Mo 11.06.2012
Am 5. Juni fuhren FreundInnen und KollegInnen, die in Sorge waren, weil Takhir Mukhamedzyanov nach dem vergangenen Wochenende nicht zur Arbeit erschienen war, zu seiner Wohnung in Karaganda, wo sie nur noch seinen Leichnam auffanden. Zwar ist die Todesursache noch ungeklärt, der Tod von Takhir, einem gesunden, 51-jährigen Mann mit viel Energie, wirft aber einige Fragen auf. Nicht zuletzt weil Takhir in der letzten Zeit Drohungen von anonymer Seite erhielt, man würde sicher seiner „entledigen“.
Seit vielen Jahren arbeitete Takhir als Bergmann, zuerst in der Industrie der Sowjetunion und dann, nach der Privatisierung, für „Arcelor-Mittal“, die alle bedeutenden Bergwerke und Metallgießereien in der kasachischen Region Karaganda aufgekauft hatten. 2008 wurde er illegaler Weise entlassen, was er zum Anlass nahm, in Vollzeit und als stellvertretender Vorsitzender der Organisation „Familien der Bergleute“ Kampagnenarbeit zu machen. Diese Funktion hatte er bis zu seinem Tod inne. Takhir und seine KollegInnen der „Familien der Bergleute“ leisteten wertvolle Unterstützungsarbeit für alle jene, für die die Organisation sich ursprünglich auch gegründet hatte: die Witwen und hinterbliebenen Kinder von Männern, die bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen waren. Über die Zeit wurde die Organisation immer mehr in den Kampf zur Verteidigung der Rechte der Bergleute einbezogen. In den Minen und metallverarbeitenden Betrieben der Region Karaganda werden Gesundheits- und Sicherheitsstandards von den Konzernchefs auf ihrer Jagd nach Profiten einfach ignoriert. Da die offiziellen und vom Staat unterstützten Gewerkschaften nur sehr wenig tun, um die Position der ArbeiterInnen zu verteidigen, hat die Organisation „Familien der Bergleute“ die Rolle einer unabhängigen Gewerkschaft angenommen.
Derlei Aktivitäten fanden nicht unbemerkt statt. Auf die „Familien der Bergleute“ wurde auf unterschiedlichste Weise Druck ausgeübt. So wurden am 10. Oktober 2010 die Garage und das darin befindliche Auto von Takhir „als Warnung“ in die Luft gejagt. AktivistInnen von „Familien der Bergleute“ glauben, dass die Explosion in direktem Bezug stand zu Takhirs Arbeit, der Verteidigung der Rechte der Bergleute und ihrer Witwen. Nach Aussage seiner Genossin Natalia Tomilova ist die Androhung gewaltsamer und terroristischer Mittel gegen für Arbeitnehmerrechte eintretende AktivistInnen zum Normalzustand geworden.
Nur zwei Wochen nach der Explosion der Garage um 21.30 nachts tauchte die Polizei vor Takhirs Wohnung auf und brachte ihn unter Zwang in ein örtliches psychiatrisches Krankenhaus. Zwei Ärzte, drei uniformierte Polizisten und ein Beamter in zivil behaupteten, dass Takhir nach dem Verlust seines Besitzes bei der Explosion, unter einem Nervenzusammenbruch leiden würde und eines Krankenhausaufenthalts sowie psychiatrischer Behandlung bedürfe. Als sie versuchten, Takhir eine Spritze mit unbekannter Substanz zu injizieren, schaffte er es sich zu befreien. Er rief einen Freund an und seine Tochter holte ihn ab und brachte ihn nach Hause. Dank einer öffentlichen Kampagne waren die besagten Ärzte dann gezwungen, Takhir in Ruhe zu lassen.
Im März 2011 wohnte Takhir in der Nähe des Bergbauzentrums Schachtinsk als ein Jugendlicher auf ihn zu kam und sagte, dass Dokumente, die sich vor der Explosion in Takhirs Auto befanden und die laut Polizeiangaben sämtlich vernichtet wurden, nach der Schneeschmelze auf einer Müllhalde am Ende der Stadt gefunden wurden. Das belegt, dass Takhirs Garage aufgebrochen wurde, bevor es zur Explosion gekommen war.
