Di 28.02.2006
Auf Einladung des Bundesvorstandes der WASG sprach Oskar Lafontaine in Berlin über den Neuformierungsprozess der Linken, die Notwendigkeit einer antikapitalistischen und anti-neoliberalen Partei. Gleichzeitig verteidigte er die Politik des „kleineren Übels“ in Berlin und argumentierte für einen gemeinsamen Wahlantritt von WASG und Linkspartei.PDS bei den Berliner Abgeordnetenhauswalen im September.
Die vom WASG Bundesvorstand organisierte Veranstaltung mit Oskar Lafontaine war von vielen WASG Mitgliedern in Berlin mit Spannung erwartet worden. Dementsprechen prall gefüllt war der große Versammlungssaal im Berliner IGM Haus. Der Zeitpunkt für diese Diskussion war nicht zufällig gewählt worden. Eine Woche vor dem Landesparteitag der Berliner WASG und der darauffolgenden Urabstimmung versucht der Bundesvorstand politisch Einfluss zu nehmen auf die Frage, ob die WASG bei den Abgeordnetenhauswahlen eigenständig kandidieren soll. Auch die Mehrheit des Berliner Landesvorstandes ist für den Neuformierungsprozess der Linken. Angesichts der von der Berliner LP.PDS mit betriebenen Sozialkalschlagspolitik im rot-roten Senat in den letzten Jahren sieht er aber keine politische und inhaltliche Grundlage für einen gemeinsamen Antritt in Berlin.
Nachdem Christine Buchholz die Position der Bundesvorstandsmehrheit dargelegt und „für einen gemeinsamen Wahlantritt trotz aller Differenzen“ warb, ging das Wort an Oskar Lafontaine, der in seinem 20-minütigen Beitrag seine Position zur Frage darlegte, „Was für eine neue Linke brauchen wir?“. Seit seinem Auftritt bei der Rosa Luxemburg Konferenz der Tageszeitung junge Welt Mitte Januar hatte sich Lafontaine verstärkt für „Haltelinien“ linker Politik ausgesprochen. Als eine dieser Haltelinien benannte Lafontaine eine klare Absage an Privatisierungen. Den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft durch den rot roten Berliner Senat hatte er als Fehler bezeichnet. In diesem Sinne wurde sein Beitrag mit einer gewissen Erwartungshaltung verfolgt.
In seinen Ausführungen begann Lafontaine zunächst damit die Gründe für seinen Wiedereinstieg in die Politik zu benennen. Angesichts von Agenda 2010, Hartz IV und anderen sozialen Schweinereien, die von allen im Bundestag vertretenen Parteien mitgetragen worden seien, habe er sich entschlossen alles was er Kraft seiner Person tun könne zu tun, um eine starke linke Alternative bundesweit anzubieten.
Viel Applaus erntete er von den Anwesenden für seine Aussage, dass eine neue Linke auf einer klaren inhaltlichen Grundlage entstehen müsse. Eine neue Linke muss „antikapitalistisch und anti- neoliberal“ sein, sagte er unter großem Beifall. In diesem Zusammenhang stellte Lafontaine fest, dass neoliberales Gedankengut auch in den Reihen der Linkspartei.PDS wiederfinde und er Kritik daran berechtigt findet.
Er argumentierte auch dafür, sich zu trauen die Reichen in diesem Land anzugreifen. Würde man das endlich tun, so wäre keine einzige Sparmaßnahme zu Lasten von ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen nötig gewesen. Nur so lasse sich auch die notwendige Demokratisierung der Gesellschaft durchsetzen. Er plädierte auch dafür, dass es bestimmte „Schutzrechte“ für die Schwächeren in der Gesellschaft geben müsse.
