein Drittel bei gleichzeitigem Ausbau von Polizei und Bundesheer. In der Steuerpolitik fordert die FPÖ seit Jahren eine steuerliche Entlastung der Unternehmer durch Senkung der Lohnkosten und der Gewinnbesteuerung.
Gesellschaftspolitisch vertritt die FPÖ ein klassisch rechtes Programm. Sie spricht sich gegen Einwanderung aus und kämpft gegen gesellschaftliche Randgruppen. Haider versteht es aber geschickt, sich der Stimmungslage anzupassen. So hat er die radikalen „Ausländer raus“-Parolen der frühen 90er stark reduziert. Wobei die FPÖ nicht vollkommen ohne diese auskommt. Jüngstes Beispiel ist die Reaktion der FPÖ auf die Krise in der Bauwirtschaft, wo der freiheitliche Landeshauptmannstellvertreter und Baulandesrat Grasser Aufträge nur mehr an Firmen vergeben wollte, die möglichst wenige bzw. keine (Nicht-EU)Ausländer beschäftigen. Typisch die darauffolgende Reaktion der FPÖ-Parteiführung. So meinte Generalsekretär Peter Westenthaler: „Dieses Jahr werden 17.000 Neuzuwanderungen passieren, in einer Zeit, wo 300.000 arbeitslos sind. (...) Zuwanderungsstopp und keine Beschäftigungsbewilligungen sind die Lösung des Problems und auch die Formel, wie man Arbeitslosigkeit senken kann“ (Profil 24.2.1997). Es gehört zur Taktik der FPÖ, momentan beängstigte Berufsgruppen gezielt anzusprechen. So umwarb Haider Ende 1995 massiv die Postbediensteten (wegen der anstehenden Privatisierung) und jetzt im zweiten Jahr der Baukrise die Bauarbeiter.
Haider dehnt sein Programm bisweilen auch ins Unendliche: Starker Staat und mehr Demokratie - für ihn kein Widerspruch. Er spricht in seinem Buch „Die Freiheit, die ich meine“ von der biologischen Rolle der Frau und ihrem Platz an Heim und Herd, gleichzeitig kündigte er die mögliche Unterstützung des Frauenvolksbegehrens an.
Die FPÖ hat ca. 40.000 Mitglieder, diese sind vor allem Kleinbürger, Unternehmer, Bauern, Beamte (insbesonders bei der Exekutive und beim Bundesheer) sowie sozial deklassierte Schichten. Berufsgruppen aus dem klassischen Arbeiterbereich wie Industriearbeiter, Eisenbahner oder Handelsangestellte sind in der FPÖ nur gering vertreten. Durch ihren raschen Aufstieg und durch ihren Funktionärsmangel ist die FPÖ voll von Aufsteigern und Karrieristen. Denn: In der FPÖ kann man schnell etwas werden.
Wie sieht das Verhältnis FPÖ und ArbeiterInnenklasse aus?
Haider "schätzt", daß eine F-Gewerkschaft an die 60.000 Mitglieder erreichen könnte. Abgesehen davon, daß diese Zahl eigentlich eine geringe Größe ist (rund 5% der Beschäftigten), ist sie auch übertrieben. Die betriebliche Verankerung ist wesentlich schwächer als oft angenommen wird. Nur 500 von ca. 60.000 BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und Vertrauenspersonen bekennen sich zur FPÖ. Der Großteil von ihnen arbeitet im öffentlichen Dienst und hier in der Polizei. Die FPÖ hat in der letzten Zeit Positionen in wichtigen Industriebetrieben erreicht - und wieder verloren. Zum Beispiel bei der VA-Stahl, wo die FA (Freiheitliche Arbeitnehmer) bei 6138 Arbeitern nur mehr 355 Stimmen erreichten oder bei der Semperit Wimpassing, wo sie beide Mandate (im Arbeiterbetriebsrat) verloren hat. Haiders oberster Mann im ÖGB, Anton Blünegger, ist ein Multifunktionär, wie ihn die SPÖ-Bürokratie nicht besser produzieren hätte können. Er ist Betriebratsvorsitzender der Plansee-Werke in Tirol, Vizepräsident der AK-Tirol, Mitglied im ÖGB-Bundesvorstand und Abgeordneter zum Nationalrat. Politisch definieren die Freiheitlichen Arbeitnehmer ihre Rolle so: "Aufgabe der FA ist die Mitwirkung an der sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Zielsetzung der Freiheitlichen Partei"... ehrlicher geht es nicht! Wen verwundert es, wenn dann „Arbeitnehmerrechte“ von den FA mit folgenden Forderungen vertreten werden: "Stopp der generellen Überstundenverkürzung und der Diskussion um die 35-Stunden-Woche“.
