Mi 24.11.2021
Du warst bis Mai 2021 bei einem Diskonter beschäftigt. Wie waren dort die Arbeitsbedingungen und wie hast du die Corona-Krise im Handel erlebt?
Ich war zuerst knapp eineinhalb Jahre für 20 Wochenstunden beschäftigt. Anfangs bekam ich wenig vom Stress in dieser Branche mit, aber als dann die Corona-Krise auf uns zukam, traf er mich mit voller Wucht. Die Leute kauften alles leer, was es noch gab bei uns im Geschäft. Es war ein irrsinniger Stress, doch es wurde uns in der Zeit sogar mehr Personal zugestanden. Normal waren wir immer nur zu zweit bzw. zu dritt im Geschäft. Während der schlimmsten Anfangszeit zu Corona durften wir uns auch das Trinkgeld von Kund*innen behalten und wir durften auf Kosten des Unternehmens täglich um 20 Euro pro Filiale Verpflegung kaufen, da wir ja zu einem Teil der „Corona-Helden“ zählten.
Doch diese positiven Veränderungen waren schon bald wieder vorüber. Mit Ostern 2020 durften wir das Trinkgeld nicht mehr behalten und auch das Verpflegungsgeld wurde gestrichen. Nun kam aber der versprochene Corona-Bonus ins Spiel. Nachdem wir derart in den Himmel gelobt wurden, war die Hoffnung groß. Letztendlich bekamen wir nach Stunden gestaffelt 50-200 Euro (50€ - 10h; 100€ - 20h), die nur in Filialen des Unternehmens ausgegeben werden konnten. Dass der Bonus nach den angestellten Stunden gestaffelt wurde, war natürlich clever, denn im Handel ist der Großteil der Mitarbeitenden maximal nur Teilzeit angestellt.
Zudem wurden wir von Kund*innen regelmäßig für die beschlossenen Corona-Regelungen verantwortlich gemacht (wie zum Beispiel die Maskenpflicht im Handel). Als Handelsangestellte*r ist man leider häufig Aggressionen von Käufer*innen ausgesetzt, während der Corona-Krise hat sich das aber nochmal deutlich verschlimmert.
Wie hat euch das Unternehmen vor der Aggression geschützt?
Zweimal war bei uns Security-Personal da. Das war’s. Wir haben uns dann selbst geschützt und haben auf Verstöße gegen Maskenpflicht oder ähnliches einfach nicht mehr reagiert.
Warum sind so viele nur Teilzeit angestellt?
Die meisten Stellen, die ausgeschrieben sind, sind nur auf Teilzeit oder Geringfügig ausgeschrieben. Das ist ohnehin geschickter fürs Unternehmen, weil sie dann nur den Mehrstundenbonus zahlen müssen und nicht den Überstundenbonus. Quasi alle dort arbeiten mehr, als sie angestellt sind.
Und zum anderen arbeiten viele dort, die Betreuungspflichten für Kinder haben. Ist mit Vollzeit schwer vereinbar, wenn du da immer bis 20:00 im Geschäft stehst.
Was sind für dich die zentralen Baustellen bzw. Probleme im Handel?
Der größte Kritikpunkt, den ich habe, ist der bewusste Personalmangel. Es wird erwartet, dass alles tip-top aussieht, aber unter keinen Umständen, darf mehr Personal dafür gebraucht werden. Es wird ja auch öfter kontrolliert, ob alles passt. Dies wurde in meiner Filiale nur deshalb erreicht, weil ein paar meiner Kolleg*innen freiwillig unbezahlte Stunden arbeiteten.
Eine Teilzeitanstellung ist im Handel mehr als genug. Die psychische und auch die physische Erschöpfung sind so durch den Rest der Woche noch gut zu kompensieren. Daher braucht es aber ein anständiges Gehalt bei einer Teilzeitanstellung, dass einfach nicht vorhanden ist. Mit Kind(ern) lässt es sich mit diesem Gehalt nicht über die Runden kommen.
Das heißt übersetzt eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. Hat die Gewerkschaft diese Forderung einmal thematisiert?
Nein.
Die Gewerkschaft hat bei den aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen vor allem 3,5 % Lohnerhöhung, leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche und das Recht auf Aufstockung der Wochenstunden gefordert. Treffen diese Themen die Bedürfnisse der Beschäftigten aus deiner Sicht oder welche Forderungen fändest du auch wichtig?
Relevant bei meinen Kolleg*innen und mir waren vor allem eine Lohnerhöhung und bei manchen auch die Aufstockung der Wochenstunden. Im Handel gibt es keine individuelle Diskussion über den Lohn. Ich lernte einige Mitarbeitende von meinem Unternehmen kennen und alle bekamen lediglich den kollektivvertraglichen Mindestlohn, egal in welcher Position sie waren.
Wie hast du Betriebsrat und Gewerkschaft in deiner Arbeit erlebt? Waren die KV-Verhandlungen Thema?
Zur ersten Frage: Quasi gar nicht. Vom Betriebsrat hörte ich etwa 4-mal jährlich mit einer Zeitschrift und hin und wieder gab es einen Brief in die Filiale. Von der Gewerkschaft hörte ich noch seltener.
Kollektivvertragsverhandlungen waren im Vorhinein natürlich nie Thema. Erst mit Abschluss der Verhandlungen lobte sich der Betriebsrat in den Himmel, was er nicht alles für seine tollen Mitarbeiter*innen erkämpft hätte.
Jetzt haben die Verhandler*innen mit 1.800 Euro Einstiegsgehalt (davon profitieren ca. ein Drittel der Beschäftigten), 2,55 % Lohnerhöhung für den Rest und "Das Recht der Beschäftigten ihre Teilzeit aufstocken zu können, dürfen künftig die betrieblichen Sozialpartner per Betriebsvereinbarung regeln." abgeschlossen. Kann man damit zufrieden sein?
Keine Ahnung… Tropfen auf den heißen Stein… Zwischen wenig und weniger wenig, ist jetzt nicht so viel Unterschied.
Ich finde es gehört die Teilzeit gescheit bezahlt. Die meisten arbeiten dort nur Teilzeit. Die sollen davon leben können.
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Jetzt stehen die Kolleg*innen im Handel wieder vor den Herausforderungen eines neuen Lockdowns und der Personalmangel besteht nach wie vor. Statt hier für echte Verbesserungen bei Arbeitszeiten und für eine andere Anstellungspolitik zu kämpfen, hat die Gewerkschaftsführung mit diesen Verhandlungsergebnis nichts substanzielles erreicht. Doch gerade in der Krise wäre ein konsequenter Kampf für die Interessen der Beschäftigten am wichtigsten. Wann wenn nicht jetzt müssen wir uns gegen unzumutbare Zustände zu wehren?