Was ist los bei Wien Energie? Die Ursachen liegen im Kapitalismus!

Von Albert Kropf und die ISA-Bundesleitung

Bwag, CC BY-SA 4.0

<https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>,

via Wikimedia Commons

Von Woche zu Woche spitzt sich die Energiekrise zu. In letzter Zeit sorgen die enormen Profite der Energiekonzerne auf unsere Kosten für berechtigtes Unverständnis, Wut und Zorn bei vielen Menschen. Mitten da hinein schlug Ende August die Nachricht von den Zahlungsschwierigkeiten. Wie kann es sein, dass der größte Energiekonzern Österreichs mit 2 Mio. Kund*innen etliche Milliarden braucht, während andere Profite noch und nöcher scheffeln? Korruption und Misswirtschaft stehen im Raum. Das greift allerdings zu kurz, das Problem der Wien-Energie ist nicht nur ein Problem der Energiekrise oder verrückt gewordener Märkte, es ist ein Problem der kapitalistischen Profitlogik.

Dass die Energiepreise steigen, ist nichts Neues. Das wird uns Verbraucher*innen regelmäßig bei der Jahresabrechnung schmerzlich bewusst. Seit 2021 steigen sie aber rasanter und sprunghafter. Das hat nichts mit dem ebenfalls steigenden Energieverbrauch zu tun. Der Welt gehen die fossilen Rohstoffe (Erdöl & -gas) aus. Auch das ist nichts Neues und wissen wir seit Jahrzehnten. Dazu kommt noch der Klimawandel mit seinen Extremwetterereignissen. Die Berechenbarkeit der erneuerbaren Energie (Wind, Sonne, Wasser etc.) wird schwieriger. Nimmt der Wasserstand bei den großen Flüssen aufgrund der Trockenheit ab, kann mit Wasserkraft wesentlich weniger bis gar kein Strom erzeugt werden. Bei häufiger werdenden Stürmen müssen Windkraftwerke abgeschaltet werden. In diese schon in den letzten Jahren sich aufgebaute instabile Situation auf dem „Energiemarkt“ schlug dann der Ukraine-Krieg wie eine Bombe ein. Explodierende Gas- und im Schlepptau Energiepreise heizen die Inflation an, wir wissen nicht, ob wir im Winter genug Energie zum Heizen haben werden. Das alles gefährdet das Leben und den Lebensstandard von 100en Millionen Menschen in Europa.

Das „Merit-Order“ System?

Strom kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise produziert werden. Seit der völligen Freigabe des Strom- und Energiemarktes in der EU der Konzerne, werden auch Strom und Gas auf einem Markt gehandelt. Im Kapitalismus bestimmt das Verhältnis von eingesetztem Kapital und zu erwartendem Profit die Bereitschaft zu investieren. Erneuerbare Energie sind oft durch höhere Anfangskosten bestimmt, weil z. B. erst einmal eine Infrastruktur aufgebaut, angeschafft oder Technologien noch erforscht bzw. verbessert werden müssen. Also hatte die „Energiewende“ wenig Chance im Kapitalismus.

