Türkei-Debatte: Schluss mit dem Rassismus – Solidarität mit dem Aufstand!

Sebastian Kugler

Am Sonntag, dem 23.6., fand in Wien eine Demonstration zur Unterstützung Erdogans und gegen den Aufstand in der Türkei statt. Die Reaktionen darauf sind längst zu einer innenpolitischen Debatte geworden, bei der Äpfel-Birnen Vergleiche noch die harmloseren Phänomene sind.

Solidarität mit dem Aufstand – Es gibt keine Neutralität

 

Festzuhalten ist: Die SLP steht in vollster Solidarität mit dem Aufstand in der Türkei. Wir haben uns an allen Solidaritätsaktionen soweit es uns möglich war beteiligt, bzw. sie selbst initiiert. Die SLP ist Teil einer Internationale, des CWI, dessen türkische Gruppe aktiver Teil der Bewegung ist. Der EU-Parlamentarier unserer irischen Schwesterorganisation, Paul Murphy, flog extra nach Istanbul, um an den Demonstrationen teilzunehmen und verurteilte die Polizeigewalt öffentlich im EU-Parlament.

Die OrganisatorInnen der Pro-Erdogan Demonstrationen haben reaktionäre Beweggründe. Sie unterstützen ein neoliberales Regime, das ArbeiterInnen- und Frauenrechte attackiert. Es ist fatal, der Demonstration gleichgültig zu begegnen oder sie indirekt im Namen der „Toleranz“ zu bejubeln. Wenn Nikolaus Kowall von der SPÖ Sektion 8 schreibt, „Es ist erstaunlich, dass 8.000 DemonstrantInnen die in Wien für den türkischen Premierminister Erdogan auf die Straße gehen, in breiten Schichten der Gesellschaft Unbehagen auslösen“, und damit indirekt ausdrückt, dass ihm ganz behaglich dabei zumute ist, dann verharmlost er die Auseinandersetzung und das Regime. Es gibt hier keine neutrale Position. Bei allen, die sich mit dem Aufstand in der Türkei, mit dem Kampf für die Rechte von ArbeiterInnen in der Türkei solidarisieren, muss so eine Demonstration Unbehagen auslösen! Die Frage ist nur, wie damit umzugehen ist.

Gegen die rassistische Hetze

Die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ nahmen diese reaktionäre Mobilisierung zum Anlass um massiv gegen türkischstämmige Menschen zu hetzen. Sie hatten nur darauf gewartet, ihre rassistischen Hasstiraden einsetzen zu können. Jetzt drängt die Rechte auf die Bühne und kreischt ihr altes Lied von der Integrationsdebatte. Das BZÖ fordert eine „Probezeit“ für Neo-StaatsbüergerInnen, Strache will, dass alle, die für Erdogan auf die Straße gehen, gleich zurück in die Türkei gehen. Die SLP bekämpft den Rassismus von FPÖ und BZÖ aufs Schärfste. Es ist eindeutig, dass sie den Aufstand in der Türkei für ihre widerliche rassistische Hetze missbrauchen. Vor kurzem hatten sie ja auch die DemonstrantInnen, die sich mit dem Aufstand solidarisch zeigten, beschimpft. Die rechten Hetzer schwanken noch immer in ihrer Position gegenüber dem Aufstand und richten ihre Fahne nach dem Wind. Doch selbst wenn sie das Erdogan-Regime kritisieren, tun sie dies mit rassistischem Einschlag gegen hier lebende TürkInnen. Dem stellen wir uns entgegen. Es geht hier nicht um Staatsbürgerschaften oder Bleiberecht. Wer hier lebt, soll die gleichen Rechte haben wie alle anderen, inklusive des Rechts, zu demonstrieren. Was ihre Vorstellung vom Umgang mit sozialen Bewegungen betrifft, sind Erdogan und Strache ja auf einer Linie: Nicht umsonst forderte die FPÖ bereits wiederholt den Einsatz berittener Polizei gegen Demonstrationen.

Skandalös sind auch Aussagen aus den Reihen der Grünen, die nach Abschiebungen und staatlicher Überwachung riefen. Keine Frage, dass der Sager von Efghani Dönmez, alle Pro-Erdogan DemonstrantInnen abzuschieben, mobilisierende Wirkung hatte. Auf der Demo fanden sich Schilder, auf denen stand „Efghani, gib mir ein Ticket!“. Die Menschen wehrten sich gegen die rassistische Hetze und gingen erst Recht auf die Pro-Erdogan Demo.

