Mo 17.09.2012
Die Konferenz der SLP im September 2012 findet zu einem wirtschaftlich und politisch sehr bewegten Zeitpunkt statt. Die Weltwirtschaft kommt seit 2007 nicht mehr zur Ruhe. Was als „Finanzkrise“ in den USA begann, hat seither die ganze Welt erfasst. Die USA und v.a. Europa stehen im Zentrum der Entwicklung und schlittern von einer Erschütterung in die nächste. Betroffen ist nicht nur der Finanzsektor, sondern auch Produktion und Handel. Niemand schreibt mehr vom „Double Dip“, weil der zweite „Dip“, in dem sich die Weltwirtschaft befindet und in den eine Reihe von Staaten bereits eingetreten sind, gar nicht mehr aufzuhören scheint. Durch den teilweise sehr dramatischen Sozialabbau ist so gut wie jedeR betroffen von den Auswirkungen dieser Krise. Nach einer Welle brutaler – und als alternativlos präsentierter – Angriffe auf europäischer Ebene hat mit den Wahlen in Griechenland und Frankreich eine neue Phase in der Krisenstrategie des Kapitals begonnen. Millionen Menschen haben bei Demonstrationen, Streiks und bei Wahlen gegen die herrschende Politik protestiert. Und jener Teil des Kapitals, der auf Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft setzt (Hollande), gewinnt zur Zeit Boden gegenüber dem Flügel, der Schuldenabbau im Zentrum hat (Merkl, Cameron).
Insgesamt sehen wir aber eine wachsende Entfremdung breiter Schichten der ArbeiterInnenklasse und Jugendlichen vom herrschenden System, den Parteien, Wahlen, dem gesamten System der bürgerlichen Demokratie. Dies drückt sich in wachsender Unterstützung für „andere“ Angebote aus. Welche angenommen werden, ist aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher Lage und Traditionen von Land zu Land sehr verschieden. In einer Reihe von Ländern sind neue linke Parteien/Formationen entstanden, manche davon, wie Syriza, haben in sehr kurzer Zeit große Unterstützung erlangt. Welchen Charakter solche neue Formationen haben - reformistisch oder revolutionär, anarchistisch oder sozialistisch etc., ist noch offen und hängt von einer Reihe von Faktoren wie Traditionen, existierenden Organisationen und v.a. dem Level von Klassenkämpfen ab. In den südlichen Ländern, mit stärkeren anarchistischen bzw. anarcho-syndikalistischen Traditionen und wo kein ökonomischer Spielraum für liberale Angebote wie die Piraten ist, wird es diese kaum geben. In vielen Ländern mit einer gewissen Tradition von Klassenkämpfen kommt es zur Formierung von neuen ArbeiterInnenparteien. Wo die Linke schwach ist, können stärker rechte und faschistische Strukturen das Vakuum füllen. In Österreich hinken viele Entwicklungen – außer beim Rechtsextremismus – dem internationalen Trend hinterher. Doch gerade aufgrund der engen Verflechtung der Wirtschaft auf europäischer Ebene kann und wird Österreich von der europäischen Krise nicht verschont bleiben. In Österreich hängt das Bewusstsein – infolge der verzögerten wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie – noch hinterher. Doch die Angriffe auf den Sozialstaat und fundamentale Rechte von ArbeiterInnen wie Kollektivverträge sowie die Krise des politischen Systems haben viel Unmut erregt. Das ist kein fertiges „Klassenbewusstsein“, doch steigt das Verständnis dafür, dass wir eben nicht alle im selben Boot sitzen. Auch wenn die Entwicklungen zurzeit noch eher dahinplätschern, wird sich das Tempo künftig deutlich erhöhen. Angriffe und der Widerstand dagegen werden sich auch hierzulande entwickeln. Die Aufgabe von MarxistInnen ist es, sich auf die kommenden Ereignisse bestmöglich vorzubereiten, um in den kommenden Kämpfen sozialistische Ideen einbringen zu können und so den Lauf der Ereignisse in die Richtung beeinflussen zu können, die das Ende dieses korrupten und verrotteten kapitalistischen Systems bedeutet.
Wirtschaftliche Entwicklung vor dem Hintergrund der internationalen Krise
Wir haben in verschiedenen Publikationen der SLP und des CWI über Ursachen und Hintergründe der aktuellen Krise geschrieben. Es handelt sich um eine strukturelle Krise des Kapitalismus; der Wahnwitz der Finanzmärkte ist Symptom und Auslöser, nicht aber Ursache der Probleme. Die VertreterInnen des Kapitals sind daher auch in ihrer Strategie zur Krisenbekämpfung oder zumindest -eindämmung uneinig. Sie schwanken zwischen verschiedenen Strategien, die allerdings alle nicht in der Lage sind, die Probleme zu lösen. Das führt auch zu einer ideologischen Krise des Kapitalismus, der sich nicht mehr als „funktionierendes“ und alternativloses System präsentieren kann, sondern zunehmend in Frage gestellt wird.
In unserem Perspektivendokument vom März 2011 haben wir die schwachen Fundamente der österreichischen Wirtschaft betont: Exportabhängigkeit, hohes Engagement der Banken in Osteuropa, schwache Inlandsnachfrage. An dieser „wackeligen Basis der österreichischen Wirtschaft“ hat sich nichts geändert. Das schwache Wachstum der letzten Periode fand v.a. im Schlepptau der deutschen Wirtschaft statt, die in Europa eine Sonderrolle einnimmt, da sie v.a. auch wegen ihrer Dominanz und ihrer Rolle nach wie vor ein – schwaches – Wachstum hat. Aktuelle Untersuchungen gehen für 2012 von einem Wachstum von unter einem Prozent aus, „die von der internationalen Entwicklung ausgehenden Risiken sind aber wieder gestiegen“, erklärt OeNB-Gouverneur Nowotny (SP).
Ende Juni wurden die neuesten Prognosen in Österreich veröffentlicht. Die Darstellung darin grenzt an Realitätsverweigerung und ist auf jeden Fall ein Schönreden der Fakten. Die Indikatoren deuten auf ein Ende der „Erholung“ hin. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW gibt an, dass die Konjunkturerwartungen für Deutschland den stärksten Rückgang des Indikators seit Oktober 1998 verzeichnen. „Die Krise lernt Deutsch“, läuten KommentatorInnen den Wechsel ein. Zwar sind hier die – aus Sicht des Kapitals positiv ausgegangenen - Wahlen in Griechenland noch nicht berücksichtigt, doch ist nicht davon auszugehen, dass diese eine Trendumkehr bedeuten. Bei Konjunkturerwartung und Lagebeurteilung sind die Zähler auch auf europäischer Ebene im Minusbereich. Die Entwicklung in Europa, insbesondere in Deutschland, ist aber zentral für jene in Österreich. Das BIP-Wachstum ist seit mindestens einem Jahr ein bestenfalls verhaltenes – die Veränderungen zum jeweiligen Vor-Quartal im +/- Null-Komma-Bereich. Das Institut für Höhere Studien (IHS) schreibt Ende Juni, dass die Weltkonjunktur im ersten Quartal „wieder etwas an Fahrt gewonnen“ hat. Konkret gibt es eine Verlangsamung des ohnehin schwachen US-Wachstums, die EU steckt in einer Rezession und in Japan gibt es ein Wachstum von nur 1% im Vergleich zum Vorquartal. Auch die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) schwächeln, einige der Staaten setzen auf Abwertung. Hier von „Fahrt“ zu sprechen ist Zweckoptimismus! Weiter: „Die Stimmungsindikatoren deuten darauf hin, dass das Expansionstempo der Weltwirtschaft abgenommen hat“. Aber: „Das Institut geht davon aus, dass sich die Vertrauenskrise langsam zurückbildet“. Die Grundlage für diese – optimistische – Annahme wird allerdings nicht genannt. Dann werden die „größten Risiken der Prognose“ - Verschärfung der Staatsschuldenkrise, weitere Krise auf den Finanzmärkten und in Folge eine starke Rezession im Euroraum – genannt. Und doch wird dann ein reales BIP-Wachstum für 2012 von 0,8 und 2013 von 1,7 % prognostiziert. Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Risiken werden zwar benannt, aber die Illusion gezeichnet, diese würden nicht schlagend werden und damit dann „eh alles gut werden“.
Doch genau danach sieht es nicht aus. Während dieses Dokument verfasst wurde, beschloss der EU-Gipfel gerade Rettungsfonds und Wachstumspaket. Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Wochen und Monaten weitere „Rettungspakete“ geschnürt werden. Die Entscheidungsträger in den Ländern und in der EU stopfen in einem Moment ein Loch und im nächsten tut sich ein weiteres auf. Wir gehen davon aus, dass durch solche Maßnahmen, die bestenfalls an den Symptomen der Krise herumdoktern, die Ursachen aber nicht angehen, die Krise nicht gelöst werden kann.
Wenn Politik und Wirtschaft versuchen, Österreich als Musterschüler und Ausnahme in Europa darzustellen, dann ist das eine Verleugnung der Realität. 70% der heimischen Exporte gehen in die EU-Staaten, ganze 12% der Nachfrage gehen nach Deutschland. Die Exporte nach Übersee sind gering. Nach China wird gerade mal soviel exportiert wie nach Polen – auf einen Ausweg der heimischen Wirtschaft durch außereuropäische Exporte zu hoffen, ist eine Illusion. Tatsächlich steigt das Außenhandelsdefizit, d.h. es werden immer mehr Waren aus dem Ausland importiert als ins Ausland exportiert. Wirtschaftliche Probleme in Europa, insbesondere Deutschland, schlagen sich sofort in sinkender Exportnachfrage in Österreich nieder. Dass sich die Unternehmen dieser Gefahr durchaus bewusst sind, zeigt sich in den niedrigen Investitionen. Das IHS geht für 2012 von einem Rückgang der Bruttoinvestitionen von 1,1 Prozent aus. „Konzerne sitzen auf vollen Geldsäcken“ schreibt die Presse. Tatsächlich haben die Cash-Bestände der heimischen Leitkonzerne Ende 2011 mit 8,3 Milliarden Euro das Vorkrisenniveau weit übertroffen. Dies bestätigt unsere Analyse, dass es eine „Überakkumulationskrise“ ist. Das bedeutet, dass die Unternehmen zu viel Geld haben, das sie nicht profitbringend investieren können. Indikator dafür ist auch, dass die Zinssätze seit den 1990er Jahren stark zurückgegangen sind: Anfang der 90er Jahre lag der 3-Monatszinssatz bei knapp neun Prozent, heute bei knapp über einem Prozent. Auch die Flucht in vermeintlich sichere Werte wie Immobilien und Gold zeigt, dass die VertreterInnen und VerfechterInnen des Kapitalismus kurz- und mittelfristig keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage erwarten.
Erinnert sei daran, dass den Konzernen durch Bankenrettungspakete, Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft und staatliche Unterstützung für Maßnahmen wie Kurzarbeit mit Milliardenbeträgen aus dem Steuertopf unter die Arme gegriffen worden ist! Auch am bisherigen Krisenhöhepunkt waren die Töpfe immer mit mehr als sechs Milliarden gefüllt. (Quelle: PWC Liquiditätsreport/Presse) Dennoch wird ständig erklärt, dass „die Wirtschaft“ bei Lohnkosten, Steuern und Abgaben sparen muss.
Tatsächlich ist „die Wirtschaft“ natürlich nicht einheitlich betroffen. Die großen Reserven gibt es v.a. bei einer Handvoll Großbetriebe (50 % der genannten 8,3 Mrd. befinden sich bei nur fünf Unternehmen). Zwar gibt es – noch – keinen Anstieg bei den Firmenpleiten, aber es sind in stärkerem Masse ganz kleine Unternehmen betroffen (wohl auch viele Ich-AGs), weil die Anzahl der betroffenen Beschäftigten sinkt. Hier ist mit einem stärkeren Eintauchen in die Krise eine Trendumkehr zu erwarten: mehr - v.a. kleinere - Unternehmen, die untergehen oder von größeren übernommen werden. Auch unter größeren Betrieben wird es Pleiten, Fusionen und Übernahmen geben. Es wird also insgesamt zu einem Konzentrationsprozess bei den Unternehmen kommen und dabei werden, wenn es keinen effektiven Widerstand gibt, auch viele Jobs vernichtet werden.