Der Begriff „Merit-Order“ stammt aus dem Englischen und bedeutet in etwa „Reihung der Vorteilhaftigkeit“. Als Resultat richtet sich der Strompreis nach dem am teuersten produzierten Strom im vorhandenen Strommix. Oft wird versucht, diesem Eingriff in den Markt ein umweltfreundliches bzw. fortschrittliches Mäntelchen umzuhängen, weil es die erneuerbaren Energien konkurrenzfähiger machen sollte. In Wirklichkeit aber geht es nur darum, den Konzernen auch in diesen Bereichen der Stromproduktion die Profite zu sichern. Und das auf Kosten der breiten Masse der Stromverbraucher*innen. Fortschrittlich und auch umweltfreundlich ist daran einmal gar nichts.  Durch die rasanten Veränderungen am Energiesektor hat sich dieses System jetzt umgedreht. Der Gaspreis explodiert. Plötzlich sind die Gaskraftwerke die teuersten im Strommix und nach ihnen richtet sich der Strompreis. Die können aber nicht abgeschaltet werden, weil sie einen wesentlichen Teil des notwendigen Stroms bereitstellen. Während durch das „Merit-Order“ System auch jetzt noch die Profite der Gaskraftwerke gesichert sind, verdienen sich die anderen Stromproduzenten eine goldene Nase. In der neoliberalen EU, in der sonst alles der Profitmaximierung geopfert wird, diskutieren Politiker*innen über Sondersteuern auf „Überprofite“ der Energiekonzerne. Auch innerhalb der ÖVP gibt es schon Stimmen in diese Richtung, es scheint fast, als stünde die Welt am Kopf. Italien hat bereits ein Gesetz dazu, kann es aber nicht durchsetzen, weil sich die Konzerne weigern zu zahlen.

Lösung „Überprofite“ besteuern?

Grundsätzlich sind wir für die Besteuerung von Gewinnen und Reichtum zu Gunsten der arbeitenden Menschen. Aber selbst die Besteuerung der „Überprofite“ ist in dieser Situation nicht sonderlich fortschrittlich und greift viel zu kurz. Trotzdem wäre es zumindest einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Aber nicht einmal dazu kann sich die konservativ-grüne Regierung durchringen, die sich sonst in Energiefragen gerne fortschrittlich gibt. Die Frage, die wir stellen müssen, ist, warum überhaupt mit unseren Grundbedürfnissen, wie Energie, Strom, Wasser, Kanal, Müllabfuhr etc. Profite erzielt werden müssen. Ursprünglich waren die meisten dieser Unternehmen kommunale, landeseigene oder staatliche Betriebe. Sie waren nicht ausgelegt auf Profite, sondern die jeweiligen Bedürfnisse mit möglichst geringen Kosten zu erfüllen. Ein kommunaler Stromanbieter wie Wien-Energie hat dabei die einzige Aufgabe, für das jeweilige Gebiet den notwendigen Strom bereitzustellen. Am besten aus sicheren Quellen und umweltfreundlichen Kraftwerken. Viel könnte hier durch die Bauordnung schon vorweggenommen werden. Nutzwasserbrunnen in Wohnhäusern in Wien sind in den meisten Gegenden kein Kostenfaktor, Dächer mit Sonnenkollektoren können einen Teil des Energieverbrauchs unter Tags decken, Wärmepumpenanlagen zur gemeinsamen Stromgewinnung – somit wäre der Energieverbrauch zumindest bei Neubauten schon lange massiv gesenkt. Nicht die Baukosten, sondern die Spekulation treiben in Wien die Wohnungspreise nach oben.

Jetzt sind wir sicherlich nicht die ersten mit diesen Ideen und keine Expert*innen und trotzdem wurde nichts davon die letzten 20 Jahre umgesetzt, warum ist das so? Weil diese ganzen Unternehmen nach der Logik des Kapitalismus und damit möglichst hohen Profiten ausgerichtet sind. Sofern diese Betriebe noch ganz oder teilweise im öffentlichen Eigentum sind – wie etwa Wien Energie, das zu 100% der Gemeinde Wien gehört – sind sie auch eine gute und gewünschte Einnahmequelle für die jeweiligen meist löchrigen und unterfinanzierten Budgets. Durch diese Logik ergibt sich, dass ein nach Profiten ausgerichtetes Energieunternehmen kein Interesse an möglichst geringem Energieverbrauch hat. Ganz im Gegenteil, je höher der Verbrauch desto besser für die eigenen Profite! Und deswegen haben wir weder auf den Neubauten, noch öffentlichen Gebäuden Solaranlagen auf den Dächern und Wärmepumpen in den Kellern. So funktioniert eben Kapitalismus! Wir brauchen keine „Merit-Order“ oder bloß zaghafte Besteuerung der „Überprofite“ für umweltfreundliche Energie, wir brauchen vergesellschaftete Unternehmen, die nicht nach Profiten, sondern unseren Bedürfnissen ausgerichtet sind!