Warum wählen viele Arbeiter rechts?
Massenarbeitslosigkeit und politische Polarisierung gehören schon längst zum Alltag in Europa. Doch das begründet noch keineswegs ausreichend, daß in Österreich die wohl stärkste rechtsextreme Partei Westeuropas existiert. Nur wenn man auch die speziellen Problemen der österreichischen Arbeiterbewegung betrachtet, kommt man der Sache näher. In kaum einem europäischen Land war die Sozialpartnerschaft so gefestigt wie in Österreich. 1996 hat es z.B. in der Schweiz mehr aktive Arbeitskämpfe gegeben als in Österreich. 1994 gab es in Österreich keinen einzigen Streik, Streiks werden in Sekunden pro Beschäftigten gemessen.
Nach wie vor ist es üblich, daß eine Hand voll Leute für eine Berufsgruppe hinter verschlossenen Türen Lohnabschlüsse oder wichtige so- zialrechtliche Fragen aushandelt. Die ArbeiterInnen müssen solche Verhandlungsergebnisse schlucken, ohne jemals ihre VertreterInnen wirklich demokratisch legitimiert zu haben, oder daß das Verhandlungsergebnis einer Urabstimmung unterzogen worden wäre. Jahrzehntelang bekamen die ArbeiterInnen von ihren BetriebsrätInnen und GewerkschaftsvertreterInnen eingeredet, daß das einzige, was sie für starke Gewerkschaften und sozialen Fortschritt tun müßten, sei, den Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen.
Im Nachkriegsaufschwung und unter einer SPÖ-Alleinregierung in den 70ern funktionierte das System noch ganz gut. Die Wirtschaft florierte und die UnternehmerInnen konnten einen Teil ihre Gewinne an die ArbeitnehmerInnen abgeben, um diese zu befrieden. In Österreich wurde dieser Trend noch durch die geographische Nähe zum Stalinismus verstärkt: Einerseits durch Handelsbeziehungen, andererseits mußte es der Arbeiterklasse ökonomisch besser gehen als „drüben“.
Die negativen Erfahrungen mit dem Stalinismus machten es der SPÖ leicht, eine starke antikommunistische Stimmung in die Arbeiterklasse hineinzutragen. Außerdem gab es eine starke Verstaatlichte Industrie, die für Vollbeschäftigung sorgte und politisch von der SPÖ- Bürokratie kontrolliert wurde.
Haiders Doppelrolle
Die Zeit der funktionierenden Sozialpartnerschaft hatte eine enorme Entpolitisierung zur Folge, die es der FPÖ heute besonders leicht macht. Mit Einsetzen der Wirtschaftskrise begannen sich die Bürgerlichen auf die Verstaatlichte einzuschießen. Haider spielte dabei seine typische Doppelrolle: Auf der einen Seite schaffte er es, den berechtigten Unmut über die sozialdemokratische Miß- und Bonzenwirtschaft in Richtung Privatisierung zu gewinnen. Auf der anderen Seite konnte er in jenen Gemeinden, in denen die Verstaatlichtenkrise ihre ersten sozialen Auswirkungen hatte, massiv enttäuschte SPÖ-Wähler zu gewinnen. Heute gibt es keine Verstaatlichte mehr, und die UnternehmerInnen wollen die Sozialpartnerschaft durch ein neoliberaleres System ersetzen und den Einfluß der Gewerkschaften immer weiter zurückdrängen. ÖGB und SPÖ stehen dieser Tendenz scheinbar machtlos gegenüber. Sie haben ein Vakuum auf der linken Seite hinterlassen. Wenn die Linke weiterhin zu schwach ist, um dieses Vakuum nur ansatzweise zu füllen, so wird sich auch in Zukunft die FPÖ weiter als „Arbeiterpartei“ aufspielen können.