Fr 20.07.2012
„Die Spaltungslinien [zwischen Kapitalisten und ArbeiterInnen] sind heute klar ersichtlich. Zu den Kapitalbesitzern gehören nicht mehr als einhundert Menschen. [Die Industrie Kasachstans] hat eine vereinigte multi-ethnische Gruppe von Menschen hervorgebracht – eine in hohem Maße organisierte Arbeiterklasse, die bei den großen Konzernen in Lohn und Brot steht. Seit Ende 2011 bestimmt [diese] das politische und gesellschaftliche Leben.“
„Unsere Wirtschaft baut auf verschiedenen Stützen auf. Dazu gehören auch die mächtigen Konzerne aus dem Bereich der seltenen Erden. Sollte es jemandem in den Sinn kommen, die ganze Macht der KollegInnen in diesem Bereich zu mobilisieren, so könnte sich dies der Regierung und dem Staat einen lähmenden Schlag versetzen […]. [Allerdings] stehen die Arbeiterklasse und die politischen Kräfte in Kasachstan untereinander nicht in direktem Kontakt.“
„Was es allerdings gibt, sind politische Führungspersönlichkeiten. In Kasachstan gibt es SozialistInnen, die seit vielen Jahren professionell arbeiten und deren Zeit nun zu kommen scheint.“
Bei diesem Zitat handelt es sich nicht um die Worte des „Committee for a Workers International“, sondern unglaublicher Weise um die Ausführungen des ehemaligen Premierministers von Kasachstan, Akeschan Kaschegeldin, die dieser in einem Interview mit der kasachischen Zeitung „Novaya Gazeta“ machte.
Trotz der massiven Repression ist der Boden für einen Massenaufstand gegen das kaltblütige und korrupte Regime von Präsident Nasarbajew bereitet. In der ersten Reihe dieser Bewegung stehen die frischen Kräfte der jungen kasachischen ArbeiterInnen, die heute die Mehrheit der Arbeiterschaft in der Schwerindustrie Kasachstans stellen.
Seit Jahren werden von den Arbeitgebern die Löhne auf gleichem Niveau gehalten, was die ArbeiterInnen in die Armut stürzt. Eine Welle von Selbstmorden zog sich durch die Armenviertel, in denen viele leben, die von erdrückender Schuldenlast gebeutelt sind. Allein am heutigen Tag ist es laut Quellen, die eigentlich mit dem Regime Nasarbajew in Verbindung stehen, zu zehn Selbstmorden gekommen, die mit Schulden zusammenhängen. Gleichzeitig beantragen Hunderte psychiatrische Hilfe. Während Krankenschwestern in Armut leben, erwerben korrupte Bürokraten Feriendomizile in Europa. Das Regime plant gerade die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 68 Jahre, das dann höher liegen würde als die durchschnittliche Lebenserwartung in Kasachstan.
Die Regierung fährt hingegen einen Propaganda-Kurs, wonach sie den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair eingestellt habe, damit dieser sie berät und vertritt. Doch die arbeitenden Menschen erzählen sich untereinander oft, dass sie sich wünschen würden, lieber in einem der Länder zu leben, über die staatliche Fernsehen häufig berichtet!
Dies hat zu enormer Unzufriedenheit geführt. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung will, dass Nasarbajew geht und die zwanzig Jahre, die der Kapitalismus nun schon herrscht, haben zu einer krassen Sicht auf die Dinge geführt: Entweder drückt das System die Lebensbedingungen auf das Level von Somalia oder die ArbeiterInnen verändern das System.
Spektakuläre Erfolge gegen die Konzernchefs
Doch die Arbeiterklasse befindet sich in der Offensive, erringt spektakuläre Siege gegen die Konzernchefs und stellt Forderungen an das Regime in Kasachstan.
Ein Kampf gegen die Rückübertragung von Häusern an die Banken führte dazu, dass die Regierung 4,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen musste. ArbeiterInnen haben Fabriken vor der Schließung bewahrt und kämpferische Streikaktionen organisiert. Jüngst konnte beim Bergbauunternehmen „Kazakhmys“, das in erster Linie Kupfer fördert, eine 100-prozentige Lohnerhöhung durchgesetzt werden. Dabei hatten hunderte KollegInnen die Mine besetzt, während vor dem Werksgelände tausende an Solidaritätsaktionen teilnahmen. In derselben Stadt griffen die Beschäftigten im Energiesektor Streikmaßnahmen und errangen eine Lohnerhöhung von 80 Prozent. Es ist von großer Bedeutung, dass die ArbeiterInnen neben den Forderungen nach besserer Bezahlung auch die Rück-Verstaatlichung der Industriezweige verlangten.