Spekulation oder nicht, das ist nicht zu trennen

Die ÖVP prescht mit dem Vorwurf, die Wien-Energie habe das Geld an der Strombörse verspekuliert, voran und versucht daraus politisches Kleingeld zu schlagen. Das „Merit-Order“ System hat nicht nur die Gewinne der Stromkonzerne garantiert, es hat auch massiv die Spekulation mit Energie angeheizt und die Grenzen verwischt. Strom kann nur schwer gespeichert werden. Kaufe ich heute bei einem günstigen Strompreis ein, muss ich ihn mehr oder weniger verbrauchen oder weiterverkaufen. Im Schnitt wird Strom bis zu 7-mal verkauft, bis er verbraucht wird. Ganz anders bei Gas, das kann ich vergleichsweise einfach bunkern. Ich kann bei gutem Preis Gas einkaufen und bei einem Hohen verkaufen. Insofern beschränkt sich vergleichsweise die Spekulationsmöglichkeit bei Strom wie etwa auf sogenannte „Futures“ – also Geschäfte in der Zukunft. Dabei wird Strom heute zu einem verhandelten Preis lieferbar zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft ge- und verkauft. Das passiert aber nicht nur für dezidierte Spekulation, sondern in vielen Fällen auch, um die Grundversorgung sicherzustellen. Produziert ein Energiekonzern selbst zu wenig Strom, muss eben zugekauft werden. Wenn heute schon Strom der Zukunft gekauft werden kann, muss er auch verkauft werden können. Daraus ergibt sich egal ob gewollt oder nicht immer ein Spekulationsrisiko. Wegen dieses Risikos müssen für diese Geschäfte Sicherheiten hinterlegt werden. Diese orientieren sich wieder am Wert des gehandelten Stroms. Explodiert der Strompreis, explodieren auch die zu hinterlegenden Sicherheiten. Kann der Strom nicht wie vertraglich vereinbart geliefert werden, sind die Sicherheiten weg. Das ist das akute Dilemma der Wien-Energie.

Ein fiktives (angenommes) Beispiel dazu: Ein Energiekonzern verkauft 2019 Strom um 50% über dem damaligen Preis, zu liefern im Herbst 2022. Der Strom soll zum Lieferzeitpunkt schnell und unkompliziert durch (vorher billig) zugekauftes Gas produziert werden. An und für sich wahrscheinlich ein gutes und sogar sicheres Geschäft, wie es Gang und Gäbe ist und war. Allerdings nicht, wenn der Strompreis im gleichen Zeitraum um 400% gestiegen ist. Plötzlich wird damit um 350% unter dem heutigen Marktpreis von 2022 verkauft, ein unglaublich schlechtes Geschäft. Das weitere Dilemma heute ist, dass es schon lange kein billiges Gas mehr gibt, um den 2019 verkauften Strom zu produzieren, der aber vertraglich geliefert werden muss. Wird Abseits von Gas zu wenig Strom erzeugt, muss Strom sauteuer entweder selbst zugekauft oder mit Gas produziert werden, um den Vertrag zu erfüllen. Ansonsten sind die hinterlegten Sicherheiten weg. Plötzlich ist es nicht nur ein schlechtes Geschäft, sondern ein Riesenverlust. Das Gleiche kann auch in umgekehrter Weise bei einem Stromkauf passieren. Nämlich dann, wenn, wie teilweise üblich, der zu bezahlende Preis an den zukünftigen Marktpreis gekoppelt ist. Nicht nur, dass sich der Strompreis ver-x-facht hat, tägliche Schwankungen im zwei- bis dreistelligen(!) Prozentbereich können heute vorkommen. Egal ob aus Spekulationsgründen oder für die Grundversorgung, der falsche Stichtag und jedes „Future“ Geschäft wird zur Katastrophe. Damit sind wir schon recht nah am derzeitigen Problem der Wien-Energie.

