Eine erste Wahlanalyse

Sonja Grusch

Der Ausgang der EU-Wahlen ist in weiten Teilen nicht überraschend. Es gibt Erschreckendes wie die Erfolge der extremen Rechten und Erfreuliches wie die Erfolge von Syriza & Co. Die langfristig bemerkenswerteste Tatsache ist allerdings die stetig sinkende Wahlbeteiligung und in den allermeisten Ländern das Fehlen einer ernsthaften linken Alternative. Eine Analyse der Wahlen auf EU-Ebene sowie in Deutschland findet sich hier: http://www.sozialismus.info/2014/05/polarisiertes-europa/

  1. Absoluter Wahlsieger ist in europaweit das Lager der NichtwählerInnen. Die Wahlbeteiligung liegt weit unter der 50% Marke, in manchen Gebieten noch weit darunter. In Österreich haben knapp 90.000 ungültig gewählt. Nicht- und ungültig wählen ist weniger ein Zeichen für Desinteresse sondern für eine Ablehnung des herrschenden Establishments und der zur Wahl stehenden Parteien. Viele haben wohl wieder einmal ein „kleineres Übel“ gewählt, die Mehrheit hat nicht einmal mehr das gesehen. Das zeigt den Wunsch und die Notwendigkeit für echte Alternativen auch auf der Wahlebene – die Linke ist hier gefordert, will sie das Feld nicht der extremen Rechten überlassen.
  2. Die etablierten Parteien wurden europaweit abgestraft, in Österreich sind sie mit dem sprichwörtlichen blauen Auge noch einmal davon gekommen. Das spiegelt die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik in der EU wieder. In vielen Ländern konnte diese von neuen Listen bzw. teilweise von existierenden Listen der Opposition aufgegriffen werden. In Österreich war das weniger der Fall.
  3. SPÖ und ÖVP haben verhältnismäßig stabile Ergebnisse eingefahren, sie wurden nicht mit Begeisterung sondern mit der Hoffnung auf Stabilität gewählt. Das schlechte Abschneiden der SPÖ liegt daran, dass die SPÖ nach den Nationalratswahlen wieder einmal ihre Versprechen gebrochen hat (Stichwort: 12-Stunden-Tag) und der Spitzenkandidat nicht gerade als Freund der ArbeiterInnen rüber kam. Interessant hierbei auch, dass die Wahlbeteiligung unter ArbeiterInnen besonders niedrig war, diese aber nicht zur FPÖ gewechselt sind. Das unterstreicht den Verbürgerlichungsprozess der Sozialdemokratie und zeigt auch auf, dass die FPÖ keine „ArbeiterInnenpartei“ ist und auch die ArbeiterInnen nicht per se rechts wären. Das spiegelt auch das Potential für eine echte neue ArbeiterInnenpartei wieder!
  4. Obwohl natürlich zu hoch - doch verhältnismäßig schwach das Abschneiden der FPÖ. Sie war die einzige EU-kritische Liste mit Chance auf ein Mandat, die Konkurrenz von BZÖ und HP Martin sind bei dieser Wahl weggefallen. Dennoch konnte sie Prozentmäßig nicht an das Ergebnis der letzten Nationalratswahl anschließen und hat Stimmenmäßig 400.000 Stimmen weniger. Dies ist nicht ausschließlich auf die niedrige Wahlbeteiligung oder den Wegfall des Spitzenkandidaten zurück zu führen, sondern auch darauf, dass die FPÖ zumindest von Teilen bereits – zu Recht – als Teil desselben Establishments gesehen wird. Natürlich ist jede Stimme für die FPÖ eine zu viel. Doch gerade EU-Wahlen haben ein starkes Denkzettel-Element. Ein großer Teil der Stimmen, die für die FPÖ, den Front National oder andere Parteien der extremen Rechten gegangen sind, sind in erster Linie Stimmen gegen den neoliberalen Kurs der EU. Die Stärkung der extremen Rechten im EU-Parlament ist ein gefährliches Signal. Doch nicht dafür, dass Europa insgesamt nach rechts gehen würde oder „die Menschen“ rechtsextrem wären, sondern dafür, dass die extreme Rechte beim Fehlen einer ernsthaften und kämpferischen linken Alternative dieses Vakuum füllt kann. Und dann in Folge eine breitere Bühne und mehr Einfluss für ihre rassistischen und arbeiterInnenfeindlichen Konzepte und damit Einfluss auf das Bewusstsein breiterer Schichten hat.
