Di 20.12.2005
Folgend ein längerer Artikel, der im Februar 2002 geschrieben wurde. Er behandelt die Themen Krieg, Islam, Fundamentalismus und analysiert den marxistischen Zugang, die wichtig sind zum Verständnis der neuen Weltsituation.
- Krieg ist eine Nagelprobe für Programm, Perspektiven, Strategie und Taktik aller politischen Formationen – besonders für jene der Linken. Es muss aufgezeigt werden, was positiv ist, was die ArbeiterInnenklasse vorwärts bringt. Umgekehrt entblößt sich alles, was faul und falsch ist. Das war so im Golfkrieg, im Kosova/o-Konflikt und nun auch im Afghanistankrieg.
- Die Taliban und Osama bin-Ladins al-Qa`ida erlitten eine schwere militärische und politische Niederlage. Das Ausmaß ihrer Niederlage ist durch die Tatsache vergrößert worden, dass es am Boden praktisch keinen Widerstand gegen die Imperialisten und die Nordallianz gegeben hat. Das haben wir bereits in vorhergehenden CWI-Stellungnahmen so analysiert und wollen hier die Positionen des CWI und seiner Sektionen mit denen anderer Organisationen vergleichen, vor allem jener, die beanspruchen, der revolutionären Linken anzugehören. Dieser Zugang, die Methode der Gegenüberstellung, wurde von Leo Trotzki verwendet; vor allem in den dreißiger Jahren, um revolutionäre Kader zu schulen. Die meisten der revolutionären Linken irrten sich während des Krieges, und das manchmal ganz gewaltig. Manche waren opportunistisch; die meisten jedoch waren ultra-links und schafften es manchmal auch, beides zu kombinieren: Opportunismus mit Ultralinkem.
MISSBRAUCH VON TROTZKIS SCHRIFTEN
- Das theoretische Unterfutter der Positionen während des Krieges mancher dieser Organisationen besteht, laut ihnen und ironischerweise, aus Kommentaren von Trotzki vor allem in den dreißiger Jahren zu Kriegen und bewaffneten Konflikten. Ein marxistischer Zugang besteht für sie hauptsächlich darin, auswendig Phrasen von Trotzki aufzusagen. Seine fragmentarischen und nicht entwickelten Kommentare, vor allem jene in Bezug auf Brasilien, Äthiopien und den Japan-China-Krieg in den dreißiger Jahren, werden als Rechtfertigung für ihre Argumente verwendet. Trotzkis Schriften werden dabei verwendet, ohne deren Geist und deren Methode zu verstehen. Und überhaupt ignorieren sie den historischen Kontext völlig, in welchem diese Äußerungen gemacht wurden.
- Vielleicht den zukünftigen Missbrauch seiner Schriften vorausahnend, meinte Trotzki passender weise in Bezug auf den Japan-China Krieg in den Dreißigern: „Wirklicher Internationalismus besteht nicht aus dem Wiederholen stereotyper Phrasen bei jeder Gelegenheit, sondern daraus, über die spezifischen Umstände und Probleme nachzudenken“ - vor allem über jene, die bei Kriegen und Revolutionen aufkommen, könnte hinzugefügt werden. Das wichtigste Gesetz der Dialektik ist, dass die Wahrheit immer konkret ist. Eine umfassendende Analyse beinhaltet das Verständnis der spezifischen Umstände, vor allem des historischen Hintergrunds eines Krieges und die involvierten objektiven Faktoren, welche für uns auch das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, sowohl in der neokolonialen als auch der industrialisierten Welt, einschließen.
- Seitdem Trotzki das geschrieben hat, unterlag die Welt ernormen Veränderungen. Die Realität, mit der wir heute konfrontiert sind, hat sich stark verändert. Deswegen wäre es vollkommen mechanisch, Äußerungen, die in den Dreißigern gemacht wurden, einfach auf die aktuelle Situation umzulegen. Die internationalen Beziehungen und vor allem das Verhältnis zwischen den sogenannten „entwickelten“ Ländern und der neokolonialen Welt haben große Veränderungen durchgemacht. In der Vergangenheit übte der Imperialismus direkte militärische Herrschaft über viele (aber nicht alle) Gebiete aus, die wir heute als neokoloniale Welt bezeichnen. Großteils wurde dies durch indirekte ökonomische Kontrolle ersetzt. Zweifellos sind deswegen die Auswirkungen im allgemeinen nicht weniger unterdrückend für die Massen. Trotzdem hat sich die Lage durch die Unabhängigkeit der früheren „Kolonien“, der Entwicklung neuer Staaten und damit neuem Nationalbewusstsein, und außerdem der relativen Erstarkung dieser Regionen gegenüber dem Imperialismus entscheidend geändert.
- MarxistInnen müssen der weiterbestehenden imperialistischen Herrschaft und dem widerlichen Gebrauch militärischer Gewalt, um die Macht gegenüber den Massen der neokolonialen Welt aufrechtzuerhalten, unversöhnlich entgegentreten - so wie im Falle Afghanistans. Die grundlegenden Veränderungen, die stattgefunden haben, bedeuten aber, dass es zum Beispiel lächerlich ist, das Regime des „Kaisers“ von Äthiopien, Haile Selassie, von 1935 mit dem Phänomen der al-Qa’ida von bin-Ladin und den Taliban gleichzusetzen. Die ernorme Entwicklung der Kommunikationsmittel wie Fernsehen, Radio, Zeitungen, Internet, etc. ist ein Unterschied, der am offensichtlichsten ist. Infolgedessen gibt es ein erhöhtes Bewusstsein, was international passiert.
- Die Massen in den 1930er hätten wenig von den einzelnen Details des Selassie-Regimes verstanden. Darüber hinaus wurde in der Zeit, in der Trotzki schrieb, Äthiopien vom faschistischen Regime des Benito Mussolini angegriffen. Wenn man die damaligen Illusionen in die bürgerliche Demokratie, in denen die europäische oder besonders der US-ArbeiterInnenklasse verhaftet war, berücksichtigt, und außerdem die noch frischen blutigen Erfahrungen mit dem, was faschistische Machtübernahme durch Hitler oder Mussolini bedeutet, ist die Sympathie, die die Massen in den 30er gegenüber Äthiopien im Kampf gegen das faschistische Italien hegten, nachzuvollziehen. Die britische, fast die gesamte europäische Bourgeoisie und auch die der USA, setzten genauso auf die Karte Äthiopiens, aufgrund ihrer eigenen imperialistischen strategischen Interessen. Es ist jedoch Unsinn, so wie das sektiererische Organisationen durch ihre Art, Trotzki zu zitieren tun, daraus zu schließen, dass die Masse der Bevölkerung der Industriestaaten dieselbe Haltung gegenüber bin-Ladin und den Taliban entwickeln könnte.
BEWUSSTSEIN
- Das heißt nicht, dass wir die vergangenen Positionen des Marxismus, im speziellen jene, die von Lenin und Trotzki sorgfältig ausgearbeitet wurden, über Bord werfen müssen. Wir differenzieren klar zwischen den entwickelten imperialistischen Ländern und jenen der kolonialen und neo-kolonialen Welt. Generell unterstützen wir weiterhin den Kampf der Völker in der neokolonialen Welt gegen imperialistische Dominanz, vor allem wenn diese die Form einer militärischen Intervention annimmt, wie im Krieg gegen Afghanistan. In dieser Frage waren wir voll auf der Seite des afghanischen Volkes und in den imperialistischen Staaten sind wir gegen den Krieg aufgetreten. Unterstützung des afghanischen Volkes und dessen Widerstand gegen die bewaffneten Einsätze des Imperialismus ist nicht dasselbe wie die Unterstützung der Taliban, auch dann nicht, wenn sie als „kritisch“ bezeichnet wird, so wie das manche linke Gruppen getan haben.
- Außerdem ist der bloße plumpe Aufruf „Niederlage dem US-Imperialismus und seinen Verbündeten!“ als Slogan für die Agitation nach außen ungeeignet. Wie Trotzki später erklärte, hat Lenin die Bezeichnung „revolutionärer Defätismus“ (gemeint ist damit die ablehnende unversöhnliche und sabotierende Position gegenüber dem „eigenen“ Land, d.h. der „eigenen“ kriegsführenden Bourgeoisie im Ersten Weltkrieg; zusammengefasst auch „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, Anm. d. Ü.) verwendet, um eine klare Abgrenzung zwischen revolutionärem Marxismus und Opportunismus zu schaffen. Dies geschah vor dem Hintergrund des Verrats der deutschen Sozialdemokratie und deren internationalen Theoretikern am Beginn des 1. Weltkriegs. Primär war es eine Methode für die Kader selber, um eine Trennlinie zwischen RevolutionärInnen und OpportunistInnen zu machen. Es war aber niemals eine Politik, mit der man die Massen für das Banner des Bolschewismus hätte gewinnen können. Es war das Programm der Bolschewiki und alles, was Ausfluss aus diesem war, inklusive der Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse gemeinsam mit der BäuerInnenschaft, das die russische Revolution gewährleistete.
- Viele ultra-linke Organisationen sind von Grund auf unfähig, den Zugang Lenins, Trotzkis und der Bolschewiki zu verstehen. Sie nehmen Formulierungen heraus, die innerhalb der marxistischen Bewegung gemacht wurden, um verschiedene Konzepte zusammenzufassen bzw. um eine Idee von einer anderen klar abzugrenzen, um sie dann als Ausdruck zu verwenden, der an die Öffentlichkeit gerichtet ist. Konsequenterweise haben sie es damit nicht geschafft, über ihre Zirkelmentalität hinauszukommen und erfolgreich in Massenbewegungen zu intervenieren. Schlimmer jedoch ist, dass sie eine Schicht von jungen Menschen und gelegentlich ArbeiterInnen falsch erzogen haben, die ansonsten eine wichtige Rolle spielen könnten, den Marxismus zu stärken und aufzubauen.
- Die Frage, wie wir uns auf das Bewusstsein, das in der industriellen Welt verglichen mit der neokolonialen Welt unterschiedlich sein kann, beziehen und dabei prinzipiell eine marxistische Position aufrechterhalten, ist eine Schlüsselfrage, die uns den Weg zur ArbeiterInnenklasse und Jugend öffnet. Das ist keine leichte Aufgabe; eine richtige Position kann nur durch Analyse, Diskussion und manchmal auch nur auf sehr mühevolle Weise erreicht werden. Warum auch immer, dieser Zugang ist manchen Organisationen der revolutionären Linken fremd. Für sie ist es hauptsächlich eine Frage, wie ein „Programm“ präsentiert wird, das sie sich meistens aus den Fingern saugen oder das aus den Schriften von Lenin und Trotzki aus einer anderen Periode herausgezogen wird, um dann mechanisch auf die Situation umgelegt zu werden, ohne Rücksicht auf das Auf und Ab in der Bevölkerung, dass sich in Stimmung und Verständnis der Massen niederschlägt.
- Das war nicht der Zugang Lenins, Trotzkis und der Bolschewiki in der russischen Revolution. Die Stimmung innerhalb der Massen war eine brennende Frage, die in den neun Monate zwischen Februar und der Oktober-Revolution entscheidend die entsprechende Taktik zu verschiedenen Wendepunkten beeinflusst hat. Zum Beispiel war Lenin gegen eine Machtergreifung durch die Petrograder ArbeiterInnenklasse, die zu diesem Schritt bereit waren, weil es zu früh war. Das ergab sich daraus, dass zu diesem Zeitpunkt das Bewusstsein im restlichen Russland und besonders unter den bäuerlichen Massen, die den Großteil der Armee des Zaren ausmachten, hinter den Petrograd zurücklag. Ein ernsthafter Versuch, die Macht zu ergreifen, hätte das Risiko der Niederschlagung der Petrograder ArbeiterInnenklasse bedeutet. Die Vorhut der Revolution wäre damit geschlagen gewesen und damit die gesamte Revolution komplett durcheinander gebracht worden. In diesem Fall hat die Entscheidung der Bolschewiki, mit den Demonstrationen weiterzumachen, aber knapp vor dem Aufstand aufzuhören, die Repression vermindert, was unübersehbar in die Juli-Ereignisse gemündet hat. Die ähnliche Sorgfalt, die Stimmung innerhalb der Bevölkerung auszuloten, war drei Monate vor der russischen Revolution eine Schlüsselfrage, die innerhalb der Bolschewiki heftig diskutiert wurde.
- Wir haben immer schon das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse berücksichtigt, wenn wir Forderungen aufgestellt und die Herangehensweise zu Themen wie Krieg entwickelt haben; was keine statische Angelegenheit ist. Das ist keine leichte Aufgabe, und auch in einer gesunden marxistischen Organisation kann dies zu Kontroversen und Differenzen führen.