Der Glaube an einen menschlichen Kapitalismus – eine sozialdemokratische Dauerfalle

Mit der „Liberalisierung“ des Strom- und Energiesektors in der EU sind viele Unternehmen und Konzerne entstanden. Dabei muss die Energie bzw. der Strom nicht selbst her- oder bereitgestellt werden. Viele Unternehmen beschränken sich ganz auf den Handel und den Handelsgewinn für ihre Profite. Unsere tschechische Schwesterorganisation hat bereits Anfang 2022 – also noch VOR dem Ukraine Krieg – auf die Probleme im Energiesektor in Tschechien aufmerksam gemacht. Einige dortige Gasanbieter sind durch die Turbulenzen am Energiemarkt in finanzielle Schwierigkeiten geraten und Pleite gegangen, bevor die Energiekrise bei uns zum bestimmenden Thema wurde. Wie kann das angesichts der derzeitigen Energiepreise sein? Trotz aller unternehmensfreundlicher Ausrichtung der Politik der EU können Energiepreise nicht so rasch und 1:1 vom tagesaktuellen Marktpreis an die Endkunden weitergegeben werden. Die meisten Kund*innen haben Verträge mit zumindest teilweise festgelegten Preisen, im Gewerbe sind auch festgeschriebene Preise über Jahre üblich. Je mehr Energie also zugekauft werden muss, desto schneller wird diese Situation zum Problem bis hin zum riesigen Verlustgeschäft. Insofern führt die derzeitige Situation zu einer „Marktbereinigung“ oder Konzentration von den Verkäufern hin zu den Produzenten im großen Stil.

Abgesehen davon produziert Wien-Energie dauerhaft selbst weniger Strom als sie an ihre rund 2 Mio. Kund*innen verkaufen. Sie müssen also permanent Strom zukaufen, um die Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Mit diesem „Problem“ sind sie sicher nicht der einzige Energiekonzern. Abseits vom Strommarkt kann Strom auch vertraglich direkt von Stromproduzenten gekauft werden. Der Vorteil: Das Geschäft geht nicht über die Börse, der Preis ist leichter verhandelbar und es müssen keine „Sicherheiten“ für bereits abgeschlossene Verträge in der Zukunft hinterlegt werden. Der Nachteil dieser Direktgeschäfte ist, dass Kursschwankungen nicht so gut „ausgenutzt“ werden können, oder ausgedrückt: Spekulationsgewinne sind schwerer zu erzielen. Sie werden vor allem daher für langfristige Verträge zur Sicherung der Grundversorgung verwendet.

Allerdings scheint sich die Geschäftsleitung von Wien-Energie mehr als vielleicht andere auf der Strombörse bewegt zu haben. Das dürfte auch eine Zeit gut gegangen sein und bei den Verantwortlichen im Unternehmen, Wiener Rathaus und SPÖ die Illusion geschaffen haben, das „Merit-Order“ System besonders gut zu durchschauen und zu ihrem Vorteil ausnutzen zu können. Darin drückt sich der grundsätzliche sozialdemokratische Glaube aus, den Kapitalismus und seine Zick-Zacks zu kennen und „zähmen“ zu können. Leider nicht zum ersten Mal stehen deswegen die Menschen, Beschäftigte oder Kund*innen vor den Trümmern dieses Irrglaubens und selbst vor einer unsicheren Zukunft. Traurige Beispiele dafür sind: Fehlgeschlagene Spekulationen in Salzburg, Linz, „Sell and Leaseback“ von Wiener Infrastruktur, die einstige Gewerkschaftsbank BAWAG, die ehemalige Verstaatlichte, Konsum etc. – die Liste ist lang.

Warum hat Wien-Energie jetzt keine „Überprofite“ zum Besteuern?

