Fr 30.05.2008
In Griechenland fährt die konservative Regierung der Partei Nea Dimokratia (ND) einen offen neoliberalen Kurs. Wie reagiert die arbeitende Bevölkerung darauf?
Die Studierendenbewegung hat sich soeben mit der Besetzung von 39 Fakultäten in acht Städten zurückgemeldet. Letztes Jahr schaffte sie es, die Regierung daran zu hindern, den Artikel 16 der Verfassung – der nur öffentliche Universitäten in Griechenland zulässt – abzuschaffen. Allerdings gelang es ihr nicht, die Einführung eines neuen Gesetzes zu verhindern, das durch Sponsorenschaft die Hintertür für den Privatsektor öffnet. Die neue Runde von Studierendenprotesten zielt jetzt darauf ab, dieses Gesetz in der Praxis unwirksam zu machen.
Nach den jüngsten Umfragen sind über 80 Prozent der Bevölkerung unzufrieden mit der Regierung. Alle drei Generalstreiks – die von Dezember bis März stattfanden und bei denen drei Millionen Menschen gegen den Angriff auf das Rentensystem streikten – haben zweifelsfrei bewiesen, dass es eine massive Wut auf die Politik der ND gibt. Eine Regierungspartei, die alles verscherbeln will, was noch öffentlich und rentabel ist, wie Post, Bahn, Häfen und Olympic Airways. Erst vor wenigen Tagen konnte die Deutsche Telekom die Kontrolle über die griechische Telefongesellschaft ergattern.
Zusätzlich zu alldem steigt die Inflation und erzeugt noch mehr Empörung. Vor allem, weil zur gleichen Zeit die Gewinne der an der Börse notierten Unternehmen um 39 Prozent gestiegen sind!
Die konservative Regierung wurde im letzten September nur äußerst knapp wiedergewählt. Kann sie ihre Politik trotzdem weiter verfolgen?
ND und die herrschende Klasse sind entschlossen, ihren Job zu erledigen. Die hauchdünne Mehrheit im Parlament (152 von 300 Abgeordneten) und das schlechte Abschneiden in den Umfragen wird sie nicht aufhalten.
Diejenigen, die ihren Job nicht machen, sind die Gewerkschaftsführer – dominiert von der so genannten „sozialistischen” PASOK. Sie schrecken davor zurück, eine Bewegung aufzubauen, die in der Konsequenz zum Sturz der Regierung führen würde.
Wie ist der Zustand der sozialdemokratischen Oppositionspartei PASOK heute?
Nach den Wahlen vertiefte sich die Krise in PASOK. Die Wiederwahl von Giorgos Papandreou als Parteichef hielt die Talfahrt in den Umfragen nicht auf. Nach zwanzig Jahren an der Regierung bedeuteten die letzten fünf Jahre, Opposition ohne Oppositionspolitik zu sein.
In letzter Zeit machte PASOK Einheitsappelle an SYRIZA. Dies stellt aber keine ernsthafte Linkswendung dar. Das ist nur ein Manöver, um Stimmen, die an SYRIZA verloren gingen, wieder zurück zu holen – aber ohne Erfolg.
Was hat es mit SYRIZA auf sich?
SYRIZA ist ein Bündnis aus neun linken Parteien und Organisationen. Unter ihnen ist Synaspismos – eine Partei mit einer eurokommunistischen Tradition – die größte. Zwei kleine Organisationen mit einem trotzkistischen Anspruch machen bei SYRIZA mit, sowie Maoisten und Gruppen, die aus der Kommunistischen Partei KKE, der PASOK beziehungsweise aus den Grünen entstanden sind. Dazu kommen einige bekannte linke Einzelpersonen. SYRIZA trat zum ersten Mal als Wahlbündnis bei den Wahlen 2004 auf. Damals kam es knapp ins Parlament mit 3,1 Prozent der Stimmen. Dann beging aber Synaspismos, die versprochen hatten, eine pluralistische Vertretung der anderen Organisationen im Parlament sicher zu stellen, Wortbruch. Die Enttäuschung führte dazu, dass dieser erste Versuch in eine Sackgasse geriet und zusammenbrach. Xekinima, die grichische Sektion des CWI, sagte damals voraus, dass Synaspismos die Entwicklung von SYRIZA abbremsen würde und nahm nicht daran teil.
SYRIZA wurde letztes Jahr wieder geboren, aber nicht als Neuauflage von 2004, sondern stark verwandelt. Dies folgte auf manche wichtige Veränderungen innerhalb von Synaspismos. Nach der Katastrophe von 2004 hat der linke Flügel die Kontrolle über die Partei übernommen, Alexandros Alavanos wurde zum neuen Präsidenten gewählt und führte einen Linksschwenk durch. Das beinhaltete die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Kämpfen der letzten Periode, das Auftreten als einzige kämpferische Opposition gegen ND und ein pro-sozialistisches Vokabular.
