Do 15.09.2016
Die Aussichten für die Wirtschaft sind alles andere als rosig. Die Krise ist nicht vorbei, die „Aufschwünge“ schwach und die nächsten Einbrüche nur eine Frage der Zeit. Das ist auch den KapitalistInnen und ihrer Vertretung in der Politik bewusst und sie bereiten sich vor. Einerseits suchen sie nach größeren wirtschaftlichen Zusammenschlüssen um gemeinsam gegen dritte Konkurrenten besser dazustehen. Andererseits um die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse auf allen Ebenen zu erhöhen. Dazu hat das Kapital auch schon in der Vergangenheit internationales Vertragswerk genützt. Freihandelsabkommen wie NAFTA, Verträge wie Acta und in den 90er Jahren MAI (beide nicht abgeschlossen, aber geplant) und letztlich auch die EU haben diese Aufgabe: die Ausgangsbedingungen für das Kapital zu verbessern und va ihm Waffen gegen Schutzbestimmungen und Rechte der ArbeiterInnenbewegung in die Hand zu geben.
In den 1990er Jahren gab es einen Vorstoss in diese Richtung mit dem MAI (dem Multilateralen Investitionsabkommen), dessen Ziel es war, die Macht der Großkonzerne gegenüber Nationalstaaten und der ArbeiterInnenklasse zu stärken. Der Vorstoss aber wurde 1998 durch internationale Proteste 1998 gestoppt.
Doch nun ist MAI zurück – unter neuem Namen und als geheime Mission. „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP, auch bekannt als TAFTA und Ökonomische Nato) ist das Projekt des US und europäischen Kapitals das seit Juli 2013 in geheimen Treffen unter Einbeziehung von hunderten „BeraterInnen“ des Großkapitals diskutiert wird. Informationen darüber wurde nur bekannt, weil Dokumente geleakt und veröffentlicht wurden. Ergänzt werden soll TIPP, das den weltweit größten Wirtschaftsblock bilden würde, durch TPP (Trans Pacific Partnership), ein Bündnis das schon seit einigen Jahren zwischen USA und Kanada einerseits und Chile, Singapur, Neuseeland, Brunei, Peru, Vietnam, Malaysia, Mexiko, Kanada, Japan, Südkorea, Taiwan und Australien andererseits ergänzt werden soll. Aussen vor bleiben bei diesem Konzept starke – und für die USA und Europa gefährliche – Wirtschaftsfaktoren wie China, Russland und Brasilien.
TIPP stellt den Versuch eines Generalangriffes auf Umwelt-, KonsumentInnen und v.a. ArbeiterInnenrechte dar, der frühere, ähnliche Versuche zusammenfasst. Es handelt sich keineswegs um ein Freihandelsabkommen zum Abbau von Zöllen, auch weil diese zwischen den USA und Europa ohnehin nicht hoch sind, sondern um eine „Harmonisierung“ der Profit-Maximierungsbedingungen für das Kapital an den jeweils niedrigsten Standards. Das soll sich auf zwei Ebenen abspielen: 1) Unternehmen können verlangen (und das auch Einklagen) dass der rechtliche Rahmen bei unterschiedlichsten Fragen in keinem Land schlechter für sie sein darf, also die Möglichkeiten, Profite zu erzielen dort beeinträchtigt ist. 2) Nachdem Investitionen getätigt sind, darf sich für das jeweilige Kapital nichts zum Nachteil der Profitmaximierung verändern, d.h. Gesetzliche Veränderungen sind nicht zulässig.
Betroffen sind alle Bereiche des Lebens:
- KonsumentInnen- und Umweltschutz: die Fragen von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, Auszeichnungspflichten, Anti-Raucher-Gesetze oder der Einsatz von Giftstoffen bei der Nahrungsmittelproduktion
- Soziale Standards und Privatisierungen: Energie-, Gesundheit- und Bildungssektor müssten dem Privatsektor vollständig geöffnet werden
- Datenschutz und Patentfragen: hier geht es um einen Versuch, das abgewehrte Acta-Abkommen doch noch durchzusetzen
- Finanzsektor: einige der – ohnehin geringen – Beschränkungen der Finanzmärkte bzw. Instrumente, die in Folge der Krise gesetzt wurden sind hier unter Beschuss (und das ist auch einer jener Bereiche, wo das europäische (Banken-)Kapital u.a. in Form der Deutschen Bank sich gegen die in diesem Bereich schärferen US-Bestimmungen stellt. Es ist also keineswegs ein einseitiger Versuch des US-Kapitals Europa auszuboten!)
- ArbeiterInnen-Schutzbestimmungen und Rechte: diese sind in vielen Bereichen in Europa weiter ausgebaut als in den USA, sowohl was Schutzbestimmungen, Arbeitszeit und Sozialleistungen angeht, als auch die Frage von gewerkschaftlicher Organisierung – all das möchte das europäische Kapital schon längst loswerden
Insgesamt stellt TIPP auch eine weitere Verschärfung des Abbaus demokratischer Rechte dar. Nicht nur, dass die Verhandlungen im Geheimen stattfinden und eine kleine Minderheit des berühmt-berüchtigten 1% hier Regelungen beschließen möchte, die für die restlichen 99% dramatische Auswirkungen haben werden. Sondern auch die Tatsache, das Bundes- und Regionalregierungen/Parlamente nach Unterzeichnung kaum noch Rechte haben macht die Dominanz der Wirtschaft über die Politik deutlich. Eine Veränderung des Vertragswerkes ist juristisch kaum möglich, wenn einmal unterschrieben, da eine Änderung nur mit der Unterschrift aller unterzeichnenden Staaten möglich sein soll. Die Entscheidungen über die Klagen und Forderungen der Unternehmen werden bei Gericht gefällt werden, deren „Unabhängigkeit“ ist hinlänglich bekannt.
