Di 29.10.2024
Die hohen Zustimmungswerte von fast 30% für die rechtsextreme FPÖ, die sie zur stärksten Partei machen, und die alltägliche rassistische Rhetorik mögen zwar kaum mehr überraschen - zumal auch die etablierten Parteien durch diskriminierende Positionen, Praktiken oder ihre stillschweigende Komplizenschaft den Weg dafür geebnet haben. Dennoch schockieren diese Ergebnisse zutiefst:
Laut der Studie der Europäischen Grundrechteagentur hatten in Österreich 66 Prozent innerhalb eines Jahres Diskriminierung erfahren, im Fünfjahresschnitt waren es sogar 74 Prozent - der höchste Wert unter den 13 EU-Ländern. Unter Befragten aus Subsahara-Afrika sogar 80%.
Besonders erschreckend sind diese Zahlen angesichts der Tatsache, dass die Studie im Jahr 2021/2022 noch vor dem Genozid in Gaza durchegfürht wurde. Seither hat sich die antimuslimische Hetze in Medien und etablierten Parteien massiv verschärft. So erklärt ÖVP-Generalsekretär Christian: “Einem Volk, das sich dazu entschieden hat, willkürlich zu entführen, zu vergewaltigen und zu morden, kann man nicht zur Seite stehen.”https://www.slp.at/artikel/rassistische-welle-im-schatten-des-gaza-kriegs-11262). Diese rassistische Rhetorik setzt sich in der Hetze gegen migrantische Jugendliche am Reumannplatz und anderen öffentlichen Plätzen fort und spitze sich nach dem vereitelten Terroranschlag auf das Taylor Swift Konzert besonders zu. Die politischen Reaktionen zeugen von einer klar reaktionären und hetzerischen Haltung: Dominik Nepp (FPÖ), meint „die Schuld der Willkommensklatscher, zu denen ich auch Bürgermeister Ludwig und einige ÖVP-Vertreter zähle.“ Dem schloss sich Karl Mahrer von der ÖVP an: „Die Wiener Stadtregierung muss endlich aufwachen und den Tatsachen ins Auge sehen: Wir spüren schon längst die Folgen von politischem Islam hier in Wien.“ https://www.slp.at/artikel/das-abgesagte-taylor-swift-konzert-und-der-rechtsruck-11359).
Neben den statistisch messbaren Ausprägungen von Rassismus existieren zahlreiche subtilere Formen der Diskriminierung, die sich nur schwer erfassen lassen. In alltäglichen Begegnungen zeigen sie sich als sog. “Mikroaggressionen” - vermeintlich harmlose Aussagen oder Handlungen, hinter denen sich jedoch tief verwurzelte Vorurteile und feindliche Einstellungen verbergen. Eine besonders prägende Form dieser alltäglichen Diskriminierung zeigt sich im antimuslimischen Rassismus, der fest in gesellschaftliche und institutionelle Strukturen eingebettet ist. Dabei werden Vorurteile nicht immer bewusst artikuliert, sondern durch etablierte gesellschaftliche Normen fortgeschrieben. Dies wird etwa im Bildungsbereich sichtbar: Lehrkräfte, geprägt durch stereotype Darstellungen in Medien und Politik, bewerten muslimische Schüler*innen häufig strenger oder haben geringere Erwartungen an sie - ein diskriminierendes Verhalten, dessen volles Ausmaß sie sich oft nicht eingestehen. Diese unreflektierte Übernahme gesellschaftlicher Vorurteile verstärkt die systematische Benachteiligung im Bildungssystem und manifestiert sich als strukturelle Diskriminierung, die oft unbemerkt bleibt - nicht weil sie weniger schwerwiegend wäre, sondern weil sie durch gesellschaftliche Erwartungshaltungen als 'normal' wahrgenommen wird.
Wissenschaftliche Studien belegen diese systematische Diskriminierung in zentralen Lebensbereichen wie Bildung und Wohnungsmarkt - etwa durch die Analyse von Bewerbungsverfahren oder Bildungsabschlüssen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Allgegenwärtigkeit des antimuslimischen Rassismus, der sich sowohl in offener Ungleichbehandlung als auch in versteckter Benachteiligung manifestiert.