DER GOLFKRIEG UND DER 11. SEPTEMBER
- Im Golfkrieg nahmen in der ersten Phase viele die Position ein, Saddam Hussein bei der Intervention in Kuwait „kritisch“ zu unterstützen. In diesem Krieg waren wir auf der Seite der Bevölkerung des Nahen Ostens: Irakis, KurdInnen, und anderen gegen die bewaffnete Intervention der USA, die zunehmend brutaler wurde. Das Bewusstsein in den Industriestaaten war gegenüber dem in den arabischen Staaten jedoch unterschiedlich, sodass unsere Unterstützung nicht die Form einer Unterstützung des Regimes von Saddam Hussein annahm. Wir traten unverrückbar gegen die USA, Britannien und deren Verbündete auf, die Krieg gegen den Irak führten. Wir forderten das Ende des Krieges, den Abzug der Truppen und strichen die Forderung hervor, dass das irakische Volk, die KurdInnen und selbst die Kuwaitis ihr Schicksal selbst bestimmen sollen.
- Wenn unsere SprecherInnen nach außen damals im Radio oder Fernsehen mit der Frage: „Seit ihr nicht für den Abzug der irakischen Truppen, die in Kuwait gegen den Wunsch der Bevölkerung dieses Staates eingegriffen haben?“ herausgefordert wurden, konnten wir nicht ungeschickt antworten. Meistens war unsere Antwort damals: „Ja, aber nicht durch US-Truppen, sondern durch einen erfolgreichen Aufstand der ArbeiterInnen und BäuerInnen im Irak gegen Saddam Hussein, der den Abzug bewirkt und der Bevölkerung der Region die Möglichkeit gibt, über ihr Schicksal demokratisch zu entscheiden. Das war die einzige Möglichkeit, an eine solche Frage in den Industriestaaten heranzugehen, angesichts der widerlich undemokratischen und offensichtlich diktatorischen Züge des Saddam-Regimes, nicht zuletzt wegen der Unterdrückung der KurdInnen im Norden und der ShiitInnen im Süden. Wir konnten nicht für Saddam Hussein, sein Regime und seine Handlungen während des Golfkriegs die Verantwortung übernehmen. Wir trachteten danach, das von unserer offenen Unterstützung der irakischen Bevölkerung und anderen Völkern dieser Region und deren Widerstand, den sie gegen den imperialistischen „Ölkrieg“ aufbrachten, zu trennen.
- Gleichzeitig war es aufgrund der verschiedenen Blickwinkel auf den Golfkonflikt notwendig, dass revolutionäre MarxistInnen, die in der neokolonialen Welt andere Aufgaben zu erfüllen hatten, Dinge anders als in den entwickelten Industriestaaten nach vorne stellen mussten. Es gab innerhalb der Sektionen des CWI eine gemeinsame Position für alle Mitglieder, ungeachtet dessen, in welcher Sphäre der Welt sie daran arbeiteten, der Opposition und dem Kampf gegen die Attacken des Imperialismus auf den Irak Ausdruck zu verleihen. In der neokolonialen Welt bedeutete das, trotz der Ablehnung der diktatorischen Züge des Regimes von Saddam Hussein, die Feindseligkeit gegenüber dem Imperialismus, dass dort eine größere Sympathie nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ für den Irak herrschte.
- Das wurde enorm dadurch erhöht, dass in der arabischen Welt Saddams Handlungen nicht nur als ein Schlag gegen den Imperialismus, sondern auch als ein Schlag gegen seine lokalen Verbündeten, wie der herrschenden Klasse in Israel, gesehen wurde. Außerdem fand die Rechtfertigung Saddams für den Angriff auf Kuwait, ein Vermächtnis der künstlichen Balkanisierung der arabischen Halbinsel durch den Imperialismus, einen bestimmten Widerhall. Das führte zweifellos dazu, dass Unmutsgefühle gegenüber den arabischen Diktaturen im Bewusstsein der Massen in den Hintergrund gerückt sind. Es gab im gewissem Sinn eine „kritische Unterstützung“ für Saddam, weil er dem Imperialismus einen Schlag zu versetzen schien. Beispielsweise wurden Raketen von irakischem Territorium abgeschossen, die in Israel einschlugen. Das war das Gegenteil von dem, was normalerweise im Nahen Osten passiert, wenn Israel mit seiner überlegenen Militärmaschinerie palästinensische Gebiete und arabische Ziele zerstört.
- Die Propaganda, die agitatorischen Forderungen, die in dieser Situation aufgeworfen würden, wären anders als die Art, in der MarxistInnen in den entwickelten Industriestaaten herangehen würden. Dennoch wäre es sogar in der neokolonialen Welt, einschließlich dem Nahen Osten falsch, Saddam, der von den arabischen Massen als „progressiver Diktator“ gesehen wurde, unqualifizierte Unterstützung zu geben. Schlimmer wäre es, dasselbe im Fall von bin-Ladin und den Taliban zu tun, die nicht einmal als „kapitalistisch“ beschrieben werden können. Wenn irgendwas, dann sind sie feudal oder stammesgesellschaftlich in ihrem Auftreten, Programm und wahnsinnigen Plänen für die Welt. Trotz allem gab es eine etwas andere Haltung verglichen mit Europa, Japan und den USA gegenüber den Anschlägen auf die Zwillingstürme, die in der neokolonialen Welt zum Vorschein kam. Sogar in ein paar industrialisierten Staaten wie Griechenland, aufgrund dessen Vergangenheit und seiner Position zwischen industrialisierter und neokolonialen Welt, war die Haltung gegenüber dem 11. September anders.
HALTUNG ZUR US-ARBEITERiNNENKLASSE
- Das Bedauern über den Verlust unschuldiger Menschenleben ging Hand in Hand mit dem Gefühl, dass sich die herrschende Klasse der USA “es sich selbst zuzuschreiben hat”. Als MarxistInnen verstehen wir die Gründe dafür, die Unterdrückung und die enorme Ausbeutung der Massen in der neokolonialen Welt, aber wir lehnen diese Haltung ab. Wir müssen uns noch mal der Tatsache bewusst werden, dass es nicht die US-KapitalistInnen waren, die die Mehrheit der Opfer des 11. September ausmachten. Es waren hauptsächlich ArbeiterInnen und Angehörige der Mittelschicht, die ums Leben kamen. Unsere GenossInnen in den neokolonialen Ländern müssen der Meinung entgegentreten, die unter Teilen der afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen ArbeiterInnenklasse und Landbevölkerung herrscht, dass die US Bevölkerung eine einzige reaktionäre Masse sei, dass dort keine ArbeiterInnenklasse existiert oder sogar Komplizin des weltweiten US Imperialismus wäre. Der Terrorakt vom 11. September hat dem US-Imperialismus den Vorwand geliefert, in Afghanistan zu wüten, eine Invasion in den Irak vorzubereiten und die beschädigte Macht und das Prestige, mit der Hilfe - zumindest zu Beginn - der Mehrheit der US Bevölkerung wiederherzustellen.
- MarxistInnen haben in diesem Krieg nicht das eine Programm für das eine Land oder die Gegend und ein unterschiedliches in einem anderen. In Großbritannien, Europa, den USA und in Afghanistan treten wir gegen diesen Krieg auf. Natürlich ist es in Afghanistan notwendig, sich den Angriffen des Imperialismus zu widersetzen. Der Widerstand der ArbeiterInnen und der Landbevölkerung wäre ein anderer und getrennt von dem der Taliban; er wäre sogar gegen sie. Aufgrund des unterschiedlichen Bewusstseins in verschiedenen Ländern kann der Zugang und die Art der Propaganda unterschiedlich sein.
- Nach den Angriffen auf die Twin-Towers hat der Imperialismus die Angst der US Bevölkerung vor bin-Ladin und al-Qa’ida geschürt. Sie dachten, dass diese Organisation ihre Existenz bedroht. Dieses Gefühl wurde verstärkt, nachdem bin-Ladin einem pakistanischen Journalisten ein Interview gegeben hat, dass während dem Krieg in der westlichen Presse abgedruckt wurde. In dem Interview beschuldigte er die gesamte US Bevölkerung, für die Verbrechen der herrschenden Klasse verantwortlich zu sein. „Wie immer hat er [bin-Ladin] die Verantwortung für die Flugzeugentführungen am 11. September geleugnet, und er hat sie wiederum nicht geleugnet, weil er gesagt hat, dass alle AmerikanerInnen für die „Massaker“ an Moslems in „Palästina, Tschetschenien, Kaschmir und im Irak“ verantwortlich seien und dass Moslems „das Recht hätten aus Vergeltung anzugreifen“. „Das amerikanische Volk sollte sich erinnern, dass es seiner Regierung Steuern zahlt, seinen Präsidenten wählt, seine Regierung Waffen produziert und sie dann an Israel weitergibt, Israel verwendet diese Waffen, um PalästinenserInnen zu massakrieren. Der amerikanische Kongress stimmt allen Regierungsmaßnahmen zu und das beweißt, dass ganz Amerika schuld ist.““ [The Observer, 11. November 2001]
- Bin-Ladin und die al-Qa’ida wurden von Bush und Co. als tödliche Bedrohung für die Existenz der USA dargestellt. Doch bloße bürgerliche Propaganda allein reicht nicht aus, um die öffentliche Meinung herzustellen. Die Worte und Taten von bin-Ladin und der al-Qa’ida bestärkten die Meinung in der US Bevölkerung, dass sie tatsächlich eine solche Bedrohung darstellen. Daraus folgte während dem Krieg eine Welle des Patriotismus. Wie wir vorhergesehen haben, wurden nach dem Krieg die US Außenpolitik und die Rolle der US Regierung (und natürlich implizit die Rolle der US Kapitalisten) vermehrt in Frage gestellt, sie könnten doch die Umstände geschaffen haben, die zur Katastrophe am 11. September geführt hat. Ohne Zweifel wird die kritische Stimmung wachsen; für die al-Qa’ida oder den ‚Binladismus’ gibt es keine Sympathie oder Unterstützung. Sie werden als ein schreckliches und furchterregendes Resultat der US Politik in der neokolonialen Welt gesehen.
- Dennoch versuchen die kleinen ultralinken Gruppen uns zu überzeugen, dass MarxistInnen während des Krieges eine “kritische Unterstützung”, inklusive gemeinsamer Militäroperationen, für al-Qa’ida und die Taliban aussprechen sollten, um dem US-Imperialismus entgegenzutreten. Sie mögen vielleicht sagen, dass diese Politik in der neokolonialen Welt angewendet werden muss. Doch diese Ideen werden in ihren Magazinen angeboten, die vor allem in den fortgeschrittenen industrialisierten Ländern verkauft werden. Abgesehen davon ist es, von einem marxistischen Standpunkt aus, auch in der neokolonialen Welt falsch. Das ist kein Programm für die Massen, nicht um ArbeiterInnen zu erreichen und sie von den Ideen des Marxismus zu überzeugen, sondern um sie vom Trotzkismus wegzuleiten. Es ist ein Programm für den kleinen (oftmals winzigen) Konferenzraum und keines, mit dem ArbeiterInnen angesprochen und überzeugt werden können.
KRIEG UND MARXISMUS
- Heute ist nicht die Wiederholung der Ideen notwendig, die zu den Bedingungen vor 60 oder sogar 20 Jahren gepasst haben. Die Entwicklung unabhängiger Staaten und nationaler bürgerlicher Regimes hat sich wesentlich verändert, seit Trotzki darüber geschrieben hat. Manche von ihnen, wie das von Saddam Hussein, haben die scheußlichsten und abstoßendsten Eigenschaften von Diktaturen. Sie unterdrücken die ArbeiterInnenklasse und verweigern nationale und ethnische Rechte. Das hat die Umstände, in denen MarxistInnen arbeiten, extrem verändert. Das heißt, wir können den Zugang Trotzkis in der Zeit des chinesisch/japanischen Kriegs in den 1930er Jahren oder in Äthiopien 1935 nicht einfach imitieren oder uns selbst in die hypothetische Situation versetzen, die Trotzki für Brasilien beschrieben hat. Wir werden ein wenig später auf diese Punkte weiter eingehen, denn sie stehen in Beziehung zu unserem Zugang zum Krieg, speziell zum Krieg gegen Afghanistan und zu unserem Zugang zum Islam im allgemeinen.
