Weltwirtschaft auf direktem Weg zum „Double-Dip“

Die führenden Vertreter des Kapitalismus befinden sich in heller Aufregung. Sie bemühen sich, mit der Euro-Krise und ihren bedrohlichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zurechtzukommen – und scheitern kolossal.
Lynn Walsh, CWI

Weder der G20-Gipfel in Mexiko noch die Krisengespräche von Rom haben irgendwelche Lösungsvorschläge gebracht, weil die Politiker und Ökonomen versuchen, die Achterbahn Eurozone verzweifelt am Laufen zu halten.

Wieder einmal hat die Krise der Eurozone ein G20-Treffen der führenden Vertreter des Weltkapitalismus dominiert, das diesmal am 18. und 19. Juni im mexikanischen Los Cabos stattfand. Erneut schloss diese Zusammenkunft mit einer uninteressanten Abschlusserklärung ab, das keine konkreten Maßnahmen beinhaltete – weder zur Eindämmung der Eurokrise noch gegen die sich weiter zuspitzende globale Krise. Barack Obama, der im November die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu bestehen hat, rief die führenden Köpfe der Eurozone dazu auf, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen und die Kürzungsprogramme mit einer „Wachstumspolitik“ abzumildern. Demgegenüber stellten die europäischen Vertreter fest, dass Obama wegen der Opposition der Republikaner im US-Kongress nicht in der Lage gewesen ist, ein weiteres Wirtschaftsförderungspaket auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus warnten sie davor, dass der Schuldenberg der USA – mit den damit einhergehenden drohenden kolossalen Ausgabenkürzungen für das Jahr 2013 – das Land in den Abgrund stürzen könne.

Nur drei der G7-Staaten (Kanada, die USA und Deutschland) haben es zurück auf ihr Vor-Krisen-Produktionsniveau geschafft. Momentan beginnt das US-amerikanische Wachstum zu versanden, während es in der Eurozone entweder zur Stagnation oder sogar zur Rezession kommen mag (Deutschland gleitet derzeit in die Rezession ab). In den Jahren 2007 und 2008 löste die Immobilienkrise (Hypotheken konnten nicht mehr bedient werden) eine weltweite Banken- und Finanzkrise aus. Jetzt hält die profunde Schuldenkrise sowohl die europäischen Regierungen als auch die großen Bankhäuser im Bann des Aufruhrs, der auf dem Finanzmarkt herrscht. Vor allem Griechenland und Spanien wirken wie Zeitbomben, die jederzeit detonieren und somit eine gewaltige Explosion auslösen könnten.

Krise der Eurozone

Als sich am 22. Juni die Regierungschefs der vier großen Mächte der Eurozone (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien) in Rom trafen, zeigte sich, dass man einer Lösung der Krise keinesfalls näher gekommen ist. Man kündigte ein „Wachstumspaket“ im Wert von 130 Milliarden Euro an, das allerdings nur sehr begrenzt mit neuem Geld ausgestattet sein soll. Zur wichtigsten Frage, der anhaltenden Kreditkrise, blieb man gespalten.

Mario Monti, François Hollande und Mariano Rajoy riefen dazu auf, die Rettungsfonds der Eurozone zur „Stabilisierung der Finanzmärkte“ heranzuziehen. Die drei wollen den vorläufigen Stabilisierungsmechanismus EFSF und später dann den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) autorisieren, zur Stützung von ins Wanken geratenen Banken unmittelbar eingreifen zu können. Zudem schlagen sie vor, die Rettungsfonds zu befähigen, dass diese auch Schulden von „rechtschaffenen“ Ländern aufkaufen können, um die Staatsanleihen dieser Staaten zu stützen (vermutlich ist mit dem Begriff „rechtschaffen“ gemeint, dass es um alle Länder der Eurozone geht, ausgenommen Griechenland). Angela Merkel jedoch stellt sich gegen derlei Vorschläge. Wieder einmal wurde der innerhalb der Eurozone existierende Widerspruch zwischen gemeinsamer Währung und den jeweiligen nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten offenbar.

„Wir alle waren uns einig“, behauptete der spanische Premierminister Rajoy, „jeden notwendigen Mechanismus heranzuziehen, um die Finanzstabilität der Eurozone zu erhalten“. Indem er auf Merkels Forderung nach forcierten Schritten in Richtung einer Fiskalunion antwortete, sagte Hollande, dass es „keinen Transfer der Souveränität [geben könne] ohne Verbesserung der Solidarität“. Zudem trat er erneut für die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit ein, die Schulden der Eurozone zu vergemeinschaften und zu diesem Zweck Eurobonds oder ähnliche Mechanismen einzuführen. Solidarität, so reagierte Merkel, sei nur möglich, wenn es auch ernsthafte Kontrollen und eine gemeinsame Aufsicht gibt. Wörtlich sagte sie: „Man kann keine Garantien geben, ohne Kontrolle zu haben“.

„Es ist nicht so, dass ich keine Hilfe anbieten will. Aber die Verträge sind so verfasst, dass die Regierungen darin als Partner beschrieben werden.“, sagte Merkel. Mit anderen Worten: Bei der Eurozone (wobei in diesem Zusammenhang eher die gesamte EU gemeint ist) handelt es sich um einer gemeinsame Organisation mehrerer Regierungen und nicht um einen föderalen Staat. Darüber hinaus muss Deutschland rund 30 Prozent jedes Eingreifens der Eurozone finanzieren und hat bisher schon schätzungsweise 300 Milliarden Euro zu den verschiedenen „Rettungspaketen“ beigetragen. „Deutschlands Stärke ist nicht grenzenlos, seine Kräfte sind nicht unendlich“, protestierte Merkel in Rom.