Während die Banken untereinander mit dem Geldverborgen vorsichtiger werden und auch kleinere und mittlere Betriebe Probleme bekommen können, Geld geliehen zu bekommen („Kreditklemme“), gibt es bei den großen Unternehmen also keine „Kreditklemme“ und keinen Mangel an Geld, sondern einen „Investitionsstreik“ der Unternehmen. Das ist ein Trend, der spätestens seit Ende der 1970er Jahre immer stärker sichtbar ist: Die Gewinnquote steigt auch in Krisenperioden kontinuierlich an, die Investitionsquote bleibt stabil bzw. sinkt sogar (Quelle: Wifo, Statistik Austria). Das spiegelt die verstärkte Ausbeutung der Arbeitskraft und die verschärfte Konkurrenz zwischen den KapitalistInnen wider. Weil aber auch die Profitrate sinkt, es also schwerer wird, gewinnbringend zu investieren, wird stärker in spekulative Finanzkonstrukte investiert, um wenigstens auf diesem Weg Gewinne zu machen, bzw. eventuelle Verluste auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Dies zeigt sich u.a. in der sehr risikofreudigen Politik der österreichischen Banken (wobei die Kosten für das Risiko, wenn es schief geht, auf die SteuerzahlerInnen abgewälzt werden). Österreichische Banken wie Raiffeisen, Erste, aber auch die zur italienischen UniCredit gehörende Bank Austria, gehören zu den zentralen Playern in Osteuropa. Das hat lange fette Gewinne gebracht, wird aber in den letzten Jahren zunehmend zum Risiko. Anfang Juni hat die US-Ratingagentur Moody's die Ratings der drei größten Banken - Raiffeisen Bank International (RBI), UniCredit Bank Austria, Erste Group Bank AG – herabgestuft. Auch wenn die Aussagen von Ratingagenturen skeptisch zu betrachten sind, so treffen die aufgeführten Risikofaktoren - niedriges Eigenkapital, Euro-Schuldenkrise und v.a. Problemkredite in osteuropäischen Kernmärkten – tatsächlich zu. Insgesamt haben österreichische Banken zurzeit ca. 240 Milliarden Euro in Krediten in Osteuropa stecken. Die „notleidenden“ (Banker-Jargon, besser: faule, schwer oder nicht einbringbare) Kredite machen in Süd- und Osteuropa je nach Region 10-20% des gesamten Kreditvolumens aus. Das Ausfallrisiko liegt – je nach Schätzung – zwischen einer Milliarde Euro (österreichische Schätzung) und 10 Milliarden Euro (EU-Schätzung). Dieser faulen Kredite wollen sich die Finanzinstitute entledigen, indem sie in sog. „Bad Banks“ ausgelagert werden. Die Kommunalkredit hat bereits 17 Milliarden Euro in so eine staatliche Bad Bank verschoben, von der Hypo Alpe Adria sollen weitere 10 Milliarden folgen. Bei Hypo und Volksbanken AG musste bereits der Staat einspringen, um einen Zusammenbruch mit Schneeballeffekt zu verhindern. Die Verluste werden also verstaatlicht, wir alle müssen dafür haften und gegebenenfalls zahlen. Die bisherigen und künftigen Gewinne aber bleiben privat und unangetastet. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn 75% kein Vertrauen in die heimischen Banken haben und nur 12 % die Bankenrettungspakete für sinnvoll halten.
Die internationale Verflechtung der österreichischen Wirtschaft – abhängig von Exportpartnern, abhängig von Gläubigern – macht auch deutlich, dass alle nationalistischen „Lösungen“, die angeboten werden, reine Illusion sind. Weder ein Austritt aus der EU noch die Wiedereinführung des Schilling und andere ähnliche Modelle würden an dieser Verstrickung irgendetwas ändern. Betriebe in Österreich werden – egal in welcher Währung – im Versuch, international konkurrenzfähig zu bleiben, die Löhne weiter reduzieren und noch mehr Geld vom Staat wollen. Doch weil gerade auch die Gewerkschaftsbürokratie auf nationalistische „Österreich zuerst“-Standortlogik setzt, haben nationalistische Kräfte es leicht, ihre Propaganda zu verbreiten. Bei den kommenden Wahlen kann es geschehen, dass bürgerliche Pro-EU-Parteien (SPÖ, ÖVP und Grüne) neoliberalen bzw. rechtsextremen Anti-EU-Parteien (FPÖ, Stronach) gegenüberstehen. Als SozialistInnen müssen wir nicht nur darauf hinweisen, dass es keine nationalstaatlichen Lösungen gibt, sondern auch, dass eine Verteidigung des eigenen Lebensstandards nur gemeinsam mit den KollegInnen aus und in anderen Ländern auf Dauer möglich ist. Die Standortlogik setzt nur eine Spirale nach unten in Gang. Um sie zu überwinden, müssen die Kämpfe und Bewegungen, die regional oder in einzelnen Ländern ihren Ursprung haben, mit jenen in anderen Ländern, wo es ja um dieselben Probleme geht – Angriffe auf Löhne und Lebensstandard sowie auf demokratische Grundrechte – verbunden werden. Wir wollen nicht nur eine verbesserte EU. Denn solange sich die EU nach den kapitalistischen Spielregeln und Notwendigkeiten orientiert, wird sich an ihrer Politik nichts ändern. Wir bekämpfen jeden Angriff in dem Land, in dem wir leben, aber wir treten auch für eine europäische (und weltweite) Vereinigung auf sozialistischer Grundlage ein, wo nicht Profite, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen.
Sparpaket war erst der Anfang
Das Belastungspaket von Anfang 2012 war ein wichtiger Schritt in den Angriffen, aber sicher nicht der letzte. Viele der Details und Folgen sind noch nicht klar. Die Hauptangriffsfelder liegen im öffentlichen Dienst, bei Pensionen sowie - v.a. über die Ebene der Länder und Kommunen - bei Sozialem, Pflege und Gesundheit. Die Bundesregierung verschleiert ihre Angriffe, indem sie die Verantwortung abschiebt. Für Pflege, Gesundheit und Soziales (Unterstützung für arme und armutsgefährdete Familien und Personen) sind in weiten Teilen Länder und Gemeinden zuständig. Sie haben schon seit einiger Zeit Finanzierungsprobleme. Das große Sparpaket in der Steiermark (durchgeführt von SPÖ und ÖVP) oder auch die oberösterreichische Spitalsreform (verantwortlich: ÖVP und Grüne) sowie das Wiener „Spitalskonzept 2030“ (verantwortlich: SPÖ und Grüne) sparen genau in diesen Bereichen stark ein. Zu erwarten ist eine Kombination von direkter Leistungskürzung (wie z.B. dass die Wiener Gebietskrankenkasse mit Anfang 2012 die Einzelpsychotherapie auf Krankenschein de facto eingestellt hat) und einem langsamen Aushungern (in Wien wurde eine Schwangere mit Blutungen von zwei Spitälern abgewiesen). Wir werden zumindest in einer ersten Phase kaum Schließungen bei Schulen oder Spitälern sehen. Doch durch Zusammenlegungen von Aufgaben, durch permanenten Ressourcenmangel in diesen Einrichtungen, wird es zu einer schleichenden Privatisierung kommen. Die Regierung wird wahrscheinlich keine Schulen oder Universitäten privatisieren. Aber weil das öffentliche Angebot immer schlechter wird, Klassen und Hörsäle überfüllt und Lehrpersonal überfordert sind, wird, wer es sich leisten kann, auf private Bildungseinrichtungen ausweichen. Ähnliches sehen wir bei Gesundheit und Pensionen schon seit einigen Jahren. Aus berechtigter Angst, im Krankheitsfall nicht oder zu spät behandelt zu werden, schließen Menschen teure Privatversicherungen ab. Die private Pensionsvorsorge wurde unter blau-schwarz massiv beworben. Doch alle Untersuchungen zeigen, dass sie einzig der Bereicherung der Banken und Versicherungen dienen. Sie wurden als Ausweg für das Überakkumulationsproblem geschaffen. Neue Märkte mussten her, damit das Geld, das nicht profitbringend im produzierenden Bereich investiert werden konnte, neue Anlagemöglichkeiten findet. Mit dem Ausbau der privaten Pflege, Gesundheitsvorsorge und Bildungseinrichtungen wird dasselbe Ziel verfolgt.
Aufgrund der massiven Auslagerungen, auch und gerade bei der SPÖ-dominierten Gemeinde Wien, ist weit weniger in öffentlicher Hand als es scheint. Dennoch werden wir in der kommenden Periode weitere Privatisierung auf verschiedenen Ebenen sehen: die (Rest-)Privatisierungen (OMV, Post, Telekom etc) kündigen sich an, wenn ÖIAG-Aufsichtsratschef Mitterbauer erklärt „Privatisierungsmöglichkeiten sind ja gegeben“ und dass „der Staat in seiner Macht trotzdem immer wieder reduziert gehört“. Zusätzlich werden die Privatisierungen auf Landesebene zunehmen. Hier gibt es v.a. im Energiebereich noch einiges zu holen. Etwa die schleichende Privatisierung bei Sozialem, Gesundheit und Bildung, die durch Aushungern des staatlichen Sektors vorangetrieben wird. Die ÖVP will Privatisierungen bis zu einer Sperrminorität von 25% +1 Anteil auf Bund- und Länderebene und erhofft sich dadurch (Einmal-)Einnahmen von bis zu 24 Milliarden Euro. Die SPÖ schließt zur Zeit zumindest verbal Privatisierungen aus. Die Debatte über die Zukunft der ÖIAG spiegelt hier die unterschiedlichen Zugänge wider. Die Zurückhaltung der SPÖ spiegelt aber keine ideologische Rückbesinnung wider, sondern ist auf Linie mit jenem Teil des internationalen Kapitals, der die Auffassung vertritt, dass in Zeiten der Krise der Staat eine zentrale Rolle spielen muss. Dass er also gewisse Ressourcen und Grundlagen (Transportwesen, Infrastruktur etc.) zur Verfügung stellen muss, um der (Privat)Wirtschaft die Basis für ihr Agieren zur Verfügung zu stellen. Doch auch wo der Staat noch (Mit)Eigentümer ist, wird nach den kapitalistischen Spielregeln der Arbeitsdruck erhöht, werden Stellen abgebaut, Leistungen gekürzt.
Doch es wird auch Widerstand gegen den Privatisierungsprozess geben: In der Steiermark und in Oberösterreich gab es Proteste v.a. aus dem Sozialbereich. Postamtsschließungen wurden von lokalen Initiativen bekämpft, an Schulen und v.a. Universitäten lodert der Protest immer wieder auf. Hier wird es wichtig sein, die Zurückweisung der Privatisierungen mit einer echten Alternative zu verbinden: Wie soll eine Verstaatlichung aussehen, die im Sinne der Beschäftigten und KonsumentInnen ist, wer soll kontrollieren und verwalten? Wie sind diese Betriebe in eine gesamtgesellschaftliche Planung eingebunden? Und v.a. muss immer die Frage nach der Finanzierung des öffentlichen Sektors gestellt und mit der Forderung nach einer radikalen Umverteilung kombiniert werden.
Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer
Die Politik der letzten Jahrzehnte – Umverteilung von unten nach oben, Sozialabbau, Stellenkürzungen, Erhöhung der Ausbeutung – hat die soziale Schere weiter geöffnet. Nun verschärft die Krise die ohnehin schon „schiefe“ Einkommensverteilung noch mehr. Seit den 1980er Jahren sinkt die bereinigte Nettolohnquote kontinuierlich. Das bedeutet, dass die Arbeitseinkommen zugunsten der Gewinn/Besitzeinkommen abnehmen. Es gibt zwar immer mehr unselbständig Erwerbstätige, die immer mehr Werte schaffen, aber ihr Anteil am Volkseinkommen sinkt. Der Grund dafür sind Arbeitslosigkeit, härterer Arbeitsdruck, höheres Tempo, Menschen die länger, unbezahlt, krank etc. arbeiten. Die Ausbeutung steigt. 2010 haben über 75% der unselbständig Erwerbstätigen weniger als 1900.- netto Monatseinkommen verdient, bei den Frauen haben knapp 50%, bei den Männern über 25 % weniger als 1000.- netto Monatseinkommen gehabt (Quelle: AK). Eine Million Menschen in Österreich ist armutsgefährdet, eine halbe Million manifest arm. Betroffen sind in zunehmendem Maße Kinder und Jugendliche sowie Frauen und Arbeitslose. Der kommende Winter wird die Auswirkungen deutlich machen – Mindestpensionistinnen, die an Lungenentzündungen sterben, weil sie sich das Heizen nicht leisten können, Menschen, die aus dem selben Grund ständig verkühlt und geschwächt sind – all das gab es schon bisher in Österreich, es wird aber infolge der Kürzungen weiter zunehmen.
Politik und Medien zeichnen ein Bild, als ob Österreich – dank der großartigen Führung von SPÖ und ÖVP – die Krise weitgehend unbeschadet überstanden hätte. Auch in der ArbeiterInnenklasse gibt es das Gefühl bzw. die Hoffnung, dass die Krise Österreich nur gestreift hat. Tatsächlich wurde die heimische Wirtschaft bisher nur von den Ausläufern getroffen. Das ist allerdings nicht der Verdienst der Regierung, sondern die Folge der starken Anlehnung an Deutschland und die dortige Sonderentwicklung. Dennoch hat die österreichische ArbeiterInnenklasse schon in den letzten Jahren eine Reihe von Angriffen und Verschlechterungen hinnehmen müssen. Und angesichts der Perspektive weiterer, tieferer Einbrüche stehen noch weitere bevor. Das spiegelt sich z.B. in der Zunahme von Privatkonkursen wider. Die Verschuldung der Privathaushalte erreicht Rekordwerte. Die Hälfte der Menschen, die sich an die Schuldnerberatung wenden, haben keinen Job; Arbeitslosigkeit ist also ein wichtiger Grund für die Schuldenfalle – doch auch Arbeit schützt nicht vor Armut.