Wie wir schon gesehen haben, hat sich durch die Gas-Krise der Strommix gedreht. War es bis dahin noch finanziell lohnenswert und flexibel, mit Gaskraftwerken Strom zu erzeugen, ist es das jetzt nicht mehr. Fast 80% der Stromerzeugung der Wien-Energie stammt von fossilen Brennstoffen und hier hauptsächlich von Gaskraftwerken. Gas, das teuer zugekauft werden muss und dessen Zugriff über den Herbst hinaus nicht einmal gesichert ist. Wien-Energie ist somit in den letzten Monaten zunehmend mehrfach unter extremen Druck geraten. Die „Merit-Order“ sichert nur den Preis an der Strombörse, aber nicht die Weitergabe der Preise an die Kunden, die vertraglich beliefert werden müssen. Wollen wir der Stadt Wien und Wien-Energie positiv unterstellen, dass sie die explodierenden Energiepreise nicht an die 2 Mio. Kunden weitergeben wollen (wahrscheinlich eher können oder eine Kombination von beidem), müssen sie in der sich immer weiter zuspitzenden Gas-Krise auf „Teufel-komm-raus“ weg von der eigenen Gasabhängigkeit. Kurz- bis mittelfristig ist Strom aber nur an der Strombörse zu horrenden und stark schwankenden Preisen zu bekommen. Also gab es im Rahmen der Logik und des Systems nur die Möglichkeit, zunehmend mit „Futures“ Strom für die Zukunft zu kaufen, um die Grundversorgung abzusichern. Dass dieses Problem sich schon länger aufgebaut hat, lässt schon die Bilanz für das Geschäftsjahr 2021 vermuten: Die kurzfristigen Schulden haben sich zwischen 2020 und 2021 auf über 4 Milliarden Euro verfünffacht. Im gleichen Zeitraum ist die eigene Stromproduktion bei steigendem Stromverbrauch um 8% gesunken. Die Wien-Energie war damit noch mehr von Zukäufen abhängig. Was wahrscheinlich als kurzfristige Überbrückung gedacht war, ist nun zur mittelfristigen, ausweglosen Alternative geworden mit einem Rattenschwanz an neuen Problemen. Da sind die völlig ausufernden zu bereitstellenden „Sicherheiten“ für die Geschäfte auf der Strombörse, aber auch die Gefahr, sich dadurch immer weiter im Bereich hochriskanter Spekulation zu verfangen. Und letztlich, so paradox es für uns angesichts der hohen Strompreise klingt, Strom den Kund*innen billiger zu verkaufen, als sie ihn selbst einkaufen oder mit Gaskraftwerken (solange überhaupt noch Gas greifbar ist) zu produzieren.

Was kommt jetzt? Droht ein Mega-Sparpaket für Wien?

Alles das hat Ende August ein Ausmaß erreicht, dass die Geschäftsführung von Wien-Energie die Reißleine gezogen hat. Dass sie diesen Kniefall vor der konservativ-grünen Regierung ohne Beteiligung und Unterstützung der Rathaus-SPÖ alleine machen musste, zeigt einmal mehr deren Rückgratlosigkeit. Das sich abzeichnende Desaster um Wien-Energie ist keines eines selbständigen Unternehmens. Wien Energie ist zu 100% im Besitz der Gemeinde Wien und ein „Zulieferbetrieb" der SPÖ. Insofern ist es auch ihr Desaster und zeigt einmal mehr die Alternativlosigkeit sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik im Kapitalismus.

