Mi 21.09.2005
„Für die Wirtschaft ist der Wahlausgang ein Desaster“, so der Vorstandsvorsitzende der Altana AG Nikolaus Schweickart. Der DAX zeigt nach unten und der Euro verliert an Wert. Warum? Die Hoffnungen der Kapitalisten, mit einer schwarz-gelben Regierung einen weiteren Generalangriff auf die Rechte der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen zu starten, sind vorerst im politischen Chaos untergegangen. Die einzige Siegerin der Wahlen ist die Linke und damit die Protestbewegung gegen Agenda 2010 und Hartz IV der Jahre 2003 und 2004. Ihr langer Arm hat Schröders rot-grüne Mehrheit gekippt und blockiert erst einmal Angela Merkels Zugriff auf die Kanzlerschaft.
Das Wahlergebnis spricht eine deutliche Sprache: es gibt keine Mehrheit für die Agenda 2010 von Schröder und Fischer, aber auch keine Mehrheit für die Verschärfung des Sozialkahlschlags durch Merkel und Westerwelle. Die Aufholjagd der SPD in den letzten Wochen basiert auf der Angst vor letzterem in breiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung. Diese hat viele Menschen dazu gebracht, noch einmal das „kleinere Übel“ zu wählen, um Merkel zu verhindern. Doch ohne den verlogenen und heuchlerischen „Linksschwenk“ im Wahlkampf der SPD, ohne das plakative Bekenntnis zu Kündigungsschutz und Flächentarif, ohne die Ankündigung die Reichen zu besteuern und eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen zu verhindern, ohne die Absage an eine Große Koalition wäre die SPD bei den 25 Prozent gelandet, die sie zu Beginn des Jahres in Meinungsumfragen erreichte.
Entfremdung
Der 18. September 2005 stellt eine Abfuhr für Sozialabbau und neoliberale Politik dar.
Doch auch wenn Schröder wie ein gedopter Boxer auftritt, der nachdem er drei Mal auf die Bretter gegangen ist, doch noch einen Punktsieg erreicht hat: die SPD hat das zweitschlechteste Ergebnis seit 40 Jahren eingefahren. Der Ablösungsprozess der traditionellen SPD-WählerInnen von der Sozialdemokratie setzt sich fort. Die beiden großen sogenannten „Volksparteien“ bleiben zum ersten Mal seit 1949 unter 70 Prozent, die Wahlbeteiligung ist weiter gesunken: die Entfremdung von den bürgerlichen Parteien und Institutionen wächst weiter. Und über den Wahlerfolg der FDP, der kleinen Partei des großen Kapitals, können sich die Kapitalisten nicht so recht freuen, denn die FDP-Gewinne machen nicht einmal die CDU/CSU-Verluste wett. Der Versuch von CDU/CSU-WählerInnen durch eine Zweitstimmenabgabe für die FDP eine große Koalition zu verhindern, ist fehlgeschlagen. Zum dritten Mal in Folge gibt es eine Mehrheit links von den traditionellen bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP.
Nazis gebremst
Die Faschisten von der NPD konnten ihr Wahlergebnis zwar verbessern, blieben aber unter den Erwartungen bzw. Befürchtungen, die es nach ihrem Wahlerfolg in Sachsen im letzten Jahr gab. Ihr Vormarsch wurde vorerst gestoppt. Auch dies ist vor allem das Verdienst der Kandidatur von WASG und Linkspartei/PDS. Diese haben dazu beigetragen, dass in der öffentliche Debatte weniger ImmigrantInnen für Arbeitslosigkeit und soziale Probleme verantwortlich gemacht wurden, sondern Regierung und Kapital. So wurden die Rassisten und Faschisten weitgehend in die Defensive gedrängt. Der Wahlerfolg der NPD in Sachsen, wo sie 4,6 Prozent erreichte, weist jedoch darauf hin, dass die braune Gefahr nicht gebannt ist. Wenn die Linkspartei und WASG die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschen sollte, ist ein weiterer Aufstieg der Faschisten zu erwarten.
Instabilität
Das Wahlergebnis vertieft die politische Instabilität und Krise in der Bundesrepublik. Der Wahlerfolg der Linkspartei ist Ausdruck der wachsenden Polarisierung zwischen den Kapitalisten und der arbeitenden Bevölkerung. Steigende Massenarbeitslosigkeit, Agenda 2010, wachsende Armut haben den Hass und die Wut auf die Reichen und Mächtigen enorm gesteigert. Und immer weniger sind bereit zu glauben, dass all dies nötig ist, um in Zukunft Arbeitsplätze zu schaffen.
Das Wahlergebnis ist gleichzeitig eine Motivation für alle diejenigen, die sich in den letzten Jahren gegen Agenda 2010, Hartz IV, Massenentlassungen und Privatisierungen zur Wehr gesetzt haben. Jetzt kommt es darauf an diesen Wahlerfolg in sozialen Widerstand und den Aufbau einer Partei, die konsequent Arbeitnehmerinteressen vertritt zu übersetzen.