Nachdem sich der Berliner Landesvorstand bei den Veranstaltern darüber beschwert hatte, dass kein Vertreter des Landessvorstandes als Podiumsredner eingeladen wurde, erhielt Lucy Redler, Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der Berliner WASG und Mitglied der SAV, die Möglichkeit als erste Rednerin in der Diskussion die Position aus Sicht des Berliner Landesvorstandes darzulegen. „Niemand von uns ist gegen den politischen Neuformierungsprozess“, erklärte sie.“Wir wollen allerdings einen Neuformierungsprozess, der mehr ist als die Addition von WASG und Linkspartei.PDS und einen Neuformierungsprozess, der nicht als ein top down Projekt durchgezogen wird. Wir brauchen einen Neuformierungsprozess der Linken der tatsächlich auf einer linken Grundlage basiert“. Tatsächlich sei es aber so, betonte Lucy Redler, „dass die Linkspartei.PDS in allen wichtigen politischen Auseinandersetzungen, die in der letzten Zeit in Berlin stattgefunden haben, nicht auf Seiten der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen gestanden hat.“
Um deutlich zu machen, dass es eklatante Widersprüche gibt zwischen dem was die Linkspartei.PDS auf Bundesebene fordert oder sagt und dem, was sie auf Länderebene umsetzt, führte Lucy Redler drei Beispiele an. So könne es nicht sein, „im Bund gegen Privatisierungen zu sein und gleichzeitig in Berlin die Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen.“ Genauso widersprüchlich sei es, auf Bundesebene zu fordern, Hartz IV zu stoppen und Ein Euro Jobs abzulehnen und in Berlin mitverantwortlich zu sein für die Einführung von 32.000 Ein-Euro-Jobs. Als letztes Beispiel nannte sie die allgemeine Forderung nach höheren Löhnen, die von der Linkspartei.PDS unterstützt werden, und die konkrete Situation bei der Charité, wo die KollegInnen in einen Absenkungsvertrag gedrängt werden sollen.
Es ist in der Tat so, dass die Linkspartei.PDS in dieser betrieblichen Auseinandersetzung auf der anderen Seite steht. Es ist Senator Flier von der LP.PDS, der den KollegInnen die Pistole auf die Brust setzt und sie vor die „Wahl“ stellt: Entweder Lohnkürzungen oder 1.500 betriebsbedingte Kündigungen. Bezüglich der Ein-Euro-Jobs heißt es in einem Artikel der Berliner Zeitung vom 16. Februar: „Die Hälfte der etwa 32 000 Ein-Euro-Kräfte in Berlin arbeiteten im öffentlichen Dienst, bereits jeder vierte Beschäftigte in Bezirksverwaltungen und kommunalen Einrichtungen sei Ein-Euro-Jobber. Uwe Januszewski vom Hauptpersonalrat geht davon aus, dass derzeit 99 Prozent davon rechtswidrig eingesetzt werden.“
Wenn es bei der LP.PDS nicht in den nächsten Tagen noch zu einer 180 Grad Wende komme, so müsse der Linkspartei ein „externer Schock“ besorgt werden. „Dann gibt es keine Alternative zu einem eigenständigen Antritt der WASG hier in Berlin“, führte Lucy Redler aus.
Die letzten Umfrageergebnisse von 4,3 Prozent für die WASG machen deutlich, dass es Potential für einen eigenständigen Antritt gibt.
Dass Lucy Redler mit ihrem Beitrag vielen Anwesenden aus der Seele sprach wurde durch viel Applaus eindrücklich dokumentiert.
Etwa 50 Leute hatten Wortmeldungen abgegeben, um sich an der Diskussion zu beteiligen. Trotz einer Redezeitbegrenzung auf zwei Minuten, kamen nur etwa die Hälfte in der sehr lebendigen und engagierten Diskussion zu Wort.
