Mi 08.07.2015
[Vorbemerkung auf der CWI-Website:] Beim gestrigen griechischen Referendum gab die Arbeiterklasse eine mächtige Antwort auf die Versuche der Troika/Institutionen, sie zum Akzeptieren von mehr Kürzungen für den Verbleib in der Eurozone zu zwingen. Das Referendum am Sonntag, dem 5. Juli, ergab enorme 61,5% zugunsten des NEIN (zu den Forderungen der Führer der Eurozone) und nur 38,5% zugunsten des JA. Für das Ja kämpften die griechische herrschende Klasse, die Massenmedien, die EU-Institutionen und die herrschenden Klassen international. Aber das Nein gewann mit einem Erdrutsch.
Die Ergebnisse zeigen, dass alle Gebiete Griechenlands und die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft mit Nein stimmten. Nach Befragungen (http://www.publicissue.gr/en/2837/) stimmten 85% der jungen Menschen unter 24 mit Nein, 71% der ArbeiterInnen im Privat- und öffentlichen Sektor, 72% der Arbeitslosen und 87,3% der SYRIZA-WählerInnen. Bemerkenswerterweise stimmten 86,9% der KKE-WählerInnen mit Nein – trotz der sektiererischen Haltung, die die Führung der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) einnahm, die sich entschied, sich aus der historischen Schlacht der griechischen Arbeiterklasse gegen die herrschende Klasse und die in Brüssel sitzende EU-Elite herauszuhalten. Wichtige Teile der Kleingewerbetreibenden und andere „Mittelschichten“ der Gesellschaft stimmten auch mit Nein.
Die Propagandakampagne der griechischen Medien für ein Ja war beispiellos. Bei ihr halfen die schrecklichen Fehler, die die griechische Regierung in den sogenannten „Verhandlungen“ während der letzten Wochen machte, die zur Schließung der Banken zur Zeit des Referendums führte.
Die herrschende Klasse und die EU zogen vollen Nutzen daraus bei ihrem Versuch, die griechischen ArbeiterInnen durch Terror vom Nein-Stimmen abzuhalten. Aber ihre Handlungen waren vergeblich.
Ministerpräsident Alexis Tsipras bekam durch das Ausmaß des Nein-Stimmergebnis ein ungeheuer starkes Mandat. Aber die Weise, auf die Tsipras bisher dieses Ergebnis genutzt hat, kann nur große Sorge hervorrufen. Die erste Maßnahme von Tsipras war, den griechischen Präsidenten zu bitten, einen „nationalen Rat“ der Führer der führenden Parteien (außer der Goldenen Morgenröte) im Namen der „nationalen Einheit“ einzuberufen. Die zweite war, Yanis Varoufakis, den Finanzminister, zu bitten, von seinem Amt als Finanzminister zurückzutreten, um die Troika-Führer zu beschwichtigen. Diese Maßnahmen waren nicht das, wofür die griechischen Massen Tsipras und SYRIZA ein Mandat gaben und was sie von ihnen erwarteten.
Xekinima (CWI Griechenland) verstand die historische Bedeutung dieses Referendums und führte einen enormen Kampf zugunsten des Nein. Xekinima verteilte 100.000 Flugblätter in nur 5 Tagen und verkaufte 2.700 Exemplare der für das Referendum erstellten Sonderausgabe der Zeitung. Xekinima erstellte Dutzende von Transparenten für die pro-Nein-Demonstrationen und führte eine große Kampagne in den sozialen Medien.
Der folgende Text ist ein Leitartikel, der heute auf der Xekinima-Website veröffentlicht wurde, zusammen mit Artikeln, die die vielen Aspekte der Nein-Abstimmung beim Referendum betrachten.
Auf der einen Seite stellten sich die ArbeiterInnen auf, die Arbeitslosen, die Armen und die Jugend. Auf der anderen Seite die griechische herrschende Klasse und ihre Massenmedien zusammen mit den Troika-Vertretern Schäuble, Dijsselbloem, Schulz etc.
Die pro-Ja-Seite ging über alle ihre früheren Exzesse der reaktionären und lügenden Propaganda, von Panikmache, von krassen Lügen und Zynismus hinaus. Provokativerweise brachen sie alle Gesetze über Medien vor Wahlen und stellten in der letzten Woche vor dem Referendum ihre eigenen Positionen dar ohne jeden Versuch, irgendwelche Objektivität zu bewahren. Herrschende Klassen auf der ganzen Welt schlossen sich auch dem Versuch an, die griechische Arbeiterklasse in ein Stimmen für ein Ja zu hinein zu terrorisieren.
Aber die griechischen ArbeiterInnen, die Arbeitslosen und die Armen antworteten mit einer weltbewegenden Botschaft: Wir fürchten euch nicht und wir werden unsere Köpfe nicht beugen!