- Der Marxismus hat keine allgemein gültige Position zu Kriegen. Wir haben niemals alle Kriege in einem Atemzug genannt. Es gibt „gerechte“ Kriege, in denen MarxistInnen und TrotzkistInnen die eine Seite gegenüber der anderen kritisch unterstützen. Karl Marx und Friedrich Engels haben den revolutionären Kampf der IrInnen gegen den britischen Imperialismus im 19. Jahrhundert genauso unterstützt, wie den Kampf der PoIInnen gegen den russischen Zaren. Und das trotz der Tatsache, um es in den Worten Trotzkis zu sagen: „Diese beiden nationalistischen Kriege und deren Führer waren zu großteils Teile der Bourgeoisie und in Zeiten der feudalen Aristokratie ... zu allen Zeitpunkten katholische Reaktionäre.“ Wir selbst haben die Nationale Befreiungsfront (FLN) im nationalen Krieg gegen den französischen Imperialismus in Algerien, der mit der Befreiung Algeriens und dem Abzug der französischen Truppen 1962 geendet hatte, sowohl politisch als auch materiell unterstützt.
- Doch es gab nichts “fortschrittliches” oder “gerechtes” an dem brutalen Krieg der US, Britanniens und der „Koalition“, den sie gegen das afghanische Volk geführt haben und als „Krieg gegen den Terrorismus“ verkaufen wollten. Die „Kriegsziele“ von der Vernichtung bin-Ladins und der al-Qa’ida konnten bis jetzt nicht erreicht werden. Unsere Position wurde im CWI Material zu diesem Krieg ausführlich erklärt. Dieser Krieg diente vor allem dazu, das verletzte Prestige und die Macht der USA und des Weltimperialismus wieder herzustellen. Durch die Kapitulation der Taliban (wenn nicht der „arabischen Afghanen“) hat der Imperialismus seine Position kurzfristig stärken können und die Kräfteverhältnisse der Welt zu seinen Gunsten verschieben können. Das wurde durch die kriegerischen Worte und Taten von George W. Bush und Donald Rumsfeld gezeigt. Und auch dadurch, dass der „friedliche“ Colin Powell Ariel Sharon und der herrschenden Klasse Israels Grünes Licht gegeben hat, um die Offensive gegen das palästinensische Volk zu starten. Das Ziel dahinter war, die ohnehin schon brüchige Autorität von Yasser Arafat und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) zu schwächen. [Siehe dazu frühere CWI-Dokumente über den Nahen Osten]
- Danach kam es zu den Aussagen von US-Regierungssprechern, wonach der Irak das nächste Ziel sei und Spezialeinheiten in Einsätzen gegen Somalia und möglicherweise den Sudan in Vorbereitung seien. Der Krieg soll die Wurzeln der al-Qa’ida ausreißen und sie möglicherweise für alle Zeiten zerstören. In der blutigen Gleichung des Kriegs ist es nicht möglich, den genauen Ausgang vorherzusagen. Der Ausgang des militärischen Konflikts zwischen dem US-Imperialismus, der mächtigsten Militärmacht der Welt und den schwachen Taliban, war von Beginn an wie ein Wettkampf zwischen einem Elefanten und einer Fliege, den der Elefant nicht verlieren kann. Was nicht vorherbestimmt werden konnte, war, welche Art von sozialen Reserven die Taliban aufgrund der ausländischen Intervention in Afghanistan mobilisieren können. Die Ereignisse zeigten die schwache Basis für das Regime, die den Sieg des Imperialismus sicherte. Der US Imperialismus wendete vor allem Luftangriffe an, die durch „Bodentruppen“ unterstützt wurden.
- Doch von niemandem wurde erwartet, dass die Taliban im Norden derart schnell kapitulieren und im Süden so wenig Widerstand zeigen würden. Das zog wichtige Konsequenzen nach sich. Der Sieg des Imperialismus kombiniert mit der vollständigen Kapitulation der Taliban ohne wirklich zu kämpfen, hatte einen großen weltweiten Effekt, vor allem auf die neokoloniale Welt. Es wird nun wahrgenommen, dass der US-Imperialismus einen weiteren Sieg erringen konnte. Das ist der dritte militärische Sieg innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt – Golfkrieg, Kosova/o und nun Afghanistan. Mehr als in den zwei vorangegangenen Konflikten ist das Triumphgeheul des US-Imperialismus laut und zügellos, wobei einer seiner Repräsentanten offen erklärte: „Jetzt hält uns nichts mehr auf.“
- Fälschlicherweise glaubt der Imperialismus jetzt, dass er seine Macht überall auf dem Erdball bei minimalem Widerstand durchsetzen kann. Letztendlich werden aber seine Probleme nur verstärkt. Der Imperialismus hat sich zweifellos stärken können, während das Selbstvertrauen der weltweiten ArbeiterInnenklasse und der ArbeiterInnenbewegung, vor allem in der neokolonialen Welt, einen schweren Rückschlag hinnehmen musste. Zu diesem Zeitpunkt kann nicht gesagt werden, wie langfristig und schwerwiegend dieser Rückschlag ist. Augrund all dieser Gründe treten wir entschlossen gegen den US-Imperialismus und diesen Krieg auf. Wir müssen all die „demokratischen“ Phrasen und Tarnungen als solche erkennen, es handelte sich um eine neue Version eines imperialistischen Kriegs, nicht nur gegen Afghanistan, sondern gegen die ganze neokoloniale Welt, und daher gegen die Mehrheit der Menschheit.
KEIN TRADITIONELLER KOLONIALER KRIEG
- Aber es war nicht, wie das Vereinigte Sekretariat (USFI) argumentierte, einfach eine neue Version eines üblichen kolonialen Krieges, hauptsächlich wegen wirtschaftlicher Gründe: „Ein Krieg um Öl“. Die Wirklichkeit der Ziele des US-Imperialismus im Afghanistan-Krieg sind viel komplizierter. Letztendlich sind natürlich wirtschaftliche Macht, die finanziellen Interessen des Imperialismus und die Quelle seines Profits und Einkommens wichtige, ja entscheidende, Faktoren. Es waren diese Gründe, warum US-Öl-Firmen die Taliban umgarnten und sie in den 90er auf Reisen in die USA einluden. Ihre Einschätzung Afghanistans damals war das einer bedeutender Region für eine mögliche Pipeline für die ebenso größtenteils ungenutzten Öl- und Gasreichtümer des Kaspischen Meer und des Transkaukasus. Gleichwie, vor dem Hintergrund der organischen Instabilität Afghanistans und ganz Transkaukasiens, wäre dieses Land für eine Pipeline, um es vorsichtig zu formulieren, problematisch gewesen. Selbst in einer Nach-Kriegs-Situation gäbe es wahrscheinlich so großes Chaos und Anarchie, dass es ein äußerst risikoreiches Spiel für die Öl-Firmen wäre, sich in einem solch riskanten Spiel zu engagieren.
- Die Ressourcen der transkaukasischen und kaspischen Region könnten für den Imperialismus langfristig von großer Bedeutung sein. Sie waren aber nicht die unmittelbaren Gründe dieses Krieges. Vor dem 11. September fand zwischen Putins Russland, das den Kaukasus weiter als vitalen Bestandteil ihrer Einflusssphäre sieht, und den von der Bush-Administration unterstützten Öl-Konzernen, die um Einfluss dort kämpfen, ein Wettlauf statt. Nach dem Angriff auf die Twin-Towers, welcher die Involvierung saudischer Staatsangehöriger und zumindest auf finanzieller Ebene auch einige Figuren aus dem saudischen Regime aufdeckte, kam eine große Debatte in der bürgerlichen US-Presse auf, die US-Interessen von saudischem Öl zu möglichen Ressourcen in den Kaukasus zu verlagern. Jedoch ist das noch immer Zukunftsmusik, sieht man die seit dem Golfkrieg gestiegene Abhängigkeit des US-Imperialismus vom Öl des Nahen Ostens (hauptsächlich saudisches). Der ausschlaggebende Faktor für den US-Imperialismus zu Beginn war die Wiederherstellung von Macht und Prestige, welche durch den 11. September schweren Schaden erlitten haben. Jedes größere Einkommen als Ergebnis dieses Sieges wird zu einem späteren Zeitpunkt eintreffen.
- Wenn wir nun diesen Krieg von Seiten des Imperialismus als durch und durch reaktionär begreifen, bedeutet dies, dass wir uns, und sei es „kritisch“, mit jenen zusammentun, die angeblich den USA „Widerstand“ geleistet haben, namentlich bin-Ladin, seine al-Qa`ida und die Taliban-Regierung? Unglaublich, das ist die Position von einigen kleinen trotzkistischen Gruppen wie ‚Workers Power’ (Arbeitermacht (D); ArbeiterInnenstandpunkt (Ö)) und der morenoistischen LIT. Letztere ist hauptsächlich in Lateinamerika aktiv. Ihr Anspruch wird absolut kein Echo unter der weltweiten ArbeiterInnenklasse, im Speziellen jener der entwickelten kapitalistischen Länder, finden. Nichts desto trotz, da sie während des Krieges einige von Trotzkis alten Schriften zur Rechtfertigung ihrer Position herangezogen haben, könnten (und taten dies in einigen Fällen) sie einige Jugendliche und ArbeiterInnen verwirren und irreleiten, die mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Es ist deshalb nötig, sich hier mit ihren Argumenten auseinander zu setzen, als einem Mittel, Klarheit über diese Punkte in unseren eigenen Reihen zu schaffen. Sie zeigen auch grundlegende Verwirrung über die Entwicklungen innerhalb des „Islam“.
ISLAMISMUS - RADIKAL UND RECHTS
- Deshalb ist es nötig, bevor wir ihre Positionen analysieren, unsere Herangehensweise an den „politischen Islam“ zu klären. Was manches mal „Fundamentalismus“ genannt wird, wird oft innerhalb der moslemischen Welt als „politischer Islam“ bezeichnet. Das passt für bürgerliche Professoren und Kommentatoren, genauso wie manche auf der Linken. Aber für das CWI ist das keine ausreichende Beschreibung der politischen Vorgeschichte und die Positionen der verschiedenen islamischen Gruppen innerhalb des gegenwärtigen politischen Spektrums.
- Einige der Trends und Organisationen innerhalb der Massenbewegung, welche die Iranische Revolution und den Sturz des Shah (Kaiser; Anm.) geführt haben, waren Beispiele dessen, was wir mit „radikalem Islam“ oder „radikaler islamischer Fundamentalismus“ meinen. Diejenigen, die diese Ideen unterstützten, antworteten üblicherweise auf die Frage, für welche Art von Gesellschaft sie kämpfen, dass sie eine „Republik der Armen“ wollten. Gleichwie, der globale Hintergrund, vor dem die Iranische Revolution stattfand, war verglichen mit heute grundlegend anders. Damals existierten die stalinistischen Staaten - mit einer Planwirtschaft und einem totalitären Regime. Das und der offensichtliche Bankrott von Großgrundbesitz und Kapitalismus in der neo-kolonialen Welt radikalisierte die Oppositionsbewegung zur Tyrannei des Shah und der iranischen Elite, die sich auf den großen Ölreserven des Iran aufbaute. Diese Opposition stützte sich größtenteils auf die städtische Armut in Teheran im speziellen und die teilweise hungernden iranischen bäuerlichen Massen. Das „Model“ einer geplanten Wirtschaft im Hintergrund gab der Bewegung einen betont radikalen und „linken“ Charakter.
- Dieser Trend war derart kraftvoll, dass er das iranische Regime von Ayatollah Khomeini in ihrer ersten Phase dazu zwang, eine linke radikale Phraseologie und eine unversöhnliche Feindschaft zum Imperialismus gegenüber, speziell den USA, anzunehmen. Das wurde von Aktionen ergänzt, die zur staatlichen Übernahme eines Großteils der Industrie führten. Auf einer gewissen Stufe erschien sogar die Möglichkeit, dass im Iran ein deformierter Arbeiterstaat entstehen könnte; ein Abziehbild Moskaus, mit einer geplanten Wirtschaft, wenn auch mit einem totalitären politischen Regime, in dem die Macht in den Händen der Mullahs und des moslemischen Klerus konzentriert gewesen wäre. Gleichwie, die Revolution blieb stecken. Ein beginnender Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Fraktionen des Klerus folgte. Der Schwerpunkt bewegte sich graduell nach rechts. Das führte zur Privatisierung vormals nationalisierter Sektoren.
- Heute gibt es im Iran einen erbitterten Kampf zwischen verschiedenen Flügeln des Islam. Dem liegt folgender Konflikt zugrunde: zwischen einem rechten Klerus, der entschlossen ist, die Kontrolle der Staatsmacht zu halten und Sektoren der Bourgeoisie und jenen, die in eine mehr „moderne“ Richtung, sprich westlichen Kapitalismus gehen möchten, derzeit von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Jugendliche sind im speziellen in einer offenen Revolte gegen die erstickenden Bedingungen, die ihnen von den Mullahs und der „religiösen Polizei“ aufgezwungen werden.