Die Wien-Energie ist zu groß, um selbst von der konservativ-grünen Bundesregierung in ihrem Hass und Ablehnung auf die Arbeiter*innen-Bewegung fallengelassen zu werden. Abgesehen davon würde ein „Stromausfall“ in Wien nicht nur das Stromnetz von ganz Ostösterreich, sondern zumindest Zentraleuropa zusammenbrechen lassen. Natürlich wird die Regierung - egal ob kleinbürgerlich türkis oder abgehobene grüne Bobos - das zum Anlass nehmen, um den in ihren Augen “Wiener Proleten“ endlich wieder einmal eine Lektion zu erteilen. Eine Option ist, dass andere Stromproduzenten Österreichs – wie etwa der Verbund – Strom abseits des „Merit-Orders“ Systems an Wien-Energie verkaufen. Einerseits kann so die Grundversorgung in Wien aufrechterhalten und die Abhängigkeit von den Sicherheiten durch die Strombörse reduziert werden. Damit wäre einmal die unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs der Wien-Energie beseitigt und eine rasche österreichische Lösung gefunden worden. In diesem Zusammenhang ist auch nicht ausgeschlossen, dass Teile oder die ganze Wien-Energie von diesen „helfenden“ Stromkonzernen übernommen werden. Ein weiteres sozialdemokratisches „Flaggschiff“ wäre damit beseitigt und aus dem Weg geräumt. Entschließt sich die Bundesregierung allerdings nicht, strukturell in den österreichischen Strommarkt einzugreifen, sondern auf die eine Regelung der EU zu warten und „nur“ Kredite und Sicherheiten für die Wien-Energie zu stellen, kann das sehr schnell zu einem Fass ohne Boden werden. Muss die Wien-Energie weiterhin den Großteil ihres Strombedarfs über das „Merit-Order“ System einkaufen, ist nicht ausgeschlossen, dass sie den Winter nicht übersteht und zusammenbricht. Auch hier gilt dann wieder, dass sie zu groß ist, um fallengelassen zu werden. Die Kosten werden dann allerdings ein Zigfaches von den jetzigen sein und mit Sicherheit uns umgehängt werden.

Ganz egal was genau passiert, eines ist fix: Die Krise der Wien-Energie ist durch den bereits bekannten “Zuschuss” von 1,4 Milliarden Euro seit Mitte Juli eine enorme Belastung für das Wiener Budget. Dazu fehlen auch die Einnahmen aus den bisher lukrativen Wiener Stadtwerken aus Strom, Gas oder Fernwärme. Daraus und aus den  kommenden Vorgaben der konservativ-grünen Regierung wird ein massiver “Spardruck” erzeugt. Wir können davon ausgehen, dass weder die Wiener Stadtregierung, noch die SPÖ oder die Gewerkschaften Widerstand gegen die Angriffe und Forderungen der Regierung organisieren werden. Auch werden sie weder bei ihren Prestigeprojekten, fetten Gehältern noch Werbekosten sparen, sondern bei uns. Daher drohen massive Angriffe auf die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die Gemeindebetriebe und den verbliebenen sozialen Errungenschaften in Wien: Sozialer Wohnbau, Bildung, Gesundheit und Soziales. Vor allem der Bildungs-,  Gesundheits- und Sozialbereich waren schon in den letzten Jahren in Wien chronisch unterfinanziert und stehen jetzt schon teilweise am Rande des Zusammenbruchs. Statt Kürzungen, braucht es massive Mehrinvestitionen in diesen Bereichen. Leider werden wir uns dabei auch nicht auf die Gewerkschaften verlassen können. In ihrer Nibelungentreue zur SPÖ werden sie eher das Rathaus und die Machenschaften bei der Wien-Energie als die Interessen der Wiener Bevölkerung und der Beschäftigten verteidigen. Es wird also notwendig sein, dass Kolleg*innen beginnen sich jetzt zu organisieren ,Widerstand und Druck auf die Gewerkschaft aufzubauen, um zu verhindern, dass die Krise der Wien-Energie auf unserem Rücken ausgetragen wird.

Wie kann eine Alternative aussehen?

Wir haben versucht zu zeigen, dass es bei der Krise der Wien-Energie nicht um eine bösartige, besonders dumme oder unfähige Geschäftsführung geht. Im Gegenteil, sie stellt den sozialdemokratischen Versuch eines vermeintlichen Sonderwegs im Kapitalismus dar. Als verlängerter Arm der SPÖ Wien hat Wien-Energie über Jahre Geld mittels ihrer Profite ins Wiener Budget gebracht. Das ging eine Zeitlang gut, ist aber wie viele sozialdemokratische Versuche an einer konkreten Krisensituation zerbrochen.