Eine Krise bedeutet stets schrumpfende Märkte, und in Folge den Abbau von Arbeitskräften sowie erhöhten Druck auf die Verbleibenden. Die seit Jahren kontinuierlich steigende Anzahl von Beschäftigten trügt: Offiziell ist die Anzahl der Beschäftigten von 1990 (2,88 Mio.) auf 2011 (3,42 Mio) stark gestiegen. Doch das sagt nichts darüber aus, welche Arbeitszeiten und Einkommen damit verbunden sind. Nur mehr 48% aller unselbstständig Erwerbstätigen arbeiten pro Woche die Normalarbeitszeit von 35-40 Stunden, 24% (v.a. Frauen) weniger als 30 Stunden/Woche, und ebensoviele (24%) über 40 Stunden/Woche (und der Zwang, Überstunden zu leisten, steigt aus Angst um den Arbeitsplatz) (Quelle: APA). Das Gesamtvolumen an geleisteten Arbeitsstunden hat sich trotz gesteigerter Produktion und gesiegener Beschäftigtenzahl nur geringfügig erhöht. Es kommt also zu einer Verschiebung von Voll- zu Teilzeitjobs. Die Teilzeitquote hat sich seit Mitte der 1990er Jahre auf über 25% fast verdoppelt. Betroffen sind überproportional Frauen, wo inzwischen fast jede Zweite nur Teilzeit arbeitet. Teilzeit bedeutet aber nicht nur niedrigere Einkommen, sondern auch eine stärkere Ausbeutung, da die Arbeitskraft, wenn sie zur Verfügung steht, noch „frischer“ und damit leistungsfähiger ist als bei einer Vollzeitarbeitskraft. Schwankungen in der Auftragslage werden durch Überstunden und – gerade im Bereich Gewerbe und Industrie – durch Leiharbeitskräfte ausgefüllt. Allein im Zeitraum 2009-2011 gab es bei den Leiharbeitskräften eine Zunahme um über 30%. Diese Entwicklung zeigt den Wunsch der heimischen Wirtschaft, die Ausbeutung der Arbeitskräfte zu erhöhen, um die Lohnstückkosten zu reduzieren und auf den internationalen Märkten konkurrenzfähig zu bleiben. Die realen Lohnstückkosten sind seit 1980 um fast ein Fünftel gesunken, und zwar stärker als in Deutschland oder dem EU-Durchschnitt (Quelle: Arbeit & Wirtschaft). Diese Entwicklung hält auch in den letzten beiden Jahren an: Die realen Lohnstückkosten sind auch 2010 und 2011 in Österreich stärker gesunken als in Deutschland, dem Euroraum oder den EU 27 – das bedeutet nichts anderes, als dass die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft durch eine Erhöhung der Ausbeutung der österreichischen ArbeiterInnenklasse erreicht wurde. Diesen Trend fortzusetzen ist für die heimische Wirtschaft im Umfeld der sich international immer mehr verschärfenden Konkurrenz lebenswichtig. Regierung und Wirtschaftsverbände sind bestrebt, dafür die Grundlage zu legen. Als SozialistInnen müssen wir aufzeigen, was sich hinter den Vokabeln wie „Wettbewerbsfähigkeit“ versteckt: ein Standortwettbewerb, der bei Löhnen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit und Sozialleistungen, aber auch bei Fragen der Repression gegen ArbeitnehmerInnen eine Spirale und ein Dumping nach unten bedeutet.
Die zunehmenden Schikanen sind nicht das Ergebnis purer Bösartigkeit der Herrschenden, sondern aus ihrer Sicht ökonomische Notwendigkeit: Eine Krise bedeutet mehr Arbeitslose (= mehr Ausgaben) und weniger BeitragszahlerInnen (= weniger Einnahmen). 2009 und 2010 hat die Regierung diese Löcher durch relativ hohe Bundesbeiträge zur Arbeitsmarktpolitik gestopft. Doch da das aus ihrer Sicht keine Dauerlösung ist, werden Schritte gesetzt, die den BezieherInnenkreis und die Bezugshöhe reduzieren. Die Kreativität von Politik und Wirtschaft hat keine Grenzen, wenn es um die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse geht: Angedacht werden immer wieder Zwangsarbeit für Arbeitslose, „Freiwilligenarbeit“, Kürzungen bei bei Höhe und Dauer der Bezüge, Verschlechterungen bei den Zumutbarkeitsbestimmungen (Anfahrtswege, Berufsschutz...). Wenn z.B. im Sozialbereich weiter auf Bundes- und Landesebene gekürzt wird – oder wenn durch eine Abschaffung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes hier tausende Kräfte fehlen - dann könnten diese Löcher durch Zwangsarbeit von Arbeitslosen (qualitativ schlecht, weil ungeschult) gestopft werden. Im Belastungspaket 2012 werden mit der „Arbeitsmarktoffensive bis 2016“ Schritte in diese Richtung vorbereitet. Denn in den letzten Jahren hat die Regierung infolge der Krise und um die sozialen Folgen geringer zu halten, sehr hohe Bundesbeiträge für die Arbeitsmarktpolitik bezahlt (Bundesausgaben zur Arbeitsmarktpolitik: 2000-2008: durchschnittlich 380 Mio Euro/Jahr, 2009-2011: durchschnittlich 980 Mio Euro/Jahr, Quelle: bmask). AMS-Kurse und die Kurzarbeit wurden so finanziert. Doch das waren nur vorübergehende Zahlungen.
Auf Dauer wird sich der Bund, gerade bei sinkenden Einnahmen und verschärftem Spardruck, diese Beiträge nicht leisten können und hier kürzen. Schönfärberisch kündigt die Regierung „Maßnahmen, um ältere ArbeitnehmerInnen länger im Erwerbsleben zu halten“ an. Die Türen zur Frühpension sind durch eine Reihe von Maßnahmen weitgehend zugeschlagen worden. Weltfremder geht es kaum noch: Zum Jahreswechsel 2011/2012 waren mehr als 65.000 über 50jährige arbeitslos. Die wenigsten davon wohl freiwillig. Frauen gelten je nach Quelle schon ab 45, 40 oder gar 35 als „schwer vermittelbar“. Viele der älteren Erwerbsarbeitslosen haben ein schweres Arbeitsleben hinter sich und sind nicht mehr so „fit“ - kaputter Rücken und Bewegungsapparat sind weit verbreitet. Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt, nicht zuletzt wegen des erhöhten Drucks und steigender Zukunftsängste. Die Arbeit macht Menschen krank, die Unternehmen spucken sie dann aus und die Schuld haben die Arbeitslosen?! Unternehmen wollen billige, junge Arbeitskräfte. Die „Erfahrung der Älteren“ mag im Segment der Führungskräfte für ein Unternehmen interessant sein, beim Durchschnittsjob interessiert sie nicht. Wenn über Politik und Medien getrommelt wird, dass durch die „Fit2Work“-Programme mehr ältere Arbeitslose wieder in die Erwerbsarbeit gebracht werden können, dann gibt es nur eine einzige Möglichkeit, wie diese Maßnahmen tatsächlich Geld für den Staat sparen können: wenn Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bzw. Bedarfsorientierte Mindestsicherung so reduziert werden, dass ältere, kranke Menschen jeden noch so miesen Job annehmen müssen, um überleben zu können. Zusätzliche Jobs werden so nicht geschaffen. Ältere und jüngere Arbeitslose werden dann um dieselben mies bezahlten Jobs ringen, das Lohnniveau insgesamt absinken, genauso wie der Lebensstandard. Wenn Jobs mit niedrigerem Einkommen angenommen werden müssen, senkt das bei einer nächsten Arbeitslosigkeit den Arbeitslosenbezug. Ein echtes Einsparungspotential für den Staat, Armut für die Betroffenen.
Völlig offen bleibt auch die Frage, welche Jobs die jetzt Arbeitslosen dann verrichten sollen: Im Gesundheits- und Sozialbereich, der jetzt ein gewisser Jobmotor ist, wird massiv gestrichen. Hier wird es also eher weniger als mehr Jobs geben. Der Facharbeitermangel wird nicht mit AMS-Schnellsiederkursen behebbar sein. AbsolventInnen von Ausbildungen in genau diesen Bereichen z.B. bekommen oft gar keine Jobs. Im Gegenteil wird der „Facharbeitermangel“ als Argument benützt werden, um z.B. bei den Zumutbarkeitsbestimmungen weitere Verschärfungen zu beschließen und die Löhne zu drücken. Ganz nach dem Motto: „Wenn ihr keine billigen spanischen Dreher wollt, müsst ihr selbst billiger arbeiten und auch bereit sein, pro Tag drei Stunden Fahrzeit in Kauf zu nehmen.“ Insgesamt geht es nicht wirklich darum, Menschen einen Job zu geben, sondern Möglichkeiten zu finden, ihnen den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Pension zu verunmöglichen. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und einem Mindestlohn von 1300.- netto/Monat ist auch und gerade in dieser Situation zentral. Nicht noch stärkere Ausbeutung, sondern Verteilung der Arbeit und der Einkommen auf alle ist die Antwort von SozialistInnen.
Die real steigende Arbeitslosigkeit – verschleiert durch „Schulungsmaßnahmen“ und geschönte Statistiken – erhöht auch den Druck auf jene, die einen Job haben. In den letzten Jahrzehnten ist Arbeitslosigkeit zu einem Dauerphänomen geworden und hat damit auch gezeigt, dass die 1960er und 1970er Jahre, als es kaum Arbeitslose gab, die Ausnahmesituation waren und seither die kapitalistische Normalität herrscht. Nach nationaler Definition (im Gegensatz zur noch beschönigenderen EU-Definition) liegt die Arbeitslosigkeit zur Zeit bei rund 7%. Im europäischen Durchschnitt ist sie noch verhältnismäßig niedrig und es wurden in den letzten Jahren auch Maßnahmen gesetzt, um die Statistik schön zu halten. Doch an der realen Situation hat das wenig geändert. Arbeitslose berichten über zunehmende Schikanen und Bezugssperren. Die Schulungen sind häufig bestenfalls Beschäftigungstherapie, zu Jobs verhelfen sie wenig. Die „Ausbildungsgarantie“ des Bundeskanzlers hat Jugendliche ohne Lehrplatz in Maßnahmen verfrachtet, wo sie wenig lernen, kaum über eigenes Geld verfügen und vom ersten Tag vermittelt bekommen, dass sie nichts wert sind. Das schafft die Grundlagen für Zynismus, Frustration und allen damit verbundenen Folgen. Denn Erwerbsarbeitslosigkeit hat nicht nur finanzielle Folgen, sondern auch psychische. In der Vergangenheit dominierte die Propaganda „Wer einen Job will, der findet auch einen“. Das ist heute zwar aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit auch z.B. unter AkademikerInnen nur mehr in abgeschwächter Form präsent, doch nach wie vor wird Arbeitslosigkeit mit Versagen gleichgesetzt und deutlich gemacht, dass mit dem Job auch das Recht auf ein Leben mit Wohnung und Geld für Freizeit und Kultur verloren gegangen ist. Arbeitslosen, insbesondere Jugendlichen, die ja „noch nichts geleistet haben“, wird vermittelt, sie hätten keine Rechte und dürften nichts fordern.
Auf der Basis dieser Propaganda vollziehen sich auch die Angriffe auf die finanziellen Rechte von Arbeitslosen. Dies hat bereits mit der Einführung der „Bedarfsorientierten Mindestsicherung“ begonnen, die eine Reihe von Problemen mit sich bringt. Die jüngste Evaluierung zeigt, dass sie nicht zur Rückkehr in den Erwerbsprozess führt und die Armutskonferenz weist darauf hin, dass sie nicht nur um rund 25% unter der Armutsgrenze liegt, sondern auch eine Reihe von Barrieren und Hürden für den Bezug existieren.
Von der Krise und ihren Auswirkungen besonders und auf mehreren Ebenen betroffen sind Frauen. Klassisch werden sie zu Beginn einer Krise eingesetzt, um „teure“ Männer durch „billige“ Frauen zu ersetzen. Das sehen wir auch aktuell – die Arbeitslosigkeit unter Frauen ist seit der Jahrtausendwende niedriger als jene der Männer, und das obwohl sich viele Frauen ohnehin nicht arbeitslos melden. Doch mit Fortschreiten der Krise kippt diese Entwicklung ins Gegenteil und Frauen sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Dies setzt bereits ein: Zunehmend drängen Männer in „typische“ Frauenjobs, wie z.B. den Handel. Dazu kommt noch, dass Frauen niedrigere Einkommen und niedrigere Arbeitslosenbezüge haben, bzw. gar keine, weil sie verheiratet sind oder in einer Partnerschaft leben und damit das Recht auf eigene Bezüge verlieren. Auch die Mindestsicherung, die ja das Partnereinkommen mitberücksichtigt, drängt Frauen in die Armut und erhöht die Abhängigkeit vom Partner. Die Kürzungen im Sozial-, Gesundheits-, Pflege- und Bildungsbereich trifft ebenfalls besonders stark Frauen, die diese Leistungen dann unbezahlt übernehmen müssen. Dies geschieht in Wechselwirkung mit der (wieder-)Verstärkung der traditionellen Rollenbilder, die als ideologisches Unterfutter für die ökonomische Notwendigkeit dient. Das Linzer Meinungsforschungsinstitut Spectra hat 2005 und 2012 eine Studie zu Rollenbildern durchgeführt: Traditionelle Vorstellungen in Bezug auf die Rollen der Geschlechter bei der Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit haben zugenommen. Der Aussage „Im Grunde finde ich es richtig, dass sich die Frauen um den Haushalt und die Kinder kümmern und die Männer das Geld verdienen“ stimmten 2012 54 % (sehr bzw. eher) zu. 2005 waren es noch 49 %. Interessant ist dabei, dass für diesen Anstieg insbesondere die Frauen verantwortlich sind. 51 % stimmten dieser Aussage zu. Das ist eine Zunahme von 10 % im Vergleich zu 2005. Während die Doppelbelastung von Frauen sich durch die Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich verstärkt, wird es für Frauen zunehmend schwerer, einen existenzsichernden Job zu finden. In der Rolle der Hausfrau und Mutter versuchen Frauen, dem Stress der Doppelbelastung und der schlechten Arbeitsmarktsituation zu entkommen. Dass die Frauen (wie auch die Männer) sich aber durchaus bewusst sind, dass Hausfrauen sich in eine Abhängigkeit von ihrem Partner begeben, zeigt die Spectra-Umfrage ebenso: Demnach finden 81 % der befragten Männer und Frauen, dass ein Beruf für Frauen das beste Mittel ist, um unabhängig zu sein. 78 % sind aber der Meinung, dass Männer es im Berufsleben leichter haben als Frauen. Die SLP betont daher auch die frauenfeindliche Seite des Sozialabbaus. Als SozialistInnen fordern wir einen Ausbau von Kinderbetreuung sowie des Gesundheits- und Sozialbereichs, um die unbezahlte Arbeit, die v.a. von Frauen in Haushalt und Familie geleistet wird, zu reduzieren. Doch auch unsere Forderung einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen ist gerade für Frauen zentral. Denn eine Arbeitszeitverkürzung würde nicht nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen aufteilen, sondern auch eine bessere Umverteilung der unbezahlten Arbeit zwischen den Geschlechtern ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist auch die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen eine wichtige Forderung, damit es nicht aus finanziellen Gründen dazu kommt, dass der Mann die bezahlte Arbeit und die Frau die unbezahlte Arbeit übernimmt. Hier ist nicht nur die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, sondern insbesondere für frauendominierte Niedriglohnbranchen auch die Forderung nach einem Mindestlohn von 1300.- netto/Monat wichtig.