- Im Kontrast zur frühen radikalen Phase der iranischen Revolution, ist der Aufstieg des Islam und dessen, was nunmehr „politischer Islam“ genannt wird, speziell in der arabischen Welt, im letzten Jahrzehnt ein hauptsächlich rechtes Phänomen. Die Entwicklung dieser Organisationen und deren Verankerung in mehr und mehr Teilen der Bevölkerung inklusive großer Sektoren der Mittelklassen in Ländern wie Ägypten, ist teilweise eine Widerspiegelung der Niederlagen der vorangegangenen arabischen Bewegungen und teilweise ein bewusster Schritt seitens des Imperialismus und ihrer lokalen Statthalter (die feudalen, diktatorischen Regimes Arabiens), den Islam gegen Linke und radikale Kräfte im Nahen Osten zu verwenden.
- In einem Artikel der New York Times (abgedruckt im International Herald Tribune vom 3. Dezember 2001), gab Saad Mehio eine eindringliche Beschreibung, wie die vergangene Instrumentalisierung des Islam durch die gegenwärtigen Regimes, vom US-Imperialismus voll unterstützt, nun mit fatalen Konsequenzen auf diese zurückfällt. Er folgerte aus der Frage, was nach bin-Ladin und den Taliban kommen würde: „Vielleicht mehr Talibans und neue Osama bin-Ladins“. Und der Grund für dieses Phänomen „umfasst die unmoralische, skrupellose und unreligiöse Ausbeutung des Islam als eine politische Waffe - durch jeden. Der Westen, die USA, arabische und andere moslemische Tyranneien haben alle diese Waffe des Islam benützt. Und alle zahlen nun einen unterschiedlichen Preis dafür.“
- Er beschreibt, wie der Islam beauftragt wurde, den „Kommunismus“ zu bekämpfen - eine breite Definition um im Kalten Krieg alles einzuschließen, das links oder sozialistisch, nicht nur stalinistisch, war. Die Fähigkeit des Imperialismus und ihrer lokalen arabischen Agenten wurde durch das Versagen des arabischen Nationalismus und den Stalinismus enorm gefördert. Kommunistische Massenparteien hatten in Ländern wie Irak und dem Sudan die Möglichkeit, die Macht zu übernehmen, aber scheiterten aufgrund ihrer falschen stalinistischen Politik. Das führte, zusammen mit dem Kollaps des „sozialistischen Modells“ in der Sowjetunion und Osteuropa, symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer 1989, zum Aufstieg des rechten Islamismus. Mehio kommentiert: „Die Politik, den politischen Islam als ein antikommunistisches Werkzeug zu benützen, war ein bedeutender Grund, warum so große Teile der moslemischen Welt von stagnierenden, undemokratischen aber stabilen (oder scheinbar stabilen) und adäquat pro-westliche Regierungen auf der einen Seite und den traditionellen Kräften des politischen Islam in der letzten Phase des 20. Jahrhunderts auf der anderen Seite dominiert wurden.“
- Er fährt fort: “Die Glanzleistung solcher Politik lag in der Niederlage der modernisierenden Alternative: jener Bewegungen, die hofften, sowohl ein Bündnis mit der Sowjetunion als auch Amerika vermeiden zu können; um ihre Gesellschaften entlang sekulärer (aufgeklärt, nicht von Religion bestimmt; Anm. d. Ü.) Linien zu entwickeln; mit - im Musterfall - demokratischeren Mitteln und mit dem Nationalismus als Ersatz für koloniale Demütigung und islamischen Traditionalismus. Solche Bewegungen wurden einst Nasserismus genannt, nach Präsident Gamal Abdul Nasser von Ägypten. Er kämpfte die meiste Zeit seines politischen Lebens gegen die Moslem-Bruderschaft. Der Spielraum des Nasserismus schrumpfte in den drei Jahrzehnten seit seinem Tod.“
- Nassers Nachfolger, Anwar Sadat, und die ägyptische herrschende Klasse als Ganzes, entschied sich, einen direkt entgegengesetzte Pfad zum Vorgänger einzuschlagen. Sadat unterstützte bewusst das Wachstum des Islam als Gegengewicht zum Nationalismus und der Linken und suchte die Umarmung des US-Imperialismus. Das ägyptische Regime wird mittels US-Gelder von 3 Mrd. Dollar jährlich aufgepäppelt. Sadats Aktionen fielen auf ihn in tödlicher Weise zurück; er starb durch die Hände genau jener Fundamentalisten, denen er geholfen hatte. Der Grund: sein Abkommen mit Israel.
ISRAEL FÖRDERT ISLAMISTISCHE GRUPPEN
- In einem größeren oder kleineren Ausmaß folgten die arabischen Eliten Sadats Weg, in dem sie jeweils ihren eigenen islamischen Fundamentalismus züchteten; zum Beispiel durch Finanzierung von ca. 7.500 religiösen Schulen in Pakistan, Indien und Arabien (durch Petro-Dollars). Diese Schulen lehrten die rückständigste und isolierteste Interpretation des Koran und des Islam. Sie waren die Grundlage, von der die Taliban aufbrachen, solche Verwüstung über die Menschen Afghanistans zu bringen, wie in der gegenwärtigen Katastrophe. Selbst die Diktatur Pervez Musharrafs, nachdem sie Zeugin der zerstörerischen Auswirkungen der obskuren Mullah-dominierten Madrassah-Schulen wurde, machte großes Aufsehen während des Konflikts um deren Beschränkungen. Mehio kommentiert: “Das regionale System (in der arabischen Welt; Anm.) das Washington während des Kalten Krieges aufzog und das es ab 1989 sich selbst überlies, sah sich als Brutplatz für menschliche Raketen und Selbstmord-Attentäter - direkt gegen die USA gerichtet - gewandelt.
- Gleichwie, es waren nicht nur die USA, sondern auch ihre lokalen Agenten, die israelische herrschende Klasse, welche genauso islamistische Gruppen wie Hamas und Islamischer Jihad, als Gegengewichte aufbauten - zu dem, was sie in den 1970er und 1980er als die mehr radikalen und sekulären palästinensischen Organisationen gehalten hat, wie Fatah und die PFLP. Robert Fisk untermauerte diesen Punkt als er in „The Independent“ schrieb: „Hamas, das prinzipielle Ziel des Sharon-„Krieg gegen Terror“, wurde ursprünglich von Israel gesponsert. In den 1980er, als Mr. Arafat der „Super-Terrorist“ und die Hamas eine kleine schrullige moslemische Hilfsorganisation waren; wenn auch gehässig in ihrer Opposition zu Israel. Die israelische Regierung unterstützte deren Mitglieder, Moscheen in Gaza zu bauen. Einige Genies in der israelischen Armee entschieden, dass es keinen besseren Weg gab, die nationalistischen Ambitionen der PLO in den besetzten Gebieten zu untergraben, als durch die Förderung des Islam.“
- “Selbst nach dem Oslo-Vertrag, während eines Treffens mit Arafat, haben hochrangige israelische Armee-Offiziere öffentlich angekündigt, dass sie mit Hamas-Funktionären sprechen. Als Israel illegal Hunderte Hamas-Mitglieder in den Libanon 1992 deportierte, war es einer ihrer Führer, der mir, als er hörte, dass ich nach Israel reise, die Privatnummer von Shimon Peres aus seinem Kontaktbuch anbot.“ (5. Dezember 2001)
- Hamas und Islamischer Jihad in der Westbank und Gaza haben eine grundlegende rechte politische Überzeugung. Sie unterscheiden sich deutlich von den islamischen KämpferInnen, die den Shah im Iran bekämpften und die in der unmittelbar auf die Iranische Revolution folgende Periode existierten. Dasselbe gilt für die Menge an islamischen politischen Organisationen im Nahen Osten (Ägypten, Algerien, Jordanien und über allem Saudi Arabien). Das Wachstum des rechten „politischen Islam“ in diesen und anderen arabischen Ländern fußt auf den oben beschriebenen Gründen des Versagen alternativer Modelle, aber ist auch ein direktes Resultat der Einmischung von geschätzten 30.000 Arabern, die mit den Mujaheddins im Kampf gegen die Sowjetkräfte in Afghanistan zwischen 1983 und 1989 standen.
- Viele von diesen glaubten, dass ihre Unterstützung für die Mujaheddin entscheidend war, um eine Bewegung in Gang zu setzen, die in der Niederlage „des Kommunismus“ und den Sturz einer Supermacht, der UdSSR, endete. Viele US-Strategen des Kalten Krieges wiederbelebten diese Idee und zahlen nun den Preis - durch die Aktivitäten der al-Qa`ida gegen alle Aspekte und Symbole der US-Macht. Gleichwie, es waren nicht die Mujaheddin oder die 30.000 Araber, die mit ihnen gekämpft hatten, die zur Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan geführt haben.
- Das war das Resultat der Verkümmerung und des langsamen Verfalls der „Sowjetunion“. Die Tendenz in den 1970er und 1980er für die Planwirtschaft führte zur Auflösung unter der stalinistischen, überflüssigen bürokratischen Herrschaft. Die Unterstützung des Weltimperialismus, speziell des US-Imperialismus, war der bedeutende militärische Faktor. Das wurde durch massive Waffenlieferungen über den Luftweg ermöglicht, durch die USA zur Verfügung gestellt und mit 2 Mrd. Dollar aus saudischen und US-Fonds finanziert. Arabischen Kämpfern wurden auch Billigstflüge von saudischen Fluglinien auf der Route Riad-Peshawar (Saudi Arabien - Pakistan; Anm.) angeboten.
- Diese arabische “Fremdenlegion” hatte nichts (weder ihrer sozialen Zusammensetzung noch ihrer Ideologie) mit den Internationalen Brigaden zu tun, die auf Seite der Republikaner im Spanien der 1930er gekämpft hatten. Ein Experte zur al-Qa`ida kommentierte in der „Financial Times“: „Einige kamen (nach Afghanistan, Anm.) mit dem Vorhaben, ein Monat zu bleiben. Durchaus viele Saudis würden in ihrem Urlaub hierher kommen. Wenn du einige Zeit mit einer Hure in Bangkok verbracht hast, konntest du hierher kommen und dich durch den Jihad wieder reinigen.“
- Die sozialen Wurzeln der führenden Gruppe, die al-Qa`ida geformt hat, sind aufgrund der Rolle, die sie in der Ausrichtung und Organisation der Taliban gespielt hat, entscheidend. Das wiederum ist aufgrund der falschen Idee einiger auf der Linken wichtig, dass in einer gewissen Weise die Taliban und al-Qa`ida den nationalen Befreiungskampf des afghanischen Volks und der arabischen Völker widerspiegeln würden.
- Es ist wohl dokumentiert, dass bin-Ladin aus einer reichen saudisch/jemenitischen Familie stammt. Er erbte 300 Millionen Dollar im Alter von Zehn Jahren (als sein Vater starb) - sein Anteil eines Familienvermögens der Saudi bin Yadin-Gruppe von heute 36 Mrd. Dollar. Teile seines Reichtums wurden im Krieg gegen die Sowjetunion zur Finanzierung der arabischen Kämpfer verwendet. Zusätzlich können die islamistischen Organisationen, mit denen bin-Ladin verbunden ist, auf 5 - 16 Mrd. Dollar zurückgreifen. Die ‚Financial Times’ kommentierte: „Viel davon wurde gespendet, speziell von Saudis und aus Kuwait, der Quelle von Millionen jedes Monat.“
- Dieses Geld kam nicht von den unterdrückten Schichten der arabischen Welt, sondern von der islamischen Elite. Noch einmal die FT: „Viel von seinem Geld kommt von verärgerten saudischen Händlern.” Ein vormaliger Golf-Bankier und Experte in arabischem Finanzwesen, Jean-François Cesnec, stellte fest: „Ein ‚Sturkopf’ klappert sympathisierende Händler in Jedda ab und sammelt von jedem 5.000 Dollar. Sie geben nie mehr als 5.000 Dollar, deshalb musst du sie regelmäßig treffen.“
AL-QA`IDA - KEINE NATIONALE BEFREIUNGSBEWEGUNG!
