Schweden: Regierung stolpert über Mietproteste

Eine Bewegung gegen Mieterhöhungen brachte nicht nur die neoliberale Mietreform, sondern kurzzeitig sogar die Regierung zu Fall.
Katja Strasser

Der Kampf gegen sogenannte „Marktmieten“ in Schweden geht auf den Jänner 2019 zurück. Damals einigten sich liberale Oppositionsparteien mit den Grünen und der Sozialdemokratie auf ein Abkommen, sodass diese beiden Parteien eine aus der Opposition gestützte Regierungskoalition eingehen konnten. Fatalerweise stellte sich damals die Linkspartei Vänsterpartiet nicht gegen dieses Programm – mit dem Argument, es sei immer noch das kleinere Übel gegenüber einer neuen Rechtsregierung. Tatsächlich beinhaltet dieses Jänner-Abkommen jedoch 73 Punkte voller neoliberaler Politik, die in ihren Angriffen auf Arbeitnehmer*innenrechte und Sozialleistungen sogar noch weiter gehen, als die Regierung des Rechtsbündnisses 2006-14 wagte. Rättvisepartiet Socialisterna (RS), ISA in Schweden, war hingegen vom ersten Tag an gegen das Abkommen und die Regierung aktiv.

Im Rahmen des Jänner-Abkommens wollte die Regierung bisher existierende Mietpreisdeckel aushebeln. Zwar war die sozialstaatliche Wohnungspolitik der Jahre 1945-80 bereits mehr und mehr zurückgenommen worden. Trotzdem gab es immer noch Schutzmechanismen bei den Mieten, denn sie wurden durch Verhandlungen zwischen der Mieter*innengewerkschaft und der Vermieter*innenvereinigung festgelegt. Nun sollten „Marktmieten“ in allen neuen Gebäuden eingeführt werden – das heißt, die Mieten sollten sich nach dem „freien Markt“ richten. Zurecht gab es die Befürchtung, dass dies nur der erste Schritt sei und eine Ausweitung auf alle Gebäude anstehe. Die Mieter*innengewerkschaft zeigte auf, dass dies einen Preisanstieg von 30-50 % und noch mehr bedeuten würde. Schon jetzt machen private Unternehmen Profite mit der Miete – etwa durch Pseudo-Renovierungen, wodurch Mietpreise um 40-60% steigen, oder indem sie Immobilien an Risikokapitalgesellschaften verkaufen.

 

RS hat das Mietenthema als ein Feld identifiziert, in dem sich der generelle Frust über wachsende soziale Ungleichheit kanalisiert. Deswegen startete RS eine Kampagne gegen Marktmieten, unter anderem mit den Forderungen: "Nein zu Marktmieten, Zwangsräumungen und Privatisierungen" und „Staatliche Investitionsprogramme und Subventionen für den Bau von Sozialwohnungen“. Entgegen der oft vorherrschenden pessimistischen Stimmung in der Linken gegenüber dem Potential solcher Kampagnen vertraute RS auf die Stärke sozialistischer Ideen und der Arbeiter*innenklasse.

Gleich zu Beginn der Kampagne konnten vor allem in Göteborg und Stockholm zahlreiche Mieter*innen zu kämpferischen Demonstrationen mobilisiert und erste Erfolge eingefahren werden. Dies inspirierte auch andere Landesteile. Ab Jänner 2021 wurden auf Zoom landesweite Großveranstaltungen organisiert.

So wurde auch der erste landesweite Protesttag am 18. April ins Leben gerufen. In über 160 Städten wurden lokale Proteste organisiert. Oft entschied man sich aufgrund der Covid-Restriktionen für mehrere, kleinere Proteste statt einzelner Großdemos. Dennoch griffen Medien die Proteste auf und das Thema wurde zum Gegenstand landesweiter Diskussion. Vielen wurde dadurch auch bewusst, welche Auswirkungen die Einführung von Marktmieten bereits in anderen Ländern hatte: Im benachbarten Finnland stiegen die Mieten in Helsinki etwa um 40 %. Weitere Protesttage folgten von 3. bis 5. Juni.

Die Bewegung setzte die Regierung des Jänner-Abkommens so stark unter Druck, dass die Opposition am 21. Juni ein Misstrauensvotum im Parlament einbrachte. Die Bewegung mobilisierte für das Misstrauensvotum, welches auch erfolgreich war: Zum ersten Mal wurde so eine Regierung in Schweden gestürzt. Eine Rolle dabei spielte auch die Linkspartei, die durch die Bewegung ebenfalls so unter Druck geraten war, dass sie ihre Rolle als Bettvorleger der Regierung ablegte. Der Schwenk auf einen kämpferischen Kurs machte sich sofort bezahlt: Innerhalb weniger Wochen traten 3.000 neue Aktivist*innen der Linkspartei bei. Dem gestürzten Premierminister Löfven gelang es zwar, nach einer Absage an das Jänner-Abkommen bei einem zweiten Votum wieder ins Amt zu kommen – dennoch befindet sich die Regierung auf extrem wackeligen Füßen, während soziale Bewegungen und die Linke gestärkt sind. Dieses Beispiel zeigt, wie RS-Aktivist Per- Åke Westerlund schreibt, „dass Politik nicht davon abhängt, was Parteien zu geben versprechen, sondern davon, was Klassenkämpfe erreichen können“. Der nächste landesweite Protesttag, zu dem auch RS mobilisiert, findet am 18. September statt. Im kalten Norden deutet alles auf einen heißen Herbst hin.

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