Sehen wir uns die Probleme der Energiekrise in Österreich an, erkennen wir schnell die Widersprüche und Unsinnigkeiten der kapitalistischen Profitlogik. Österreich hat mit Enns, Inn, Traun, Salzach, Mur, Drau, Rhein und der Donau vergleichsweise viele Flüsse für Wasserkraftwerke. Und selbst das „flusslose“ Burgenland steht mit einer guten Windkraft-Infrastruktur gut da. Im Prinzip sind die Voraussetzungen für erneuerbare Energien sehr gut. Dass trotzdem noch Gas, Öl und vielleicht auch bald wieder Kohle für Strom verheizt und Atomstrom importiert wird, ist weitgehend unnötig. Einerseits könnten an allen Ecken und Unmengen an Energie gespart, die vorhandenen Ressourcen besser genutzt werden. Andererseits sehen wir mit einem Fleckerlteppich an Stromproduzenten und -händlern die völlige Anarchie des Marktes. Die Aufspaltung der ehemaligen Kommunalen und Landesenergieversorger ist direktes Produkt des Neoliberalismus, dem sich alle etablierten Parteien verschrieben haben - egal ob schwarz, türkis, grün, rot, blau oder pink. Dieser Markt ist auch kein Naturereignis oder vom Himmel gefallen, sondern wurde von Politiker*innen geschaffen. Darum ist es auch völlig lächerlich, wenn Bundeskanzler Nehammer oder der Wiener Finanzstadtrat Hanke den völlig verrückten Märkten die Schuld der eskalierenden Energiekrise geben wollen. Diese Verrücktheit ist das Produkt ihrer Politik und damit auch ihre politische Verantwortung!

Die marktwirtschaftliche Profitorientierung dieser Unternehmen führt dazu, dass Strom möglichst billig produziert und so viel wie möglich verbraucht wird. Um die Energieunternehmen aus der für uns und das Klima tödlichen Umarmung des Kapitalismus zu lösen, müssen sie den Bedürfnissen der Menschen untergeordnet werden. Am besten geht das in einem Zusammenschluss von vergesellschafteten Betrieben unter Kontrolle der Konsument*innen und Beschäftigten. Den Gewerkschaften fällt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Anstatt bedingungslos an der Seite der SPÖ zu stehen, müssen sie über den 17. September hinaus die Beschäftigten gegen die Inflation und die Preisexplosion am Energiesektor mobilisieren. Diese Proteste müssen mit den Lohnverhandlungen im Herbst für eine echte Lohnerhöhung ohne Reallohnverlust verbunden werden. Dazu wird es nicht reichen, mit den Unternehmern in Hinterzimmern zu verhandeln, dazu wird es Kampfmaßnahmen in den Betrieben und der Straße brauchen. Dafür müssen wir eine unabhängige Bewegung von unten aufbauen, die einerseits den Druck auf die Stadt Wien und die Bundesregierung aufbaut und andererseits auch auf die Gewerkschaften. Es wird notwendig sein, kämpferische Betriebsrät*innen (vor allem aus städtischen und stadtnahen Bereichen), Nachbarschaftsinitiativen etc. zusammenzubringen, um eine Bewegung aufzubauen, die verhindert, dass die Kosten auf unseren Rücken abgeladen werden. Wichtig ist  auch eine Vernetzung von Kund*innen der Wien-Energie, die Aktionen und Maßnahmen bis zum Zahlungsboykott organisieren könnten. Wie so etwas funktionieren kann, haben Schwesterorganisationen der ISA in England und Irland erfolgreich gezeigt. Eine zentrale Rolle dabei können die Kolleg*innen im Gesundheits- und Sozialbereich spielen, die schon in den letzten Jahren in der ersten Reihe im Kampf gegen die Sparpolitik der Stadt Wien gestanden haben. So eine Bewegung kann zum Ausgangspunkt für den Kampf um Gewerkschaften unabhängig vom politischen Establishment und auch einer politischen Alternative in Form neuer Massenorganisationen und Parteien, die den Kampf um eine Alternative zu diesem verrotteten System organisieren können. Wohin wir auch sehen, es führt kein Weg an einer neuen Partei für Arbeiter*innen, Beschäftigte, Pensionist*innen und Jugendlichen vorbei!