Soziale und betriebliche Kämpfe sind aneinander gekoppelt. Diejenigen, die sich am Kampf gegen die Rückübertragung von Häusern an die Banken beteiligten, fuhren auch 1.500 Kilometer weit, um am Kampf gegen eine Fabrikschließung teilzunehmen.
In diesen Wellen von Kämpfen spielen Mitglieder des „Committee for a Workers’ International“ (CWI) eine Schlüsselrolle. Durch die „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ und die neue Gewerkschaft namens „Zhanartu“ ist das CWI in der Lage, bei der Organisierung dieser Kämpfe zu helfen und sie im Kampf gegen das Nasarbajew-Regime miteinander zu vereinen.
Das hat die Regierung in Angst und Schrecken versetzt und zu Brüchen innerhalb des Regimes geführt. Bei den jüngsten Zusammenstößen an der kasachisch-chinesischen Grenze scheint es sich jetzt um einen Teil des Disputs zwischen verschiedenen Flügeln der Oligarchie zu handeln. Es ist möglich, dass Nasarbajew nach Jahren an der Macht abgesetzt wird.
Nasarbajews Antwort darauf war eine zunehmende Repression. Am 16. Dezember 2011 kam es für den Kampf zu einer Art Wendepunkt. Nach Streikaktionen, die sieben Monate angehalten hatten, organisierten die ÖlarbeiterInnen eine Kundgebung, um der angestauten Wut ein friedfertiges Sprachrohr zu verschaffen. Bei dieser Veranstaltung verständigten sich die OrganisatorInnen darauf, dass eine zentrale Forderung sein müsse, den Kampf auszuweiten und zum Generalstreik gegen das Regime Nasarbajew aufzurufen. Dieser Protest wurde vom Staat jedoch im Blut ertränkt, und die ganze Region, in der die Versammlung stattgefunden hatte, wurde abgeriegelt. Obwohl die Medien und die herrschende Klasse Kasachstans versuchten, das Massaker zu relativieren und von nur 17 Opfern sprechen, gehen Schätzungen von 70 Toten aus.
Durch die „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ gelangte die Nachricht von diesem Massaker trotz der Versuche des Regimes, diese unter der Decke zu halten, an die Weltöffentlichkeit. Weltweit und umgehend organisierte die Solidaritätsgruppe „Campaign Kazakhstan“ Protestaktionen vor den Botschaften Kasachstans, darunter in Deutschland, Großbritannien, Belgien und Polen. Auch wenn klar ist, dass der kasachische Staat durchaus in der Lage gewesen wäre, noch weiter zu gehen, um den Streik zu beenden, so konnten die Proteste und Verurteilungen auf internationaler Ebene sie von weiteren Maßnahmen abhalten.
Schauprozesse gegen ÖlarbeiterInnen
Stattdessen zerrt das Regime ÖlarbeiterInnen vor Gericht und strengt eine Reihe von Schauprozessen gegen sie an. Um nur einen Angeklagten zu zitieren: „Im Büro für Nationale Sicherheit wurde mir gesagt, ich solle fünfzehn andere belasten. Das lehnte ich ab. Sie begannen damit, mich zu schlagen. Ich wurde sechs Mal nacheinander gewürgt, bedroht, dass man mich vergewaltigen und Fotos davon ins Internet stellen würde. Der Kommandeur hielt mir mehrmals eine geladene Pistole an den Kopf und sie sagten zu mir, dass sie mich an die Hunde verfüttern würden.“
Als die feindseligen Anklagepunkte verlesen wurden, wurden im Gerichtssaal Flaschen und Schuhe geworfen. Auch die AktivistInnen von der Oppositionspartei „Alga“ wurden angegriffen. Aber viele der offiziell in Kasachstan existierenden Parteien stehen nur für die Interessen des einen oder des anderen Oligarchen. Deren sogenannte Parteiaktivisten werden für ihr Vorgehen und dafür, keine allzu großen Bindungen aufzubauen, bezahlt. Als diese AktivistInnen verhaftet wurden, verwandelten sie sich in Zeugen der Anklage gegen ihre eigene Parteiführung. Dies hat dazu geführt, dass die Partei „Alga“ von innen heraus zusammengebrochen ist.