Ein Klassen-“Nein“
Dieses „Nein“ war ein klares, auf die Klasse gestütztes Nein. Es ist kein Nein aller GriechInnen, sondern ein Nein der griechischen ArbeiterInnen und Armen und von Teilen der Mittelschichten gegen das „Ja“ der griechischen Reichen und der KapitalistInnen.
Es war eine überwältigende Abstimmung gegen das Ja des Präsidenten der griechischen Republik, P. Pavlopoulos, gegen die „modische“ Fluss-Partei [To Potami], gegen das „Ja“ der verschiedenen „ExpertInnen“, „SpezialistInnen“, „ÖkonomInnen“ und „ProfessorInnen“.
Es war auch eine Abstimmung gegen das Ja der rechten pro-Establishment-JournalistInnen, von denen manche von österreichischen TV-Kameras gefilmt wurden, wie sie flennten wegen der Gefahr, sich außerhalb der Eurozone wiederzufinden. Aber wir haben nicht gesehen, dass einer dieser Journalisten weinte wegen der in Griechenland in den letzten Jahren der tiefen Austerität verlorenen Lebensgrundlagen – um die, die acht bis zehn Stunden am Tag arbeiten, aber nur drei bis fünf dieser Stunden bezahlt kriegen, oder um die RentnerInnen, die magere 300 oder 400 Euro im Monat kriegen.
Ein „internationalistisches“ Nein
Das mächtige Nein gab auch die Ansichten und Hoffnungen von Millionen ArbeiterInnen in ganz Europa wieder, die den Kampf der griechischen ArbeiterInnen stärkten und durch ihn inspiriert wurden. Viele von ihnen widersetzten sich auch ihren eigenen herrschenden Klassen. Es gab 250 Demonstrationen und Kundgebungen in ganz Europa in Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen in den drei Tagen rund um das Referendum. Es gibt einfach keinen Präzedenzfall dafür in der jüngeren Geschichte, weder in Griechenland noch sonst wo in Europa.
Erneut wurde es absolut klar, dass es zwei „Europas“ gibt. Auf der einen Seite das der Reichen, der multinationalen Konzerne und der Eurogruppe. Auf der anderen Seite das der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen, der Armen und der Jugend! „Unser“ Europa ist das letztere – und nur dieses!
Beschleunigung der Prozesse
Das Nein der griechischen Arbeiterklasse sendet ein sehr starke Botschaft des Widerstandes quer durch Europa und die ganze Welt, wie es in vergangenen Jahren bei den venezolanischen ArbeiterInnen, dem bolivianischen Volk und dem Rest der Völker von Mittel- und Südamerika der Fall war. Und das mächtige Nein ist verbunden mit größeren politischen Entwicklungen – einem Prozess der Radikalisierung der Arbeiterklasse und der Jugend – die wir in der jüngsten Vergangenheit in einer Reihe von industrialisierten Ländern hatten, besonders in Spanien, Irland und sogar den USA.
Die Nein-Abstimmung ist ein Sieg, der neue Prozesse eröffnet und den Kampf der ArbeiterInnen in Europa und international zu neuen Klassenschlachten vorwärts drängt. Die Abstimmung am Sonntag hilft auch bei der Schaffung neuer linker Formationen.
Scharfe Zurückweisung von „Kompromiss“ und „Realismus“
Der Sieg des Nein zeigt auch, wie falsch, unhistorisch und unrealistisch das oft wiederholte Argument mancher Linker ist, die darauf beharren, dass die Politik des „Bruchs“ mit der Troika und entschlossener Massenkampf die Linke vom Rest der Gesellschaft „isolieren“ würden. Der Sonntag zeigte genau das Gegenteil
Die größte Unterstützung, die SYRIZA je bekam, vor und nach ihrem Eintritt in die Regierung, war vor und während dem Referendum. Zu guter letzt verließ sie die Pantomime der sogenannten „Verhandlungen“ um den Troika-„Bestien“ im offenen Kampf entgegen zu treten. Daran sollten sich all die verschiedenen Spielarten von „Realisten“ erinnern, die zweifellos wieder an die Oberfläche kommen werden, um uns zu belehren, was zu tun ist.
Beachte das, SYRIZA-Regierung
Aber die SYRIZA-Regierung muss auch die Ergebnisse von Sonntag beachten. Sie machten vor dem Referendum unannehmbare Zugeständnisse an die Troika. Sie stimmen Kürzungen im Wert von 8 Milliarden Euro (in einem Zeitraum von 18 Monaten) zu, um zu einem Kompromiss mit den entschlossenen Feinden des griechischen Volkes und der Völker Europas zu kommen.
Die griechische Regierung machte ein Zugeständnis nach dem anderen und saß schließlich in der Falle und erkannte erst in der letzten Minute, dass das Ziel der Troika/Institutionen war, SYRIZA lächerlich zu machen und zu demütigen und den Sturz der griechischen Regierung herbeizuführen. Erst dann entschied sich die griechische Regierung, sich an das griechische Volk zu wenden und um Unterstützung zu bitten.