  5. Wo es eine Alternative gibt, konnte diese auch Unterstützung gewinnen wie das Beispiel Syriza in Griechenland zeigt, die die FaschistInnen der Goldenen Morgenröte weit hinter sich ließen. In Österreich hat diese Alternative gefehlt. Wie schnell sich vermeintliche Alternativen abnutzen zeigt das verhältnismäßig schwache Abschneiden der Neos, die uns zwar noch einige Zeit erhalten bleiben werden, aber sich seit der Nationalratswahl als deutlich neoliberale Partei geoutet haben und auch als solche gewählt wurden (anders als noch bei der NRW wo sie manchen als fortschrittlich schien).
  6. Die SLP argumentiert seit langem die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen sozialistischen ArbeiterInnenpartei und hat schon vor eineinhalb Jahren zum Aufruf eines kämpferischen linken Bündnisses aufgerufen. Dieses ist nicht entstanden. Stattdessen haben die Führungsspitzen von KPÖ, Wandel und Piraten ein Bündnis geschmiedet. Wir haben „Europa Anders“ beobachtet und gehofft, dass das Projekt trotz aller Anfangsfehler dennoch an Dynamik gewinnen können, Teil von Bewegungen und Kämpfen sein könne. Doch all das ist nicht eingetreten. Es blieb ein Wahlverein für Martin Ehrenhauser der in den letzten fünf Jahren nicht als Opposition im EU-Parlament sichtbar war und auch bei allen relevanten politischen Bewegungen der letzten Monate fehlte. Das spiegelt sich auch im Ergebnis wieder. Wir sind davon überzeugt, dass es – je nach Betrachtungsweise – sehr unterschiedliche Interpretationen des Ergebnisses von Europa anders geben wird. Tatsache ist, dass in einigen Städten und Bezirken ein Prozentwert von 4-6% erreicht wurde was ein relevantes Ergebnis für eine linke Kraft wäre. Tatsache ist allerdings auch, dass es offensichtlich nicht gelungen ist, neue Schichten anzusprechen. Das Ergebnis liegt Prozentuell 0,2% über dem gemeinsamen Ergebnis von 2013, in Stimmen haben sie 27.000 Stimmen weniger als die drei beteiligten Listen bei der letzten Nationalratswahl erzielten. Das Bündnis wurde offensichtlich nicht als neue Qualität wahrgenommen, dass eine Dynamik von mehr als 1+1+1 ausgelöst hätte. Die Zukunft des Bündnisses ist zurzeit ungewiss, klar ist, dass Teile der KPÖ-Spitze es weiterführen wollen. Ob allerdings der Wandel, v.a. aber die Piraten daran fest halten werden wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Indikator dafür wird sein wie dynamisch die weitere Kampagne für das Volksbegehren zum Haftungsboykott verläuft.
  7. Die EU-Wahlen stellen Linke vor eine wesentliche Aufgabe: nicht den etablierten Parteien oder einem vermeintlich notwendigem Pragmatismus die Stange halten, sondern europaweit kämpferische linke Alternativen aufbauen, die Kämpfe initiieren, organisieren und führen. Nur so kann verhindert werden, dass die extreme Rechte von Wut und Enttäuschung über das Establishment und die kapitalistische Krise profitiert. Denn dass die Wirtschaftskrise alles andere als vorbei ist, ist offensichtlich. Die Herrschenden haben nur die Wahl abgewartet, bis die nächsten Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse beginnen. Hier gilt es Widerstand zu organisieren – in jedem Land aber auch europaweit gemeinsam. Die EU-kritischen Kräfte auf der Linken können nur dann ernsthafte Antworten geben und eine breite Unterstützung aufbauen, wenn sie sich nicht auf nationalistische Standpunkte zurückziehen sondern internationalistische Lösungen mit „Klassenstandpunkt“ vorbringen: Also den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen über Ländergrenzen hinweg gegen die Angriffe von Unternehmen und Regierungen. Hierzu braucht es ein kämpferisches Programm gegen das Spardiktat von EU und nationalen Regierungen mit offensiven Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, Mindestlöhnen, Ausbau der Sozialstaaten, Übernahme der Schlüsselbetriebe und Banken durch Beschäftigte und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung etc. Ein solches Programm du der entschlossene gemeinsame Kampf dafür sind die Methoden um dem etablierten Einheitsbrei und die gefährliche extreme Rechte zu kontern und einen Schritt in Richtung vereinigte sozialistische Staaten von Europa zu gehen.
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