Antimuslimischer Rassismus hat System
Der Anstieg des antimuslimischen Rassismus hat dramatische Auswirkungen auf das Leben aller Musliminnen und jener Menschen, die als muslimisch gelesen werden. Die 1522 gemeldeten Fälle antimuslimischer Diskriminierung in Österreich markieren dabei einen erschreckenden Rekordwert (wobei die gemeldeten Fälle nur einen Bruchteil des tatsächlichen Ausmaßes darstellen, https://www.derstandard.at/story/3000000221741/dokustelle-meldet-fuer-2023-einen-rekord-an-faellen-von-antimuslimischem-rassismus). In diesem Kontext zeigt sich besonders deutlich, wie die systematische Dehumanisierung muslimischen Lebens, die sich in der westlichen Außenpolitik manifestiert, sich unmittelbar in der innenpolitischen Realität widerspiegelt: Der Genozid in Gaza und die vehemente Unterstützung des Westens bei der Massakrierung der Palästinenser*innen sind Ausdruck tief verwurzelter imperialistischer und rassistischer Strukturen, die auch hierzulande ihre Wirkung entfalten.
Der antimuslimische Rassismus hat sich dabei so weit salonfähig gemacht, dass hetzerische Rhetorik zum vielversprechenden Werkzeug im Wahlkampf geworden ist. Die Konsequenzen sind erschütternd: Nach dem Wahlsieg der FPÖ berichten Lehrer*innen aus unterschiedlichen Schulen von Kindern, die von existenziellen Ängsten geplagt werden. Wenn Kinder sich mit Fragen wie 'Werden wir jetzt alle abgeschoben?' und 'Gibt es eine Liste, wer als erstes abgeschoben wird?' auseinandersetzen müssen, wird ihnen nicht nur ihr Recht auf eine unbeschwerte Kindheit genommen - es verdeutlicht auch die erschreckende Realität einer Gesellschaft, in der imperialistische Gewalt und kapitalistische Verwertungslogik die systematische Ausgrenzung und Entrechtung muslimischer Menschen legitimieren und vorantreiben. Besonders Muslimas mit Kopftuch sind häufig von Diskrimminierung betroffen. Diskrimminierung aufgrund des Kopftuchs wird zum Hindernis für die soziale Integration und berufliche Chancen gesehen. Muslimische Frauen berichten häufig von Ablehnungen oder Abwertungen im Arbeitsumfeld, selbst wenn ihre Qualifikationen den Anforderungen entsprechen. Diese besorgniserregenden Entwicklungen sind kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrelangen systematischen Diskriminierung und institutionellen Ausgrenzung.
Die Zunahme von antimuslimischem Rassismus fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Resultat der rassistischen Hetze aller etablierten Parteien und Medien. Muslimische Institutionen werden auf einer “Islamlandkarte” diffamiert und so potenziellen rechtsextremen Angriffen ausgesetzt. Parteien fordern ein Maßnahmenpaket gegen den “politischen Islam”oder gar ein Verbot, doch ein Verbot der “christlichen ÖVP” bleibt selbsverständlich aus. Liberale Medien pauschalisieren alle, die sich mit Gaza solidarisieren, als Antisemit*innen. Selbst die SPÖ fordert “Wertekurse” für muslimische Migrant*innen, während “Wertekurse” für übergriffige Besucher jedes beliebigen Volksfestes oder Aprés Ski Party nie zur Debatte stehen. All das schürt antimuslimischen Rassismus und legt die Grundlage für Übergriffe und Gewalt.
