„Die türkische Arbeiterklasse wird die Analysen, Methoden und Erfahrungen des CWI zu gebrauchen wissen.“

Interview mit Nihat Boyraz, Mitherausgeber des neuen CWI Magazins in der Türkei

Sosyalist Alternatif ist die türkische Schwesterorganisation der SLP. Die neue Gruppe hat zum 1. Mai ein neues Magazin herausgebracht und macht große Fortschritte im Aufbau der Gruppe. Wir sprachen mit Nihat Boyraz, Aktivist von Sosyalist Alternatif und Mitherausgeber des gleichnamigen Magazins.

 

Eine neue linke Organisation in der Türkei, ist denn das nötig?

Bevor wir die Frage beantworten, müssen wir nochmal betonen, dass es total notwendig ist, uns überhaupt zu organisieren. Ansonsten sind wir gegenüber dem System ganz allein gestellt, egal wie clever oder mutige Kämpfer wir gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung sind. Die Misere des Kapitalismus weltweit, darunter leiden wir Arbeiterinnen und Arbeiter, Jugendliche und Armen, wird Tag und Tag größer und sichtbarer. Das gilt auch für uns in der Türkei lebenden Menschen. Wir haben eine Regierung, die seit fast 13 Jahren alleine regiert. In dieser Zeitraum haben die Reichsten ihr Vermögen vervierfacht, während der Mindestlohn mit 950 türkischen Lira unter der Hungersgrenze liegt. Selbst die kleinste Stimme gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit wird seitens der Regierung hart unterdrückt.

Genau vor einem Jahr am 13. Mai passierte in einer Kohlenmine in Soma ein Unfall, den wir eher als ein Massaker bezeichnen können. Es gab große Wut und sogar Erdogan selbst wurde bei dem Besuch von Angehörigen der Arbeiter attackiert. Das Fehlen einer starken organisierten Kraft hat dazu geführt, dass weder die Regierungsvertreter noch Bosse ernsthaft zur Rechenschaft gezogen worden sind. Das Gegenteil ist geschehen und die Minenarbeiter wurden entlassen. Das, nur als ein kleines Beispiel dafür, wie notwendig es gerade ist, sich zu organisieren,

Gleichzeitig gibt es eine große Politisierung insbesondere unter Jugendlichen, was aber leider nicht bedeutet, dass sie sich automatisch nach links wenden. Wir streben an, eine marxistische Antwort für alle diese Probleme zu geben, ob es um Hungerlöhne oder Entlassungen, Kriege oder Unterdrückung der Kurden geht.

Auf Demos oder Protesten werden wir immer etwas ungläubig gefragt, ob wir nicht eine Abspaltung irgendeiner Gruppe sind und wirklich eine Gruppe ganz neu aufbauen. Aber das bedeutet ja auch nicht, dass wir alles neu erfinden und keine Tradition und Erfahrungen haben. Als Mitglied des CWI (Committee for a Workers‘ International) bauen wir Sosyalist Alternatif mit 41 Jährigen Erfahrungen im Klassenkampf auf. Wir sind der Meinung, dass der Klassenkampf und die Arbeiterklasse in der Türkei, die Methoden, Analysen und politische Erfahrungen der CWI-Tradition sehr gut zu gebrauchen wissen werden.

Wie steht ihr zur HDP und BHH?

HDP (Demokratische Partei der Völker) und BHH (Vereinigte Junibewegung) sind zwei neue Organisation auf der Linken der Türkei und sind somit ein Fortschritt für die Einheit der Linken. Während HDP eine Bündnispartei hauptsächlich der kurdischen Freiheitsbewegung und der türkischen Linken ist und sehr nah an dem Ziel eine breite Massenpartei zu werden, steht, ist die BHH ein Bündnis von verschiedene türkische Linken und unabhängige Aktivisten und hat weder eine Potenzial noch Ziel eine solche Massenpartei zu werden.

