Mo 08.11.2010
Browne Review, Hutton Report, Comprehensive Spending Review: Begriffe, mit denen die britische Bevölkerung derzeit durch die Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten fast täglich bombardiert wird. Bis 2015 soll ein 109 Milliarden schweres Defizit komplett verschwinden. Dies soll mit in der britischen Nachkriegsgeschichte beispiellosen Angriffen auf arbeitende Menschen, Erwerbslose, Jugendliche und SozialhilfeempfängerInnen durchgesetzt werden.
Die Liste ist endlos: Verdient ein Elternteil über 44.000 Pfund im Jahr (ca.46.500 Euro), verliert ein ganzer Haushalt das Kindergeld. Das staatliche Gesundheitssystem soll zerschlagen und dem freien Markt, also multinationalen Gesundheitskonzernen, überlassen werden. Damit ist es mit einer kostenlosen, allen zugänglichen Gesundheitsversorgung endgültig vorbei. Studiengebühren sollen drastisch ansteigen, es machen Zahlen von 12.000 Pfund (ca. 12.700.- Euro) pro Studienjahr die Runde. Im öffentlichen Dienst steht drastischer Stellenabbau bevor. 500.000 Menschen bei den Gemeinden werden direkt betroffen sein. Ähnliches gilt für staatliche Behörden. In Birmingham bekamen alle 26.000 Gemeindebediensteten ihre Entlassungspapiere ausgestellt.
Am 20. Oktober verkündet die Regierung ihre Pläne. Klar ist: Der bereits durch Jahrzehnte neoliberaler Regierungen unter Thatcher, Blair und Brown ausgehöhlte Sozialstaat soll endgültig zerschlagen werden. Die Bevölkerung soll für die Milliardenpakete zahlen, mit denen Banken und Konzerne vor dem Ruin gerettet wurden.
Verhandeln? Kämpfen!
Die Gewerkschaftsspitzen wollen verhandeln. Premierminister Cameron sollte Gastredner beim Kongress des Gewerkschaftsbundes TUC sein. Nur lautstarker Protest kämpferischer Gewerkschaften, darunter vor allem die Transportarbeitergewerkschaft RMT, konnte dies verhindern. Dennoch wird in Regierungskreisen frohlockt. Man habe die Gewerkschaften unter Kontrolle und somit nichts zu befürchten.
Das ist falsch. Auch führende Polizeichefs warnen im Gegenteil vor Kürzungen bei der Polizei, mit der Begründung, diese werde noch zur Zerschlagung von Streiks und sozialen Unruhen gebraucht. Gerne verweisen die Polizeichefs auf Thatcher. Diese lies die Polizei unangetastet, verteilte im Gegenteil besonders hohe Löhne an PolizistInnen. Somit gab es eine loyale Truppe zur Zerschlagung von ArbeiterInnenkämpfen wie den Bergarbeiterstreik 1984.
Wirksamer Druck von unten
Unter der Oberfläche brodelt es im Land. Seit September wird die Londoner U-Bahn regelmäßig bestreikt. Die KollegInnen wehren sich gegen den Abbau von über 800 Stellen. In vielen Städten gründen sich bereits Widerstandskomitees. Es gibt lokale Demonstrationen, an denen sich jeweils Hunderte, manchmal tausende Menschen beteiligen. Zu Veranstaltungen kommen teilweise über 100 TeilnehmerInnen um die nächsten Schritte zu diskutieren.
In den Gewerkschaften spielt das National Shop Stewards Network (NSSN) eine wichtige Rolle. In diesem Basisnetzwerk betrieblicher AktivistInnen ist auch die Socialist Party, Schwesterorganisation der SLP, aktiv. Das NSSN hat die Unterstützung der kämpferischsten Gewerkschaften, zum Beispiel der RMT und der Gewerkschaft der Staatsangestellten PCS.
Dieses Netzwerk organisierte einen Protest von 700 GewerkschafterInnen während des TUC Kongresses in Manchester. Sie forderten eine kämpferische Haltung vom TUC, vor allem aber die Durchführung einer landesweiten Demonstration gegen die Kürzungen im Oktober. Dies sollte Startschuss für eine Widerstandsbewegung und die Durchführung von Streiks sein.
Durch den vom NSSN erzeugten Druck konnte die Gewerkschaftslinke einen Teilerfolg erzielen. Der TUC beschloss, eine gemeinsame Kampagne aller Gewerkschaften gegen das Sparpaket zu organisieren. Diese kann auch gemeinsame Streiks verschiedener Gewerkschaften beinhalten. Auch eine Demonstration soll es geben, allerdings erst im Frühling 2011.
GewerkschafterInnen können und wollen bis dahin nicht warten. Stellenabbau findet ja bereits statt. In London wird es deshalb am 23. Oktober eine vom NSSN mitinitiierte Demonstration geben. Daran beteiligt sich die RMT, die PCS und auch die Feuerwehrgewerkschaft FBU. Auch in anderen Städten wie zum Beispiel in Manchester wird es Demonstrationen geben.
Die Koalitionsregierung hat nur eine dünne Mehrheit. Bereits jetzt haben v.a. ParlamentarierInnen der Liberaldemokraten Angst, ihre Sitze zu verlieren. Die Umfragewerte sehen schlecht aus. Die geplante Erhöhung der Studiengebühren wollen viele deshalb nicht mittragen.
Diese Regierung ist angreifbar. Sie kann fallen. Dazu braucht es aber Massendemonstrationen und Massenstreiks. 1992 verweigerten 1.5 Millionen Menschen die Zahlung der Poll Tax, einer unfairen Massensteuer. Sie waren in der Anti Poll Tax Federation organisiert. Thatcher musste wegen der Kampagne ihren Hut nehmen. Ähnliches ist auch heute möglich. Teil einer solchen Bewegung muss aber auch die Diskussion über eine politische Alternative sein – denn es reicht nicht, die jetzige Regierung durch eine Labour-Regierung zu ersetzen!