Deshalb war die Neuauflage von SYRIZA, die letztes Jahr wieder gegründet wurde, radikaler, kämpferischer, und für große gesellschaftliche Schichten attraktiver. Bei der Wahl verdoppelte SYRIZA fast seine Stimmenzahl auf 5,1 Prozent. Danach hob ihre Unterstützung in den Umfragen ab. In der letzten Zeit gaben einige Umfragen SYRIZA bis zu 19 Prozent.
Welchen Charakter hat die linke Partei Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie) und welche Rolle spielt sie in SYRIZA?
Synaspismos erwähnt Sozialismus zwar in ihrem Programm, von einer ausgearbeiteten sozialistischen Konzeption kann jedoch keine Rede sein.
Es gibt zwei Haupttendenzen in ihr. Ein rechter Flügel, der die Perspektive für die Partei in einer Koalitionsregierung mit PASOK sieht. Natürlich lehnen sie sich jetzt wegen der „italienischen Erfahrung” nicht aus dem Fenster und warten auf einen besseren Zeitpunkt, um wieder in die Offensive zu gehen. Der linke Flügel ist überhaupt nicht einheitlich und hat sich in der Vergangenheit immer wieder für Kompromisse entschieden statt eine prinzipienfeste Haltung einzunehmen.
Die Synaspismos-Jugend bewegt sich im Vergleich zur Partei in eine linkere Richtung.
Wohin steuert SYRIZA?
SYRIZA ist in diesem Stadium noch keine stabile Kraft mit einem festen politischen Charakter. Es bewegt sich zwischen einem Einheitsfront-Bündnis und einer politischen Formation mit reformistischer Ausrichtung.
SYRIZA ist keine Partei. Es arbeitet durch örtliche offene Versammlungen und ein zentrales Führungsgremium, das in jeder Frage nach Kompromissen sucht. Es gibt viel Eigenständigkeit für die Kräfte innerhalb von SYRIZA – verschiedene Organisationen können frei ihre eigenen Kampagnen führen und einander kritisieren.
Wie steht SYRIZA zur Frage einer Regierungskoaltion mit PASOK?
Das Programm von SYRIZA schließt das aus. SYRIZA-Führer wie Alavanos und Alexis Tsipras kritisieren PASOK stark für die pro-kapitalistische Politik dieser Partei. Sie lehnen eine Mitte-Links-Regierung ab und verweisen auf die Erfahrung mit der RC in Italien. Ein beträchtlicher Teil der Linken und der Gesellschaft fürchtet aber, dass dies alles vielleicht nur „taktisch” begründet ist.
Nach Meinung von Xekinima muss die Antwort auf PASOKS Appelle von „Einheit der Linken“ darin bestehen, ein konsequentes sozialistisches Programm aufzustellen und dafür innerhalb der Arbeiterklasse und der Gesellschaft zu werben. Dies wäre das Beste, um die PASOK-Spitze zu entlarven.
Ist Xekinima (auf Deutsch „Neuanfang“) Teil von SYRIZA?
Xekinima stimmte bei den letzten Wahlen für SYRIZA. Wir werden in Kürze eine Konferenz abhalten, um über den Eintritt in SYRIZA zu entscheiden. Schon jetzt arbeitet ein großer Teil der Organisation innerhalb von SYRIZA auf einer „Einheitsfront”-Basis.
Unserer Meinung nach wird es von einer Reihe von Bedingungen abhängen, ob SYRIZA den Erwartungen gerecht wird oder nicht – und zwar davon, ob es den gesellschaftlichen Kämpfen eine klare Perspektive geben kann; ob es sich in den Betrieben verankert; ob es ein sozialistisches Programm aufstellt, das eine Antwort auf die Probleme der arbeitenden Menschen bedeutet. Es sollte erklären, dass es für eine Regierung eintritt, die sich die sozialistische Umwälzung der Verhältnisse auf die Fahnen schreibt; mit dieser Position sollte die KKE herausgefordert werden. Hier gilt es, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, um die Fehler und den Verrat von linken Parteien in der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Außerdem muss man die Erfahrung von Stalinismus und Maoismus, beide haben starke Wurzeln in Griechenland, analysieren und die Ideen von Arbeiterdemokratie und Internationalismus erklären.
Xekinima diskutiert den Beitritt zu SYRIZA zum einen, um mit radikalen Ideen den Kampf gegen die Macht des Kapitals positiv zu beeinflussen, und zum anderen, um marxistische Positionen innerhalb von SYRIZA zu stärken.