Die Folgen der wirtschaftlichen Krise für Frauen finden sich auch im privaten Bereich. Wenn Bildung z.B. teurer wird, wird dann in Mädchen, die am Arbeitsmarkt geringere Jobchancen haben, investiert? Wenn Wohnungen teurer werden, können sich Frauen noch schwerer von gewalttätigen Partnern trennen. Gewalt nimmt in Krisen zu, die Fluchtmöglichkeiten aber nehmen ab (weniger Geld z.B. für Frauenhäuser etc.). Wenn es keine offiziellen Jobs gibt, aber die Familie ernährt werden muss, bleibt Frauen oft nur die bürgerliche Prostitution (eine unerwünschte Ehe) oder die Rotlicht-Prostitution. Es gibt Schätzungen, wonach in Athen die Prostitution in Folge der Krise um über 1000% zugenommen hat. Wir sehen daher gerade am Anfang der Bewegungen eine starke Beteiligung von Frauen. Es ist kein Zufall, dass gerade auch in den „Frauenbranchen“ – Gesundheits- und Sozialbereich – Widerstand existiert. Das kann sich aber mit Verschärfung der Krise umkehren, wenn Frauen, die unmittelbarer gezwungen sind, um die eigene Existenz und jene der Kinder zu kämpfen, weniger Möglichkeiten haben, sich an Kämpfen zu beteiligen.
Eine wichtige Stütze der heimischen Wirtschaft ist der private Konsum. Hier sehen wir eine Verlangsamung: Ausgehend von 1990 (Index = 100) ist der Index bisher ca. im fünf-Jahres-Rythmus um zehn Prozentpunkte gestiegen (1990: 100, 1995: 109,6, 2000: 120,9, 2005: 130,9, 2012: 140,1, Quelle: Statistik Austria). Für die letzten zehn Prozentpunkte brauchte er allerdings sieben Jahre – fast 1,5 mal so lange wie in den Perioden zuvor. Das ist eine direkte Folge der Kürzungspolitik. Durch den Sozialabbau einerseits und das Sinken bei den Reallöhnen andererseits haben alle – mit Ausnahme einer kleinen Schicht Reicher und Wohlhabender – weniger an verfügbarem Einkommen. Rund 50 Prozent des Einkommens eines Haushalts werden für nur drei Posten aufgewendet: Wohnen (und Heizung), Auto (oft wichtig für den Weg zum/vom Arbeitsplatz) und Essen. Die Ausgaben für Wohnungsaufwand sind von 1999 (297.- Euro/Monat) auf 2011 (410.- Euro/Monat) um 38 % gestiegen. Das ist im Wesentlichen nicht auf größere Wohnungen, sondern auf die gestiegenen Quadratmeterpreise (+31%) zurückzuführen (Quelle: AK). Die hohen Preise und die fragwürdige Inflationsberechnung führen dazu, dass die „gefühlte“ Inflation weit höher ist als die offiziell angegebene. Die Strompreise sind im letzten Jahrzehnt um rund 30 Prozentpunkte, die Gaspreise sogar um rund 70 Prozentpunkte angestiegen (Quelle: APA, Statistik Austria). Schon länger gibt es daher für viele ArbeitnehmerInnen Reallohnverluste. Dies zeigt sich auch daran, dass für 2012 die Menschen in Österreich 12% weniger für Urlaub ausgeben wollen bzw. können als im letzten Jahr.
Gleichzeitig gibt es in Österreich enorme Reichtümer: Acht Milliarden liegen in den Kassen der Konzerne, die reichsten zehn Familien verfügen über 68,6 Mrd, die reichste Familie alleine (Piech/Porsche) besitzt 35,5 Mrd. Euro. Die reichsten 0,85 % der Bevölkerung, das sind 72.100 Menschen, besitzen 223 Mrd. Euro oder ein Drittel (33 Prozent) des Finanzvermögens im Land. Und ihr Reichtum nimmt um acht Prozent pro Jahr zu (Quelle: Valluga).
Die Umverteilung dieser Vermögen, deren Investition in Bildung, Gesundheit und Verkehr ist kein Thema für die Herrschenden. Die aktuelle Krise macht einmal mehr das Chaos des Kapitalismus deutlich: JedeR KapitalistIn ist sich selbst der nächste, versucht die eigenen Profite bzw. die Profitrate zu sichern. Gerade weil den KapitalistInnen bewusst ist, dass die aktuelle Krise eine strukturelle und noch lange nicht vorbei ist, sind wir in der letzten Periode mit einer Welle von Angriffen konfrontiert. In Österreich stehen wir hier noch am Anfang. Doch ein Blick nach Griechenland, Spanien, aber auch Irland und Britannien zeigt, wohin die Reise geht. Lohn/Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst um 20, 30 oder auch mehr Prozent. Reduzierungen und Streichungen beim Arbeitslosengeld. Eine Zerschlagung und Privatisierung des Gesundheitswesens. Die Folge: In Griechenland brechen Kinder aus Unterernährung im Turnunterricht zusammen, und es tötet sich jeden Tag ein Mensch selbst aus Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. In Österreich gibt es bereits Anzeichen in diese Richtung: Ein Arbeitsloser hat sich aus Verzweiflung selbst verstümmelt. Die Krise des Sozialstaates ist eine logische und aus Sicht des Kapitals notwendige Folge der Wirtschaftskrise. Als SozialistInnen verteidigen wir jede noch so kleine soziale Errungenschaft. Doch wir sind uns auch bewusst, dass alle Lösungen, die im Rahmen des Kapitalismus stecken bleiben, keine dauerhaften sind. Ein Ausbau des Sozialstaates, ein öffentliches Investitionsprogramm in Bildung, Soziales und öffentlichen Verkehr muss erkämpft werden und kann besonders in Krisenzeiten nur gegen den Willen der herrschenden Klasse durchgesetzt werden. Eine echte Sicherung des Sozialstaates ist im Rahmen des Kapitalismus, der ja immer wieder zu Krisen führt, auf Dauer nicht möglich. Eine echte und dauerhafte soziale Sicherheit für Menschen jeden Alters aus der ArbeiterInnenklassse ist nur mit einem Sturz des Kapitalismus und der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft möglich.
Politische Krise des Establishments
Sinkende Wahlbeteiligung, Höhenflüge neuer, teilweise skurriler Listen und Vertrauenswerte für PolitikerInnen, die hinter denen von Gebrauchtwagenhändlern rangieren. Was fälschlicherweise als „Politikverdrossenheit“ bezeichnet wird, ist eine verständliche Reaktion auf eine Serie von Korruptionsskandalen und eine Politik, die die Ängste, Sorgen und Nöte der Menschen weitgehend ignoriert. Die Stimmung schwankt zwischen starker Empörung, Resignation und Zynismus. Die Erhöhung der Parteienförderung wirkt vor dem Hintergrund von Sparpaketen und Empörung über die Politik wie eine zusätzliche Verhöhnung. Der Eindruck wird einmal mehr bestätigt, dass sich die PolitikerInnen bereichern, während es den „normalen Menschen“, der ArbeiterInnenklasse, immer schlechter geht. Seit mehreren Jahren wird ein Skandal nach dem anderen bekannt: Im Rampenlicht stehen v.a. PolitikerInnen der blau-schwarzen Ära, doch auch Fälle der Regierungen vorher und nachher bzw. aus den Bundesländern und Kommunen werden laufend bekannt. Korruption ist nichts Neues, auch schon früher gab es solche Skandale. Was neu ist, ist die Dichte. Der Eindruck ist, dass alle Parteien, so gut wie alle PolitikerInnen, irgendwie involviert sind. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die Korruption insgesamt zugenommen hat. Die Zeit, die PolitikerInnen in ihren Funktionen und Ämtern bleiben, sinkt. Konnte er/sie sich früher auf einen langen Versorgungsposten einrichten, mit hohem und gesichertem Einkommen, so ist heute oft schon nach weniger als einer Legislaturperiode Schluss. Das BeraterInnen-Unwesen, das seit blau-schwarz boomt, ist ebenfalls ein Teil dieses Spieles. Weil die Versorgungsposten z.B. in der verstaatlichten Industrie etc. eng werden, müssen neue geschaffen werden, damit politische WeggefährtInnen nach dem „Ausstieg“ aus der Politik anderweitig versorgt werden. Die Krise tut ein Übriges dazu: Wenn weniger Aufträge vergeben werden (öffentlich und privat), dann müssen die EntscheidungsträgerInnen (in Politik und Wirtschaft) eben besser „geschmiert“ werden. Das gilt auch für die kommunale Ebene – diese kann immer weniger verteilen/Aufträge vergeben und wird damit noch anfälliger für Korruption. Die undemokratischen Strukturen in Politik und Wirtschaft und die hohen PolitikerInneneinkommen tun ein Übriges dafür, dass jede Relation, jedes Verständnis dafür, wie normale Menschen leben, fehlt. PolitikerInnen waren früher keine besseren Menschen, aber sie sind heute noch abgehobener als in der Vergangenheit. PolitikerInnen, die mit dem Bild des typischen Politikers brechen oder sich anders präsentieren, erhalten Zustimmung: So z.B. der sich jugendlich-salopp gebende Strache auf der rechten Seite des Spektrums. Dort wo das Prinzip „Durchschnittsgehalt für PolitikerInnen“ gelebt wird - z.B. bei den Abgeordneten der Socialist Party in Irland (Schwesterpartei der SLP) - stößt das auf sehr große Unterstützung. Denn dass die Behauptung, PolitikerInnen müssten viel verdienen, um nicht anfällig für Bestechung zu sein, nicht stimmt, ist offensichtlich. Klar ist aber auch, dass den PolitikerInnen immer mehr jeder Bezug zur Realität fehlt. Das liegt aber nicht nur an den hohen Einkommen, sondern auch daran, dass die etablierten Parteien – und zwar alle – die Interessen der Wirtschaft, letztlich des Kapitalismus, vertreten. Und gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise bedeutet das eben Maßnahmen gegen die ArbeiterInnenklasse.
Als Ergebnis sehen wir eine Krise der herrschenden Parteien. SPÖ und ÖVP waren lange Zeit Ergebnisse jenseits der 40% gewöhnt, nun sind schon 25% ein Erfolg. Alle Parteien haben ein Problem mit dem politischen Nachwuchs. Die Jugendorganisationen sind wenig aktiv, teilweise kaum existent und wo doch, dort v.a. weil sie über große finanzielle Ressourcen verfügen oder die einzige Struktur sind, die Freizeitangebote macht. Bei AktivistInnen und Mitgliedern gibt es starke Einbrüche.
Die in letzter Zeit gehäuft auftretenden Korruptionsskandale erschüttern die Stabilität der jeweils betroffenen Parteien. Wenn auch in den vergangenen Monaten vor allem VP, BZ, FP und FPK betroffen waren und in Umfragen darunter leiden, ist Korruption ein immer wiederkehrendes Phänomen in sämtlichen bürgerlichen Parteien. Die Verschlechterung einer akut betroffenen Partei in den Umfragewerten ist in der Regel nicht anhaltend, da der Skandal innerhalb kürzester Zeit von neuen Korruptionsfällen in anderen Parteien überschattet wird. Der WählerInnenwechsel zwischen Parteien im Zuge dieser Skandale unterstreicht nur die völlige Austauschbarkeit der Parteien des bürgerlichen Einheitsbreis. Das weitestreichende Resultat der Korruptionsskandale ist, dass das Vertrauen der Menschen in das Establishment zu Recht verlorengeht und die Haltung, dass PolitikerInnen, egal welcher Partei, ausschließlich in die eigene Tasche wirtschaften würden und an den Sorgen, Nöten und Fragen der Bevölkerung überhaupt kein Interesse hätten, verstärkt wird. Das drückt sich auch in der wachsenden Zahl von Menschen aus, die nicht oder ungültig wählen (wollen). Die Krise der ÖVP drückt auch eine Umgruppierung im bürgerlichen Lager aus. Die SPÖ ist längst auch für bürgerliche WählerInnenschichten eine Option, ebenso wie die Grünen und BZÖ sowie FPÖ. Die traditionelle bürgerliche Partei hat wohl die meiste Konkurrenz in „ihrem“ Feld.
