So 30.01.2011
Über ganz Ägypten breiten sich nach dem gestrigem Freitagsgebeit Massenproteste aus, die ein Ende der 30-jährigen Herrschaft Hosni Mubaraks fordern. In Alexandria, Suez, Mansoura, Sharqiya und Kairo fanden Demonstrationen statt. In vielen Fällen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Protestieren und der Polizei. Die Polizei hat dabei Tränengas, Gummigeschosse und scharfe Munition eingesetzt. In Gegenden wie Alexandria und Suez haben die Proteste den Charakter eines Aufstands angenommen. Dort haben sich Polizei und andere Sicherheitskräfte wegen der Massenproteste aus Teilen der Städte zurückziehen müssen.
Wir erleben die größten Proteste in Ägypten seit den „Hunger-Aufständen” von 1977, als das Saddat-Regime sowohl Lebensmittelpreise in der Folge senkte, aber auch die Unterdrückung verschärfte. Aber die Bewegung heute ist viel größer. Es handelt sich um einen Volksaufstand mit revolutionären Charakter.
Bei Protesten am letzten Donnerstag haben Protestierende versucht ein örtliches Büro der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) anzuzünden. Bereits früher in der Woche gab es Berichte, dass Protestierende versuchten sich mit Polizeieinheiten zu verbünden. „Brüder! Brüder! Wie viel bezahlen sie euch!” riefen Protestierende Polizeieinheiten zu.
Die Protestierenden zeigen einen enormen Mut, wenn sie sich der Staatsmacht entgegenstellen. In einigen Fällen gelang es, die Polizei zurückzudrängen. Es gibt Berichte, dass in Alexandria eine Polizeistation besetzt wurde und dort Teile der Polizei aufgegeben haben, gegen die Protestierenden vorzugehen.
Die Ereignisse überschlagen sich, wenn die Massen die Bühne der Politik betreten. Die nächsten Stunden und Tage werden entscheidend sein, ob es gelingt Mubarak zu stürzen. Momentan sieht es noch so aus, dass der Staatsapparat sich gegen die Protestwelle stemmen kann. Die mögliche Rolle der Armee ist momentan noch unklar.
Momentan treffen Berichte ein, dass in Alexandria es den Massen gelungen ist, Einheiten der Bereitschaftspolizei zu überwältigen. In Suez haben Protestierende Polizeieinheiten die Waffen abgenommen und weitere Polizeistationen besetzt.
Die Polizei und die Armee
Viele DemonstrantInnen haben instinktiv an die einfachen Soldaten und Polizisten appelliert. In Kairo wurde gerufen: „Wo ist die Armee? Kommt und seht, was die Polizei mit uns macht!”
Ein Reporter von Al Jazeera berichtete, dass Protestierende Armeefahrzeuge bestiegen, ohne das die Soldaten einschritten.
Als Sozialisten appelieren wir an die einfachen Soldaten und Polizisten und rufen sie dazu auf, ihre eigenen Basiskomitees zu bilden, ihre Offiziere zu verjagen und so die Einsatzfähigkeit der Sicherheitskräfte zu untergraben.
Das Mubarak-Regime wird nicht überleben, wenn nicht nur in Alexandria und Suez, die Einsatzfähigkeit der Polizei nicht mehr gegeben ist.
Aber, auch wenn das Mubarak-Regime durch die heutigen Proteste schwer angeschlagen ist, kämpft es weiter um sein Überleben und wird auch bereit sein zu noch heftigerer Unterdrückung überzugehen. Mubarak hat nun die Armee aufgerufen für Ordnung auf den Straßen zu sorgen und drückt damit aus, dass er kein Vertrauen hat, dass die Polizei Herr der Lage werden kann.
Das Mubarak-Regime versucht die Massenbewegung zu zerschlagen und hat dafür auch eine Ausgangssperre verhängt. Weiterhin wurden Internet-Verbindungen gekappt und Al Jazeera-Büros von Sicherheitskräften besetzt. Die Armee, auch mit Panzern, wird auf der Straße eingesetzt. Auch wenn Teile der Protestierenden die Armee vielleicht noch begrüßen, wird sich die schnell ändern, sollte die Armee zu Unterdrückund der Proteste eingesetzt werden.