Wer wie FPÖ, BZÖ, aber auch die Grünen Dönmez und Pilz fordert, der Staat solle ein Auge auf die politische Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund haben und hier mit Abschiebungen politische Meinungsäußerungen verhindern, gibt dem Staat ein mächtiges Mittel in die Hand, Widerstand zu unterdrücken. In Einzelfällen könnte dies Reaktionäre treffen wie die Grauen Wölfe (eine türkische faschistische Organisation). In der überwältigenden Mehrheit der Fälle wäre es eine Waffe gegen internationale Solidarität mit weltweiten Klassenkämpfen! Eine Demonstration in Solidarität mit einem Generalstreik in Griechenland könnte zum Rückflugticket für politisch aktive griechische AuswanderInnen werden.

Wer also aus scheinbar progressiven Gründen nach der starken Hand des bürgerlichen Staates ruft, begeht einen schweren Fehler. Einen Fehler, der auch einem kurzsichtigem Politikverständnis geschuldet ist. Nicht nur würde diese Waffe hauptsächlich gegen Linke eingesetzt werden – Wer will, dass die Pro-Erdogan DemonstrantInnen abgeschoben werden, schickt dem Regime zusätzliche Battallione im Kampf gegen den Aufstand!

Die SLP nahm am Sonntag an der Gegenmobilisierung gegen diese Demonstration teil, zu der ca. 600 Menschen kamen. Die Demonstration solidarisierte sich mit den ArbeiterInnen und Armen in der Türkei und Kurdistan. Sie machte klar, dass Erdogan ein Feind von ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen ist. Sie zeigte auf, dass Erdogan massiv von den Herrschenden in Europa unterstützt wird und stellte dem internationale Solidarität von ArbeiterInnen entgegen. Sie entlarvte Erdogan als falschen Freund der KurdInnen, denn die aktuellen „Verhandlungen“ sind zum Scheitern verurteilt und werden keine echte Freiheit bringen. Dies war die einzig richtige Antwort auf die Pro-Erdogan Demo.

Hausgemachtes Problem

Während sich das politische Establishment von der Sektion 8 bis zur FPÖ jetzt anhand dieser Demonstration selbst zerfleischt und auf der einen Seite rassistische Hetze und auf der anderen Seite opportunistische „Toleranz“ stehen, werden die wirklich wichtigen Fragen nicht gestellt: Warum hat das Erdogan-Regime so eine starke Unterstützung in der türkischen Community?
Die jahrzehntelange rassistische Hetze und anti-türkische Stimmungsmache hat ihre Spuren unter „Austro-TürkInnen“ hinterlassen. Das Heile-Welt-Getue von SPÖ und Grünen ist völlig ineffizient gegen die Hetze der FPÖ. Die paternalistische Herangehensweise der SPÖ, die sich durch das Anbiedern an religiöse Führer Stimmen sichert, genauso. Der ÖGB hat es seit jeher verabsäumt, die „GastarbeiterInnen“, die nach Österreich kamen, zu organisieren und ihnen eine politische Heimat in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung zu geben. Viele dieser „GastarbeiterInnen“ kamen aus Schichten, die wenig Kontakt mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung hatten, religiös geprägt waren und damit eine Basis der AKP darstellen. Umso wichtiger wäre es gewesen, dass der ÖGB sie offensiv integriert hätte und einen gemeinsamen sozialen Kampf forciert hätte. Dadurch wäre Klassenbewusstsein geschaffen und reaktionäre Bewusstseinsmuster wie Frauenfeindlichkeit auch effektiver zurückgedrängt worden als durch hunderttausende „Integrationstests“. Durch sein konsequentes Ignorieren dieser Schichten hat der ÖGB sie den Reaktionären überlassen. Als Reaktion darauf wachsen zweite und dritte Generation nun ohne jegliche Verbindung zur Gewerkschaft auf, auch wenn sie einen immer größeren Teil der ArbeiterInnenklasse bilden! Auch heute tut der ÖGB nichts ernstzunehmendes, um Menschen mit Migrationshintergrund, auch aus der Türkei, ins Boot zu holen.