Die SP erscheint zurzeit in Umfragen stabiler. Das heißt aber nicht, dass sie weniger korrupt ist als die anderen etablierten Parteien. Sie kann in Zukunft genauso durch Korruptionsskandale erschüttert werden. Viel wichtiger für den kontinuierlichen Niedergang der SP ist jedoch der dramatische Entleerungsprozess. Die wenigen aktiven Mitglieder sind einerseits FunktionärInnen und andererseits die übrig gebliebenen Linken, die hoffen, doch noch das Ruder zurück zu einer echten ArbeiterInnenpartei zu reißen. Doch die wiederkehrenden Versuche zeigen keine Erfolge, die SPÖ agiert als klar bürgerliche Partei. Sie vertritt v.a. die Interessen des internationalen Kapitals, da sie traditionell kaum Wurzeln im heimischen Kapital hat, dafür aber während über 50 Jahren aufgebaute enge Verbindungen zu Multis wie Siemens & Co. In der letzten Periode hat die SPÖ wieder auf ein gewisses Ausmaß an sozialer Rhetorik gesetzt. Das spiegelt allerdings keinen Kurswechsel wider und ist keine Rückbesinnung auf alte Werte als ArbeiterInnenpartei, sondern repräsentiert einfach ein Element des Populismus, das alle bürgerlichen Parteien gerade in Krisenzeiten brauchen, um WählerInnen aus proletarischen Schichten zu gewinnen. In ihrer praktischen Politik zeigt sich nichts von dieser sozialen Rhetorik, weder auf Bundesebene noch dort, wo sie in Alleinregierung auf Landes- oder Kommunalebene ist oder eine Koalition anführt. Faymanns Reaktion auf den Wahlsieg von Hollande war deutlich: „Jetzt darf Europa beim Sparen nicht nachlassen“ und Swoboda, Fraktionsführer der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, meinte nach den griechischen Wahlen, die GriechInnen hätten das Richtige gewählt – nämlich die bürgerliche ND und nicht die linke Syriza. Das spiegelt wider, dass sich die österreichische Sozialdemokratie der Abhängigkeit der österreichischen Wirtschaft von der Entwicklung in Europa sehr bewusst ist und hier eben nicht auf „internationale Solidarität der ArbeiterInnen“ gesetzt wird, sondern auf Standortwettbewerb und die Interessen der österreichischen Banken und Unternehmen.
Die Grünen sind längst vollständig im Establishment angekommen. Ihr „staatstragender“ Umgang mit dem „Europäischen Rettungsschirm“ ist dafür nur ein Beispiel. In Koalitionen in Wien und Oberösterreich zeigen sie, dass sie der bisher herrschenden Politik keine Probleme machen und gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise ein stabiler Partner sind. Im Gegensatz zur FPÖ ist das populistische Element bei den Grünen im Laufe der Jahre immer geringer geworden und sie damit zu einem berechenbaren und zunehmend interessanten Partner für die VertreterInnen des heimischen Kapitals geworden. Die Partei hat sich stabilisiert und in einem oft älteren, gebildeten, kleinbürgerlichen Milieu einen fixen Kern. Dies zeigt sich auch daran, dass unter den Grün-WählerInnen die Zustimmung zum Sparpaket mit 58% die zweithöchste nach der ÖVP (79%) war. Unter Jugendlichen aus der Mittelschicht bzw. aus bildungsbürgerlichen Schichten wird sie zunehmend als „kleineres Übel“ wahrgenommen, als jene Partei des Establishments, die am wenigsten Schaden anrichten kann, wenn sie an der Macht ist. Als echte Alternative wird sie immer weniger wahrgenommen, was sich auch im Aufstieg von Formationen wie den Piraten zeigt, die ein ähnliches Klientel bedient, aber (noch) auf Themen und Methoden setzt, die einst typisch für die Grünen waren. Selbst in Fragen wie der Einengung des Zuganges zu Wahlen, um Konkurrenz auszubremsen, scheinen sich die Grünen auf dem Weg zur machterhaltenden Normalpartei zu befinden. Die Abschaffung der Hürde Unterstützungserklärung haben sie als Forderung schon lange fallen lassen. Nun könnte im rot-grünen Wien auch eine Wahlrechtsreform kommen, die Verschlechterungen für kleine Listen bringt.
BZÖ, FPK und FPÖ bedienen, in unterschiedlichen Regionen unterschiedlich, den rechten Rand des Spektrums. Das BZÖ versucht sich als „bessere“ ÖVP zu präsentieren sowie den Platz einer liberalen Partei einzunehmen, was kaum gelingt. Mit dem Aufkommen von Stronachs Söldnertruppe könnte das Projekt BZÖ allerdings ernsthaft gefährdet sein.
Die gefährlichste politische Kraft in Österreich ist nach wie vor die FPÖ. Vorübergehende Einbrüche – wie im Zuge des Graf-Skandales – ändern daran gar nichts. Immer wieder gab es in der Vergangenheit solche und noch weit stärkere Einbrüche nach Korruptionsskandalen und internen Krisen: Rosenstinglaffäre 1998 und Parteispaltung 2005, sowie eine Vielzahl kleinerer, meist in Folge von rechten Sagern/Postings von FPÖ-PolitikerInnen (Grafs Parlamentsmitarbeiter und ihre einschlägigen Bestellungen 2010, rassistisches Computerspiel im steirischen Wahlkampf 2010, an Sympathie grenzende Postings nach dem Brevik-Massaker 2011 uvm.). Auch die Korruptionswelle in Kärnten wird daran längerfristig nichts ändern – sie zeigt aber auf, dass FPÖ/FPK, wie jede andere bürgerliche Partei, Teil der korrupten Machenschaften sind.
Zur Entwicklung der FPÖ haben wir auf der SLP-Konferenz im Herbst 2009 eine umfassendere Analyse verfasst. Hier seien daher nur die Kernpunkte zusammengefasst: 1) Der ideologische, weit rechts stehende Kern der FPÖ, der auch Querverbindungen ins Lager der Neonazis hat, dominiert zurzeit die FPÖ. 2) Die jahrelange rassistische Propaganda der FPÖ, der sich die anderen Parteien des Establishments zumindest in Teilen auch angeschlossen haben, hat die Grundlage dafür geschaffen, dass in Österreich Rassismus salonfähig und weit verbreitet ist. 3) Nicht alle WählerInnen sind aber rechtsextrem, sondern im Gegenteil ist der Hauptgrund für viele, die FPÖ zu wählen, ihre scheinbar soziale Rhetorik. 4) Das Wachstum der FPÖ hat seine Grundlage v.a. in der Politik der etablierten Parteien. Das Fehlen einer linken Alternative erlaubt es der FPÖ, das entstandene Vakuum von rechts zu füllen. Klassenkämpfe und die Formierung einer neuen Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche sind die Grundlagen, um die FPÖ erfolgreich zurückzudrängen.
Die Krise bietet der FPÖ neue Möglichkeiten. Die Kombination aus Rassismus und pseudosozialer Rhetorik führt dazu, dass sie beim Fehlen einer linken Alternative die einzige Partei ist, die die Sparlogik und das EU-Diktat aufzeigt. Auch wenn die „Lösungen“ der FPÖ keine sind, spricht sie doch richtige Punkte an. Die Reaktion darauf kann nicht heißen: „Wenn die FPÖ die EU kritisiert, dann müssen wir sie verteidigen“ - das ist falsch. Notwendig ist vielmehr eine nicht-nationalistische Kritik an EU & Co., die die soziale Frage in den Vordergrund stellt. Die SLP ist Teil des Komitees für eine ArbeiterInnen-Internationale. Wir sind gemeinsam mit ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Jugendlichen und anderen, die sich gegen den Sozial- und Demokratieabbau wehren, in ganz Europa aktiv. Wir fordern Mindestlöhne, von denen mensch leben kann, die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien sowie der Banken unter Kontrolle und Verwaltung von Beschäftigten, KundInnen und den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, sowie massive öffentliche Investitionsprogramme in Bildung, Wohnen, Gesundheit und öffentlichen Verkehr statt Bankenrettungspaketen, die nur einer kleinen Minderheit zugutekommen.
Vor den kommenden Wahlen, v.a. wenn die wirtschaftliche Lage sich bis dahin verschlechtert, wird der Druck auf die FPÖ, einen pragmatischen und für die Wirtschaft verlässlichen Weg einzuschlagen, enorm sein. Je tiefer die ökonomischen Probleme sein werden, umso lauter die Stimmen, die nach einer Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung der FPÖ rufen. Die FPÖ steht nicht im Widerspruch zu neoliberaler Kürzungspolitik, das hat sie in ihrer Regierungszeit bewiesen und das steht – verschleiert, aber doch - auch heute in ihrem Programm. Auch z.B. bei den MetallerInnenstreiks 2011 hat sie sich klar gegen die Interessen der Streikenden gestellt. Doch die FPÖ 2012/13 ist nicht dieselbe wie 2000. Dem Wunsch nach Regierungsbeteiligung und dem Zugang zu den Futtertrögen der Macht stehen die Erfahrungen mit dem Absturz bei Wahlen nach einer Regierungsbeteiligung gegenüber; der Kern der Partei ist ideologisch fester als um die Jahrtausendwende. Im Wahlkampf wird sich die FPÖ auf jeden Fall als „einzige Opposition“ präsentieren, wird soziale Themen, Anti-EU-Propaganda und Rassismus nach vorne stellen. Gerade bei sozialen Themen aber bleibt sie sehr allgemein: Den größten Angriff auf den Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten, die Reallohnverluste, greift sie logischerweise nicht an. Wie sie sich nach der Wahl verhalten wird, ist offen und hängt stark von den möglichen Koalitionen ab. Eine Fundamentalopposition als Vorbereitung für weiteres Wachstum ist eine Möglichkeit, v.a. wenn die FPÖ nicht stärkste Kraft wird. Sie könnte aber auch, gemeinsam mit BZÖ und einer ÖVP rund um den Schüssel-Flügel, einen Kurs wie die ungarische Fidesz einschlagen und versuchen, sich auf Basis des heimischen Kapitals gegen gewisse EU-Vorlagen zu stemmen. Ein weiteres Element können kleine, aber medienwirksam genutzte Sozialprojekte sein, die die Partei zwar nicht viel kosten, aber helfen sollen, ihr Image als Soziale Heimatpartei zu stärken. Durch eine solche Form von „Sozialarbeit“ (bei der es gewisse Parallelen in der Methode mit z.B. der steirischen KP geben kann), kann eine gewisse WählerInnenschicht an die Partei gebunden werden, ohne echte Lösungen für soziale Probleme auch nur anzusprechen.
Neben den etablierten Parteien sehen wir aber auch die Formierung neuer Angebote. In regelmäßigen Abständen werden Umfragen veröffentlicht, die belegen, dass der Wunsch nach einer neuen Partei existiert. Je nach Umfrage wollen 15-20% eine neue Partei im Parlament. Demokratische Strukturen, Mitbestimmung und die Ablehnung jeglicher Korruption sind zentrale Motive. Doch die bisherigen Projekte sind letztlich alles nur verschiedene Spielarten liberaler Organisationen. Sie werden daher mit Vertiefung der Krise notgedrungen in ihrem sozialen Programm (so ein solches überhaupt existiert) nach rechts gehen müssen. Die einzelnen Projekte können kurzfristig ein starkes Medienecho erzielen. Wie lange das hält, ob es sich in Stimmen und AktivistInnen ausdrückt, ist aber eine andere Frage. Nach dem ersten Hype rund um die Piraten dominiert nun Stronach die Medien. Die Piraten haben kein Programm, wollen ein solches durch Abstimmungen im Internet irgendwann erarbeiten, sind eine Truppe von fast ausschließlich Männern und solchen, die Zeit und Möglichkeit haben, sich jeden Tag stundenlang in der virtuellen Welt zu bewegen. Soziale Themen spielen bei ihnen kaum eine Rolle, sie beschränken sich fast ausschließlich auf Themen, die irgendwie in Verbindung mit Internet und modernen Medien stehen. Aber auch alle anderen Formationen fallen durch eine weitgehende Programmlosigkeit, v.a. bei sozialen Fragen, auf. Andere Initiativen, wie jene von Stronach oder aus den Reihen der grauen Eminenzen von SPÖVP zeigen, dass Teile der herrschenden Klasse erkannt haben, dass die wachsende Ablehnung der herrschenden Politik und ihrer Parteien auch gefährlich für das herrschende System ist. Immer wieder werden VertreterInnen der herrschenden Klasse zitiert, die vor Unruhen, Aufständen etc. warnen. Ihr Ausweg ist, „sauberere“ Parteien anzubieten, die zumindest ein paar gesellschaftspolitische Forderungen, die aus der Bewegung kommen, aufgreifen. Doch im Kern der Sache – bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik – unterscheiden sie sich nicht von den etablierten Parteien. Stronachs neue Partei ist das zur Zeit bekannteste Modell dieser Art. Stronach sieht sich als selbsternannter Retter der Nation. Seine Partei besteht bisher aus FunktionärInnen. Eine Parteibasis oder demokratische Strukturen fehlen bisher völlig. Programmatisch ist der Stronach-Club nationalistisch und neoliberal. Er fordert eine Flat-Tax, die unsozialste Steuerform überhaupt. Schon als Unternehmer hat Stronach gezeigt, dass er meint, der Chef weiß am besten, wo's langgeht und lästige Gewerkschaften braucht es nicht. Es gibt zwar ein paar gut klingende Überschriften („Bessere Bildung“), die aber über Appelle nicht hinausgehen und die Frage der Finanzierung völlig ignorieren. Dass v.a. BZÖ-MandatarInnen zu ihm wechseln, zeigt ihren Versuch, ein sinkendes Schiff zu verlassen und die eigenen Schäfchen (Bezüge) ins Trockene zu bringen. Ob das auch funktionieren wird, ist offen. Doch beim Fehlen von linken Angeboten und mit großer Medialer Unterstützung ist nicht ausgeschlossen, dass Stronach auch für eine Schicht von frustrierten ArbeiterInnen wählbar wird – einfach als etwas „anderes“ als der Einheitsbrei. Insgesamt sind diese verschiedenen Formationen neue Aufgüsse von liberalen Parteien, die zwar in gesellschaftspolitischen Themen ein paar fortschrittliche Punkte bringen mögen, aber in wirtschaftlichen und sozialen Themen eben auch diese wirtschaftsliberale Linie verfolgen (Gewerkschaften z.B. sind für Liberale Teufelszeug).
