Türkischer Aufmarsch an irakischer Grenze

PKK für türkisches Militär nur ein Vorwand
Aron Amm, CWI-Deutschland

Nie zuvor ließen die Generäle der Türkei so viele Soldaten an der nord-irakischen Grenze aufmarschieren. Der Irak-Krieg hat zu einer Verschärfung der Jahrzehnte alten Konflikte geführt. Kurdistan droht zum Schauplatz eines neuen gewaltigen Blutvergießens zu werden.

Seit 1991 sind türkische Truppen 24 Mal in den irakischen Teil Kurdistans einmarschiert. Jetzt haben sie 100.000 Soldaten an der Grenze zum Irak in Stellung gebracht. Das sind doppelt so viele wie bei den beiden bislang größten Invasionen 1995 und 1997.

Der Grenzübergang Harbur gilt als Barometer für die Lage im türkisch-irakischen Grenzgebiet. Vor zwei Monaten wurden täglich 2.000 Lastwagen in eine Richtung abgefertigt, heute warten dort nur noch hundert. „Offenbar rechnen sie mit Krieg“, so ein Lkw-Fahrer (FAZ vom 31. Oktober).

„Alarmstufe Rot“

Am 17. Oktober gab das türkische Parlament mit 509 zu 19 Stimmen den Oberbefehlshabern grünes Licht, in den Irak einzumarschieren. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte eine Militäroffensive im Nordirak an, falls die irakische Regierung nicht gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgehen und PKK-Führer aushändigen sollte. Der irakische Präsident, Dschalal Talabani, selbst ein Kurde, entgegnete darauf zunächst, dass er „nicht einmal eine kurdische Katze ausliefern“ würde.

Vor der Irak-Konferenz in Istanbul – an der auch der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki teilnahm – erklärte dann US-Außenministerin Condoleezza Rice: „Die PKK ist unser gemeinsamer Feind.“ In einer Blitzaktion schloss die nordirakische Regionalregierung vor laufenden Fernsehkameras Kontaktbüros der PKK. Kurz darauf ließ sie die Zufahrtsstraßen ins Kandilgebirge sperren, um die PKK von der Lebensmittelversorgung abzuschneiden – mit fatalen Folgen für die Zivilbevölkerung.

Am 5. November besuchte Erdogan US-Präsident George W. Bush. Hier versuchte Bush, wie Rice zuvor in Istanbul, die Herrschenden in der Türkei von einer umfassenden Invasion abzuhalten. Gleichzeitig sagte Bush der türkischen Armee logistische Hilfe und die Ausstattung mit US-Geheimdienstinformationen zu. Immer wieder kreisen nun US-Spionageflugzeuge über der Region, türkische Kampfhubschrauber attackieren PKK-Lager in den Kandilbergen. „Wir haben hier Alarmstufe Rot“, so ein PKK-Kämpfer.

Parallel dazu wurde in der Türkei ein Verbotsverfahren gegen die kurdische Partei für demokratische Gesellschaft (DTP) eingeleitet (die 20 Parlamentsabgeordnete und 56 Bürgermeister stellt).

Hypothek des Irak-Krieges

„In diesem Jahr war die Zahl der in Zusammenstößen mit der PKK Getöteten nicht höher als in den beiden Jahren zuvor“, heißt es in der FAZ vom 31. Oktober. Warum dann eine türkische Militäroffensive zu diesem Zeitpunkt?

Im Machtkampf mit Erdogans islamistischer AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) hatte sich das türkische Militär ein blaues Auge geholt. Die Armee, die in der Türkei zwischen 1960 und 1980 dreimal putschte, war im Streit um den AKP-Präsidentschaftsanwärter Abdullah Gül unterlegen. Um Einfluss und Prestige zurückzugewinnen, forcieren die Kräfte des Militärs den Konflikt mit der PKK. Allerdings haben Entwicklungen eingesetzt, die auch die AKP auf den Plan ruft: Im September legte der US-Senat ein Konzept zur Teilung des Irak in drei Teilstaaten vor. In den nächsten Monaten soll ein Referendum über die Zukunft der ölreichen nordirakischen Stadt Kirkuk stattfinden. Würde Kirkuk der kurdischen Autonomieregierung zugeschlagen, wäre ihre ökonomische Position stark verbessert.

Seit dem Irak-Krieg 2003 war der Norden des Irak im Vergleich zum Rest des Landes relativ stabil. Während die Sunniten, aber auch Schiiten, bewaffneten Widerstand gegen die US-Besatzer leisten, glaubten die irakischen Kurden, echter Selbstbestimmung näher gekommen zu sein. Nach dem Golfkrieg 1991 hatte der US-Imperialismus gegenüber Saddam Hussein bewirkt, dass ihnen autonome Rechte zugestanden wurden. Von 2003 an durften die KurdInnen auch eine eigene Regierung wählen. Zudem stellten die USA ihnen die Kontrolle über die Ölvorkommen im Norden in Aussicht. Alles Zugeständnisse des Weißen Hauses, um das Hussein-Regime zu Fall zu bringen und danach eine Ausweitung des Bürgerkriegs zu stoppen.