Beim G20-Gipfel in Mexiko riefen Obama und Christine Lagarde, die Chefin des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF), die Vertreter der Eurozone auf, umgehend Maßnahmen zur Lösung der Krise zu ergreifen, die in zunehmendem Maße die gesamt Weltwirtschaft zu drangsalieren beginnt. Doch bislang ist noch nicht einmal Einigkeit über die Details des „Rettungspakets“ für die spanischen Banken erzielt worden. Bisher wurde lediglich vereinbart, dass die Eurozone bis zu 100 Milliarden Euro zu Stabilisierung der spanischen Bankhäuser zur Verfügung stellt. Über den Einsatz dieser Gelder wurde jedoch keine Übereinkunft getroffen. Rajoy, Hollande und Monti treten dafür ein, die Fonds direkt an die Banken weiterzugegeben, um somit das spanische Haushaltsdefizit nicht weiter anwachsen zu lassen, was die Kreditwürdigkeit des Landes abermals verschlechtern würde. Merkel allerdings besteht darauf, dass die „Rettungs“-fonds an die spanische Regierung gehen und von ihr weitergeleitet werden. Dies erklärt, warum die Zinsen, die Spanien für Kredite zu zahlen hat, bei reichlich über sechs Prozent rangieren und sich schon einige Male bei über sieben Prozent einpendelten (zum Vergleich: Frankreich muss zur Zeit gerade einmal 1,45 Prozent aufbringen). Mehr noch: Einige Vertreter der Eurozone beharren darauf, dass die Kredite, die Spanien aus dem EFSF oder dem ESM bezieht, dem „Senioritätsprinzip“ unterliegen. Mit anderen Worten heißt das, dass man im Falle eines Zahlungsausfalls bevorzugt behandelt wird insofern es um Rückzahlungen und Tilgung geht. Dies bringt Investoren auf dem Anleihemarkt dazu, spanische Schulden als noch riskantere Papiere zu betrachten, weil sie heruntergestuft werden, sobald Kredite oder Tilgungen im Falle eines Zahlungsausfalls fällig werden.

Genau wie bei den mit sehr niedrigen Zinsen belegten und mit langfristigen Laufzeiten versehenen Kredite, die den europäischen Banken gerade erst von der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Verfügung gestellt wurden, werden wahrscheinlich auch die „Rettungs“-fonds für die spanischen Banken nur sehr begrenzte und äußerst kurzlebige Auswirkungen auf die Krise haben.

Bis vor kurzem noch hat die EZB eingegriffen, um die Kreditklemme in der Eurozone abzumildern. Sie kaufte Staatspapiere von Mitgliedsländern der Eurozone auf, was dazu führte, dass die Kosten für die Geldaufnahme weit niedriger gehalten wurden. Seit Juni 2010, als die EZB dieses „Markt-Sicherungsprogramm“ startete, hat die Bank Staatsanleihen im Wert von 210,5 Milliarden Euro gekauft. Dennoch hat die Bank das „Markt-Sicherungsprogramm“ in den letzten Wochen trotz der Tatsache, dass die Gewinne aus spanischen Staatspapieren anstiegen, auf Eis gelegt.

Die EZB legte zudem auch ein Programm namens „Longer-Term Refinancing Operations“ (LTROs) auf, das es den Banken in der Eurozone erlaubte, große Summen zu niedrigen Zinsen (und auf der Basis einer breiten Palette zusätzlicher Sicherheiten) von der EZB zu leihen. Neben anderen Dingen erlaubte es dieses Angebot den Banken, Staatsanleihen zu kaufen. Man kann dieses Vorgehen als Taschenspielertrick der EZB bezeichnen, um die Regierungen der Eurozone zu unterstützen. Anfang Juni allerdings änderte die EZB ihre Politik. Plötzlich lehnte sie es ab, weitere Staatsanleihen zu zeichnen. EZB-Sprecher haben angedeutet, dass sie nun die EFSF und den ESM als die Instanzen betrachten, die Staatsanleihen von Mitgliedsländern der Eurozone kaufen müssen.

Der Wandel der EZB-Politik widerspiegelt – neben anderen Hinweisen – den Druck der deutschen Regierung und anderer, die sich gegen ein unbeschränktes Kreditangebot an Schulden-Staaten stellen. Der Grund dafür ist, dass Geberländer wie Deutschland am Ende die Rechnung zu zahlen hätten.

Die Sackgasse, in der sich die Eurozone befindet, zeigt sich am Beispiel des ESM, der immer noch nicht aufgestellt ist oder überhaupt greifen kann. In Wirklichkeit wollen Hollande, Monti und andere (weil die EZB nicht wie eine „Bank des letzten Auswegs“ auftritt, um die Schulden der wichtigsten Regierungen abzusichern), dass der ESM wie eine Bank agiert, also die Befugnis hat, ins Schwimmen geratene Banken direkt zu unterstützen oder zusätzliche „Rettungs“-fonds für einzelne Regierungen in der Eurozone zur Verfügung zu stellen. Merkel will das nicht. Darüber hinaus muss der ESM erst noch vom deutschen Parlament bestätigt werden, und dazu wird es möglicherweise erst später kommen, weil beim Bundesverfassungsgericht einige Klagen anhängig sind.

Die Position von Merkel gibt die Haltung eines Teils der deutschen Kapitalistenklasse wieder, der (trotz der Vorteile, die Deutschland aus der Mitgliedschaft in der Eurozone zieht) zunehmend aufgebracht ist, wenn wieder zur „Rettung“ schwächerer Volkswirtschaften aufgerufen wird. Aktuelle Meinungsumfragen zeigen, dass sich 55 Prozent der deutschen Wahlberechtigten wünschen, Deutschland hätte die D-Mark behalten. Und diese Opposition gegenüber der Eurozone wird in den nächsten Monaten noch anwachsen.