Der Hype um Stronach, Piraten & Co. hat noch eine weitere Dimension: Für die herrschende Klasse mögen sie individuell lästig sein, weil sie Mandate wegnehmen - politisch gefährlich sind sie aber keinesfalls und sind daher aus Sicht der herrschenden Klasse die wesentlich bessere Option als neue linke Formationen. Doch auch solchen neuen Gruppen gegenüber gibt es Skepsis, bzw. werden sie nicht als Alternative wahrgenommen. In einer jüngsten Umfrage erklären 40%, ungültig bzw. nicht wählen zu wollen; nur 15% wünschen sich eine neue Partei. Das spiegelt auch die Desillusionierung gegenüber diesen „neuen“ Gruppen wider, die eben so neu dann doch nicht sind und v.a. auf die zentralen Fragen keine Antworten haben. Enttäuschung mit neuen Projekten kann auch dazu führen, dass die Ablehnung von „Parteien“ insgesamt wieder steigt und die Lösung in unmittelbareren Aktions- und Protestformen gesucht wird. Das gilt nicht nur für Jugendliche, sondern auch für eine Schicht der ArbeiterInnenklasse, die von der Gewerkschaft und ihrer Passivität abgestoßen ist und daraus die Schlüsse zieht, dass keine großen Veränderungen möglich sind und sich dann in unmittelbare Aktionen, Kleinscharmützel mit dem Staatsapparat oder auch den Vorgesetzten etc. verwickeln. Auch wenn die wenigsten, die diesen Weg versuchen werden, sich als AnarchistInnen sehen, bezeichnen wir diese Methoden als „anarchistisch“, weil sie den individuellen Kampf dem kollektiven vorziehen und nicht das System, sondern nur seine Symptome bekämpfen. Es ist verständlich, wenn Menschen in solchen Methoden eine Möglichkeit sehen, etwas zu tun. Unsere Aufgabe als SozialistInnen ist es nicht, hier belehrend den Zeigefinger zu heben, sondern Wege aufzuzeigen, wie gemeinsam mit anderen, die ja die selben Dinge bekämpfen wollen (Abschiebungen, Stellenabbau, Repression...) die Dinge konkret und in Zusammenhang mit dem dafür verantwortlichen System gemeinsam bekämpft werden können und müssen.
Fragen von Demokratie bekommen vor dem Hintergrund des Demokratieabbaus eine neue wichtige Bedeutung. Der Kapitalismus kehrt in der Krise zu seiner an sich repressiven Natur zurück, lässt die „demokratische Maske“ fallen. Die Gesetzgebung im Sicherheitsbereich verstärkt die Repression. Überwachungsmöglichkeiten und Polizeibefugnisse werden massiv ausgebaut, mehr Straftatbestände geschaffen. In nahezu sämtlichen Bereichen wird der Informationsaustausch zwischen Behörden und auch international ausgebaut. Ob Maßnahmen gegen Hausbesetzungen, verstärkte Überwachung oder Repression gegen AktivistInnen bei Widerstandsaktionen oder Demonstrationen: Die Polizeipräsenz und –repression steigt und die Sicherheitsindustrie profitiert. Auch auf der betrieblichen Ebene, in Schulen und auf der Straße wird häufig mit dem Argument der „Terrorismusbekämpfung“ die Überwachung ausgebaut. Die bestehende Rechtslage, insbesondere §§ 278ff StGB, sind auch geeignet, um gewerkschaftliche und betriebliche Proteste zu kriminalisieren.
Die Verteidigung demokratischer Grundrechte wird daher für SozialistInnen in Zukunft wichtiger werden, ohne deren Beschränktheit im kapitalistischen Rahmen zu vergessen. Die Brisanz des Themas zeigt sich auch in der öffentlichen Diskussion über ein „mehr an Demokratie“. Wenn 79% meinen, dass ein Mehr an Volksabstimmungen „dem Land guttun würde“ (Quelle: APA), dann drückt das den Wunsch aus, mehr mitentscheiden zu können. Wenn Parteien wie FPÖ oder ÖVP mehr Volksabstimmungen fordern, geht es aber nur darum, die eigenen Maßnahmen gegen Minderheiten durchsetzen zu können. Die FPÖ will rassistisch aufgepeitschte Volksabstimmungen um z.B. den Bau von moslemischen Gebetshäusern zu verhindern, die ÖVP, um Studiengebühren wieder einzuführen. Die geplante (bindende) Volksbefragung zur Wehrpflicht ist wohl auch ein Versuch von SPÖ und ÖVP, von den diversen Korruptionsskandalen und politischen Konkurrenten abzulenken und wieder das Ruder des Handelns an sich zu reißen. Doch gerade diese Volksbefragung wird zeigen, wie die Herrschenden dieses Instrument für ihre Zwecke missbrauchen. Die Fragestellung z.B. wird für eine differenzierte Position keinen Platz lassen. Punkte wie demokratische Rechte für SoldatInnen, ordentliche Bezahlung für Zivildiener, die Frage, welche staatlichen Repressionsstrukturen ein Bundesheer ersetzen würden, wie ein Berufsheer noch mehr das Instrument der Herrschenden wird uvm. wird gar nicht zum Thema gemacht. Mit einem Mehr an Demokratie hat das alles nichts zu tun. Die SLP ist nicht gegen ein Mehr an Volksabstimmungen, weil diese eine Politisierung der Debatte bedeuten. Wir warnen aber davor, zu glauben, damit gäbe es ein Mehr an Demokratie. Denn solange die Fragen, der Zeitpunkt und das Werbebudget von der herrschenden Klasse festgelegt und kontrolliert werden, wird sie dafür sorgen, dass das Ergebnis ihren Interessen entspricht. Echte Demokratie bedeutet, darüber zu entscheiden, ob die Banken verstaatlicht und unter ArbeiterInnenkontrolle gestellt werden oder mit Steuergeldern gerettet werden und dann wieder die Gewinne in private Taschen fließen. Echte Demokratie bedeutet auch, dass das erwirtschaftete Vermögen nicht einer kleinen Minderheit, sondern allen gehört, die dafür geschuftet haben. Und echte Demokratie bedeutet, dass Menschen, die ihre KollegInnen und NachbarInnen vertreten sollen, gewählt sind und abgewählt werden können und nicht mehr verdienen, als jene, die sie vertreten sollen.
Bei kommenden Wahlen, v.a. der Nationalratswahl, wird es wieder eine Debatte geben, wen wählen. Objektiv notwendig und von vielen herbeigesehnt wird eine neue Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche, ohne Privilegien, die mit einer kämpferischen Politik Sozialabbau und Rassismus bekämpft und mit einem sozialistischen Programm echte Alternativen zum kapitalistischen Wahnsinn anbietet. Ob sich bis dahin eine solche neue Formation gebildet hat, ist zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht entschieden. Österreich hinkt bei dieser Entwicklung im internationalen Vergleich hinterher. Aber internationale Beispiele zeigen auch, wie schnell solche Prozesse verlaufen können (Syriza wurde binnen weniger Jahre von einer Mini-Gruppe zur zweitstärksten Partei). Die Linke (die Reste, die es noch in der SPÖ gibt, linke GewerkschafterInnen, die KPÖ, verschiedene linke Projekte und Organisationen) hat hier eine große Verantwortung, Schritte in diese Richtung zu setzen. Denn tut sie das nicht, wird das Vakuum weiter von der FPÖ gefüllt. Die SLP wird jedes ernste Projekt unterstützen, insbesondere wenn es nicht nur ein Zusammenschluss bzw. eine Absprache existierender Gruppen ist, sondern neue Schichten, die sich in den Kämpfen als Einzelpersonen und Gruppen radikalisieren und politisieren, beinhaltet. Sollte es aber keine Alternative auf der Wahlebene geben, strebt die SLP eine eigene Kandidatur an. Diese kann eine notwendige neue Formation nicht ersetzen, die eine Verankerung in Teilen der ArbeiterInnenklasse sowie AktivistInnen aus Bewegungen, Kämpfen und Gewerkschaften braucht. Die SLP als revolutionäre Partei mit dem Ziel, das kapitalistische Chaos durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft zu ersetzen, wird diese neue Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche, die in ihrer Anfangsphase wohl einen breiteren Charakter und ein weniger klares Programm haben wird, nicht sein. Dennoch ist eine Eigenkandidatur beim Fehlen der notwendigen neuen linken Formation ein notwendiger Schritt, um im Kleinen zu zeigen, was notwendig und möglich ist.
Stimmung, Bewegungen und Kämpfe
In ganz Europa gibt es großen Unmut, Bewegungen und Kämpfe. In Nordafrika und im Nahen Osten ist die Welle von revolutionären Erhebungen noch nicht vorbei – wir sehen revolutionäre Erhebungen, aber auch die Versuche der Konterrevolution, diese zunichtezumachen. Die herrschende Klasse blickt voll Sorge auf die Entwicklungen, wo Menschen versuchen, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. In Österreich ist diese Welle von Protesten noch kaum angekommen, auch weil die wirtschaftliche Krise noch nicht in voller Härte zugeschlagen hat. Zur Zeit herrscht mehr das Gefühl einer dunklen Wolke, die über uns schwebt, die Hoffnung, noch einmal davongekommen zu sein. Gleichzeitig gibt es eine starke Entfremdung vom politischen Establishment und das Gefühl, dass „die da oben“ es sich richten können – bei Gericht, in der Krise und überhaupt. Das ist kein entwickeltes Klassenbewusstsein, aber auch nicht die „wir sitzen alle im selben Boot“-Stimmung der 1990er Jahre. Weil es nach wie vor ein niedriges Level von Klassenkämpfen gibt, liegt der Fokus noch stark auf der Wahlebene. Bei unserer letzten Konferenz sind wir von einer Zunahme von Klassenkämpfen ausgegangen. Diese Perspektive hat sich in einer abgeschwächten Form bestätigt. Zwar sehen wir (noch) keine großen Streikbewegungen, doch gibt es eine Verschärfung der Klassengegensätze und eine ununterbrochene Serie von Konflikten zwischen Gewerkschaft und Unternehmensvertretungen. In einer Reihe von Bundesländern (Wien, Steiermark und Oberösterreich) gab es wiederkehrende Proteste und auch Streiks im Sozial- und Gesundheitsbereich. Es ist kein Zufall, dass große Proteste gerade in jenen Bundesländern aufgebrochen sind, wo es traditionell eine starke (Industrie-)ArbeiterInnenbewegung gibt: in Oberösterreich und der Steiermark. Im Herbst 2011 fand der MetallerInnenstreik statt, der in der Öffentlichkeit als Erfolg wahrgenommen wurde und die Stimmung verstärkt hat, dass Kämpfen etwas bringt. Und wir sehen eine Serie von Konflikten mit öffentlichen Betriebsversammlungen und Demonstrationen im Zuge der verschiedenen Kollektivvertragsverhandlungen. Gerade im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich ist mit weiteren Kämpfen und Bewegungen zu rechnen. Die Kombination von schon jetzt unerträglichen Arbeitsbedingungen (hohe burn-out-Rate), niedrigen Löhnen und laufenden Angriffen machen diese wahrscheinlich. Auch wenn der Level von Klassenkämpfen noch niedrig ist, müssen wir uns auf kommende Kämpfe vorbereiten. Diese werden in unterschiedlichen Teilen der ArbeiterInnenklasse beginnen und eine wichtige Rolle von SozialistInnen wird es sein, diese nicht nur zu unterstützen, sondern zu verbinden.