Die Ereignisse entwickeln sich schnell. Und mit dem Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels gehen die Entwicklungen schnell weiter. Wird größere Repression, die „Peitsche der Konterrevolution”, zu einer Steigerung der Proteste führen? Werden einfache Soldaten auf Seite der Protestierenden wechseln? Oder wird die brutale Macht des Staatsapparats die Bewegung zeitweise zurückwerfen?
Selbst wenn Mubarak sich noch an der Macht halten kann und die Massenproteste blutig unterdrücken kann. Die Ereignisse der letzten Tage haben das Mubarak-Regime tötlich verwundet. Mubaraks Tage an der Macht sind gezählt und das Regime in Ägypten wird nicht mehr in der gleichen Weise weiterherrschen können wie bisher.
Die heutigen Demonstrationen sind der vierte Tag von Protesten in Folge in Ägypten. Sie eifern den Protesten in Tunesien nach. Der Versuch des Mubarak-Regimes die Demonstrationen durch eine Abschaltung von Internet-Verbindungen und Mobilfunknetzen zu verhindern ist gescheitert.
Die verzweifelten Handlungen des Mubarak-Regimes zeigen, dass es seine soziale Basis verloren hat. Mehr als 30 Prozent der 80 Millionen ÄgypterInnen sind unter 20 Jahre alt. Diese Woche zeigt, dass die Arbeiterklasse und die Jugend ihre Angst vor dem Regime verloren haben.
Die Muslimbrüderschaft
Die Muslimbrüderschaft hängt den Ereignissen dieser Woche hinterher. Ihre Führer verloren sich erst in Ausflüchten darüber, ob sie die Proteste unterstützen sollen oder nicht. Dann versuchten sie Verbindungen mit der Jugend zu erreichen, indem sie die Initiative für weitere Proteste nach dem Freitagsgebet ergriffen. Robert Fisk, ein britischer Journalist kommentierte: „Bisher ist dies kein islamischer Aufstand, aber er könnte einer werden.”
Auch wenn wir in den letzten Jahren massive Streiks und die Bildung unabhängiger Gewerkschaften in Ägypten gesehen haben, hat sich bisher der Kampf nicht soweit entwickelt, dass eine unabhängige Massenorganisation enstanden wäre, die einen klaren Weg zum Sturz des Mubarak-Regimes aufzeigen könnte. Ein Aufruf zum Generalstreik würde jetzt auf massive Unterstützung treffen und die Gesellschaft zum Stillstand bringen. Gewählte Komitees in den Betrieben, den Stadtvierteln, Schulen und Universitäten sowohl auf örtlicher, regionaler und landesweiter Ebene, könnten die Speerspitze des Widerstands gegen Mubarak bilden und so eine Basis für eine Regierung der Arbeiterklasse und armen Massen bilden.
Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene Massenpartei mit einem sozialistischem Programm. Aber weil diese nicht existiert, wird die Muslimbrüderschaft versuchen das Vakuum zu füllen.
Auch Mohamed El Baradei versucht das Vakuum zu füllen. Als Führer der „Nationalen Allianz für Wandel” versucht er die Bewegung unter seine „Kontrolle „zu bringen.
El Baradei hat sich selbst als Führer einer Übergangsregierung angeboten und die internationale Staatengemeinschaft zu einem Eingreifen aufgerufen.
Tatsächlich ist der US-Imperialismus sehr besorgt, wegen der Entwicklungen in Ägypten. Über jahrzehnte haben die USA und ihre westlichen Verbündeten das Mubarak-Regime gestützt. Nun, wo sie nicht wissen, wohin die Massenbewegung führen wird, ruft Obama Mubarak dazu auf, „Veränderungen im politischen System” herbeizuführen. Mubarak war einer der treuesten Verbündeten der USA. Er hat sich zum Gefängniswärter über die Palästinenser im Gaza-Streifen gemacht und das Vorgehen gegen den Iran unterstützt. Mit dem Fall des Mubarak-Regimes wird die US-Außenpolitik in der Region in gefährliche Gewässer kommen.