In Rom gaben die „großen Vier“ bekannt, dass es zu einem neuen 130 Milliarden Euro „Wachstumsfonds“ kommen wird, der auch beim Treffen des Europarats am 28. und 29. Juni in Brüssel Thema ist. 130 Milliarden Euro sind ungefähr ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Eurozone und erscheinen auf den ersten Blick sehr eindrucksvoll. Bei genauerer Betrachtung aber kommt dieses neue Paket eher wie ein kleines Päckchen daher. John Hooper bemerkt dazu in der brit. Tageszeitung „The Guardian“: „Die 130 Milliarden erscheinen eher wie eine Summe, die aus bereits bestehenden Fonds zusammengeklaubt oder daraus umgeleitet wurde. Den Eindruck, es handele sich hierbei um ein Bekenntnis, neues Geld bereitzustellen, hinterlässt dieser Betrag jedenfalls nicht.“ („The Guardian“, 23. Juni 2012) Zwar resultiert aus den von der EU finanzierten Infrastruktur-Projekten eine Art von Versprechen, konkrete Details existieren allerdings nicht. Die „Financial Times“ kommentierte dazu: „Nicholas Spiro, ein unabhängiger Risikoanalyst, sagte, dass der aufgewärmte europäische Wachstumspakt „ein weiteres Beispiel dafür ist, dass die Vertreter der Eurozone verzweifelt versuchen, ihre Unstimmigkeiten zu überspielen, während sie darin versagen, die Frage zu klären, die die Investoren am meisten umtreibt: Wie kann der umfassende Schuldenmarkt Spaniens und Italiens gestützt werden?“ (Kluft innerhalb der Eurozone wird angesichts der Schuldenkrise größer, „FT“, 22. Juni 2012)

Im Leitartikel vom 22. Juni warnte die „Financial Times“: „Für die Verfechter des Euro läuft die Zeit ab“. Neben anderen finsteren Aussichten für die europäischen Kapitalisten wird auf die Zeitbombe Griechenland hingewiesen: „Die Finanzmärkte (gemeint sind die finanzstarken Spekulanten) haben nur wenig Entlastung gezogen aus dem Sieg einer bestimmten griechischen Partei [der konservativen „Nea Demokratia“], die den Rettungsplan für das Land neu verhandeln will und gegen eine andere Partei [das Linksbündnis „Syriza“] gewann, die das ganze Programm komplett ablehnte“.

Der neue Premierminister und Vorsitzende der „Nea Demokratia“, Antonis Samaras, fordert nun, dass die Umsetzung der sogenannten Sparmaßnahmen, die im Gegenzug zu den zwei „Rettungspaketen“ bereits beschlossen worden sind, für zwei Jahre ausgesetzt wird. Es wird geschätzt, dass dies weitere 20 Milliarden Euro an „Rettungs“-fonds kosten würde. Hierzu, wie auch in allen anderen Fragen, sind die Vertreter der Eurozone gespalten. Hollande und andere bevorzugen es, Griechenland mehr Zeit einzuräumen, während Merkel und andere wiederum gegen jede Entspannung bei den Kürzungsmaßnahmen sind. In Wirklichkeit ist das entscheidende Moment das des richtigen Timings. Die Schulden, die Griechenland angehäuft hat und die angeblich einen Ausweg aus der Schuldenkrise bieten sollten, sind unhaltbar. Trotz des knappen Sieges von „Nea Demokratia“ wird es in der griechischen Arbeiterklasse und der Mittelschicht zu weiteren explosiven Situationen kommen, in denen man sich gegen die barbarischen Kürzungspakete, die dem Land auferlegt werden, wehren wird.

Wenn die „großen Vier“ selbst in den Kernfragen zu keiner Übereinkunft kommen, dann besteht auch für den Europarat keine Chance, mit Lösungsvorschlägen aufwarten zu können. Die Wahl von Hollande in Frankreich hat die Seite gestärkt, die weniger Sparmaßnahmen fordert und mehr in Richtung Wachstumsanreize tendiert. Letztere werden von Merkel und ihren weiterhin unerbittlich bekämpft. Diese gegenseitige Blockade bedeutet eine sich länger hinziehende Stagnation oder einen weiteren Abschwung, der wiederum zur dauerhaften politischen und ökonomischen Krise führen wird. Die führenden Kapitalisten befürchten ein Auseinanderbrechen der Eurozone, was unberechenbare Folgen in Europa und für die ganze Weltwirtschaft haben würde. Die sich widersprechenden Kräfte aber, die in der Eurozone zusammengefasst sind, bewegen sich insgesamt in Richtung einer teilweisen Auflösung – wenn nicht gar hin zu einer Auflösung ohne Kompromisse.

Düstere Aussichten

Die Aussichten für den globalen Kapitalismus sind in der Tat finster. Seit April/Mai dieses Jahres sind vermehrt Hinweise für einen erneuten Abschwung in der Weltwirtschaft aufgetaucht. Es bestehen eine Reihe von sich überschneidenden und miteinander korrelierenden Krisen-Elementen:

1. Die Schuldenlast: Das hohe Maß an öffentlichen und privaten Schulden und die Versuche, die Schulden zu reduzieren („Schuldenabbau“) schränkt den Kreditfluss ein und hat negative Auswirkungen auf die Verbrauchernachfrage und die Investitionstätigkeit. Für das Gebiet der OECD beträgt die durchschnittliche Schuldenrate -2,1 Prozent zwischen 1999 und 2008. Im Jahre 2009 stieg diese Zahl an auf -8,1 Prozent und liegt aktuell immer noch bei -5,3 Prozent. Die Gesamtheit der Staatsschulden im OECD-Raum steigt weiterhin und liegt zur Zeit bei 108,6 Prozent des BIP. Auch die private Schuldenquote (Verhältnis zwischen Bruttoverschuldung und verfügbarem Einkommen) ist enorm hoch. Für den Euroraum lag sie beispielsweise vor dem Boom im Jahre 2000 bei 85,3 Prozent, rangiert aber jetzt bei 107,9 Prozent. Die Verschuldung der Unternehmen bleibt ebenfalls auf einem hohen Level. Für Betriebe, die nicht dem Finanzsektor zuzurechnen sind (Schuldenquote) lag sie bei 78,8 Prozent und wird heute mit 96,8 Prozent beziffert. Der Verschuldungsgrad der Finanzunternehmen ist noch höher. Im Jahr 2000 lag er bei 269,1 Prozent und heute bei 381,7 Prozent. Diese Zahlen sind vor dem Hintergrund eines schwachen bzw. vollkommen zum Stillstand gekommenen Wachstums unhaltbar und tragen die Drohkulisse von zunehmenden Zahlungsausfällen sowohl in den Bereich der Privatschulden als auch in den privatwirtschaftlichen Sektor hinein.

2. Die Massenarbeitslosigkeit: Die Arbeitslosigkeit bleibt katastrophal hoch. Dies ist eine Folge des Abschwungs und verstärkt selbigen aufgrund zurückgehender Verbauchernachfrage, sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Kosten für Sozialleistungen.

In der EU, die aus 27 Staaten besteht, sind 24,6 Millionen Frauen und Männer erwerbslos, von denen 17,4 Millionen in den 17 Ländern der Eurozone leben. Es existiert demzufolge eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent in der Eurozone und von 10 Prozent in der EU. In einer Reihe von Ländern gestaltet sich die Lage wesentlich dramatischer. So liegt die Arbeitslosenquote in Spanien bei 24,3 Prozent und in Griechenland bei 21,7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in beiden Ländern bei katastrophalen 50 Prozent.

Global betrachtet handelt es sich bei der Arbeitslosigkeit um eine verheerende Anklage des Kapitalismus. Angaben der „Internationalen Arbeitsorganisation“, ILO (Abteilung der UNO), zufolge, sind derzeit 200 Millionen Menschen weltweit ohne Erwerbsarbeit – im Gegensatz zu noch 175 Millionen im Jahr 2000. Demnach sind 75 Millionen junge Menschen erwerbslos, was einen Anstieg von vier Millionen seit 2007 bedeutet.

Ein gemeinsames Papier von ILO und OECD für das G20-Treffen in Mexiko sagt aus, dass „die G20-Länder 2012 21 Millionen Arbeitsplätze […] schaffen [müssten], um auf das Vor-Krisenniveau zurück zu gelangen […]“. „Wenn die Arbeitslosigkeit weiter um den momentan gemessenen Wert von 1,5 Prozent ansteigt, wird es unmöglich sein, die Kluft von schätzungsweise 21 Millionen Arbeitsplätzen zu schließen, die seit Beginn der Krise im Jahr 2008 in allen G20-Staaten auf dieses Ausmaß angewachsen ist“. (Presseerklärung der ILO, 16. Mai 2012)

Der Generaldirektor der ILO warnte am 30. Mai in verschlüsselter Wortwahl vor der Drohkulisse einer sozialen Explosion aufgrund von massenhafter, lang anhaltender Arbeitslosigkeit, vor allem unter den jungen Leuten. „Der allein auf Sparprogramme ausgerichtete Kurs zur Konsolidierung des Steuer- und Geldmarktes führt zur wirtschaftlichen Stagnation, zu Arbeitsplatzverlusten, verringerter [sozialer] Absicherung und enormen humanen Kosten, die die sozialen Werte unterminieren, für die Europa einst Pionierarbeit leistete. Während versucht wird, die öffentlichen Schuldenstände zu verringern – was nebenbei gesagt ohne Erfolg vonstatten geht – baut sich ein Berg an gesellschaftlichen Schulden auf, der ebenfalls bezahlt werden muss“.

3. Die Finanzeinsparmaßnahmen: Die Politik der „Fiskal-Konsolidierung“, die mittels Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen – hier vor allem die Anhebung der Mehrwertsteuer, die die VerbraucherInnen aus der Arbeiterklasse am härtesten trifft – auf eine kurzfristige Verringerung von Haushaltsdefiziten und angehäuften Staatsschulden abzielt, beeinträchtigt das Wachstum, vor allem in Europa. „Mit finanzpolitischen Einsparmaßnahmen zu antworten, um die steigenden öffentlichen Schulden in den Griff zu bekommen, behindert das ökonomische Wachstum zusätzlich, was im Umkehrschluss die Rückkehr zu einer nachhaltigen Schuldenentwicklung umso schwieriger macht“. (World Economic Situation and Prospects, „UNO Update“, Sommer 2012)

Die für diesen Bericht verantwortlichen UNO-Ökonomen nehmen weit mehr die keynesianische Sichtweise ein, als es die meisten Vertreter Europas tun: „An der fiskalpolitischen Front zielt die aktuelle Politik in den entwickelten Volkswirtschaften, vor allem in Europa, in die falsche Richtung. Die einzelnen Volkswirtschaften werden dadurch tiefer in die Krise hineingezogen und das Risiko für einen neuerlichen globalen Abschwung erhöht sich. Die in vielen europäischen Ländern eingeführten schwerwiegenden finanzpolitischen Einsparprogramme, die in anderen Ländern wie Deutschland und Frankreich mit einer Politik verbunden werden, die nur begrenzt eindämmenden Effekte hat, tragen das Risiko mit sich, eine schlimme Abwärtsspirale zu bewirken. Verbunden ist das dann mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Kosten. Unter den momentan herrschenden Bedingungen, die von schwacher Aktivität des Privatsektors und geringer Investitionstätigkeit sowie dürftigem Vertrauen auf Verbraucher-Seite gekennzeichnet sind, haben die zeitgleich stattfindenden Ausgabenkürzungen in ganz Europa selbst-zerstörerische Züge angenommen, da die massive Kürzung der öffentlichen Haushalte die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen lassen wird – mit negativen Folgen für Wachstum und die Steuereinnahmen“.