Die Ebene der Kollektivverträge ist zur Zeit die zentrale Arena des Kampfes. Viele Beschäftigte haben auch das Gefühl, sich nun über die Löhne das zurückholen zu müssen, was über die Sparpakete verloren gegangen ist. Doch sowohl die Unternehmensverbände als auch die öffentliche Hand greifen die Kollektivverträge frontal an. In mehreren Branchen (Metallwarenindustrie, Chemie, Werbebranche und JournalistInnen) wurden die Kollektivverträge einseitig von Unternehmensseite aufgekündigt bzw. Verhandlungen verweigert. Die Bundesregierung hat in ihrem Sparpaket Nulllohnrunden bzw. „moderate“ Lohnrunden (also Reallohnverluste) im öffentlichen Dienst festgeschrieben und auf Länderebene wurden ebenfalls Nulllohnrunden oder reduzierte Lohnrunden in mehreren Bundesländern angekündigt bzw. schon durchgeführt. Das stellt die Gewerkschaften vor enorme Probleme, sind doch die KV-Verhandlungen eigentlich der einzige Bereich, aus dem sie ihre Existenzberechtigung schöpfen; bei den Sparpaketen haben sie ja schon völlig kapituliert. Der Hintergrund der Angriffe ist einerseits der Wunsch der Unternehmen, die Ausbeutung weiter zu erhöhen, indem Löhne/Gehälter individuell ausgehandelt werden bzw. durch Verzögerungen bei den Verhandlungen etwaige Erhöhungen hinauszuzögern. Andererseits ist die Schwächung der Gewerkschaft ebenfalls ein Ziel. Auch wenn der ÖGB bisher den Kampfwillen einer Schmusekatze gezeigt hat, so ist die Existenz einer Gewerkschaft mit weit über einer Million Mitgliedern und einem gefüllten Streikfonds dennoch eine Bedrohung für das Kapital. Zur Zeit beschränkt sich die Gewerkschaft darauf, zu verlangen und dies auch durch Proteste zu betonen, dass die KV-Verhandlungen wieder in der gewohnten Form – in regelmäßigen Abständen, mit Terminen und einem kompromissbereiten Verhandlungsteam auf beiden Seiten – ablaufen. Das ist zu wenig. In den letzten Jahren sind die Gewerkschaften immer mehr davon abgekommen, mit konkreten Forderungen in die Verhandlungen zu gehen. Dies ist aber notwendig, um die Mitglieder einzubeziehen. Zum momentanen Zeitpunkt sind Lohn/Gehaltserhöhungen, die unter 4,7/4,8 % liegen, eine Umverteilung zuungunsten der ArbeiterInnen (errechnet sich aus Inflation und Produktionssteigerung). Das bedeutet, dass alle Abschlüsse der letzten Periode eine Umverteilung von Arbeit zu Kapital bedeuten. Auch wenn das die wenigsten so definieren werden, sehen doch die meisten, dass das Geld immer weniger reicht und der Arbeitsdruck steigt. Die Ist-Löhne gleichen sich schon seit längerem immer mehr den KV-Löhnen an, was ebenfalls eine Reallohnreduktion bedeutet. Besonders stark trifft das Frauen, v.a. auch deshalb, weil die Abschlüsse in den typischen „Frauen“Branchen auch noch niedriger ausfallen – die Lohnschere öffnet sich also weiter. Die Gewerkschaft muss daher in den Betrieben Debatten über die notwendigen Lohn-/Gehaltserhöhungen organisieren und die betroffenen KollegInnen müssen gemeinsam die Forderungen sowie die Mittel und Kampfschritte zu deren Durchsetzung beschließen. Um den Druck auf die Gewerkschaft zu erhöhen und auch um Kämpfe erfolgreich führen zu können, sind Betriebsgruppen von zentraler Bedeutung. Hier werden demokratische Diskussionen geführt und gemeinsam Forderungen und Kampfschritte beschlossen. Hier entsteht Bewusstsein und eine aktive Basis, die die Gewerkschaftsführung in Kämpfe zwingen kann. Die Angriffe der Unternehmen dürfen nicht mit Zurückweichen und Zurückhaltung beantwortet werden, sondern mit einer offensiven Strategie und einer Demokratisierung der Gewerkschaften. Eine zentrale Aufgabe haben dabei auch Urabstimmungen, denen Verhandlungsergebnisse unterzogen werden müssen. Gerade in Zeiten von härteren Angriffen kann die Basis nur dann in Kämpfe geführt werden, wenn sie aktiv und demokratisch einbezogen wird. Wenn abgehobene FunktionärInnen entscheiden, schadet das nicht nur den betroffenen KollegInnen, sondern der Gewerkschaftsbewegung als Ganzes.
Dass die Gewerkschaften – Fachgewerkschaften und ÖGB – nicht einfach so weitermachen können wie bisher, wird auch Teilen der Gewerkschaftsbürokratie klar. Anfang der 1990er Jahre lag der Mitgliederstand der Gewerkschaften in Summe bei über 1,6 Millionen – im Jahr 2011 bei nur mehr 1,2 Millionen. Der Netto-Organisationsgrad des ÖGB lag 1970 noch bei 57,7 %, bis ins Jahr 2006 ist er auf 31,7 % gesunken (Quelle: OECD). Angesichts der Tatsache, dass die Beschäftigtenzahlen steigen und rund ein Fünftel der Mitglieder PensionistInnen sind, sollten eigentlich bei allen GewerkschafterInnen die Alarmglocken läuten. Der Mitgliederrückgang, der Niedergang im Organisationsgrad, die Überalterung, das Fehlen von Jugend- oder überhaupt AktivistInnen hat nichts mit der veränderten Beschäftigtenstruktur zu tun. Diese Ausrede benützt die Bürokratie, um davon abzulenken, dass Menschen die Gewerkschaft verlassen, weil sie – oft zu Recht – nicht das Gefühl haben, die Gewerkschaft würde für sie etwas erreichen. „Angesichts des miesen Abschlusses spar' ich mir den Gewerkschaftsbeitrag“ ist ein häufiges Argument.
In der Gewerkschaft wird mit der eigenen Krise unterschiedlich umgegangen. Nach der Bawag/ÖGB-Krise 2006 wurde die große Umgestaltung versprochen – stattgefunden hat sie bis heute nicht. Je höher in der Bürokratie, umso blinder in Bezug auf die realen Probleme der Beschäftigten/Arbeitslosen sowie der eigenen Organisation. Je näher an der Basis, umso mehr sind FunktionärInnen dem Druck ausgesetzt und müssen bzw. wollen teilweise auch darauf reagieren. Es gibt eine ganze Schicht relativer junger FunktionärInnen bzw. Gewerkschaftsbeschäftigter, die sich selbst als links sehen, aber nicht aus der Arbeitswelt kommen und häufig einen durchaus abgehobenen, akademischen Blick auf die Beschäftigten, die „Basis“ haben. Sie greifen zwar „linke“ Themen auf (Acta etc.) haben aber kein Vertrauen in die Fähigkeiten der ArbeiterInnenklasse, sich zu organisieren, zu kämpfen und zu gewinnen. Der ÖGB als Dachverband wird immer abgehobener und klammert sich an die Reste der Verbindung zur SPÖ. Der ÖGB ist im typischen Dilemma einer reformistischen Gewerkschaft angesichts einer tiefen wirtschaftlichen Krise: entweder sie spielt die Rolle einer gelben Gewerkschaft, einer Organisation die im Interesse der Unternehmen und des Staates agiert und nicht im Interesse der Beschäftigten und Mitglieder, oder sie muss mit dem Reformismus brechen. Dies ergibt sich auch aus der Organisationsstruktur, da der ÖGB als Dachverband keinen Kontakt zu und damit auch keinen Druck von den „normalen“ Beschäftigten hat. In den Fachgewerkschaften aber wird der Unmut und Druck immer spürbarer. Immer wieder zeigen sich (unter der Decke gehaltene) Widersprüche zwischen ÖGB und Fachgewerkschaften; diese werden wohl zunehmen. Und so kommt es dann immer öfter zu kämpferischen Tönen aus den Reihen der Bürokratie. Bislang sind den Worten noch kaum Taten gefolgt, bzw. die Kampfmaßnahmen im Wesentlichen geführt worden, um zu verhandeln und nicht, um eine Forderung wirklich durchzusetzen. Doch während in der Vergangenheit Proteste von ArbeiterInnen bzw. Gewerkschaften Seltenheitswert hatten, gehören sie heute schon fast zum Alltag. Dieser Trend wird weiter zunehmen, da die Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse sich weiter verschärfen und in Folge die Verzweiflung zunehmen wird. Der Druck innerhalb der Gewerkschaft zeigt sich u.a. in der Veröffentlichung (und umfangreichen Präsentation) der GPA-Broschüre („Die ganze Palette – vom Gespräch zum Streik“). Die SLP hat schon vor längerem ein „Streikhandbuch“ herausgegeben, das in Gewerkschaftskreisen regen Absatz fand. Das hat der Bürokratie gezeigt, dass auch sie sich mit dem Thema beschäftigen muss und war nach Aussagen aus der Gewerkschaft der Grund für die GPA-Broschüre.
Beim Organisieren von Widerstand spielt die Gewerkschaft eine widersprüchliche Rolle: Einerseits kann sie ein wichtiger Bündnispartner sein, schauen viele – v.a. ältere KollegInnen und v.a. in traditionell besser organisierten Bereichen – darauf, was die Gewerkschaft macht. Andererseits ist sie oft völlig unfähig zur Kommunikation mit der eigenen Mitgliedschaft oder sogar den FunktionärInnen (wie sich um Konflikt um den Tyrolian-KV gezeigt hat) und bremst auch ganz bewusst Bewegungen. Das wiederum gelingt ihr in Bereichen, die schlecht organisiert sind, auch weniger: Für Jugendliche ist die Gewerkschaft ein unbekanntes Wesen. Das gilt für SchülerInnen sowieso, aber auch für Lehrlinge und junge ArbeiterInnen gibt es kaum positive Erfahrungen und Bezüge auf die Gewerkschaft. Ähnlich auch unter Beschäftigten mit Migrationshintergrund. Diese Gruppen – Frauen, MigrantInnen und Junge – sind es aber, deren Zukunft am düstersten aussieht, die teilweise in Verzweiflungskämpfe eintreten werden. Diese werden sich wenig von der Gewerkschaftsbürokratie bremsen lassen, gleichzeitig haben sie jedoch deutlich weniger Ressourcen für langwierige Auseinandersetzungen. Prekäre Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, eine Außenseiterposition am Arbeitsmarkt können ebenso wie der Umstand, dass diese Schichten nicht in die Gewerkschaft integriert sind und daher auf keinen Streikfonds und gewerkschaftliche Ressourcen zurückgreifen können, hemmend auf die Kampfbereitschaft wirken. Als SozialistInnen unterstützen wir die Kämpfe auch von KollegInnen und Bereichen, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, doch wir laden sie auch ein, in die Gewerkschaften einzutreten und dort mit uns gemeinsam den Kampf für demokratische und kämpferische Gewerkschaften zu führen Auch wenn das Klassenbewusstsein in Österreich noch schwach entwickelt ist, bedeutet das nicht, dass es so bleibt. Bewusstsein entwickelt sich nicht linear, sondern in Sprüngen. Mit solchen müssen wir rechnen und uns darauf vorbereiten. Der Metallerstreik 2011 hat (auch wenn der Abschluss eigentlich kein Erfolg war) in breiten Bevölkerungsschichten das Gefühl hinterlassen, dass Kämpfen etwas bringt. Jede erfolgreiche Aktion (Betriebsversammlung, Demonstration etc.), bei der KollegInnen zusammenkommen und damit auch sehen, dass sie nicht alleine sind, verändert das Bewusstsein. Wenn aber die Gewerkschaft Aktionen nur zum Dampfablassen missbraucht und keine Strategien anbietet, um Forderungen auch tatsächlich zu erreichen, dann werden manche KollegInnen den Aufrufen nicht mehr folgen und sich teilweise frustriert zurückziehen und teilweise versuchen, sich außerhalb der Gewerkschaften zu organisieren bzw. zu kämpfen. Gleichzeitig orientieren sich die meisten ArbeitnehmerInnen, die in Kämpfe eintreten und sich radikalisieren, weiterhin nach den Gewerkschaften. Eine Zunahme an Klassenkämpfen kann so auch dazu führen, dass der Mitgliederschwund in der Gewerkschaft teilweise gestoppt wird. So können Arbeitskämpfe dazu führen, dass neue ArbeitnehmerInnen in die Gewerkschaft eintreten. Das haben wir zum Beispiel bei den AbfallberaterInnen gesehen.
SozialistInnen müssen eine flexible Taktik haben und Kämpfe sowohl von gewerkschaftlich organisierten, als auch unorganisierten Schichten unterstützen. Wir müssen sensibel v.a. auch an die Entwicklung von Kämpfen außerhalb der gewerkschaftlichen Strukturen herangehen: Sich gewerkschaftlich zu organisieren ist wichtig und sollte gefördert und verteidigt werden. Doch es ist keine Bedingung für klassenkämpferische Politik. Wir werden hier also auch die Entwicklung sehen, dass Veränderungen in der Gewerkschaft durch Kämpfe, die außerhalb stattfinden bzw. beginnen, beeinflusst und angestoßen werden.
Während sich manche ArbeitnehmerInnen frustriert aus der Gewerkschaft zurückziehen, suchen andere nach Möglichkeiten, wie sie ihre eigenen Interessen gegen die Gewerkschaftsbürokratie durchsetzen können. Zunehmende Klassenkämpfe bedeuten auch eine Zunahme von Konflikten zwischen Basis und Bürokratie. Der Aufbau einer kämpferischen Gewerkschaftsopposition ist schon lange notwendig. Durch kommende Klassenkämpfe und das Eintreten von radikalisierten Schichten bzw. die Radikalisierung von Mitgliedern kann sich aber das Kräfteverhältnis innerhalb der Gewerkschaften verändern. Das ist der Bürokratie natürlich nicht immer recht: als z.B. die „Squatting Teachers“, eine Gruppe kämpferischer Lehrender an der Uni, versuchten, eine eigene Gewerkschaftsstruktur zu gründen, wurde das verhindert. In Kombination mit den Spaltungen innerhalb der Bürokratie können solche Entwicklungen die Möglichkeit zum Aufbau einer solchen Opposition geben. Ansatzpunkte können Betriebsgruppen, aber auch Betriebsratskandidaturen sein. Eine breitere Verankerung unter GewerkschafterInnen wird sich aber erst im Zuge von Klassenkämpfen entwickeln. Dann stellt sich auch die Frage, wie eine solche Opposition österreichweit vernetzt und organisiert werden kann.