Und natürlich verteidigten die griechischen ArbeiterInnen die Regierung in diesem Kampf. Die griechischen Massen machten das auf so großartige Weise, wie weder der rechte deutsche Finanzminister Schäuble noch der Rest der Gläubigerbande der Troika und nicht einmal die griechische Regierung selbst sich das hatten vorstellen können.
Keine Illusionen mehr in den Kapitalismus und die Eurozone der Bosse
Wird die griechische Regierung nach der Erdrutsch-Nein-Abstimmung auf die Erwartungen des griechischen Volkes reagieren? Oder wird sie weiterhin Illusionen in die sogenannten „Partner“ und die verschiedenen Institutionen haben? Wird sie zu dem klaren Nein-Mandat des griechischen Volkes stehen und sich weigern, Abstriche von ihren Vorwahlversprechen zu machen (d.h. dem „Saloniki-Programm“)? Oder wird die SYRIZA-Regierung ein neues Memorandum und mehr Austerität (wenn auch ein bisschen milder als die der vorigen Regierung der rechten Nea Demokratia und der „sozialdemokratischen“ PASOK) akzeptieren, um in der Eurozone zu bleiben?
Die Wahrheit ist, dass es für SYRIZA nicht möglich ist, im Rahmen des kapitalistischen Systems und der Eurozone der Bosse in Übereinstimmung mit ihren Erklärungen und den Vorwahlversprechen an das griechische Volk zu sein.
Im Vorfeld des Referendums haben die verschiedenen europäischen „Partner“ (d.h. die Partner der griechischen Reeder und großen Banker) ihren wirklichen, unbarmherzigen, unmenschlichen und zynischen Charakter gezeigt. Denkt die Führung von SYRIZA und die Regierung, dass diese EU-„Partner“ sich plötzlich verändern können und gesellschaftlich sensibel gegenüber den Leiden des griechischen Volkes werden?
Denkt Tsipras, dass er die Troika/Institutionen beschwichtigen kann, indem er einen nationalen Rat der wichtigsten politischen Führer einberuft und Varoufakis entlässt (weil die Troika-Gläubiger das verlangen, unmittelbar nach dem fantastischen Nein-Sieg)?
Nein, die Troika-Gläubiger werden nicht beschwichtigt sein! Mit solchen Handlungen kann Tsipras nur erreichen, dass er negative, verwirrende Botschaften aussendet und viele GriechInnen enttäuscht, die hart für das Nein gekämpft haben. Diese ArbeiterInnen und Jugendlichen kämpften gegen die Gläubiger und die Austerität und nicht für den Euro, wie die herrschende Klasse und große Teile der SYRIZA-Führung behaupten.
Wenn die griechische Regierung versucht, zu einer neuen Vereinbarung mit der Troika auf der Grundlage eines neuen Memorandums zu kommen, das deren Forderungen erfüllt, wird sie der mächtigen Nein-Erklärung des griechischen Volkes den Rücken zugekehrt haben. Sie hat kein Recht und kein Mandat für solche Maßnahmen!
Xekinima (CWI Griechenland) ruft SYRIZA auf, ihren Vorwahl-Antikürzungsversprechen treu zu bleiben, mit der Austerität zu brechen und ein sozialistisches Programm zu übernehmen.
Dies umfasst die Weigerung die Schulden zu bezahlen; Kontrolle über die Kapitalflüsse; für ein staatliches Außenhandelsmonopol; die Verstaatlichung der Banken und der Kommandohöhen der Wirtschaft unter demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung; Umkehr der Austerität; Arbeitsplätze für alle mit einen Lohn, der zum Leben reicht, und freie, hochwertige Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialeinrichtungen für alle.
Die Planung der Wirtschaft für die Bedürfnisse des Volkes und nicht die Profite der Kapitalisten – die sozialistische Umorganisierung der Gesellschaft – würde ein Ende von Wirtschaftskrisen, Armut, Arbeitslosigkeit und erzwungener Auswanderung bedeuten.
Um das zu erreichen, ist es wesentlich, unabhängige Klassenpolitik innerhalb und außerhalb von SYRIZA aufzubauen. Nach den enormen Nein-Kundgebungen der letzten Woche in ganz Griechenland – setzt die aktive Beteiligung der Arbeiterklasse und Jugend im Kampf gegen die Troika und für eine sozialistische Alternative fort, weitet sie aus und vertieft sie. Dies bedeutet die Schaffung von Volksversammlungen und Aktionskomitees der Basis in den Betrieben und Stadtteilen/Gemeinden.
Appelliert an die ArbeiterInnen und Jugend überall in Europa, gegen Austerität und für ein sozialistisches Europa zu kämpfen.