4. Die Bankenkrise und die anhaltende Kreditklemme: Die Bankenkrise besteht fort und ist damit verbunden, dass gerade erst eine herben Abnahme der Kreditvergabe zwischen den Bankhäusern zu verzeichnen ist. Nach der Krise des Finanzsektors im Jahr 2008 sind die US-Banken durch die TARP-Programme der Regierung rekapitalisiert worden (darüber wurden die Kapitalreserven der Bankinstitute aufgestockt). Eingeführt wurden diese Programme in den letzten Tagen der Bush-Administration, und von der Regierung Obama wurden sie bestätigt. Diese „Rettung“ führte zu enormer Wut der US-Öffentlichkeit, stabilisierte im Großen und Ganzen aber die US-Banken. Demgegenüber verlief die Rekapitalisierung in Europa nur teilweise und uneinheitlich ab. Hinsichtlich ihrer vielen heiklen Staatspapiere, die sie halten, hat die EZB vielen Banken Erleichterung verschafft. Und in letzter Zeit haben die Banken billige EZB-Kredite (unter den LTROs) genutzt, um noch risikoreichere Staatsanleihen zu kaufen. Zur gleichen Zeit werden die Banken durch das neue „Basel III“-Regelwerk für Bankgeschäfte gezwungen, größere Kapitalreserven als in der Vergangenheit aufzubauen. Außerdem sind sie viel zurückhaltender damit geworden, sowohl Unternehmen als auch anderen Banken Gelder zu leihen. Dies hat jüngst zu einer Verschärfung der Kreditklemme geführt.

Einem Artikel in der „International Herald Tribune“ zufolge ist der weltweite Handel zwischen den Banken eingebrochen: „Laut Daten, die Montag von der Bank for International Settlements veröffentlicht wurden, ist die Kreditvergabe der global aktiven Banken im vierten Quartal des letzten Jahres so stark gefallen wie seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 nicht mehr […] Insgesamt haben die Finanzhäuser die internationale Kreditvergabe um 799 Milliarden US-Dollar in den letzten drei Monaten des Jahres 2011verringert […]“. („International Herald Tribune“, 5. Juni 2012)

Rund 80 Prozent der Reduzierung kam aus dem sogenannten Interbankenmarkt, auf dem die Finanzinstitutionen sich untereinander Geld leihen. „Beim Rückzug aus dem Kreditwesen, vor allem was das Geschäft zwischen den Banken selbst angeht, handelt es sich um das jüngste Bestreben der Finanzinstitutionen, die Ausgabenlast angesichts des weltweit zu verzeichnenden wirtschaftlichen Rückgangs zu reduzieren. Dadurch wächst auch die Sorge davor, dass der Unwille der Banken, sich gegenseitig Geld zu leihen, auch auf die breite Wirtschaft einen Effekt haben kann, weil die Unternehmen nicht in der Lage sind, sich Kapital zu beschaffen“. Mit dem „Basel III“-Regelwerk wollte man eigentlich die Banken für zukünftige Finanzkrisen abhärten. Auf kurze Sicht aber kümmern sie sich um die unmittelbaren Probleme, von denen der Finanzsektor betroffen ist.

5. Die von den Großkonzernen gehorteten Kapitalien: Während einige Unternehmen (vor allem kleine und mittlere Betriebe) von der Kreditklemme betroffen sind, horten internationale Großkonzerne Kapitalstöcke, statt diese in neue produktive Kapazitäten zu investieren. Für Großbritannien schätzt man, dass die nicht dem Finanzmarkt zuzuordnenden Unternehmen auf 731,4 Milliarden brit. Pfund an Kapitalreserven sitzen. In der Eurozone geht man von rund zwei Billionen Euro aus, die in den Depots lagern, während die Konzerne in den USA, die nicht zum Finanzsektor zählen, mehr als zwei Billionen US-Dollar an Barmitteln oder in Form anderer liquider Mittel besitzen. Es ist also offensichtlich dass die großen Unternehmungen nicht genügend Möglichkeiten sehen, um ihre Kapitalien profitabel investieren zu können. Dies widerspiegelt einen wachsenden Trend seit dem Ende des Nachkriegskriegsaufschwungs von 1950 bis -73. (Vgl.: Corporate Cash Hoarders Stunt Growth, in: „Socialism Today“, Nr.158, Mai 2012)

Ohne Investitionen durch die Großkonzerne wird es kein Wachstums geben, die aktuelle Stagnation wird anhalten und es wird zunehmend schwerer werden, die Schuldenlast zu verringern.