- Das ist Teil einer Anforderung für Reiche im Islam; der Zakkat: Eine Spende (ca. 2 % des Einkommens) für einen „guten Zweck“. Das schlug zu Gunsten bin-Ladins aus. Und es sind nicht nur reiche Saudis oder Jemenis, welche die herrschende Gruppe von al-Qa`ida bilden, sondern ähnliche Typen wurden aus nationalistischen islamischen Bewegungen in deren Reihen geholt. So war Ayman al-Zawahari ein Chirurg aus einer reichen ägyptischen Familie in Alexandrien. Er kämpfte in Afghanistan und wurde Führer von Jihad, der ägyptischen islamistischen Gruppe, welche für die Ermordung von Anwar Sadat 1981 verantwortlich war.
- Nach der Niederlage der UdSSR in Afghanistan kehrten viele der siegreichen Araber in den Nahen Osten und Nordafrika zurück, wo sie als „Islamische Helden“ begrüßt wurden. Das wiederum führte zur Stärkung des rechten Charakters der islamischen Organisationen, wie im Fall der Islamischen Heilsfront (FIS) und der Bewaffneten Islamischen Gruppe (GIA) in Algerien, so wie der Islamischen Gruppe und Jihad in Ägypten. Ihre Waffen waren nun auch gegen die eigenen Regierungen gerichtet, jene „gottlosen Verbündeten der ultimativen Feinde, USA und Israel, die Kreuzritter und die Juden“. Die Regimes antworteten mit harter repressiver Politik und - im speziellen - durch die Armee und Geheimdienste; im Fall des brutalen BürgerInnen-Kriegs in Algerien, der bisher zu über 100.000 Toten geführt hat.
- Diese Tatsachen untermauern die Schlussfolgerung, die wir schon in vormaligen CWI-Stellungnahmen gezogen haben; dass bin-Ladin und al-Qa`ida keine genuine nationale Befreiungsbewegung repräsentieren, nicht einmal in einer verzerrten Form. Sie kommen von der reichen, halb-feudalen Elite Saudi Arabiens und der arabischen Welt und ihr „Programm“, so sie überhaupt eines haben, bedeutet das Zurückdrehen des Rads der Geschichte ins 7. Jahrhundert! Deren spezielle obskure Auffassung des Islam, Salifismus (auch bekannt als Wahhabismus), welche sich im 18. Jahrhundert entwickelte, sieht all jene als „Ungläubige“, die nicht ihrer engen Definition des Islam zustimmen. Diese (inklusive andere Moslems) sind deshalb zu “eliminieren”.
- Einer von bin-Ladins frühen Lehrern war der Palästinenser Abdul Assam, der Afghanistan als den Brennpunkt des militanten Islam sah. Es war - seiner Meinung nach - für jeden Moslem eine Verpflichtung, dort zu kämpfen. Aber das war erst der erste Schritt. „Jihad („heiliger Krieg“; Anm.) wird eine individuelle Verpflichtung bleiben, bis alle anderen Länder, die moslemisch waren, an uns zurückgegeben sind, so dass der Islam herrschen wird; vor uns liegen Palästina, Bokara, Libanon, Tschad, Eritrea, Somalia, die Philippinen, Burma, Südjemen, Taschkent und Andalusien.“ Wie Justin Marozzi kommentiert: „Egal ob die Völker dieser Länder eine solche Rückkehr zum Islam wollen. Warum fragen, wenn Gott auf deiner Seite steht?“
- Diese messianische, fast vormittelalterliche Philosophie ist der Grundstein für den Kult um bin-Ladin und der al-Qa`ida. Letztendlich ist bin-Ladin natürlich auch ein Ausdruck der imperialistischen Unterdrückung der arabischen Welt, welche auch, zumindest psychologisch, die privilegierten Schichten betrifft. Trotzdem ist seine Bewegung keine echte bürgerliche nationale Befreiungsbewegung.
- In gewissem Sinn stellen seine Ideale und „Zukunfts“vorstellungen einen Rückschritt in vorkapitalistische Formen der Gesellschaft dar. Seine Opposition zur saudischen Königsfamilie, die alle verdiente Mitglieder der islamischen Wahhabi-Sekte sind, und seine Entschlossenheit, dieses Regime zu stürzen, hat zum Ziel, das jetzige theokratisch „fundamentalistische“ Saudi-Regime durch ein noch „fundamentalistischeres“ zu ersetzen.
- Als Saddam Husseins Truppen 1990 in Kuwait einmarschierten, bot bin-Ladin beispielsweise seine bewaffneten Kämpfer der saudischen Königsfamilie an, um das Königreich zu verteidigen, falls der Irak in sein „Heimatland“ einmarschieren sollte. Stattdessen wurden ausländische – hauptsächlich US–Truppen auf der „heiligen Erde des Islams“, auf welchem die heiligen Städte Mekka und Medina stehen, stationiert. Die höchsten Ebenen von Militär und speziell der Geheimdienste des saudische Regime sponserten bin-Ladin. Aber seine Bewegung hat sich unvermeidbarer Weise gegen sie gerichtet: „Die Saudische `riyalpolitik´ beabsichtigte eine Stärkung des Königsreiches durch die Unterstützung von militanten islamischen Gruppierungen. Seitdem diese Organisationen sich zum Sturz des saudischen Königshauses verpflichtet haben, welche sie für Abtrünnigkeit schuldig sprechen, ist die Politik genauso hohl wie das Regime, das sie durchführt. So lang, bis die Massen die Tore des Palastes in Riyadh und dahinter niederreißen.“ [Financial Times, 17 November 2001]
DER RECHTE ‚POLITISCHE’ ISLAM
- Es ist absolut klar, dass das CWI in absoluter Opposition zu den Ideen des rechten ‚politischen Islam’ und im besonderen seiner Form des bin-Ladismus steht. Jedoch löst dies noch nicht das Problem, wie wir ArbeiterInnen erreichen und überzeugen können, die im Moment unter dem Banner des Islam stehen. Viele dieser ArbeiterInnen in den Schlüsselgebieten der arabischen Welt oder in Pakistan, Indonesien und den Philippinen werden vom islamischen ‚Fundamentalismus’ angezogen. Selbst die Niederlage und der Tod von bin-Ladin oder die unehrenhafte Kapitulation der Taliban, wird nicht automatisch oder unmittelbar die Dominanz islamistischer Ideen über große Teile der Massen lockern, im speziellen in Bezug auf die frustrierte verarmte Jugend.
- In Südasien, Heimat von 40 % der weltweit auf 1 – 1,2 Milliarden geschätzten Muslime/a, nehmen Millionen junger Studenten die Lehren auf, welche den Taliban in den frühen 1990er zur Macht verholfen hatten. Die Zahl der Madrassahs (‚religiöse’ Schulen) in Pakistan, welche ideologisch die Taliban-Bewegung füllten, ist ein winziger Teil der weltweit mehr als 15,000 Madrassahs. In den späten 1960ern waren es noch 9,000.
- Wie in allen Fragen müssen wir als SozialistInnen und MarxistInnen in der Herangehensweise an die von diesen Ideen beeinflussten Massen die Fallen des Opportunismus und des Ultra-Linkstums vermeiden. Unser Anspruch, Lenin und Trotzki folgend, ist nicht die Attacke auf den Islam oder andere Religionen in unserer tagtäglichen Arbeit von einem philosophischen Standpunkt aus, sondern wir sollten auf die Klassenwidersprüche in der „moslemischen Gesellschaft“ hinweisen. Ein Bild der Klassenspaltungen in der Gesellschaft kann im Koran sowie in der Bibel gefunden werden.
- Andererseits sollten wir eine opportunistische Herangehensweise an die islamischen „Führer“ vermeiden; insbesondere mit den selbsternannten „Gemeindeführern“ in vielen Ländern der industrialisierten Welt und in den muslimischen Gesellschaften, welche meistens aus den privilegierten Schichten, von Händlern, Mittelschichten und bürgerlichen Teilen kommen. Wir sind auch entschieden gegen die Aspekte und Interpretationen im Islam, welche die Unterdrückung der Frau und ihre Unterordnung durch den Mann zu rechtfertigen suchen; selbst wenn uns dies in Konfrontation mit manchen Muslimen und deren ‚Führern’ bringen wird.
DIE SWP UND DER ISLAM
- Dies ist sicher nicht die Herangehensweise der britischen ‚Socialist Workers Party’ (SWP, Linkswende/-ruck in Ö/D; Anm. d. Ü.). Während der Anti-Kriegs-Bewegung in Britannien weigerten sie sich ursprünglich, aus Angst vor Konfrontationen mit einigen Vorurteilen in der muslimischen Bevölkerung (inklusive der Sympathie für ‚fundamentalistische’ Ideen), den Anschlag auf die Twin-Towers am 11. September zu verurteilen. Sie haben diese ursprüngliche und falsche Position mit folgenden Argumenten zu begründen gesucht: „Der Rest der Linken hat ein undialektisches Verständnis von Religion in der Praxis, welches zu einer Verschmelzung mit der Islamophobie führt, wo dieser mehr auf den „islamischen Fundamentalismus“ fixiert ist als auf den US-Imperialismus“ (Original-Zitat in Englisch aus: SWP Vor-Konferenz Bulletin, 2001, S. 5)
- In Wirklichkeit hat die SWP nach einer opportunistischen Anpassung an das bestehende Bewusstsein unter ArbeiterInnen in Britannien und anderswo gesucht, die unter dem Einfluss islamistischer Ideen stehen. Im selben Bulletin schreiben sie dazu: “Er (der Islam) kann eine motivierende Kraft für die Massen sein, gegen Imperialismus und Armut zu kämpfen.“ Dieses Statement ist völlig unqualifiziert, ohne jeden geführten Beweis, um zu zeigen, wo und wie islamistische Organisationen jene ‚anti-imperialistischen’ Aufgaben erfüllen, die ihnen von der SWP zugeschrieben werden. Meinen sie etwa, dass die verschiedenen islamistischen Organisationen und Parteien im Mittleren Osten oder die Taliban effektiv gegen den Imperialismus kämpfen? Glauben sie, dass die Methoden, die von palästinensischen islamischen Organisationen wie Hamas oder Jihad angewandt werden, im Kampf gegen den Imperialismus sinnvoll sind?
- In der Vergangenheit hat die SWP in vielen Fällen unkritisch Organisationen, welche die Methoden des Terrorismus verwendeten (wie die IRA in Nordirland), Beifall geklatscht. Heute zum Beispiel unterstützen und berichten sie unkritisch die Methoden der Selbstmordattentäter gegen Israelis innerhalb Israels. Wir verstehen, dass die horrenden sozialen Bedingungen in den palästinensischen Gebieten, welche sich in den letzten Jahren und vor allem seit dem 11. September (Re-Okkupation der palästinensischen Gebiete durch Israel) weiter enorm verschlechtert haben, ein Gefühl der absoluten Verzweiflung in großen Teilen der Jugend entstehen haben lassen. Das hängt auch mit der Position von Jassir Arafat und der palästinensischen Behörde zusammen. Sie kapituliert vor dem Imperialismus und arretiert islamistische Kämpfer während Israel das Westjordanland und Gaza unter schweren Beschuss nimmt. Gleichzeitig wurde die Hamas, welche ursprünglich als Hilfsorganisation begonnen hatte, zu einer Art Parallel-Verwaltung zur PNA (Behörde Arafats; Anm.). Sie bietet das umfassendste Netz sozialer Sicherheit in der West Bank und Gaza. Die Stimmung auf Rache für die Verbrechen Israels, zusammen mit der Diskreditierung der PNA, hat zu einem rapiden Anwachsen der Unterstützung für Hamas und andere islamistische Gruppen auf geschätzte 27 % Ende 2001 geführt. Gleichzeitig schwindet die Unterstützung für Fatah (wichtigste Fraktion in der PLO bzw. PNA; Anm. d. Ü.) und Arafat.
- Es ist das Eine, zu verstehen, wie Teile der Jugend dazu getrieben werden, terroristische Methoden anzuwenden, die sie als legitimen Bestandteil ihres Widerstands gegen die israelische Besetzung arabischen Landes sehen. Es ist etwas entscheidend Anderes für MarxistInnen, solche Methoden zu unterstützen (egal ob duldend oder ausübend). Es ist nötig, jungen Menschen, die von solchen Aktionen eingenommen sind, in einer feinfühligen Weise zu erklären, dass diese in die Hände der israelischen herrschenden Klasse spielen. Diese Methoden treiben Teile der israelischen Bevölkerung in die Arme ihrer ‚eigenen’ schlimmsten Feinde, der israelischen Bourgeoisie. Es wird dazu verwendet, weitere Repression durchzuführen und das Resultat ist ein fortgesetzter, beinahe endloser Kreislauf aus Gewalt, in dem ArbeiterInnenklasse auf beiden Seiten und speziell die PalästinenserInnen, den Preis zahlen müssen.