Das Regime nutzte die Verfahren und das Massaker als Drohkulisse für all jene, die an dem Kampf beteiligt sind. Auch der Menschenrechtsaktivist Vadim Kuramshin wurde verhaftet und für einen Schauprozess vor Gericht gestellt. Der bekannte Theaterdirektor Bolat Atabayev wurde verhaftet und wieder freigelassen, nachdem man ihn unter Druck gesetzt hatte, sich im Falle der Ölarbeiter auf die Seite des Regimes zu stellen. Die Regierung versucht nun, jede Gewerkschaftsaktivität im Endeffekt zu ächten, um Arbeitskämpfe noch weiter in die Untergrundtätigkeit abzudrängen.
Doch die Wirkung dieser repressiven Maßnahmen wird immer schwächer. Das Vorgehen der ArbeiterInnen beim Kupferlieferanten „Kazakhmys“ signalisiert eine neue Qualität der Kampfbereitschaft. Trotz des persönlichen Risikos für jedeN einzelneN drehten die siegreichen Beschäftigten aus der Energiewirtschaft einen Videofilm und verbreiteten diesen, in dem sie die Rolle der Gewerkschaft „Zhanartu“ erklärten, die diese dabei gespielt hatte, ihnen in ihrem Kampf beizustehen.
Die Schauprozesse könnten weitere Kämpfe entfachen. Und schon sind weitere Verfahren gegen die ÖlarbeiterInnen aus der westkasachischen Stadt Schanosen geplant. Aber diese könnten Massenproteste mit grundsätzlich ansetzenden politischen Streiks auslösen.
Hohes politisches Vakuum
In Kasachstan herrscht ein hohes politisches Vakuum. Die offiziellen Oppositionsparteien, die von den Oligarchen finanziert werden, welche nicht mit Nasarbajew übereinstimmen, befinden sich kurz vor dem Zusammenbruch. Die Arbeiterklasse ist zur Zeit die entscheidende politische Kraft, aber es existiert keine Partei, die sie vereint. Die „Sozialistische Bewegung Kasachstans“ führt eine Kampagne für einen neue Massenpartei der ArbeiterInnen und für eine verfassunggebende Versammlung, in der die ArbeiterInnen und Unterdrückten Kasachstans zusammenkommen und demokratisch darüber entscheiden können, wie das Land geführt werden soll.
Doch auch andere Kräfte versuchen, dieses Vakuum auszufüllen. Gruppierungen des rechtsgerichteten politischen Islam, darunter jene, die von Verwandten des Präsidenten Nasarbajew geführt werden, versuchen Raum zu gewinnen. Eine Mehrheit der ArbeiterInnen und Unterdrückten ist sunnitisch-moslemisch, aber es gibt auch größere religiöse Minderheiten, darunter die russisch-orthodoxen Christen.
Wenn die Arbeiterbewegung nicht hinreichend vorbereitet ist, besteht die Gefahr, dass der politische Islam Erfolge erzielt und dass bestimmte Flügel der Oligarchie versuchen könnten, auf dieser Grundlage die Wut der Menschen für ihre Zwecke nutzbar zu machen.
Das CWI ist fest entschlossen, eine Klassen-Opposition aufzubauen, die bewaffnet ist mit wirklichen sozialistischen Ideen, um die bevorstehende Krise zu überwinden. Was die internationale Ebene angeht, so arbeiten wir gemeinsam mit anderen in der Solidaritätsgruppe „Campaign Kazakhstan“ zusammen, sorgen für internationale Solidaritätsaktionen und finanzielle Unterstützung, was überlebenswichtig ist. Auch in Kasachstan ist das CWI aktiv und führt die Kämpfe an, an denen die Gewerkschaft „Zhanartu“ und die „Sozialistische Bewegung Kasachstan“ sich beteiligen. Für das Nasarbajew-Regime läuft die Zeit ab. Und das CWI ist fest entschlossen, dass die ArbeiterInnen erfolgreich sein werden.