6. Der Ölpreis und die geopolitischen Risiken: Am Vorabend des Finanzcrashs von 2008 ist der Ölpreis auf gut 140 US-Dollar je Barrel empor geschnellt und in den beiden Folgejahren dann abgestürzt. Trotz der Stagnationsphase der Weltwirtschaft, stieg der Ölpreis dennoch um 40 Prozent auf ein Allzeit-Hoch von im Mittel 111 US-Dollar je Barrel im Jahr 2011. Und in der ersten Hälfte dieses Jahres stieg der Preis abermals auf rund 120 US-Dollar je Barrel. Der Grund dafür liegt in der Verbindung aus anhaltender Nachfrage aus China, Brasilien und anderen Ländern wie auch der Deckelung der Abgabemengen auf Seiten der Ölexport-Länder. Vor allem die Sanktionen gegen den Iran machen sich dabei bemerkbar. Seitdem ließ die Nachfrage nach und die OPEC (Organisation Öl exportierender Länder) hat ihre Fördermengen wieder erhöht. Analysten der Großbank „Credit Suisse“ sagten jüngst voraus, dass der Ölpreis dieses Jahr auf rund 50 US-Dollar je Barrel zurückgehen könnte. Der Rückgang des Ölpreises hat bereits zur Reduzierung der Inflation geführt. Wegen der Kosten für Transport, Kunstdünger u.ä. hat der Ölpreis zudem einen großen Effekt auf die Lebensmittelpreise. Auch die Preise für andere Handelswaren sind zurückgegangen, weil die Nachfrage aus China zurück gegangen ist, was wiederum die Hersteller wie z.B. Brasilien , Australien, Kanada u.a. treffen wird. Ungeachtet dessen könnten Sanktionen gegen Syrien, fortgeführte Sanktionen gegen den Iran oder auch die Möglichkeit zukünftiger Erhebungen im Nahen Osten den Ölpreis erneut in die Höhe schnellen lassen – selbst in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs.

7. Der Welthandel: Nach der Erholung von freien Fall des Jahres 2009 schien es, hätte der Welthandel 2010 wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Zwischen 1999 und 2008 verzeichnete dieser ein effektives Wachstum von durchschnittlich 6,7 Prozent jährlich, stürzte aber auf -10,7 Prozent im Jahre 2009. Bis 2010 erholte er sich dann bis auf 12,8 Prozent, fiel aber erneut auf sechs Prozent im Folgejahr 2011. Und für dieses Jahr wird allgemein von einem Wachstum um vier Prozent ausgegangen. Die Welthandelsorganisation (WTO) und andere Institutionen lassen aufgrund des schleichenden Protektionismus die Alarmglocken klingeln. Im April berichtete die WTO, dass die Volkswirtschaften der G20-Staaten seit Mitte Oktober 2011 zusammengenommen 124 neue restriktive Maßnahmen ergriffen haben, die rund ein Prozent der Weltimporte betrafen. (Increase in Barriers to Trade [Zunahme von Handelsbarrieren], „New York Times“, 22. Juni 2012)

Die unabhängige Organisation „Global Trade Alert“ berichtet, dass „protektionistische Aktionen, zu denen auch Zollerhöhungen gehören, Exportrestriktionen und verzerrende rechtliche Änderungen in den Jahren 2010 und 2011 viel häufiger vorkamen als zuvor gedacht. Und viele weitere dieser Maßnahmen sind derweil in Planung“. (Protectionist Fears Highlighted, „Financial Times“, 14. Juni 2012) „Das Welthandelssystem“, so der Kommentar von „Global Trade Alert“, „hat sich – was den Protektionismus angeht – nicht auf niedrigem Niveau eingependelt, nachdem 2009 ja eine Politik betrieben wurde, die dem Motto folgte: Mach deinen Nachbarn zu deinem Büttel“. In einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation bzw. eines Abschwungs werden Handelshemmnisse immer mehr zum üblichen Mittel und verstärken somit die besagte Stagnation.

8. Das Wanken der wirtschaftlichen Wiederbelebung in den USA: Bei den USA handelt es sich um eine der wenigen großen Volkswirtschaften, die ihr Hoch von 2008 übertreffen konnten. Die Differenz zwischen Höchststand und Tiefpunkt lag bei -5,1 Prozent und lag Anfang dieses Jahres bei +1,2 Prozent über dem vorangegangenen Höchstwert. Und dennoch ist die Erholung auf tönernen Füßen gebaut und vollzieht sich uneinheitlich. Dies gilt vor allem für die Arbeitslosigkeit. Nachdem diese im Jahr 2010 um drei Prozent gestiegen ist, fiel das Wachstum auf 1,7 Prozent im vergangenen Jahr und macht den Anschein, in diesem Jahr noch im Sande zu verlaufen. Die Verbrauchernachfrage, die für rund 70 Prozent der US-Wirtschaft verantwortlich zeichnet, ist von den enormen Verlusten bei den Haushaltseinkommen getroffen, unter denen Millionen von US-AmerikanerInnen leiden. Die US-amerikanische Zentralbank „Federal Reserve“ berichtete vor kurzem, dass „das durchschnittliche Nettoeinkommen, das Familien zur Verfügung steht, im Drei-Jahres-Abschnitt [2007-10] um 38,8 Prozent zurückgegangen ist […] der größte Rückgang bei den Privatvermögen seit Erhebung dieser Daten im Jahre 1989“. Die durchschnittliche US-Amerikanerin und der durchschnittliche US-Amerikaner verdienen weiterhin weniger als noch vor sechs Jahren, selbst unter Berücksichtigung der Inflation. (American Suffered Record Decline in Wealth [US-AmerikanerInnen leiden unter rekordverdächtigem Rückgang ihres Wohlstands], „Reuters“, 11. Juni 2012)

In letzter Zeit ist die Produktion von Fertigwaren, insbesondere im Bereich der Anlagetechnik, zurückgegangen, was eine Folge der zurückgehenden Nachfrage vor allem aus Europa, einem der größten Absatzmärkte der USA, ist. Hinzu kommt, dass die nur schwache Erholung der US-Wirtschaft sich keinesfalls auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Offiziell gibt es in den Vereinigten Staaten 12,7 Millionen Arbeitslose. Und hinzu kommen weitere acht Millionen Teilzeitkräfte, die in der Tat auf der Suche nach Vollzeit-Stellen sind. Das Stellenangebot wuchs (Landwirtschaft ausgenommen) in den ersten drei Monaten dieses Jahres im Schnitt um 226.000. Diese Zunahme auf dem Arbeitsmarkt verlangsamte sich aber bis auf 73.000 in den vergangenen zwei Monaten. Die Schreckensnachricht von lediglich 69.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen im Mai wurde als Zeichen für eine neuerliche Rezession genommen – und führte zu einem Kursrückgang an den Welt-Börsen.