In der Diskussion sprachen BefürworterInnen und GegnerInnen einer eigenständigen Kandidatur. Die GegnerInnen leiteten aus den vier Millionen Stimmen und den 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl den Auftrag ab, das Neuformierungsprojekt mit der Linkspartei.PDS fortzusetzen. Gemeinsam „trotz aller Differenzen“ war der Haupttenor der BefürworterInnen der gemeinsamen Kandidatur, die auch auf den Gängen für diese Position Unterschriften sammelten. Es gehe um die historische Möglichkeit zur Einheit der Linken in Deutschland, hieß es. Diesem Argument setzten die BefürworterInnen eines eigenständigen Antritts in Berlin erneut entgegen, dass auch sie sehr wohl für den Neuformierungsprozess seien. Allerdings, so wurde mehrfach laut, reiche es nicht aus, von einer abstrakten Einheit der Linken zu sprechen. In mehreren Redebeiträgen wurde auf die asoziale Realpolitik des rot-roten Senates hingewiesen. Dabei sei es nicht einfach damit getan, zu sagen, die PDS habe hier in Berlin „Fehler“ gemacht, hieß es in Bezug auf Oskar Lafontaine. Die LP.PDS unter Führung von Harald Wolf (Wirtschaftssenator), Stefan Liebich (Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus) und Klaus Lederer (Berliner Vorsitzender der LP.PDS) in Berlin handle vorsätzlich. Damit bezog man sich auf Aussagen von Wolf, der seine Partei 2004 in einer Grundsatzrede aufforderte, sich nicht länger hinter den vermeintlichen Haushaltszwängen zu verstecken, sondern sich zum politischen „Vorsatz“ der Senatspolitik zu bekennen.
In Berlin ist die Wahrheit konkret, wurde aus vielen Beiträgen deutlich: Will man eine glaubwürdige, linke Partei aufbauen, die die Interessen der ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen vertritt und die zu einem Anziehungspunkt für Menschen in Betrieben und Gewerkschaften sowie aus den sozialen Bewegungen werden, dann gibt es keinen Weg vorbei an einer eigenständidgen Kandidatur.
Hatte Lafontaine in seiner Eingangsrede noch explizit darauf gepocht, dass ein Neuformierungsprozess auf inhaltlicher Grundlage erfolgen muss, war von diesem Grundsatz in seinem Schlusswort bedauerlicherweise nicht mehr viel zu hören. Er beschwor die linke Einheit, die nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Lafontaine versuchte sich deutlich abzugrenzen von der linken Mehrheit der WASG in Berlin und der SAV im Besonderen. Er stellte sich vor den rot-roten Senat und verteidigte vehement die Politik des kleineren Übels in Berlin. Ein eigenständiger Antritt sei nur dann gerechtfertigt, wenn man beweisen könne, dass es unter anderen Mehrheitsverhältnissen und unter einer anderen Regierungskoalition nicht zu schlimmeren Angriffen kommen würde. Lafontaine bezeichnete die SAV als Spalter, die den Neuformierungsprozess behindern wolle.
Es war bedauerlicherweise keine Rede mehr davon, dass es selbst in der gegebenen Berliner Situation andere Möglichkeiten gibt, Politik zu machen. Findet man dafür keine politischen Partner und keine Mehrheiten, dann – und das sollte die Linkspartei.PDS im Falle Berlin tun – muss man aus der Regierung aussteigen, statt kapitalistische Sachzwangpolitik zu akzeptieren und umzusetzen. Überhaupt keine Erwähnung fand die Möglichkeit, über außerparlamentarische Proteste Druck zu entfalten und darüber zu beginnen, die Kräfteverhältnisse im Interesse der Arbeiterklasse und der Jugend umzukehren.Gerade das wäre die Aufgabe einer antikapitalistischen und anti-neoliberalen linken Partei. Das wäre aus Sicht der SAV der beste Weg um in kurzer Zeit zu einer starken und kämpferischen Neuformierung zu kommen. Das Potential dafür ist vorhanden.
Es gibt innerhalb der Arbeiterklasse, unter Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen und in den sozialen Bewegungen derzeit eine Abwartehaltung wie sich die WASG auf ihrem Landesparteitag positionieren wird. Entscheidet man sich beim Landesparteitag für eine konsequente, linke Politik, kann das eine enorme Ermutigung sein für viele AktivistInnen und vor allem für diejenigen, die sich heute von der etablierten Politik verraten und verkauft fühlen. Ein eigenständiger Antritt ist deshalb ein wichtiger Beitrag für den Neuformierungsprozess auf inhaltlicher, linker Grundlage und das Gegenteil von Spaltung.