Diese gezielte Stigmatisierung geht jedoch noch weiter. Parteien und Medien nutzen antimuslimischer Rassismus gezielt als zentrales Herrschaftsinstrument. Alle Probleme eines verfallenen Kapitalismus werden auf Muslim*a projiziert. Armut und soziale Missstände in bestimmten Bezirken sollen angeblich nicht durch die chronische Unterfinanzierung von Jugendzentren, ein rassistisches Bildungssystem und mangelnde Zukunftsperspektive, sondern durch migrantisierte Jugendliche, die sich im öffentlichen Raum aufhalten. Ähnlich verhält es sich bei Femiziden und geschlechterspezifischer Gewalt: Statt die Ursachen in der massiven Unterfinanzierung von Gewaltschutz und Prävention oder der tief verankerten patriarchalen und sexistischen Kultur zu sehen- die sich in offen frauen- und queerfeindlichen Parteien mit über 50% Zustimmung, einer übermächtigen katholischen Kirche und einem 'VolksRock'n'Roller' manifestiert, der sich über 'Gender-Wahn' echauffiert - oder in den strukturellen Bedingungen des Kapitalismus, der systematisch ökonomische Abhängigkeiten schafft und damit den materiellen Nährboden für Gewalt bereitet, wird die Schuld angeblich bei muslimischen Männern gesucht.
Die systematische Diskriminierung durchdringt alle Lebensbereiche: Von schlechteren Bildungschancen über erwzungende prekäre Arbeitsverhältnise - in die Menschen kapitalistische Lohnabhängigkeit und rassistische Arbeitsmarktstrukturen gedrängt werden- bis hin zu massiven gesundheitlichen Folgen und sozialer Isolation.Rassistische Diskriminierung bedeutet tägliche Traumatisierung - für Menschen, die oft bereits durch Flucht und jahrelange systematische Unterdrückung traumatisiert wurden, eine weitere brutale Form struktureller Gewalt. Statt Unterstützung zu erhalten werden Menschen mit Fluchtgeschichte hier mit einem System aus bürokratischen Hürden und alltäglicher Diskriminierung konfrontiert - während zynischerweise ihre 'normale Integration' eingefordert wird. Die Gewalt setzt sich nahtlos fort: Menschen, die womöglich vor der Verfolgung durch das Assad-Regime geflohen sind, werden hier durch systematischen Polizeirassismus weiter diskriminiert.
Der Teufelskreis ist perfekt: Wer durch institutionellen Rassismus vom Bildungssystem, Arbeits- und Wohnungsmarkt ausgeschlossen wird und sich deswegen öfter auf der Straße aufhalten muss wird durch die Polizei aufgrund von racial Profiling öfter kriminalisiert. D.h. Rassismus ist immer eine selbsterfüllende Prophezeiung: rassistische Diskriminierung führt zu schlechteren Lebenssituationen und sozialer Isolation und dann wird diese Situation für neue rassistische Hetze genutzt. De facto gibt es also nur zwei Erklärungsmusten: die eine ist die Erkenntnis, dass Österreich ein zutiefst rassistisches Land ist, dass Muslim*a systematisch diskriminiert und unterdrückt und die andere ist rassistisch und sieht die Grundlage für soziale Probleme in Kultur oder Herkunft. Aktuell ist bei den politischen Parteien, Medien und der Mehrheit der bio-österreichischen Gesellschaft die rassistische Erklärung vorherrschend.
Solange diese Erzählung dominiert und nicht durch eine lautstarke Bewegung herausgefordert wird, die sowohl den Rassismus als auch das kapitalistische System bekämpft, das immer neue Sündenböcke für seine Krisen braucht, wird es auch unmöglich sein, dem Rechtsruck in Österreich wirklich etwas entgegenzusetzen.
Und die Linke?
Gerade deshalb ist es auch so katastrophal, dass die politische Linke Rassismus entweder ignoriert oder sogar selbst antimuslimischen Rassismus fördert.