Nur so schaffen wir es, einen Absturz unseres Lebensstandards zu verhindern und die Energiewende hin zu einer klimafreundlichen Zukunft zu verknüpfen. Das wird im Rahmen des Kapitalismus mit all seinen Widersprüchen nicht möglich sein, dafür brauchen wir letztlich eine gerechte, eine sozialistische Welt.

    • Keine versteckten Deals! Alle Schritte müssen von den Beschäftigten und Kund*innen der Wien-Energie zuerst besprochen und demokratisch abgestimmt werden.

    • Kein Ausverkauf der Wien-Energie. Kampf um jeden Arbeitsplatz!

    • Offenlegung der Bücher aller Energiekonzerne. Wir wollen sehen, wo unser Geld steckt.

    • Sofortige Vergesellschaftung aller Energieunternehmen in Österreich. Für einen Zusammenschluss dieser Betriebe unter Kontrolle der Konsument*innen und Beschäftigten, um Strom zum Selbstkostenpreis an Konsument*innen weiterzugeben.

    • Sofortiger Stopp des „Merit-Orders“ Systems für österreichische Energieunternehmen. Erstellung eines Energie-Plans anhand der Bedürfnisse und nicht des Strommarktes.

    • Abschaffung aller Massensteuern, insbesondere der Umsatzsteuer. Energie ist wie viele andere Dinge des täglichen Lebens ein Grundbedürfnis. Dafür progressive Besteuerung von Reichtum und Gewinnen zur Finanzierung unserer gesellschaftlichen Aufgaben.

    • Kein Cent für Atomstrom! Weg von fossilen Brennstoffen, sofortiger Ausbau alternativer erneuerbarer Energie.

    • Schluss mit dem Verbau und der Versiegelung der Böden. Sinnvoller Rückbau zu beschattenden, lebenswerten Flächen.

    • Null-Cent Klimaticket für ganz Österreich, für alle, die hier leben. Niemandem wird das Auto weggenommen. Für eine radikale Wende hin zum Öffentlichen Verkehr durch Überzeugung und Angebot und nicht durch Zwang.

    • Sofortige Einführung der 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Weniger Arbeitszeit bedeutet weniger Stress und mehr Zeit für uns. Aufteilung der Arbeit auf die verfügbaren Hände!

    • Schluss mit dem Krieg in der Ukraine! Keine Waffen, kein Cent, kein Soldat für den Krieg! Bedingungsloses Asyl für alle Kriegsflüchtlinge, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer! Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiter*innenklasse in Russland, der Ukraine und Europa kann den Krieg stoppen. Für den Sturz Putins in Russland und Selenskyjs in der Ukraine.

    • Für kämpferische und demokratische Gewerkschaften. Schluss mit der Sozialpartnerschaft, die nie eine Partnerschaft war, sondern nur die Profite der Unternehmen gesichert hat! Organisierungen für die Demos am 17. September und darüber hinaus für Streiks zu Durchsetzung unserer Forderungen

    • Für eine Bewegung aus Beschäftigten von städtischen und stadtnahen Betrieben, dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Wien-Energie-Kund*innen und anderen politischen Vereinen und Organisationen, um das Abwälzen der Kosten auf unserem Rücken zu verhindern und eine politische Alternative zur Profit getriebenen Stadtpolitik aufzubauen. Für eine neue Partei der Arbeiter*innen, Beschäftigten, Pensionist*innen und Jugendlichen!