- Eine kleine Gruppierung, ‚Workers Power’ (Arbeitermacht/-Innenstandpunkt in D/Ö), hat ebenso wie ein Überbleibsel der Morenoisten in Lateinamerika, die LIT, Schnitzer bezüglich des Kriegs begangen. Wenn überhaupt, dann sind ihre Fehler von groteskerer Art als die der SWP. Diese Position schließt grundsätzlich die „kritische Unterstützung“ für die Taliban im Krieg ein. Zum Beispiel folgend eine Aufforderung von ‚Workers Power’ an die weltweite ArbeiterInnen-Bewegung inmitten des Krieges: “Ohne ein Jota an Unterstützung für die erzreaktionäre Taliban-Regierung in Afghanistan oder die Bewegung von Osama bin-Ladin zu geben, rufen wir zur Unterstützung und vereinter Aktion mit allen Afghanischen Kräften - inklusive islamistischer Kräfte - auf, um den imperialistischen Angriff zurückzuschlagen. [Aus dem Statement “Stoppt Bushs und Blairs Blutigen Krieg! Verteidigt Afghanistan! Besiegt den Imperialismus!]
- Ihr “Ratschlag” wurde in der weltweiten ArbeiterInnen-Bewegung nicht wirklich wahrgenommen, aber er schuf Konfusion unter einigen jungen Leuten. Sie würden „kein Jota an Unterstützung“ an die Taliban geben, rufen aber dennoch die ArbeiterInnen und die Landbevölkerung in Afghanistan auf, mit diesen in einer „vereinten Aktion“ zusammenzuarbeiten. Warum nicht auch die ‚Nord-Allianz’ (als „islamistische Kraft“) unterstützen, die sich nur unwesentlich von den Taliban unterscheiden, wie wir unmittelbar nach ihrem Sieg gesehen haben? Welche ist hier die progressive Kraft? Die Frage so zu stellen zeigt sehr gut, wie absurd der Vorschlag der LIT und Workers-Power ist. Beide, die Taliban und die Nordallianz, sind reaktionäre Kräfte. Die Taliban will die afghanische Bevölkerung in die Vergangenheit zurückzwingen und die Nordallianz waren nur die Bodentruppen für den US Imperialismus in ihrem Kampf gegen die Taliban.
- Weiter argumentiert die LIT folgendermaßen: „ Für uns sind in dieser Konfrontation [der Afghanistan Krieg] die `barbarischen´ Taliban, nämlich deshalb, die progressive Kraft weil sie sich mit der imperialistischen Barbarei anlegen. Wenn der Imperialismus diesen Krieg gewinnt, wird er sich frei fühlen die gesamte Welt zu kolonisieren.“ [aus einem Brief der LIT welcher die Pakistanische Arbeiter Partei im Bezug auf den Afghanistan Krieg kritisiert.]
- Wenn nun aber die Nord Allianz bei dem Thema der Gleichberechtigung, wenigstens in Worten, ein wenig progressiver wäre als die Taliban. Warum sollen wir aber diese nicht unterstützen? Darauf antwortet die LIT folgendermaßen: „Dies ist keine einfache Diskussion [über die Taktiken im Krieg; Anm.] aber es ist nicht einfach, die Fundamentalisten täglich zu konfrontieren, wissend das diese während mehrerer Möglichkeiten ihre Konflikte mit der Opposition geregelt haben, indem sie diese einfach getötet haben. Dieses Faktum kann kein Hindernis auf dem Weg vorwärts zu einer marxistischen Analyse und Politik sein.“
- In anderen Worten, jeder Versuch sich militärisch mit den Taliban zu verbinden, würde in einem Massaker an den linken Kräften enden. Aber dies wäre dann kein plötzlicher, nicht vorherzusehender Unfall, denn, wie wir oben schon argumentierten, sehen wir weder die Taliban noch bin-Ladin als Nationale Befreiungskämpfer. Noch sind sie ‚anti-imperialistisch’, wie es daran zu sehen ist, dass viele Taliban Kämpfer zu der Nord Allianz wechselten und somit sozusagen zu den Vorreitern des Imperialismus wurden. Die Taliban, al-Qa`ida und die Nord Allianz sind konterrevolutionäre Kräfte und als MarxistInnen müssen wir jedes Bündnis mit ihnen ablehnen.
MARXISMUS UND DIE TALIBAN
- Die LIT, Workers Power und viele andere Teile der revolutionären Linken behaupten, dass ein Sieg der Taliban den Imperialismus geschwächt hätte und die Völker vieler Neu- oder Halb-Kolonien, vor allem aber die unterdrückten Völker im Nahen Osten, dadurch ermutigt worden wären. Dies ist auch die Grundaussage, welche sich hinter der Einstellung der SWP versteckt. Die SWP hatte aufgrund dessen, stets jede Kritik gegen die Attentäter des 11. September zurückgewiesen. Sie musste dies jedoch während der Anti- Kriegs Bewegung in Großbritannien, aufgrund des Drucks des CWI und vieler anderer Organisationen, fallen lassen. Ihre Analysen hatten keinen marxistischen Hintergrund, mit dem ein Phänomen oder Ereignis von allen Seiten betrachten werden sollte und nicht nur von einer.
- Sie stellen sich nicht einmal die Frage, ob die Taliban überhaupt in der Lage gewesen wären, diesen Krieg zu gewinnen. Dieser Krieg war doch von Anfang an ein Kampf zwischen zwei ungleichen Kräften. Der Sieg des US Imperialismus und seiner Alliierten war vorauszusehen. Der Vietnamkrieg war dagegen etwas völlig unterschiedliches. Damals kämpfte ein Volk für soziale und nationale Befreiung. Ein kleines Land mit einer kleinen Einwohnerzahl gelang ein Sieg gegen die stärkste Militärmacht der Erde. Wie auch immer, was über den Afghanistankrieg sicher nicht im Vorhinein ausgesagt werden konnte, war, welchen Charakter er annehmen würde, wie groß der Widerstand im afghanischen Volk sein würde, wie lange und wie blutig er sein würde und welche Auswirkungen er auf die öffentliche Meinung haben würde. Aber der Ausgang des Krieges war vorherzusehen.
- Aber, falls der Fall doch eingetreten wäre und die Taliban gewonnen hätten. Wäre dies dann etwa ein Sieg für die ArbeiterInnenklasse oder die arme Landbevölkerung gewesen? Eher im Gegenteil, es hätte den rückständigen, religiösen Ideen enorm den Rücken gestärkt, wodurch Afghanistan und andere Länder noch stärker unter deren Herrschaft leiden würden.
- Sogar im Iran, als die islamische Bewegung gegen den Schah während der ersten iranischen Revolution einen teilweise linksradikalen Ansatz hatte, war die Position der Kommunistischen Partei Irans, der Tudeh, unter dem Einfluss des Stalinismus, die der „kritischen“ Unterstützung für die Kräfte des “barbarischen“ Khomeini. Die daraus resultierenden Konsequenzen waren der iranischen Revolution total entgegenwirkend. Die Stalinisten warnten die Linke und die Arbeiterklasse nicht vor der Feindschaft, die ihnen Khomeini und seine Bewegung entgegenbrachte. Im Iran war es richtig, in der Massenbewegung neben den vielen radikal islamischen Kräften, als marxistische Kraft zu intervenieren, jedoch hätte es kein bisschen Unterstützung für die Führer dieser Bewegung, wie Khomeini, geben dürfen. In Afghanistan gab es jedoch keine vergleichbare Massenbewegung wie die oben beschriebene. Die kleinen linken Kräfte in Afghanistan verabscheuten den Gedanken zurecht, zusammen mit den Taliban an einer Front zu kämpfen.
- Am Tag nach dem Umsturz des Schah im Iran begann die bittere Überraschung für die Linke Form anzunehmen: mit der Erhängung des Parteiführers der Tudeh-Partei und einem Massaker am radikalen Teil der KP und anderen Linken. Ohne Zweifel können Workers Power und die LIT aufzeigen, dass sie im Gegensatz zur Tudeh den Taliban und bin-Ladin viel kritischer gegenüberstehen. Dies ist aber im Kontext, dass es in Afghanistan keinen Ansatz einer Massenbewegung gab, belanglos. Gruppierungen wie den Taliban dürfen wir nicht einmal „kritische“ Unterstützung anbieten.
TROTZKI ÜBER ÄTHIOPIEN UND BRASILIEN
- Um ihre Position nun aber zu rechtfertigen, berufen sich die oben genannten Organisationen auf ein paar fragmentarische Bemerkungen Trotzkis über den Italien/Äthiopien-Konflikt 1935. Sie tun dies, ohne den völlig anderen historischen Zusammenhang zu beschreiben, währenddessen jener Kampf stattgefunden hat. Mehr noch sind sie unfähig, die Haltung der Massen in jener Zeit und die komplett andere Einschätzung der Taliban und bin-Ladins heute zu verstehen. Wir werden nicht ignorieren, was Trotzki in den Dreißigerjahren schrieb. Wir drucken das vollständige Zitat über Äthiopien und seine Kommentare über Brasilien 1938 ab:
- Über Äthiopien schrieb Trotzki: „Dem Italo-Äthiopischen Konflikt wird seitens unserer Sektionen, speziell der französischen, viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Frage ist von großer Bedeutung, erstens als Konflikt selbst und zweitens vor dem Hintergrund des Schwenks der KomIntern (die vom Stalinismus kontrollierte 3. Internationale; Anm. d. Ü.). Natürlich sind wir für die Niederlage Italiens und den Sieg Äthiopiens und deshalb müssen wir mit allen möglichen Mitteln die Unterstützung für den italienischen Imperialismus durch die anderen imperialistischen Mächte zu behindern suchen, zur selben Zeit die Lieferung von Waffen nach Äthiopien etc. unterbinden. Wir wollen betonen, dass dieser Kampf nicht nur gegen den Faschismus, sondern gegen den Imperialismus gerichtet ist. Wenn es um Krieg geht, ist es für uns nicht die Frage, wer ‚besser’ sei, der Negus oder Mussolini; vielmehr ist es eine Frage des Verhältnisses von Klassen und den Kampf einer unterentwickelten Nation für Unabhängigkeit gegen Imperialismus. Die italienischen Genossen mögen uns eine kurze historische Zusammenfassung geben, wie Crispis Niederlage einen positiven Effekt auf die weitere Entwicklung in Italien hatte.“ (Der Italo-Äthiopische Konflikt aus den Schriften von Leo Trotzki (1935-36)) (Anführungszeichen im Original)
- Während er über Brasilien schrieb: „In Brasilien herrscht derzeit ein halbfaschistisches Regime, dem jeder Revolutionär nur mit Hass gegenüberstehen kann. Lasst uns nun annehmen, dass morgen England in einen militärischen Konflikt mit Brasilien eintreten würde. Ich frage euch, auf welcher Seite in diesem Konflikt die ArbeiterInnenklasse sein wird? Ich werde für mich persönlich antworten - in diesem Fall werde ich auf Seiten des „faschistischen“ Brasiliens gegen das „demokratische“ Großbritannien stehen. Warum? Weil es in dem Konflikt zwischen diesen nicht um die Frage von Demokratie gegen Faschismus gehen würde. Wenn England siegreich sein würde, würde es einen anderen Faschisten in Rio de Janeiro einsetzen und die Ketten um Brasilien doppelt fest ziehen. Wenn andersrum Brasilien erfolgreich sein sollte, gäbe dies dem nationalen und demokratischen Bewusstsein des Landes einen kräftigen Impuls und würde zum Sturz der Vargas-Diktatur führen. Die Niederlage Englands würde gleichzeitig dem britischen Imperialismus einen Schlag versetzen und der revolutionären Bewegung des britischen Proletariats einen Impuls geben.“ (Anti-Imperialistischer Kampf ist der Schlüssel zur Befreiung, aus den Schriften von Leo Trotzki (1938-39).)