Er konnte Ungerechtigkeit nicht teilnahmslos hinnehmen
Die GenossInnen der „Sozialistischen Bewegung Kasachstan“ (vorher bekannt unter dem Namen „Kasachstan 2012“) trafen Takhir das erste Mal im Januar 2009. Im September 2010 organisierte er einen Besuch von Joe Higgins in Karaganda, der damals für die „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Irland) im Europaparlament saß und heute wieder Abgeordneter im irischen Parlament ist. Im November 2010 nahm Takhir an der Gründungskonferenz der Gewerkschaft „Zhanartu“ teil und wurde in deren Zentralkomitee gewählt. Im Mai 2011 war er bei der Gründung der „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“ mit dabei und wurde dort zu einem der fünf Mitglieder des Leitungsteams gewählt. Im Juli 2011 organisierte Takhir abermals den Besuch eines Europaabgeordneten in Karaganda. Diesmal handelte es sich um Paul Murphy von der „Socialist Party“ aus Irland, der auch die streikenden ÖlarbeiterInnen in Schangaösen besuchen wollte. Nur zwei Wochen vorher hatte Takhir die 100.000 Einwohner-Stadt Scheskasgan besucht, wo ArbeiterInnen Streikmaßnahmen eingeleitet und deshalb mit Repression zu kämpfen hatten. Takhir fand schnell zu einer gemeinsamen Sprache mit ihnen und konnte mit einer festen Zusage im Gepäck wieder abreisen, dass die ArbeiterInnen von Scheskasgan und Karaganda sich bei Kämpfen gegenseitig unterstützen werden.
Takhir arbeitete hart. Er konnte nicht weitergehen oder tatenlos zusehen, wenn er irgendwo Ungerechtigkeit wahrnahm. Wir werden ihn als unermüdlichen und konsequenten Kämpfer für die Rechte der Arbeiterklasse Kasachstans in Erinnerung behalten. Wir werden ihn als echte Persönlichkeit in Erinnerung behalten. Er maßte sich nie etwas an und war immer mutig und energiegeladen. Wer sich in seiner Gegenwart befand, erlebte, was er für eine großartige Person war. Wir werden ihn vermissen.
Im Namen der unabhängigen Gewerkschaft „Zhanartu“ und der „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“ möchten wir den Angehörigen und Freunden von Takhir unser tief empfundenes Beileid aussprechen.
Takhir wird immer in unserer Erinnerung bleiben. Sein Name gehört zur Geschichte der Arbeiterklasse Kasachstans. Ruhe sanft, lieber Genosse!
Das Zentralkomitee der unabhängigen Gewerkschaft „Zhanartu“
Das Leitungsteam der „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“
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Beileidsbekundungen vom „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI)
Der folgende Brief wurde vom CWI an die Hinterbliebenen, GenossInnen und Freunde von Takhir Mukhamedzyanov gesandt:
Im Namen des „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, das mit Sektionen in mehr als vierzig Ländern organisiert ist, sprechen wir den Hinterbliebenen, GenossInnen und Freunden von Takhir Mukhamedzyanov unser tief empfundenes Beileid aus.
Diejenigen Mitglieder des CWI, die das Privileg hatten, Takhir persönlich kennenlernen zu dürfen, darunter Peter Taaffe vom Internationalen Sekretariat des CWI, Joe Higgins und Paul Murphy als Europaabgeordnete, erinnern sich an Takhir als rastlosen Kämpfer, einen Mann, der sein Leben dem Kampf für die Rechte der Arbeiterklasse widmete; entweder als Mitstreiter der „Familien der Bergleute“, der Gewerkschaft „Zhanartu“ oder der „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“.
Das CWI fordert die vollständige und unabhängige Untersuchung der Todesumstände von Takhir, der viel zu früh starb. Sollte sich herausstellen, dass es sich um ein Verbrechen handelt, so müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden
Das CWI verpflichtet sich, Takhirs Andenken zu ehren. Wir tun dies, indem wir die Kampagne gegen die Ungerechtigkeit fortsetzen, von der arbeitende Menschen betroffen sind und die von den multinationalen Konzernen wie „Arcelor-Mittal“, „Kazakhmys“ und „KazMunaiGaz“ sowie vom kapitalistischen System selbst ausgeht. Für die Ablösung des Kapitalismus durch eine demokratische und internationale, sozialistische Gesellschaft, in der der Wohlstand der Gesellschaft im Interesse der Menschen eingesetzt wird und in der arbeitende Menschen die Kontrolle über ihr Leben haben.
Mit sozialistischen Grüßen
i.A. Tony Saunois
„Internationales Sekretariat des CWI“