9. Die Abkühlung in China: Auch während des globalen Abschwungs war die Volkswirtschaft Chinas weiterhin das Zugpferd. Das BIP wuchs zwischen 2006 und 2009 durchschnittlich um 11,4 Prozent und verharrte bei 10,4 Prozent im Jahre 2010. Dies lag zum Großteil an dem ausgiebigen Konjunkturprogramm, das das Regime auflegte. Gary Shilling vom Fernsehender „Bloomberg“ schätzte, dass das chinesische Konjunkturprogramm dem Wert von 12 Prozent des BIP entsprach (verglichen mit dem US-amerikanischen Konjunkturprogramm von 2009, das gut sechs Prozent des dortigen BIP umfasste). Dennoch fiel das Wachstum in China im ersten Quartal dieses Jahres auf rund acht Prozent und es wird erwartet, dass es sich in diesem Jahr noch weiter abschwächen wird. In Teilen widerspiegelt dies eine Verschärfung der Kreditbedingungen, die das Regime im vergangenen Jahr in dem Versuch durchgeführt hat, die Inflation in den Griff zu bekommen. Aber auch die ersten Anzeichen eines heftigen Rückgangs auf dem Immobilienmarkt können daran abgelesen werden. Auch ein Abflauen des Exports kommt darüber zum Vorschein, weil die Weltwirtschaft im Rückzug begriffen ist. Ein Abschwung in China würde auch die dortige Nachfrage nach Fertigwaren zurückgehen lassen, was wiederum zu einem allgemeinen Fall der Preise in diesem Bereich (wie bereits geschehen) führen würde. Das träfe dann in erster Linie Exporteure von Gebrauchsgütern wie Brasilien, Australien, Kanada etc.

Chinesische Regierungsbeamte geben zu, dass die offiziellen Statistiken den allgemeinen Produktionsrückgang unterbewerten. So deuten die Zahlen über die Nachfrage nach Elektrowaren, bei denen es sich um einen wichtigen Indikator für das allgemeine Produktionsvolumen handelt, auf einen wesentlich drastischeren Rückgang hin. Das Regime in China hat seine Zinspolitik gelockert und macht Anzeichen, dass es zu weiteren Konjunkturprogrammen kommen wird. Wegen der umfangreichen Schulden, die aufgrund der letzten Konjunkturprogramme angehäuft wurden, erscheint es trotzdem als fraglich, ob das nächste Stimulierungspaket genauso groß sein wird wie bisher. Darüber hinaus fällt diese ökonomische Abkühlung zusammen mit den Veränderungen in der Führungsriege der Partei (und kommt in Folge des Skandals um Bo Xilai). Ein verringertes Wachstum trägt die Gefahr noch größerer politischer Konflikte in China mit sich, was umgekehrt wiederum zu zusätzlich verlangsamtem Wachstum führen kann. Dies hätte umfassende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

10. Die Stagnation und Krise in Europa: Die Krise des europäischen Kapitalismus ist zum entscheidenden Faktor es weltweit zu verzeichnenden Abwärtstrends in diesem Jahr geworden. Die EU-Staaten werden dieses Jahr aller Voraussicht nach ein sogenanntes Null-Wachstum verzeichnen, während die Länder der Eurozone sogar ein negatives Wachstum vorweisen (die UNO sagt zur Zeit ein Ergebnis von -0,3 Prozent voraus, was wahrscheinlich noch zu niedrig veranschlagt ist). Währenddessen hätte die Gefahr des Ausfalls eines größeren europäischen Staates oder die Aufspaltung der Eurozone (etwa durch den möglichen Zahlungsausfall Griechenlands) einem riesigen Effekt für die globalen Finanzmärkte zur Folge. Der Nachfrage-Rückgang bei Exporten aus den großen Volkswirtschaften wie den USA und Chinas hat die weltweite Produktion unter Druck gesetzt.

11. Die Grenzen der Fiskalpolitik: In Ermangelung weiterer politischer Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft (so wurden beispielsweise die Vorschläge von Obama in dieser Richtung vom Kongress, in dem die Republikaner die Mehrheit haben, blockiert) haben sich die kapitalistischen Regierungen auf die Mittel der Geldpolitik verlassen. Sie hoffen darauf, dass niedrige Zinsen, die nahe Null gehen, und gewaltige Kredit-Spritzen ins System Wirkung zeigen. Hauptsächlich geschieht dies durch die Politik der „quantitativen Lockerung“ (engl.: „quantitative easing“; Abk.: QE), die heutige Form des Gelddruckens also, und verschiedene andere „unkonventionelle“ geldpolitische Maßnahmen.

Das QE wurde gelegentlich als „Währungsmorphium“ bezeichnet, eine Droge, die den Schmerz lindert, abhängig macht, allerdings darin versagt, die tiefer liegenden Gründe für das Leiden zu beseitigen. Eine extrem expansive Geldpolitik hat es nicht vermocht, Wachstum herbeizuführen, die Weltwirtschaft jedoch vermutlich davor bewahrt, in einen empfindlichen Abwärtstrend hinein zu rutschen. Und dennoch steht die Politik in Abhängigkeit zu ihren abnehmenden Erträgen.