Wenn es dem Mubarak-Regime weiterhin nicht gelingt auch mit brutaler Repression die Massenbewegung zu stoppen, kann es sein, dass die Herrschenden in Ägypten, um ihre eigene Haut zu retten, einen Austausch Mubaraks herbeiführen werden. Dies würde auch die Möglichkeit für die Muslimbrüderschaft eröffnen, dass Vakuum zu füllen.
„Regimewechsel”?
Der Sturz Mubaraks wäre ein großer Erfolg für die Massenbewegung. Aber ägyptische ArbeiterInnen und die Jugend können kein Vertrauen in eine Regierung der „Nationalen Einheit” haben, da sie höchstwahrscheinlich Teile des alten Mubarak-Regimes einbeziehen würde und von pro-kapitalistischen Kräften dominiert wäre. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass in eine solche neue Regierung die Muslimbrüderschaft oder Teile davon eingebunden werden. Ihre Führer haben deutlich gemacht, dass sie zu Kompromissen bereit sind. Sie behaupten ihr politischer Islam wäre „moderat”. Aber wie wir in Tunesien gesehen haben, würde ein solcher „Regimewechsel” die Bedürfnisse der Massen nicht befriedigen.
Die revolutionäre Bewegung in Tunesien weitet sich über die gesamte arabische Welt aus. Von Jemen bis Jordanien und nun nach Ägypten. Jedes der verrottenen Regimes der Region ist früher oder später von Massenprotsten bedroht. Die arbeitenden Massen haben ihre Kraft gezeigt und deutlich gemacht, dass sie nicht zurückweichen werden. Die Massenbewegungen, die Nordafrika und den Nahen Osten ergriffen haben, sind eine Inspiration für die Arbeiterklasse und die Jugend weltweit. Und berechtigterweise eine große Sorge für die herrschenden Klassen weltweit.
Das CWI setzt sich für folgende Forderungen ein:
- Schluss mit der Poilzeirepression und -brutalität - Für internationale Solidarität mit den ägyptischen Massen.
- Für massenhafte Aktionen der Arbeiterklassse, inklusive eines Generalstreiks mit dem Ziel das Mubarak-Regime zu stürzen
- Für volle demokratische Rechte unmittelbar, inklusive des Rechts sich zu versammeln, zu streiken und unabhängige Gewerkschaften zu organisieren.
- Für die Bildung von demokratisch gewählten Komitees des Massenkampfs und der Verteidigung gegen staatliche Repression in allen Betrieben, Stadtvierteln, Schulen und Universitäten, die auf örtlicher, regionaler und nationaler Ebene vernetzt sind.
- Für Komitees der einfachen Soldaten und Polizisten. Soldarisierung mit dem Massen und Absetzung der Offiziere
- Nein zu religiöser Spaltung – Für die Einheit der aller ArbeiterInnen
- Kein Vertrauen in eine Regierung der „Nationalen Einheit”, die die Interessen der Herrschenden und des Imperialismus vertritt.
- Für sofortige und freie Wahlen zu einer revolutionären demokratischen Versammlung. Für eine Regierung der Arbeiterklasse und der Bauern.
- Für einen ausreichenden Mindestlohn, Arbeit für Alle, ein Programm zur Ausweitung von Wohnungsbau, Bildung und Gesundheit.
- Für ein Ende der ägyptischen Blockade des Gaza-Streifens – Selbstbestimmungsrecht für Palästina und die Einheit der ArbeiterInnen. Massenbewegungen zum Sturz aller Diktaturen in der Region.
- Für die Verstaatlichung der ägyptischen Großkonzerne, Banken und Großgrundbesitze. Demokratische Planung im Interesse der Mehrheit und nicht einer kleinen Elite.
- Für ein sozialistisches Ägypten und sozialistische Föderation in der Region auf gleichberechtigter und freiwilliger Basis.