US-Interessen

Der Imperialismus berücksichtigt das Joch unterdrückter Nationen nur dann, wenn es ihnen einen Vorteil bringt. Als die USA auf Hussein setzten, um die Ausdehnung der Iranischen Revolution aufzuhalten, ignorierten sie die Verfolgung irakischer KurdInnen. Auch beim Giftgasangriff auf das kurdische Halabja 1988 sahen sie weg.

Während die PKK zum Feind erklärt wird, unterstützen die USA derzeit die der PKK nahe stehende Partei des freien Lebens Kurdistans (PJAK) im Iran – um Mahmud Ahmadinedschad zu schwächen.

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs am Ende des Ersten Weltkriegs teilten die imperialistischen Kräfte die Region unter sich auf. Auf Kosten der KurdInnen, die bis heute die größte Nation ohne eigenen Staat sind. Jahrzehntelang wurden ihre Rechte im Irak, im Iran, in Syrien und in der Türkei mit Füßen getreten.

Die Türkei ist einer der wichtigsten Verbündeten der USA in der Region. Zwar ist der US-Imperialismus in kaum einem Land so verhasst wie in der Türkei (dem türkische Regierungen Rechnung tragen müssen). Trotzdem wollen es Ankara und Washington nicht zum Bruch kommen lassen. Für den türkischen Kapitalismus ist es ausgeschlossen, ein eigenständiges Kurdistan im Nordirak hinzunehmen. Schließlich würde das dem Unabhängigkeitsstreben der KurdInnen in der Türkei Auftrieb geben. Ein unabhängiges Kurdistan würde wirtschaftliche und geostrategische Einbußen bedeuten, die von den Herrschenden in der Türkei nicht akzeptiert werden. Darum werden die USA die KurdInnen im Nordirak heute genauso verraten wie in der Vergangenheit. Der Mohr hat – gegen Hussein – seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Dazu kommt, dass die US-Konzerne die Ölressoucen im Nordirak nicht den KurdInnen überlassen wollen.

Die USA realisierten erschrocken, schreibt der SPIEGEL 44/2007, „dass in einer der heikelsten Regionen der Welt schon wieder ein Waffengang droht. Noch laviert der Irak am Rande eines Bürgerkriegs. Gleichzeitig geraten die Erzfeinde Iran und USA über das Teheraner Nuklearprogramm immer heftiger aneinander. Jetzt droht auch noch ein Kurdenkrieg auf irakischem Boden.“ Und weiter: „Die neue Krise zeigt bereits Auswirkungen: Mit neuen Rekordpreisen reagierten die Ölmärkte auf den drohenden Waffengang im rohstoffreichen Nordirak.“ Vor diesem Hintergrund bedrängten Rice und Bush die Türkei, keinen Großangriff zu starten. Allerdings haben Jahrzehnte imperialistischer Machtpolitik so viele Sprengsätze in der Region gelegt, dass es jederzeit zu einer Explosion kommen kann. In jedem Fall wäre eine Eskalation nur aufgeschoben.

Ausweg für KurdInnen?

Dem türkischen Militär geht es nicht um die PKK; „oben in den Kandilbergen“, so die FAZ, „hielten sich bestenfalls noch tausend bewaffnete PKK-Kämpfer auf. Die anderen viertausend oder mehr“ sollen längst in der Türkei zurück sein. Es geht um das Streben der KurdInnen nach Selbstbestimmung, das weiter verwehrt werden soll.

Wollen die unterdrückten KurdInnen diesen Kampf erfolgreich führen, dürfen sie nicht auf die nordirakischen Parteien Patriotische Union Kurdistans (PUK) und Demokratische Partei Kurdistans (KDP) setzen. Diese vertreten nur die Anliegen kurdischer Stammesfürsten und machen eine unternehmerfreundliche Politik. Im Übrigen wächst die Kritik gegen die korrupte Politik der Autonomieregierung bereits.

Aber auch der Kurs der PKK ist kontraproduktiv. Mit ihren Anschlägen in der Türkei stoßen sie dort die Mehrheit vor den Kopf. Stattdessen sollten sie auf den gemeinsamen Kampf von kurdischen und türkischen Beschäftigten und Erwerbslosen gegen Krieg und Sozialkürzungen hinarbeiten. Und für eine sozialistische Alternative eintreten – statt Hoffnungen in bürgerliche Kräfte wie die kurdischen Regierenden im Nordirak zu setzen.

Um den Bedürfnissen der KurdInnen gerecht werden zu können, sind demokratische Organisationen nötig, um sich zu verteidigen und das Streben nach Selbstbestimmung mit dem Widerstand gegen Krieg, Ausbeutung und Profitwirtschaft zu verknüpfen. Da der Imperialismus und die kapitalistischen Staaten in der Region nicht bereit sind, den KurdInnen Territorien und Ressourcen abzutreten, muss der Kampf für Unabhängigkeit in den Kampf für ein sozialistisches Kurdistan – als Teil einer sozialistischen Föderation in der Region – münden.

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