Wir sind gerade in einem Diskussionsprozess, ob wir uns auch an die HDP beteiligen. Unabhängig vom Ergebnis dessen, unterstützen wir die Entwicklungen um HDP. Wir kritisieren sie von links, haben aber einen positiven Bezug dazu. Dass die HDP eine große Betonung auf eine ethnisch-, religiös übergreifende Einheit legt, begrüßen wir und finden das insbesondere in der Realität der Region besonders wichtig. Allerdings meinen wir, dass es alleine nicht reichen würde. Sie muss auch die Linie zwischen Oben und Unten; Arm und Reich ebenfalls verdeutlichen.

 Die Parlamentswahlen im Juni machen die Rolle der HDP bzw. einer Massenpartei, die Interessen der Arbeiterklasse vertritt deutlich. HDP ist die vierte Partei im Parlament. Aber sie wurde gerade wegen der Wahlarithmetik die Schlüsselpartei. Schafft die HDP die undemokratischn 10%ige Wahlhürde zu überschreiten, ist Schluss mit dem Alleinregieren der AKP. Neben dieser Tatsache rufen wir dazu auf, die HDP zu wählen, weil ihr Erfolg für die Einheit der kurdischen und türkischen Arbeiterklasse ein riesen Schritt nach vorne sein wird. Aber auch für den Aufbau einer linke Massenpartei gegenüber der Parteien der Reichen und Superreichen.

Was tut sich zurzeit im Klassenkampf?

Es gibt in letzten Jahren eine deutliche Steigerung von Arbeitskämpfen. Meistens aber sind es einzelne Kämpfe gegen Entlassungen. Das heißt die Arbeiterklasse als Klasse ist noch nicht auf die Bühne getreten. Die Gewerkschaften sind in der Hände der Bürokraten. Es fehlt auch eine politische Kraft, die einzelne Kämpfe zusammenschließen kann.

Auf der anderen Seite zerstreuen sich die Illusionen in die AKP und der Unmut unter der Arbeiterklasse wächst. Durch die Konsumkredite wurde seit Jahren eine künstliche Wohlfahrt geschaffen, von der die AKP hauptsächlich profitierte. Eine Wirtschaftskrise, bei der zurzeit jeder sicher ist, dass sie kommt, aber nicht weiß wann, wird katastrophale Folgen für die Arbeiterklasse haben. Das wiederum schafft Bedingungen mit den Erfahrungen der Kämpfe der letzten Zeiten einen starken, einheitlichen Klassenkampf gegen Ausbeutung und das kapitalistische System aufzubauen.

Was wollt ihr mit dem Magazin erreichen?

Eben da steht unser Hauptanliegen. Wir wollen uns für kommende Stürme gut vorbereiten. Das Magazin Sosyalist Alternatif ist für uns ein Mittel für den Aufbau einer starken marxistischen Organisation und dementsprechend ein großer Schritt nach vorn. Damit haben wir die Möglichkeit unsere Ideen im Klassenkampf zu verbreiten, neue AktivstenInnen kennen zu lernen, die für eine sozialistische Welt kämpfen und Sosyalist Altenratif mit aufbauen wollen. Es ist uns bewusst, dass wir noch am Anfang sind und noch vieles zu tun ist. Gleichzeitig uns ist es ebenfalls bewusst, wie schnell sich die Ereignisse entwickeln und dass wir uns auch beeilen müssen.

Alle Mitglieder der Sosyalist Alternatif sind Menschen aus der Arbeiterklasse, die gleichzeitig arbeiten, studieren usw. Wir haben keine Reichen hinter uns, die uns unterstützen. Das würden wir sowieso ablehnen. Wir sind aber auf jede kleinste Unterstützung der Arbeiterklasse, der Menschen, die eine bessere Welt wollen, angewiesen. InternationalistInnen zu sein bzw. einer Internationale wie CWI anzugehören zeigt auch in diesem Sinne Vorteile. Zum Beispiel, über die SAV in Deutschland oder andere Sektionen des CWI können wir auch ArbeiterInnen und Jugendliche in diesen Ländern erreichen und uns gegenseitig unterstützen.

„Bu daha başlangıç, mücadeleye devam!“ Das ist noch der Anfang, weiter mit dem Kampf!