- Die klare Aussage Trotzkis, enthalten in einem Interview mit ihm 1938 und nicht in einem seiner Artikel, waren, dass im Falle eines Angriffs Englands auf das rückständige, semikolonlaisierte Brasilien er auf der Seite der zweiten stehen würde. Er würde das Volk Brasiliens gegen eine imperialistische Attacke auf ihr Land unterstützen. Egal welches politische Regime an der Macht wäre. Das ist die Aussage Trotzkis. Der Malvinas/Falkland-Krieg war anders und viel komplexer. Wenn es in diesem Krieg eine Attacke des britischen Imperialismus auf Argentinien gegeben hätte, wären, wie Trotzki es richtig sagte, dann, hoffentlich, alle MarxistInnen auf der Seite Argentiniens gestanden. Trotz des verhassten Galtieri-Regimes. Aber die Präsenz von 2000 Falkland InselbewohnerInnen, und nicht ArgentinierInnen, machte diesen Konflikt so viel schwieriger als es die hypothetische Situation war, die sich Trotzki in bezug auf Brasilien ausdachte. Deren demokratische Rechte mussten von uns MarxistInnen in Betracht gezogen werden. Wir waren gegen diesen Krieg, aber wir konnten die Invasion des Galtieri-Regimes nicht unterstützen.
DER KRIEG UM DIE MALVINAS UND DAS CWI
- Allerdings wurde dieses Zitat Trotzkis über Brasilien von der LIT irreführend verwendet, um ihr opportunistisches Anpassen an die Argentinische Galtieri-Diktatur im Krieg mit Britannien um die Malvinas/Falklands 1982 zu rechtfertigen. Wir haben uns in diesem Krieg gegen den britischen Imperialismus und das Entsenden der British Task Force gestellt. Wirkliche Marxisten hätten sich in Argentinien bzw. Lateinamerika als ganzes, gegen Argentiniens Druck in Richtung eines Krieges um die Malvinas/Falklands 1982 gestellt, so wie wir uns in Britannien Thatchers Kriegsvorbereitungen entgegenstellten. Sobald der Krieg jedoch begonnen hätte, hätten argentinische Marxisten aufgerufen, auch in die Armee zu gehen, während sie gleichzeitig ein revolutionäres Programm nach vorne gebracht hätten. Sie hätten die Enteignung britischer Investoren verlangt. Aber warum hier halt machen? Das gesamte imperialistische Kapital sollte verstaatlicht werden, was im Gegenzug die Notwendigkeit einer staatlichen Übernahme des argentinischen Kapitals bedeutet hätte. Nicht einen Funken Unterstützung hätte der Galtieri-Diktatur entgegengebracht werden dürfen, was die LIT bedauerlicherweise tat. Im Endeffekt hätten wirkliche argentinische Marxisten einen revolutionären Krieg gegen Britannien befürwortet.
- Das war das Programm, das wir zur Zeit des Malvina/Falkland-Konflikt befürworteten. Dies war nicht der klassische Konflikt zwischen einer Imperialmacht und einer „Kolonie“, in dem die Aufgabe von Marxisten eine „kritische“ Unterstützung letzterer war. Argentinien war eine relativ entwickelte kapitalistische Macht. Es war kein feudales oder semi-feudales Regime, in dem die bürgerlich-demokratische Revolution erst vollendet werden musste (abgesehen von der Befreiung Argentiniens von der wirtschaftlichen Fessel des US-Imperialismus und des Weltmarkts, was Aufgabe einer sozialen Revolution ist). Es verhielt sich selbst „imperialistisch“ gegenüber anderen Ländern in Lateinamerika – es exportierte Kapital und beutete andere aus – ebenso wie es selbst von den großen Imperialmächten ausgebeutet wurde.
- Es stimmt, dass die Ausbeutung Lateinamerikas durch den britischen und später vor allem den US-Imperialismus die Sensibilität der Massen gegenüber jeglicher Einmischung von außen, besonders gegenüber militärischen Interventionen, erhöht hat. Im Malvinas/Falklands-Konflikt war dies mit überwältigendem Widerstand in Lateinamerika gegen das Entsenden der Britischen Military Task Force der Fall. Lateinamerikanische und besonders argentinische Marxisten waren gezwungen, dem Rechnung zu tragen und in Herangehensweise, Propaganda, Forderungen etc. sensibel auf diese Stimmung zu reagieren. Das bedeutet aber nicht, einen Krieg zu unterstützen, der als Abenteuer der Galtieri-Regierung gedacht war; als Versuch, seinen eigenen Sturz durch einen erfolgreichen militärischen Angriff auf die Malvinas/Falklands zu verhindern. Die Herangehensweise der LIT war, sich dem argentinischen Nationalismus zu beugen und den Krieg des Galitieri-Regimes zu unterstützen, wenn auch “kritisch“.
- Bei dieser Gelegenheit gestehen sie das auch offen ein: „Unsere Internationale hat ein Statement mit dem Titel „In the Military Camp of the Dicatorship“ („Im militärischen Lager der Diktatur“) veröffentlicht, das unter anderem festhielt: „Im Einklang mit der leninistischen/trotzkistischen Tradition, die den Nationalismus unterdrückter Länder gegen den Imperialismus unterstützt, ohne Rücksicht auf deren Regierung/Regime, erklärt die International Workers League – Vierte Internationale –, dass wir, wenn notwendig, im Schlachtfeld der argentinischen Regierung kämpfen sollen. Unsere Kämpfer sind der Gefahr ausgesetzt, von der Diktatur ermordet zu werden (über 100 unserer Genossen waren bereits getötet worden) und gingen hinaus, um eine große anti-imperialistische Bewegung zu organisieren, während unsere Genossen im Gefängnis von ihren Zellen aus verlangten, freigelassen zu werden, um auf den Falklands gemeinsam gegen die unterdrückende Armee zu kämpfen.“ (Brief der LIT an die Labour Party Pakistan bezüglich Afghanistan)
- Es war ein Fehler der LIT, sich auf Seiten der Diktatur zu stellen und sich der Politik der argentinischen Junta in diesem Krieg unterzuordnen. Selbst wenn beschlossen wird, wie im Falle der Malvinas, sich dem Krieg gegen den britischen Imperialismus anzuschließen, was im argentinischen Kontext verständlich war, sollte das vollkommen unabhängig und nicht als Teil der verhassten Galtieri-Diktatur geschehen.
- Trotzkis Bemerkungen über Brasilien waren offenbar im Kontext eines hypothetischen Angriffs, ja einer Invasion, auf brasilianisches Staatsgebiet durch den britischen Imperialismus zu sehen. Das war nicht der Fall im Falklands/Malvinas-Krieg, der keine Attacke auf argentinisches Festland darstellte. Darüber hinaus wollten die 2000 Falkländer unter dem britischen Einfluss bleiben. Das Recht auf Selbstbestimmung gilt auch für sie, trotz ihrer kleinen Anzahl. Es war korrekt, zum Widerstand gegen den britischen Imperialismus aufzurufen, nicht nur durch die brasilianischen ArbeiterInnen sondern auch von britischen ArbeiterInnen und ArbeiterInnen weltweit, sowie Brasilien – die Brasilianische Bevölkerung, nicht ihre Regierung – zu unterstützen. Trotzki hat hier keinesfalls ein klares Programm vorgelegt oder agitatorische Forderungen, sondern eine breite Position, die von Revolutionären aufgegriffen wurde. Wir haben uns oben mit dem Malvinas/Falklands-Konflikt beschäftigt (siehe auch „The Rise of Militant“ und unser Material aus dem Konflikt von 1983). Es ist nicht möglich, hier alle Argumente zu diesem Thema zu erörtern.
- Aber eines war klar, wir haben keine neutrale Position eingenommen, wie die LIT meinte. Wir haben uns der Thatcher-Regierung entgegengestellt, haben aber gleichzeitig, sobald der Krieg am laufen war, demokratische Forderungen für die Armee und ein radikales Programm aufgestellt, das von Teilen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, die bei einem längeren Konflikt betroffen wären, umgesetzt werden sollte.
- Auf der anderen Seite haben wir nicht die argentinische Militärdiktatur unterstützt wie die LIT. Ihre Unterstützung für Galtieri auf den Malvinas passt in ihre falsche Theorie der „Enklaven“. Sie besagt, dass die Malvinas/Falklands mit ihrer kleinen Population von 2000 zum Großteil britischer Einwohner zusammen mit Israel, Nordirland, etc. Außenposten oder Enklaven des Imperialismus, Überbleibsel der Vergangenheit, darstellten und als solche aufgelöst werden sollten. Gemäß dieser Logik sollte Nordirland entgegen den Wünschen der loyalistischen Bevölkerung an Südirland zu einem vereinten Irland zurückgegeben werden. Der israelische Staat sollte demontiert werden und an seiner Stelle ein Neues Palästina konstruiert werden, und die 2000 Falkland Bewohner sollten mit militärischer Gewalt durch das Galtieri-Regime aus dieser imperialistischen Enklave vertrieben werden.
- Diese abgehobene, inkorrekte Idee, die nichts mit der objektiven Realität von heute zu tun hat, führt (und führte im Falle der LIT) die Kräfte des Trotzkismus in einen theoretischen Sumpf. Sie beschränken ihre Forderungen in der Nationalen Frage auf Unabhängigkeit, ohne dies in den Rahmen einer sozialistischen Lösung zu setzen. Die einzige Schlussfolgerung, die aus der Position der LIT gezogen werden könnte, ist, dass sie auf einem geographischen Konzept aufbaut und darüber hinaus einer Etappentheorie bezüglich der Nationalen Frage sehr nahe kommt. Ihrer Herangehensweise zufolge sind es Territorien, die einmal zu einem bestimmten Staat gehört haben mögen, die entscheidend sind.
- Diese Position lässt das Bewusstsein der dort ansässigen Bevölkerung außer Acht, die die Eingliederung in einen solchen Staat vielleicht ablehnt, sei es aus historischen, sozialen, ideologischen oder sogar psychologischen Beweggründen. Das wäre besonders für einen Staat der Fall, der von blutrünstigen Militärs regiert wird, die 30.000 ihrer Staatsbürger in einem „schmutzigen Krieg“ gegen die Linke und die ArbeiterInnenklasse umgebracht haben, wie es die Argentinische Junta getan hat.
- Tatsächlich ist das Bewusstsein der Bevölkerung, sei es in Israel, Nordirland oder das Bewusstsein der „Siedler“ auf den Malvinas, geschweige denn das Bewusstsein des weltweiten Proletariats, für diese Organisationen von zweitrangiger Bedeutung. Wir dagegen beziehen sehr wohl Fragen von Territorium, Kultur, Sprache und Geschichte, sowie vor allem das Bewusstsein der jeweiligen Nationen, Gruppen und Minderheiten mit ein. Ein genaues Studium von Lenin und Trotzki zur Nationalen Frage zeigt, wie sorgfältig sie das Bewusstsein der Bevölkerung der jeweiligen Gebiete analysierten, sowie die Art und Weise, wie sich das Bewusstsein unter bestimmten historischen Umständen ändert.
- So wandten sich Trotzki und seine GenossInnen auch gegen die Schaffung eines Israelischen Staats im Nahen Osten. Trotzki beschrieb diesen korrekt als „Falle“ für die verfolgte jüdische Bevölkerung in Aller Welt. Wie passend ist diese Einschätzung heute angesichts des Teufelskreises gegenseitigen Abschlachtens zwischen Israel und Palästina! Allerdings hat die Entwicklung des Bewusstseins der in Israel angesiedelten Bevölkerung , v.a. des nationalen Bewusstseins durch das Entstehen einer neuen Nation nach 1948, die Situation in der Zwischenzeit entscheidend verändert. Nicht nur die PLO, sondern auch bin-Ladin erkennen mittlerweile die Existenz eines israelischen Staats implizit an.
- Die Ironie daran ist, dass viel eher die sektiererischen Organisationen (die selbsterklärte Vorhut der Vorhut) als die PalästinenserInnen es sind, die die Existenz dieses Staates und des damit verbundenen Bewusstseins ablehnen. Sie fordern daher, diesen durch ‚einen sekulären Palästinensischen Staat mit demokratischen Rechten für die Israelis’ zu ersetzen. Unter dem Zwang der Realität, der sich zu stellen die ultra-linken Organisationen verabsäumen, ließ die Palästinensische Führung ihre ursprüngliche Position fallen. Sie taten dies nicht nur in einer opportunistischen Anpassung an die Situation und den Druck des Imperialismus, sondern weil sie diese - vor allem auf kapitalistischer Basis – angesichts des Widerstands der israelischen Bevölkerung und der massiven finanziellen und militärischen Unterstützung des Imperialismus, nicht mehr aufrecht erhalten können.
ZWEI STAATEN
- Anders formuliert greifen die LIT und andere die von der palästinensischen Führung fallen gelassenen Positionen von gestern auf, die nicht mehr der gegenwärtigen Realität entsprechen. Sie fordern im Endeffekt, dass die israelische Bevölkerung die Liquidation des ‚eigenen Staats’ befürworten soll. Es erübrigt sich zu sagen, dass die israelische Bevölkerung sich mit Händen und Füssen gegen diese Forderung wehren wir, so wie sie das gegen die Politik der palästinensischen Führung getan hat. Die Zweistaaten-Lösung des CWI – ein israelischer und ein palästinensischer Staat im Rahmen einer sozialistischen Föderation in der Region - ist der einzige Weg, sowohl die israelischen als auch die palästinensischen Massen anzusprechen, ihren nationalen Gefühlen Rechnung zu tragen und eine Allianz der ArbeiterInnenklasse und der verarmten Bevölkerung in der Region zu stärken.