Gerade rund um den Genozid in Gaza fördert sogar ein großer Teil der radikalen Linken zentrale Erzählungen von antimuslimischem Rassismus. Dies geschieht, indem der Genozid geleugnet oder gerechtfertigt wird. Wenn die systematische Ermordung von bis jetzt wahrscheinlich 100.000 Menschen, die gezielte Vertreibung und Aushungern von Millionen unter Unterstützung des westlichen Imperialismus ignoriert, verharmlost oder die Kritik daran sogar als “Antisemitismus” diffamiert wird, zeigt dies, dass muslimische Leben offenbar weniger erachtet werden- die Definition von Rassismus. Das zeigt sich, wenn ÖH Wien Strukturen gegen das Gaza-Solidaritätscamp mobilisieren oder “Antisemitsmus-Tage” organisiert, jedoch zum Genozid in Gaza schweigt. Dieser Genozid führt nicht nur zu einem drastischen Anstieg von antimuslimischem Rassismus, sondern auch von Antisemitismus. Oder wenn auf der Donnerstagsdemo anti-palästinensische rassistische Lieder gespielt werden. Auch subtilere Fälle sind problematisch, wenn linke Strukturen aktuell “Nationalfahnen” auf Demos verbieten - und damit offensichtlich die palästinensische Fahne meinen - oder von “unterschiedlichen Positionen in Bezug auf Israel-Palästina [sic]” sprechen. Angesichts eines Genozids sind solche Formulierungen oder das Verbot der Fahne, die den Kampf dagegen ausdrückt, nichts anderes als antimuslimischer Rassismus im pseudolinken Gewand. Wer vom Genozid in Gaza schweigt, der fördert bewusst oder unbewusst antimuslimischen Rassismus.
Andere Teile der radikalen Linke - wie die KPÖ - entscheiden sich dazu, nicht über Rassismus zu reden - und schon gar nicht über antimuslimischen Rassismus spezifisch. Aus Angst davor potentielle Wähler*innen abzusprechen. Aber wie wollen diese Parteien, dann auch nur irgendwie Menschen vertreten, die tagtäglich mit antimuslimischem Rassismus konfrontiert sind.
Aber tatsächlich leisten auch die größten Organisationen der muslimischen Community nicht den notwendigen Widerstand gegen antimuslimischen Rassismus und den Genozid in Gaza. Aktivist*innen aus der Gaza-Solidaritätsbewegung berichten davor, dass das Thema teilweise von großen Organisationen explizit unterdrückt wird, um Beziehungen zum österreichischen Establishment nicht zu gefährden (https://www.instagram.com/reel/C_oEm8osH4J/?igsh=NG1vNXd5NHh4ejh2).
Keine Sozialistische Alternative ohne Kampf gegen antimuslimischen Rassismus
Die Umfrage ist nur ein weiteres drastisches Zeichen für die massive Zunahme von antimuslimischem Rassismus und dessen dramatische Auswirkungen auf die Betroffenen. Die Hetze der letzten Jahre, die Wahlergebnisse und nicht zuletzt die Nutzung von antimuslimischem Rassismus zur Rechtfertigung der Dominanz des westlichen Imperialismus zeigen, wie stark antimuslimischer Rassismus zur Stützung dieses Systems instrumentalisert wird. Ohne entschlossenen Widerstand dagegen wird auch der Aufbau einer allgemeinen sozialistischen politischen Alternative unmöglich werden. Hier besteht nach jahrelanger Arroganz und Ignoranz durch Teile der Linke ein riesiger Aufholbedarf. Erste Schritte können die Verbindung von Kämpfen gegen Genozid, Rechtsruck und antimuslimschen Rassismus sein - ebenso wie das Einfordern eindeutiger Positionen von linken Parteien und Organisationen sein.
Eine Linke, die es nicht schafft, den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus als integralen Bestandteil des Kampfes gegen Kapitalismus und all seine Unterdrückungsmechanismen zu begreifen, wird auch daran scheitern, eine umfassende Alternative zu diesem System von Ausbeutung und Spaltung aufzubauen. Nur wer die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Formen von Rassismus, Diskriminierung und kapitalistischer Herrschaft versteht und entschlossen an allen Fronten dagegen antritt, kann eine wirklich emanzipatorische, sozialistische Gesellschaft ohne Unterdrückung schaffen.