Beispiele für die Folgen eines solchen Regelwerkes gibt es bereits. In den letzten Jahren haben eine Reihe von Unternehmen Staaten geklagt – und gewonnen. Es gab Klagen ausländischer Firmen gegen den Mindestlohn in Ägypten, der US-Tabakriese Philip Morris hat Uruguay und Australien vor Gericht gezerrt. Argentinien wurde verklagt, als es in Folge von Krise und Massenprotesten beschlossen hatte, Miet- und Energiepreise einzufrieren. In den letzten Jahren wurden Staaten zu Strafen in der Höhne von mindesten 400 Millionen Dollar verdonnert, Prozesse im Ausmaß von weiteren 14 Milliarden stehen noch aus.
Das Kapital bereitet sich so auch auf künftige Siege der ArbeiterInnenklasse in Klassenkämpfen vor. Linke Regierungen, die unter dem Druck der Massen positive Reformen oder auch nur Schutzbestimmungen erlassen sollen juristisch bekämpft werden. Ob sie damit im Angesicht von Massenprotesten durchkommen, ist eine andere Frage, aber das Ziel ist klar.
Die Frage ist: wird TIPP so durchgehen?
Das ist in dieser Form, in diesem Zeitraum und in vollem Umfang unwahrscheinlich. Frühere Abkommen wurden durch Massenproteste gestoppt und auch die Nationalstaaten als Repräsentanten ihrer jeweiligen Kapital-Gruppen haben kein Interesse daran, die Möglichkeiten, im Sinne ihres Kapitals die Märkte zu kontrollieren, völlig aus der Hand zu geben. Auch spiegelt das Abkommen den Versuch eines Teils des Kapitals wieder, dem aber die Interessen anderer Teile (z.B. die europäische Agrarindustrie) gegenüberstehen. Dennoch ist TIPP eine gefährliche Drohung - denn auch wenn der Pakt als ganzes scheitert, bedeutet das nicht, dass nicht Teile, insbesondere dort, wo es um die Nach-Unten-Angleichungen für die ArbeiterInnenklasse geht, vorangetrieben werden – und durchgehen könnten, wenn es keinen starken Widerstand dagegen gibt.
Bei früheren, ähnlichen Projekten gab es große Protestbewegungen dagegen: Der Aufstand in Chiapas/Mexiko, die erste Herausforderung kapitalistischer Logik nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und dem „Sieg“ des Kapitalismus. Die Massenproteste gegen MAI und später gegen Acta und ähnliches.
Bis jetzt gibt es kaum Proteste gegen TIPP, einige NGOs haben das Thema aufgegriffen, Attac fordert ein „Ende der Verhandlungen“ und die linke Fraktion im EU-Parlament hat begonnen (maßgeblich aufgegriffen durch Paul Murphy, den sozialistischen EU-Abgeordneten der irischen Schwesterorganisation Socialist Party), sich mit dem Thema zu beschäftigen. Eine Massenbewegung v.a. von Seiten der Gewerkschaften fehlt (hoffentlich: noch) völlig.
Doch eine solche ist dringend notwendig. Sie braucht einen internationalen Anspruch, der über Länder- und auch Kontinente hinweg ArbeiterInnen und Jugendliche im Kampf gegen diesen neuerlichen Angriff des Kapitals zusammenfasst und internationalistische Antworten gibt (und nicht nationalistische wie die Rechten und Rechtsextremen es tun). Es wird notwendig sein, die Versprechen der Befürworter zu kontern, die mit viel Geld- und Medienaufwand wieder einmal über die ernorme Vorteile Lügen verbreiten werden, die TIPP angeblich für „uns alle“ hätte und das Abkommen als Möglichkeit verkaufen werden wollen, um Europa und die USA aus der Krise zu helfen. Hier ist es notwendig auf die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus hinzuweisen, auf unterschiedliche Interessen zwischen Kapital und Arbeit und zwar jeweils unabhängig von ihrer Nationalität. Und es ist notwendig, den undemokratischen Charakter des Kapitalismus aufzugreifen, und dem undemokratischen Pakt der Herrschenden und KapitalistInnen die Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft durch die ArbeiterInnenklasse, durch Gewerkschaften, KonsumentInnen und KlientInnen entgegen zu setzen. Auf so einer Basis, kann eine Kampagne gegen TIPP grosse Teile der ArbeiterInnenbewegung und der Jugendlichen erreichen und der Offensive des Kapitals die Offensive der ArbeiterInnenklasse entgegensetzen und die Herrschaft des Dogmas der Profitlogik stürzen und durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft ersetzten.
Dieser Artikel wurde 2013 geschrieben.