Eine wichtige Frage in und um die Gewerkschaften ist jene der politischen Vertretung der ArbeiterInnenklasse. Traditionell hat die SPÖ diese Rolle übernommen und waren ÖGB und SPÖ lange „siamesische Zwillinge“. Durch den Verbürgerlichungsprozess der Sozialdemokratie aber spielt die SPÖ diese Rolle schon lange nicht mehr (mehr dazu in der SLP-Broschüre „Für eine neue Partei von ArbeiterInnen und Jugendlichen“). Gerade aus den Reihen der Gewerkschaft gibt es sehnsüchtige Blicke nach Deutschland und die Linkspartei. Viele GewerkschafterInnen in der FSG sehen sich heute „zuerst als GewerkschafterIn, und erst in zweiter Linie als Parteimitglied der SPÖ“. Das drückt eine Verschiebung und ein Potential für eine neue ArbeiterInnenpartei aus.
Doch betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe sind nur eine Ebene des Widerstandes. Zur Zeit sehen wir auch erste Ansätze für Proteste unter Studierenden. Durch die immer schärferen Zugangsbeschränkungen bzw. Knock-Out-Regeln wird einer wachsenden Zahl von Jugendlichen der Zugang zu ihrer Wunschausbildung oder -universität überhaupt verwehrt. Die Einführung von „autonomen“ Studiengebühren an einer Reihe von Universitäten ist nur der erste Schritt zu einem generellen System von kostenpflichtigen Universitäten. Hiergegen regt sich Widerstand unter Studierenden. Erschwerend sind allerdings der immer höhere Druck auf Jugendliche, der zum nackten Kampf ums ökonomische Überleben wird, der den Rahmen für politischen Protest einschränkt sowie die negative Bilanz der letzten Proteste im Bildungsbereich. Als SozialistInnen ist es unsere Aufgabe, solche Proteste zu unterstützen und ein Programm und eine Strategie zu entwickeln, wie sie gewonnen werden können. Zentral ist hierbei die Verbindung mit den Protesten anderer von den Sparpaketen betroffener Gruppen.
Doch weil die Proteste und der Widerstand noch auf relativ niedrigem Niveau stehen, drückt sich der Unmut auf anderen Ebenen aus. Die eine Seite ist die Zunahme von Drogenmissbrauch und Spielsucht. Gefährlich ist auch die Zunahme von psychischen Erkrankungen, burn-out und Depressionen. Sie sind die Folge von Perspektivlosigkeit, einer immer schlimmeren individuellen Situation und dem Versagen von v.a. der Gewerkschaft, Alternativen aufzuzeigen.
Die andere Seite aber sind u.a. die großen Jugendproteste gegen Acta und Vorratsdatenspeicherung. Sie zeigen, dass „die Jugend“ alles andere als „unpolitisch“ ist. Es gibt den Wunsch, etwas zu verändern und zu erreichen. Dass sich dieser Wunsch in kurzfristigen Bewegungen ohne wirkliche Organisierung ausdrückt, spiegelt ein generell niedriges politisches Bewusstsein und auch die negativen Erfahrungen mit etablierten Parteien sowie das Fehlen einer kämpferischen linken Kraft wider. Die Mobilisierung über neue Medien und Kommunikationswege ist keine grundsätzlich neue Qualität, sondern zeigt nur, dass sich zu jeder Zeit Proteste der neuesten technischen Möglichkeiten bedienen. Aber dass diese großen Jugendproteste sich gerade gegen zwei zentrale Projekte des bürgerlichen Staates im Zusammenhang mit Repression richten, ist kein Zufall. Weltweit nehmen Proteste auf der einen und staatliche Repression auf der anderen Seite zu. Der bürgerliche Staat muss sich und die Interessen seiner (herrschenden) Klasse schützen. Auch in Österreich bereiten sich Staat und Kapital auf härtere Auseinandersetzungen vor und beginnen daher schon jetzt, demokratische bürgerliche Grundrechte zu beschneiden. Die Verteidigung demokratischer Grundrechte wie z.B. Versammlungs- und Organisationsrecht werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Der Demokratieabbau verläuft schleichend. Wir „dürfen“ weiterhin an Wahlen teilnehmen, doch wen wir wählen können, wird eingeschränkt (es wird für kleinere Parteien immer schwerer, zu kandidieren bzw. Mandate zu bekommen). Die Vernetzung von Behörden, Staat und Unternehmen setzt Beschäftige, die sich wehren, Überwachung und Repression aus. Als SozialistInnen verteidigen wir demokratische Grundrechte auf allen Ebenen. Wir wenden uns gegen Überwachungsmaßnahmen, gegen die Einschränkung von Mitbestimmungsmöglichkeiten in Schulen, Universitäten und Regionen. Wir treten gegen das Argument der „Zentralisierung zur Effizienzsteigerung“ ein, da ein Abbau von lokaler Zuständigkeit unter kapitalistischen Vorzeichen nur Kürzungen durch eine Zentralstelle bedeutet. Für uns sind Fragen der Demokratie untrennbar mit dem Arbeitsleben von Menschen verbunden. Es gibt nicht die eine Demokratie für außerhalb und die andere für innerhalb des Betriebes. Sozial überhaupt in der Lage zu sein, seine demokratischen Rechte auch wahrnehmen zu können, ist für uns eine Grundvoraussetzung.
In der kommenden Periode werden die Fragen der EU, des Euro, Fiskalpakt etc. zunehmend an Bedeutung gewinnen. Auch wenn es wahrscheinlich keine Mehrheit für einen Austritt gibt, so steigt doch die Stimmung, dass „wir“ für „die“ zahlen müssen. Rechte NationalistInnen von FPÖ & Co. schüren diese Stimmung ganz bewusst. Doch sie wird auch von den Gewerkschaften erzeugt, die als Folge des Fehlens einer internationalistischen Position auf eine letztlich nationalistische Standortlogik setzen. Der Unmut über Kürzungen ist absolut gerechtfertigt, doch nennen die nationalistischen Antworten die wahren Ursachen nicht. Nicht „die Griechen“ sind schuld, auch nicht „das Finanzkapital“ oder „die EU“. Wir werden in der kommenden Periode eine Reihe von Mobilisierungen gegen EU/Euro/Fiskalpakt & Co. erleben. Schon jetzt sehen wir, dass rechte Kräfte versuchen, dieses Thema zu besetzen. Auch viele „Linke“ machen den Fehler, hier einen „nationalen Schulterschluss“ mit rechten/nationalistischen Kräften zu suchen oder zumindest zu akzeptieren. Doch auf nationalstaatlicher Ebene gibt es genau wie auf EU-Ebene keine Lösung für die aktuelle wirtschaftliche Krise. Sie ist das logische und notwendige Ergebnis des kapitalistischen Wirtschaftssystems und kann daher nur mit diesem gemeinsam wirklich bekämpft werden.
Ein weiteres wichtiges Instrument der herrschenden Klasse ist die „Teile und Herrsche“-Politik. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Repression und die Stimmungsmache gegen MigrantInnen und AsylwerberInnen zunimmt. Tatsächlich gibt es in Österreich weniger AsylwerberInnen als MillionärInnen – von einer finanziellen Belastung kann also nicht gesprochen werden. Vielmehr werden hier als Ablenkungsmanöver Sündenböcke aufgebaut. Doch seit einigen Jahren nimmt der Widerstand gegen die unmenschliche Asyl- und Abschiebepolitik zu. Es sind nicht mehr nur die üblichen verdächtigen „Linken“, die dagegen protestieren, sondern „normale“ Menschen – NachbarInnen, SchulkollegInnen, LehrerInnen, FreundInnen und PartnerInnen. Die Proteste gegen Abschiebungen sind zur Zeit ein wichtiger Punkt der Politisierung und Polarisierung. Die SLP ist Teil dieser Proteste, teilweise auch führend aktiv dabei. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur die humanistischen Argumente zu bringen, sondern auch einen „Klassenstandpunkt“ hineinzutragen. So gut wie alle AsylwerberInnen gehören – spätestens wenn sie in Österreich sind - zu den am stärksten unterdrückten Schichten der Gesellschaft. Ihre Interessen unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen der „österreichischen“ ArbeiterInnen. Der Kampf gegen die unmenschliche Migrations- und Asylpolitik ist im ureigensten Interesse der „österreichischen“ ArbeiterInnen. Solange Menschen in die Illegalität gedrängt werden, können sie als LohndrückerInnen eingesetzt werden. Nur volle demokratische und soziale Rechte, nur ein voller Zugang zu Sozialleistungen und Arbeitsmarkt können das verhindern. Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit kann nicht durch den Kampf gegen AsylwerberInnen oder MigrantInnen, sondern nur durch den gemeinsamen Kampf für Arbeitszeitverkürzung gewonnen werden. Als Teil der Proteste gegen die unmenschliche Abschiebepolitik ist es die Aufgabe von SozialistInnen, dieses Thema immer mit sozialen Fragen und Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, der Schaffung von Wohnraum und Jobs, zu verbinden. Unsere Methode ist es nicht, Abschiebungen durch die Intervention einiger Promis zu verhindern, sondern durch die Mobilisierungen aus dem sozialen und persönlichen Umfeld der Betroffenen. Auch damit wird deutlich gemacht, dass die Spaltung in der Gesellschaft nicht zwischen Herkunft, Hautfarben, Religion etc., sondern zwischen unten und oben verläuft.
„MigrantInnen“ oder „AusländerInnen“ sind in den letzten Jahrzehnten zum Reizthema geworden. Bisher wurde das Problem der AusländerInnenfeindlichkeit v.a. mit moralischen Argumenten gekontert. Dieser Weg funktioniert nicht, weil er real existierende Probleme einfach ignoriert. Natürlich gibt es Probleme – mit fehlendem und zu teurem Wohnraum, mit Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen. Auch im „Zwischenmenschlichen“ gibt es Reibungsflächen, mit lauter Musik, „frechen“ Jugendlichen und anderen Bekleidungsnormen. Doch die Grundlage der Probleme sind auch hier in erster Linie soziale, nicht kulturelle. Die kulturellen bzw. religiösen Elemente, die es gibt, sind die Folge von sozialen Problemen und von einer aktiven Ausgrenzung, der sich MigrantInnen seit Jahrzehnten gegenüber sehen. Die Beschäftigungsquote unter Jugendlichen mit migrantischen Wurzeln ist niedrig – nicht, weil sie in Ausbildung sind, sondern weil sie als erste keine Jobs bekommen. MigrantInnen sind, neben Frauen, die beliebteste Manövriermasse der Wirtschaft, wie die jüngsten Vorstöße von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung zeigen. Für sie gilt das Prinzip „hire-and-fire“ besonders stark. Unter österreichischen Jugendlichen gewinnen rechte Hetzer an Unterstützung, wenn die sozialen Probleme ungelöst bleiben, v.a. unter türkischstämmigen religiösen Fanatikern bzw. rechtsextremen Organisationen wie den „Grauen Wölfen“. Der Unterschied liegt im Wesentlichen in der optischen Erkennbarkeit, weniger in den Inhalten: Sie sind frauenfeindlich, rassistisch, homophob und richten sich gegen die Rechte der ArbeiterInnenklasse. Durch die wirtschaftliche Krise nehmen die sozialen Probleme zu, die Barrieren werden größer. Als SozialistInnen müssen wir Programm und Strategien anbieten, um diese sozialen Probleme zu bekämpfen und die Barrieren zu überwinden.
Bei unserer letzten Konferenz haben wir getitelt: „Die ruhigen Zeiten sind endgültig vorbei“. Das hat sich bewahrheitet. Doch es gibt verschiedene, auch und gerade widersprüchliche, Entwicklungen. V.a. sehen wir in vielen Bereichen eine Polarisierung. Und hier haben wir eine wichtige Rolle. Auf internationaler Ebene sehen wir Schritte zur Neuformierung von ArbeiterInnenorganisationen. In Österreich hinken wir dieser Entwicklung hinterher. Nicht weil der Wunsch danach nicht stark wäre, sondern weil die Klassenkämpfe und damit auch das Klassenbewusstsein auf einem nach wie vor sehr niedrigen Niveau stehen. Als SozialistInnen ist es unser Aufgabe, alle Kämpfe gegen die Angriffe auf den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse zu unterstützen. Wir müssen Vorschläge machen und Strategien aufzeigen, wie diese Kämpfe gewonnen werden können. Und wir müssen auf die Notwendigkeit einer politischen Vertretung der ArbeiterInnenklasse hinweisen. Aus Bewegungen wie der Plattform 25 in der Steiermark, den Protesten gegen die Spitalsreform in Oberösterreich, den MetallerInnenstreiks, aber auch den Aktionen gegen Abschiebungen können Ansatzpunkte für eine solche neue ArbeiterInnenpartei entstehen. Die SLP unterstützte schon bisher alle ernsten Schritte in diese Richtung und wird das auch in Zukunft tun.