- Das Gegenargument dazu, das selbst von aufgeschlosseneren Genossen aus der LIT-Tradition in Diskussionen mit dem CWI kommt, ist, dass diese Forderung lediglich „für die Zukunft“ sei. Genau das Gegenteil ist der Fall! Die einzige Art und Weise, den palästinensischen und israelischen Massen zu begegnen, ist ein Programm, das bei der Befriedigung ihrer nationalen Gefühle ansetzt. Die Forderung eines „ einzigen palästinensischen Staats mit demokratisch garantierten Rechten der Israelis“ würde vom Grossteil der israelischen Bevölkerung abgelehnt werden. Das ist umso mehr der Fall wenn, wie im Fall Israel, ein neuer Staat und ein neues nationales Bewusstsein geschaffen wurde, wenn auch unter erheblicher Verletzung und Repression palästinensischer Rechte vor 50 Jahren und seitdem. Auf der anderen Seite ist für die PalästinenserInnen der Minderheitenstatus in einem ‚demokratischen Israel’ genauso wenig akzeptabel.
- Die Idee eines eigenen palästinensischen Staats hat nun in Gaza/Westbank und vermutlich auch in der palästinensischen Diaspora Massenunterstützung. Auf kapitalistischer Basis allerdings ist es unmöglich, dies vollständig zu erreichen, wie wir in unserem Material früher erklärt haben. Unser Programm ist somit vielmehr ein Programm des Hier und Jetzt als ein Programm bloß „für die Zukunft“, wie einige unserer Kritiker meinen.
- Paradoxerweise wird die Zwei-Staaten-Lösung vermutlich nicht irgendwann in der „Zukunft“ realisiert. Nach einer sozialistischen Revolution mögen die israelischen und palästinensischen Massen vielleicht entscheiden, in einem gemeinsamen Staat mit autonomen Rechten für beide zu leben. Es wird keinen Zwang geben. Es wird beiden überlassen, demokratisch zu entscheiden, welchen Charakter, welche Grenzen, der zukünftige Staaten / oder die Staaten haben wird / werden; sowie die nationale und soziale Zusammensetzung der Bevölkerung. Das CWI-Programm ist kein bloß „zukünftiges“. Sowohl PalästinenserInnen als auch Israelis mögen in der Zukunft demokratisch entscheiden, dass keine separaten Staaten notwendig sind. Heute jedoch ist dieses Programm eine wichtige Waffe, die uns erlaubt, sowohl die israelischen als auch palästinensischen Massen anzusprechen, ihr Vertrauen zu gewinnen und ein Bündnis der ArbeiterInnenklassen der Region nach vorne zu tragen.
- Die dialektische, sehr sensible und genaue Herangehensweise Lenin und Trotzkis – die nicht zögerten, Forderungen, Strategie oder sogar die Schwerpunktlegung ihres Programms je nach den Umständen entsprechend zu ändern – ist diesen Organisationen fremd. Der Kampf in den 30er, zwischen dem Imperialismus und den Massen der neokolonialen Welt, war klar ein Kampf zwischen einer unterdrückenden Macht von außen und Ländern, die noch Kolonien oder Halbkolonien waren; die meisten von ihnen unter der direkten militärischen Herrschaft der einen oder anderen imperialistischen Macht. Es war klar, dass MarxistInnen diesen Kolonien bedingungslose Unterstützung im Kampf gegen den Imperialismus zukommen ließen. Wir taten dies auch im Sinne einer Unterstützung der Bevölkerung Afghanistans gegen den Imperialismus im gegenwärtigen Krieg.
- Aber weder Lenin noch Trotzki befürworteten jemals eine bedingungslose Unterstützung für ein bürgerliches Regime oder eine aufstrebende Bourgeoisie in der „Dritten Welt“. Lenin bestand auf der Distanzierung des Proletariats und seiner Organisationen von bürgerlichen oder nationalistischen – wenn auch radikalen – Politikern, die gegen die imperialistische Herrschaft kämpften. Dies auch, wenn es sich das Proletariat in seiner Entstehungsphase befunden hat. Allerdings war diese Aufgabe damals einfacher. Das Bewusstsein der fortgeschrittensten Schichten, die instinktiv die kolonialen Völker gegen den Imperialismus unterstützten, machte das Herangehen für MarxistInnen klar.
DER VIETNAM-KRIEG
- Seit Trotzkis Zeit verhielt es sich nicht so simpel; im speziellen in der Nachkriegszeit ab 1945 vor dem Hintergrund des Wachstums des Stalinismus und dem Einfluss stalinistischer Ideen in der neo-kolonialen Welt. Lostrennung jeder Kolonie vom Imperialismus bedeutete einen Schritt vorwärts, so wie im Fall des algerischen Befreiungskampfes gegen den französischen Imperialismus, dem wir neben politischer auch praktische Unterstützung gaben. Wir taten dies jedoch ohne der Verbreitung irgendeiner Illusion bezüglich der Entwicklung der Nationalen Befreiungsfront (NLF) nach dem Sieg. Wir prognostizierten, dass aus ihr - mit aller Wahrscheinlichkeit - ein bürgerlich-bonapartistisches Regime werden würde; jedoch mit einigen radikalen Elementen an ihrer Basis. (In der Tat sahen wir Beispiel von „Selbstkontrolle“ von verlassenen französischen Farmen in Algerien in der ersten Periode nach der Niederlage Frankreichs 1962). Das Vereinigte Sekretariat (Mandelisten) verbreitete hingegen die Illusionen in den „sozialistischen Charakter“ des Algerischen Regimes.
- Ebenso traten wir im Vietnam-Krieg für die Niederlage des US-Imperialismus und den Sieg der Vietnamesischen Revolution ein, was in der Praxis bedeutete, dass der Viet Cong an die Macht käme. Dies stellten wir nie als Slogan nach vorne, wie andere es taten. Nie haben wir auf Demonstrationen (so wie das VS) „Ho, Ho, Ho Chi Minh“ gerufen. (Ho Chi Minh war der Präsident Nordvietnams und Führer der nationalen Befreiungskräfte in Gesamt-Vietnam.)
- Warum haben wir diese Haltung eingenommen?: Wegen des Bewusstseins der ArbeiterInnenklasse weltweit und in den entwickelten kapitalistischen Ländern und ihrer Skepsis gegenüber den stalinistischen Regimes, dem Mangel an Demokratie, der Unterdrückung von ArbeiterInnenrechten etc.. In unserer Propaganda (theoretisch und in öffentlichen Analysen) haben wir erklärt, dass der Sieg der Befreiungsbewegung einen Sieg bedeuten würde. Nichtsdestotrotz; das Regime, das daraus folgen würde, wäre eine Ein-Parteien-Diktatur - aufgrund der Stellung der sozialen Kräfte (größtenteils einer nationalistischen bäuerlichen Bewegung) in der vietnamesischen Revolution. Dieses Regime wäre ein Abbild Nordvietnams oder Moskaus. Politisch wäre es ein Ein-Parteien-Regime, jedoch auf Grundlage einer vergesellschafteten geplanten Wirtschaft. Dies - so argumentierten wir - würde für die vietnamesische Bevölkerung einen großen Schritt nach vorn bringen und Bewegungen anderswo pushen. Es wäre ein Schlag gegen den Imperialismus und speziell den US-Imperialismus. Aber, aufgrund des Regimes, welches etabliert werden würde, wäre eine neue politische Revolution in der Zukunft nötig, damit sich Vietnam in Richtung Sozialismus entwickeln kann.
- Die Bewegung in Vietnam war fortschrittlich, aber Forderungen à la „Sieg für den Viet Cong“ und ähnliches hätten nie die Unterstützung der Masse der ArbeiterInnenklasse, vor allem in den USA, für eine Massenbewgeung gegen den Krieg gewonnen. Deshalb (die korrekte Position aus marxistischer Sicht und gegen die Positionen vieler Gruppen) riefen wir für den Abzug aller Truppen, speziell der der USA, auf. Im Zusammenhang des Vietnam-Krieges war dies eine revolutionäre Forderung, weil die US-Bajonette alleinig das verrottete feudal-kapitalistische Regime in Süd-Vietnam aufrecht hielten.
- Wir haben richtigerweise vorhergesehen, dass der Abzug der US-Kräfte zum Zusammenbruch dieses Regimes und den Triumph der Revolution führen würde, was auch unmittelbar passierte. Es war die Kombination des heroischen Kampfes der vietnamesischen ArbeiterInnen und BäuerInnen mit den Massenprotesten der US-ArbeitInnen und - Bevölkerung auf Grundlage der simplen Erkenntnis, dass der Krieg „ungewinnbar“ war - was zur ersten militärischen Niederlage des US-Imperialismus in der Geschichte führte. Aber die Kräfte der vietnamesischen Revolution konnten nicht in der gleichen Art die bewusste Unterstützung der amerikanischen ArbeiterInnenklasse erlangen, wie der Sieg der ArbeiterInnen-Klasse in Russland 1917 dies tat (die „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“).
MARXISTISCHE IDEEN MIT DEM GRAD DES BEWUSSTSEINS VERBINDEN
- Die sektiererische Linke ist nicht fähig, eine Idee zu nehmen und sie mit dem bestehenden Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse zu verbinden - um danach zu trachten, dieses Bewusstsein mit gekonnter Propaganda und Slogans zu ändern. Bin-Ladin und die Taliban als politische Formation sind für die überwältigende Mehrheit der ArbeiterInnenklasse völlig abstoßend. Die wachsende Anti-Kriegs-Bewegung während des (Afghanistan-)Krieges drückte keine Unterstützung für diese Figuren aus - anders als im Vietnam-Krieg für die Nationale Befreiungsfront. Und sie war größtenteils von pazifistischem Charakter, geprägt von der Opposition zu den Bombardements, von „lasst das afghanische Volk selbst entscheiden“ etc. Es gibt nichts an dem mittelalterlichen Obskurantismus des islamischen Fundamentalismus, das möglicherweise die Massen des Proletariats in den Industrieländern ansprechen könnte. Vielmehr, wie sich rasch gezeigt hat, ruhte die Unterstützung für die Taliban auf Hühnerbeinen, die bei der ersten Herausforderung geknickt sind.
- Deshalb bietet der “politische Islam”/islamischer Fundamentalismus, der heute einen überwiegend rechten Charakter hat, keinen Ausweg für die unterdrückten und versklavten Völker der Nahen Ostens, Afrikas und Teile Asiens an. Es ist für eine marxistische Organisation falsch, und das sowohl in industrialisierten Ländern wie in der neo-kolonialen Welt, deren reaktionärer Ideen politische Unterstützung zu geben.
- Wir unterscheiden klar zwischen Unterstützung für - einerseits - die afghanischen, irakischen und für alle Völker in der neo-kolonialen Welt, die unter den Angriffe des Imperialismus stehen und andererseits für angebliche „Befreiungs“-Organisationen wie die Taliban und al-Qa`ida. Selbst dort, wo sie (so wie sie es verstehen) kurzfristig erfolgreich sind, ist das Ergebnis - wie im Fall des 11. September - reaktionär.
- Es verringert das Level von Bewusstsein der Völker im Nahen und Mittleren Osten. Es will sie lehren, auf die Erlösung durch einen einzelnen Heiland oder eine Gruppe von Racheengeln in Form der al-Qa`ida zu hoffen, anstatt auf Massenaktionen, Demonstrationen, die Bewaffnung der Massen, den Generalstreik und den Aufstand zu setzen, um Großgrundbesitz und Kapitalismus zu überwinden. Krieg ist ein entscheidender Test für MarxistInnen und RevolutionärInnen. Wieder einmal haben die kleinen ultra-linken Gruppen wie Arbeitermacht (D) / ArbeiterInnen-Standpunkt (Ö), die LIT und größere Organisationen wie die SWP diesen Test nicht bestanden.
- Während des Krieges verwendete das CWI der Zeit angepasste Slogans - einem Prozess von Diskussion und Dialog folgend. Dies erlaubte uns, effektiv zu intervenieren. Das ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft, wenn alle Ideen vor einer großen Zuhörerschaft von ArbeiterInnen auf dem Prüfstand stehen werden.