Mo 01.03.1999
Vom 22. bis 25. Februar war Vilma Alvarez Parada, Mitglied der chilenischen Sektion des CWI, Democracia Obrera (ArbeiterInnendemokratie) und Generalsekretärin der Gewerkscchaft von Johnsons No.1, einem Textilbetrieb, in Österreich. Ein Interview über die generelle ökonomische Situation und ihre Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft führte Pablo Hörtner.
Vorwärts: Welche konkreten Auswirkungen haben die Asienkrise und die Krise in Lateinamerika auf Chile?
Vilma: In den Betrieben wurden die Auswirkungen der Krise, die in Asien ja schon 1996 eingesetzt hat, erst im Juli letzten Jahres stärker spürbar. Die Unternehmer reagierten mit Sparmaßnahmen; sie führten Lohnkürzungen durch etc. In unserem Fall verlangten sie 30 % Lohneinbußen von den Angestellten.
Im vorigen Jahr gab es bereits heftige Proteste seitens der LehrerInnen, der StudentInnen und der SchülerInnen, und auch der Mapuche (indigene Bevölkerung, Anm.d.Red.).
Wie sieht die Situation abgesehen von den Lohnkürzungen?
Um Kapital anzuziehen, wurden Beschäftigte gekündigt bzw. Betriebe geschlossen. Das Geld wurde in die Banken gesteckt. Wegen der relativ hohen Zinsen wurde fleißig spekuliert. Die am stärksten betroffenen Bereiche der Wirtschaft waren die Textil- und die Schuhindustrie. Fast alle Unternehmen sind hier praktisch verschwunden.
Die Krise hat voll zugeschlagen?
Im Juli war bereits von Rezession, von den Problemen eines etwaigen Tiefs etc. die Rede; zwar nicht offiziell, weil immer noch eine gewisse Diskrepanz gegenüber all diesen Dingen existiert. Die Regierung beteuerte sehr, daß wir eine vom externen Markt stark unabhängige Wirtschaft hätten, und daß jede Fluktuation, die es und jedes Ungleichgewicht, das es in der Weltwirtschaft gäbe, uns nichts anhaben könne.
Doch in Wirklichkeit ist Chile eine sehr stark vom Weltmarkt abhängige Volkswirtschaft?!
Enge Witschaftsverflechtungen gibt es vor allem mit Asien und innerhalb Lateinamerikas mit Brasilien. Und auch da gibt es Probleme, da die Wirtschaftskrise und die Situation in Brasilien den Export nach Brasilien erschweren. Also haben wir gesagt, daß uns die Wirtschaftskrise vergangenes Jahr von den Unternehmern bezahlt werden müßte. Das Problem war, daß die Zentrale der CUT (des chilenischen Gewerkschaftsdachverbandes, Anm. d. Red.) keine derartigen Forderungen aufstellte - bis etwa Oktober letzten Jahres. Und nur aus Furcht haben einige „sozialistische“ und einige „kommunistische“ FührerInnen begonnen darzulegen, daß es nicht korrekt wäre, daß die Unternehmer verlangten, den Lohn zu kürzen und die Krise ausnützten, um Kündigungen vorzunehmen.
Und was ist mit deinem Betrieb?
Mein Betrieb war einer der wenigen im Textilsektor der übriggeblieben ist. Es ist schon fast so wie in Mittelamerika mit den Maquilas (Sonderwirtschaftszonen, Anm.d.Red.), einem Sektor, in dem es kein Recht gibt, wo keine Arbeitsschutzgesetzgebung existiert und auch keine würdigen Arbeitsbedingungen.
Was heißt das konkret?
Eine Kollegin arbeitet in einem Betrieb, der dem selben Chef wie meiner gehört. Die Produktion wurde in Produktionsstätten ohne Waschräume verlager, wo 40-50 Arbeiterinnen auf kleinstem Raum zusammengepfercht ohne Ruheraum etc. auskommen und nach Hause oder auf die Straße gehen müssen, um zu essen. Die Unternehmer streiten mit den Kolleginnen, beschimpfen sie, weil die Produktion nicht schneller vorangeht, sie zu angeblich langsam arbeiten, daß sie sich beeilen sollen, damit sie mit einer gewissen Anzahl von Produkten fertig werden etc.
Werden diese Bedingungen vom Staat geduldet, ist so etwas nicht illegal?
Diese Produktionszonen sind natürlich illegal, doch die Regierung schaut zu. Besonders schlimm ist es in der Schuhindustrie, weil dort bestimmte „Quoten“ - also Akkordarbeit - vorherrschen. Hier gibt es viele Termingeschäfte, die zu extremem Streß führen. Vielen Arbeiterinnen werden nach der Schließung einer Fabrik sogar Maschinen mit nach Hause gegeben, sodaß dort ihre gesamte Familie mitarbeiten muß, um die Auflagen der Unternehmer zu erfüllen. Schwarzarbeit unter dem durchschnittlichen Einkommensminimum, Kinderarbeit usw. werden so zur Regel!
Du bist nicht nur im Betrieb und Deiner Gewerkschaft aktiv sondern auch in der CUT. Wie sieht Deine Arbeit aus?
In den letzten Jahren habe ich eine Kampagen gegen die sexuelle Belästigung meiner KollegInnen durchgeführt. Da sie sich auch gegen die korrupten Gewerkschafter in meinem Betrieb richtete, führte das zu Problemen auch mit ihnen!
Die CUT betreibt leider eine sehr „sozialpartnerschaftliche“ Politik, die auf Kosten der Beschäftigten geht. Innerhalb der CUT ist es im April 1996 auf Grund unserer Initiative gelungen, gemeinsam mit VertreterInnen der LehrerInnen, Kohle- und HafenarbeiterInnen eine Gewerkschaftsopposition zur von SP, KP und DC paritätisch besetzten und CUT-Führung aufzubauen, die momentan um die 140.000 AktivistInnen umfaßt.