Klatschen zahlt die Miete nicht!

Pflege & Soziales: Verschiedene Jobs - gleiche Probleme mit niedriger Bezahlung und zu wenig Personal
Michael Gehmacher, Betriebsrat beim Arbeiter-Samariterbund – Wohnen und soziale Dienste

Corona rückte uns als “Systemerhalter*innen” in die Öffentlichkeit. An den oft katastrophalen Bedingungen in unserer Branche hat das aber nichts geändert. Am einfachsten ist es ja, auf jene Menschen einzuschlagen, die sich schwerer wehren können. Klingt wie eine Binsenweisheit aus dem Lehrbuch für Kapitalist*innen und ist genau das, was verschiedene Regierungen seit Jahrzehnten im Sozial-, Pflege- und Gesundheitsbereich machen. Und zwar bei den Beschäftigten sowie jenen Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind – ganz gleich ob nun auf Grund von gesundheitlichen Gebrechen, Armut, psychischen Erkrankungen oder sonstigen Beeinträchtigungen.

In unserer Branche arbeiten viel mehr Frauen. Für sie werden Überlastung und Burn-Out Gefahr durch die Mehrfachbelastung von Job und Familie noch verstärkt. Gerade sie sind in der dauernden Zwickmühle: Vollzeitarbeiten und Ausbrennen oder Teilzeit bzw. keine Nacht- und Wochenenddienste und zu wenig Einkommen. Denn: Wer nur Grundgehalt und eventuell Erschwerniszulage bekommt, verdient wenig. Es ist zwar möglich, das Einkommen durch Arbeit am Wochenende und in der Nacht mit Zuschlägen „aufzufetten“. Doch das geht auf die Gesundheit und erschwert soziale Beziehungen. Menschen mit Betreuungspflichten - meistens Frauen - können das nicht. 

Ein Teil der Beschäftigten arbeitet im Öffentlichen Dienst, andere bei privaten Trägern. V.a. dort wird fast immer genau das bezahlt, was der zuständige Kollektivvertrag (z.B. Sozialwirtschaft Österreich, Caritas, Diakonie, usw) vorsieht. Eine „Überzahlung“ (also mehr als nach KV), gibt es selten. Es ist daher kein Zufall, dass bei den Kollektivvertragsverhandlungen 2019 die 35 Stundenwoche und 6% mehr Lohn und Gehalt sowie weitere dringend nötige Verbesserungen gefordert wurden. Viele Kolleg*innen können die niedrigen Gehälter nicht mehr hinnehmen und sind bereit, für mehr zu kämpfen. Die Protestwelle der letzten Jahre in der Branche sowie mehrere Streiks im Februar/März 2020 unterstreichen das.

Personalknappheit, Druck und dauernde starke psychische Belastung prägen die Arbeitssituation. Die Tatsache, dass Viele hier arbeiten, weil sie anderen Menschen helfen wollen, wird ausgenutzt. Kolleg*innen arbeiten häufig mehr als gut für sie selbst ist, da sie wissen, dass die Leidtragenden die Patient*innen und Klient*innen sind. Der dauernde Geldmangel in der Branche führt dazu, dass all die guten Konzepte, die man in der Ausbildung lernt, mit Dienstantritt unmöglich werden. Die Menschenwürde der Beschäftigten sowie jene der zu betreuenden fällt dem Sparzwang zum Opfer.

Wer es sich irgendwie leisten kann, versucht oft sich in die Bildungskarenz zu flüchten oder bleibt länger in der Arbeitslosigkeit. Wer sich‘s nicht leisten kann, arbeitet bis er/sie selbst krank wird.

Denn der finanzielle Druck wird oft 1:1 an die Kolleg*innen weitergegeben. Ist eine Einrichtung einmal nicht zu 100% ausgelastet, reagieren die Träger häufig mit Kürzungen beim Personal. Steigt die Auslastung, steigt auch der Arbeitsdruck, weil nicht automatisch mehr Personal angestellt wird. Die Finanzierungen der privaten Träger durch die öffentliche Hand sind oft befristet, die Verlängerungen kommen oft viel zu spät. In Wien kann es schon mal geschehen, dass eine Finanzierungszusage des „Fond Soziales Wien - FSW“ (er wickelt die Finanzierung des Sozialbereichs) so spät kommt, dass die Kolleg*innen bereits gekündigt wurden. Kommt dann noch rechtzeitig vor Auslaufen eines Projektes eine neue Zusage (das Geld kommt oft noch später), wird die Kündigung zurückgenommen. Diese Situation erzeugt Stress und Unsicherheit.

Die ganze Situation mit Corona inklusive nötiger Schutzmaßnahmen (die oft nicht gegeben waren!) hat die Situation weiter verschärft. Das Budget ist wegen des größeren finanziellen Aufwandes (etwa für Masken, Desinfektion etc) überstrapaziert, andererseits bedeutet Erarbeiten und Umsetzen von Schutzmaßnahmen mehr Arbeit. Teams werden durch Sonderbetreuungszeiten, Freistellung von Risikogruppen, Home-Office usw. personell reduziert. Wer noch an der Dienststelle ist, muss noch mehr arbeiten. Der erhöhte psychische Stress, dem viele Klient*innen unter Corona ausgesetzt sind, bringt noch mehr Arbeit. Mit Corona sind Einsamkeit, Depressionen usw. weiter gestiegen, das kriegen z.B. die Kolleg*innen in der Hauskrankenpflege, die oft die einzigen Ansprechpersonen über Wochen sind, voll ab. Als ersten Schritt braucht es hier 20% mehr Personal, eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Gehalt und Personalausgleich sowie eine Woche Corona-Sonderurlaub pro Monat Arbeit unter den verschärften Corona-Bedingungen. In der Branche gärt es weiter, neue Proteste könnten schneller kommen als der herrschenden Politik lieb ist.

 

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