Die US-Notenbank „Federal Reserve“ machte mit einem QE von mehr als 2,6 Billionen US-Dollar den Anfang und kaufte US-Staatsanleihen sowie andere Wertpapiere auf (wie z.B. verbriefte Hypothekenkredite). Und trotzdem geriet die „Fed“ unter zunehmenden Druck durch die „Falken der Inflation“ in den Reihen der Republikaner, die – ganz im Gegensatz zum derzeitigen Trend – meinen, dass das QE zur Beschleunigung der Inflation führt. Für die bevorstehende Phase ist dies sicherlich unwahrscheinlich, da die globale Wirtschaft massive Überkapazitäten verzeichnet und aufgrund der schwachen Verbrauchernachfrage sowie der geringen Investitionstätigkeit. Ben Bernanke, Chef der „Fed“, zögerte damit, sich in ein weiteres QE zu flüchten. Er zieht es vor, sich auf den „Operation Twist“, den Austausch kurzfristiger US-Staatsanleihen durch langfristige Papiere, zu stützen. Es wird geschätzt, dass durch dieses Vorgehen 267 Milliarden US-Dollar in die Wirtschaft gepumpt werden, weil dadurch die Zinsen weiter gesenkt werden. Die anhaltende Verlangsamung der Wirtschaft und eine niedrige Inflation werden allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Runde des QE in den USA führen.

Die „Bank of England“ hat 325 Milliarden brit. Pfund an Mitteln für das QE akquiriert. Wie in den USA hat jedoch auch die Zentralbank Großbritanniens gezögert, einen erneuten Durchgang an QEs auf den Weg zu bringen. Stattdessen wurde den Bankhäusern jüngst ein Paket an günstigen Krediten angeboten (im Wert von insgesamt 100 Mrd. brit. Pfund), das an die Bedingung geknüpft war, dass diese umgekehrt ihre Kreditvergabe an die Unternehmen erleichtern. Zweifellos wird es in absehbarer Zukunft zu einem weiteren QE kommen.

Die EZB hat den Begriff des „QE“ zwar vermieden. Nichtsdestotrotz wurden aber auch durch sie Maßnahmen ergriffen, die ganz ähnlich vonstatten gehen: Zwei Billionen Euro wurden zum Kauf von Staatsanleihen und zur Vergabe von günstigen Krediten an die privaten Banken in die Hand genommen (unter den LTROs). Im Bestreben die politischen Vertreter der Eurozone zu zwingen, die beiden sogenannten Rettungsfonds EFSF und den neuen ESM zu aktivieren, hat die EZB dennoch gerade erst damit aufgehört, Staatsanleihen von Mitgliedsländern der Eurozone aufzukaufen.

Die Ausweitung der liquiden Mittel ist bereits beschrieben worden als „Versuch, ein Kamel durchs Nadelöhr zu zwingen“. Wenn die Unternehmen nicht bereit sind zu investieren und die VerbraucherInnen kein Geld haben, um einzukaufen, wird eine lockerere Geldmengen-Politik auch nicht zu mehr Wachstum führen. Dies wird auch von Paul Tucker anerkannt, einem stellvertretenden Präsidenten der „Bank of England“, der jüngst meinte: „Das QE hat kläglich versagt, für die Art von Wachstum und die Streuung der Geldmenge zu sorgen, dass die Bank hätte sagen können, das Ziel, zurück ins Jahr 2009 zu kommen, sei erreicht“. Die massive Ausweitung der Bilanzaufstellungen der Zentralbanken hat nicht zu dem einschlagenden Ergebnis und einer derartigen Streuung der Geldmengen geführt wie erwartet. (Paul Tucker, On Why QE Isn’t Working [Warum das QE nicht funktioniert], „Financial Times“, 13. Juni 2012) Tucker tritt für eine breiter angelegte Fiskalpolitik ein, wozu auch der Aufkauf von Finanzeinlagen (wie z.B. Hypotheken) durch die „Bank of England“ gehören würde. Das würde Geld in die Unternehmen und Privathaushalte pumpen.

Periode der Depression

Ohne eine komplette Erholung vom Einbruch der Jahre 2007 bis 2009 rutscht die kapitalistische Weltwirtschaft in einen neuen Abschwung hinein. Diese Stagnation ist symptomatisch für eine Depression, nicht so tiefgreifend und heftig wie in den 1930er Jahren, aber nichtsdestotrotz als eine Periode niedriger Investitionstätigkeit und geringen Wachstums mit Massenarbeitslosigkeit und zunehmenden Spannungen zwischen den kapitalistischen Kontrahenten. Martin Wolf, führender Redakteur der „Financial Times“, beschreibt das als eine „mitlaufende Depression“. („FT“, Die Panik ist zu einem allzu rationalen Verhalten geworden, 5. Juni 2012) „Am schlimmsten“, so schreibt er, „ist es, dass die Kräfte, die zu einer erneuten Talfahrt führen können, stärker werden. Und dies gilt vor allem für die Eurozone. Unterdessen begehen die Politiker schwere Fehler“.

Damit zielt er auf die Beharrlichkeit ab, mit der die grausamen Kürzungsmaßnahmen verteidigt werden, die einer wirtschaftlichen Wiederbelebung im Wege stehen. Die bescheidenen Vorschläge von Hollande, bei denen es sich um Stimulierungspakete nach keynesianischer Art handelt, sind von der „Financial Times“ als „faux pas“ beschrieben worden. Sein Vorschlag höherer Steuern für die Großkonzerne und die Wohlhabenden hat Angstgezeter hervorgerufen.

Die Vertreter des Kapitalismus befinden sich in heller Aufregung. „Was mag passieren“, fragt Wolf, „wenn ein Land die Eurozone verlässt? Niemand weiß das. Kann es sogar sein, dass Deutschland einen Austritt in Erwägung zieht? Niemand weiß das. Was ist der langfristige Ausweg aus der Krise? Niemand weiß das. Angesichts der Unsicherheiten ist die gegenwärtige Panik rational. Vor jetzt, habe ich nie verstanden, wie sich die 30er Jahre so entwickeln konnten. Nun verstehe ich es.“

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