In der „Integrationsstudie“ des Innenministeriums von 2009 heißt es:
„Viele Menschen mit Migrationshintergrund sehen sich zudem mit (jedenfalls als solche perzipierten) Widerständen und Benachteiligungen von Seiten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. So kritisieren 57 Prozent Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, 46 Prozent fehlende Chancen für Migranten und 53 Prozent (der türkischen Migranten) Benachteiligung von Muslimen durch den österreichischen Staat und beinahe zwei Drittel der „Türken“ geben negative Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft zu Protokoll.“

Wer in der neuen Heimat, in der er/sie vielleicht einen Großteil des Lebens verbracht hat oder auch hier geboren ist, ständig Rassismus von Staat und Parteien ausgesetzt ist und keinen ernstzunehmenden Kampf dagegen sieht, wird sich eher auf das eigene „Herkunftsland“ zurückbesinnen. Wenn dann die türkische Regierung angegriffen wird, wird dahinter (oft zurecht) ein Angriff auf einen selbst vermutet. Um sich selbst gegen das rassistische Klima zu verteidigen, orientieren viele TürkInnen in Österreich wieder stärker auf die Türkei und ihre Regierung. Einige Faktoren stärkten diesen Trend in der türkischen Community: Der Wirtschaftsaufschwung in der Türkei im letzten Jahrzehnt half der AKP-Regierung. TürkInnen im Ausland sahen, wie „ihre“ Heimat sich von einer Wirtschaftskrise wurde und ihre Position als regionaler Imperialist beahupten konnte. Dass der Aufschwung auf brutal neoliberaler Politik, dem Aushebeln von ArbeiterInnenrechten wie durch das C4-Gesetz und auf blutiger Repression gegen ArbeiterInnenorganisationen fußte, wird aus der Ferne nicht so stark wahrgenommen und durch die staatsnahen Medien, aus denen viele AuslandstürkInnen ihre Informationen beziehen, nicht so transportiert.

Zusätzlich baute das AKP-Regime sich Unterstützung in Moscheen, Vereinen und anderen Strukturen auf – Die versuchte „Re-Islamisierung“ der Türkei durch die AKP gefiel vor allem religiösen Kreisen. Durch die staatliche Kulturorganisation ATIB, die de facto eine AKP-Vorfeldorganisation ist, wird AKP-Propaganda in der türkischen Diaspora verbreitet. Die religiösen FundamentalistInnen, mit denen AKP keine Berührungsängste hat, gewinnen an Einfluss, weil sie nicht von links herausgefordert werden. Die Hetze von FPÖ & Co treibt die Menschen noch mehr in die Arme der Blender. Beispielhaft dafür ist die Kampagne der rassistischen von der FPÖ gezüchteten „Bürgerinitiative Dammstraße“ in Wien, die gegen den Ausbau eines Glaubenszenrums der ATIB einen Generalangriff auf die muslimische Bevölkerung starteten. Die SLP verteidigte damals und noch immer die Religionsfreiheit und das Recht, religiöse Zentren zu bauen. Mit der ATIB machten wir jedoch nie gemeinsame Sache.

Internationalistische, Sozialistische Antworten nötig!

 

Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die für Erdogan auf die Straße gingen, würden in der Türkei unter seiner Politik leiden. Ihre Unterstützung für ihn ist Ausdruck von verzerrtem Bewusstsein. Die überwältigende Mehrheit sind keine FundamentalistInnen, laut der obigen Studie ist die größte Gruppe der TürkInnen in Österreich laizistisch (= für die Trennung von Kirche und Staat) (31%). Nur auf der Basis eines gemeinsamen Kampfes gegen Rassismus hier in Österreich, für gleiche Rechte und höhere Löhne für alle, die hier leben, können die, die am Sonntag noch für Erdogan auf die Straße gingen, den religiös-neoliberalen Rattenfängern entrissen werden. Es braucht Nachbarschaftszentren, Jugendzentren und andere Angebote, bei denen sich Menschen treffen können, sich austauschen und kennenlernen können. Das Fehlen solcher Infrastruktur verstärkt Ghettoisierung, Abschottung und Rassismus. Es braucht Gratis Deutschkurse statt Deutschzwang und flächendeckende Kinderbetreuung. Dem ÖGB und seinen Fachgewerkschaften fällt hier besondere Verantwortung im Kampf für diese Verbesserungen zu. Verantwortung, die er jahrzehntelang vernachlässigt hat, die aber mit dem Anstieg von internationalen Klassenkämpfen in Ländern, aus denen viele Menschen nach Österreich kamen, von Tag zu Tag wichtiger wird. Die SLP wird weiterhin in der Solidaritätsbewegung für den Aufstand in Türkei und gegen die rassistische Hetze in Österreich aktiv sein.