Di 28.07.2009
Yasha aus Israel machte die Einleitung zu dieser Kommission und Judy Beishon aus Großbritannien hielt die abschließende Zusammenfassung nach der reichhaltigen und facettenreichen Debatte, in der unterschiedliche RednerInnen aus dem Nahen Osten das Wort ergriffen.
Die Ereignisse im Nahen Osten sind durch die weltweite Krise und die für die Region spezifischen kapitalistischen Krisensituationen beschleunigt worden. Derartige Geschehnisse, die schlagartig losbrechen, werden Auswirkungen haben, die noch über Generationen spürbar sein werden. Der Öl-Boom beförderte die Investitionstätigkeit in Ländern wie dem Libanon und ermöglichte es GastarbeiterInnen, Geld nach Hause zu überweisen. Der ökonomische Niedergang hat diesen Geldfluss versiegen lassen. Die politische wie militärische Schwächung des Imperialismus hat weitere Explosionen vorbereitet. Im Rahmen des Kapitalismus, der jetzt schon den Samen für zukünftige Konflikte sät, kann die Spirale aus Krieg und Terror nicht durchbrochen werden. Eine gewisse Schwächung von Teilen des politischen Islam in Kombination mit einer neuen Welle von Klassenkämpfen in einigen dieser Länder führt dazu, dass für sozialistische und marxistische Ideen wieder ein größerer Handlungsspielraum entsteht - und damit auch für das CWI.
Die Wahl von Obama hat die Wahrnehmung der Vereinigten Staaten verändert. Obama will Zeit, um sein Programm durchzusetzen. Während der US-amerikanische Vizepräsident Biden sagte, dass die USA gegen einen Angriff Israels auf den Iran nichts einwenden würden, wurde dies von Obamas Beratern eilig heruntergespielt. Unter dem Druck der Ereignisse könnte Obama sich wieder stärker auf die rechte und rassistische Regierung Netanjahu in Israel stützen, um die Unterdrückung der PalästinenserInnen zu entschärfen. Doch diese Regierung ist instabil, will keine Zugeständnisse machen und befindet sich nicht unter völliger Kontrolle der USA. Die schlimmste Rezession in der Geschichte Israels vertieft die Klassenwidersprüche an der Basis des israelischen Staates, unterminiert die traditionellen kapitalistischen Parteien und eröffnet Möglichkeiten für gemeinsame Kämpfe von Menschen aus der Arbeiterklasse. Obama sucht eine Übereinkunft mit Syrien und dem Iran, um die Region zu stabilisieren, was mit einem unzuverlässigen israelischen Regime wesentlich schwieriger zu erreichen sein wird. Die Niederlage des US-Militärs im Irak hat die Massen ermutigt. Jahrzehntelange Besatzung und Unterdrückung lassen die Imperialisten vor Zugeständnissen zurückschrecken, da diese den Widerstand gegen den Imperialismus stärken würden. Von Seiten der Spitze des israelischen Staates, den Führungsfiguren der PalästinenserInnen und des US-Imperialismus wird es wiederholt zu Versuchen kommen, einen Ausgleich zu erreichen. Dieser Prozess wird aber den nationalen Anliegen der PalästinenserInnen nicht entsprechen, und ihr Kampf wird weiter gehen.
Die jüngsten Massendemonstrationen im Iran versetzten die benachbarten Staaten genauso in Angst und Schrecken wie die iranische Elite. Als Mussawi die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren drohte, die „Nieder mit Ahmadinedschad“ und „Nieder mit dem Diktator“ skandiert, warnte er die Obrigkeit, dass „es nicht zu spät ist, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen; die Sicherheit des Systems hängt davon ab“. Es handelt sich hierbei um eine breite Volksbewegung, an der sich neben jungen Frauen, Studierenden und SchülerInnen vereinzelt auch ArbeiterInnen beteiligen. Eine Armutsrate von 70 Prozent mit einem Drittel der Bevölkerung, das arbeitslos ist, und Beschäftigten im informellen Sektor, die zwei oder drei Jobs haben, um überleben zu können, haben schon vor den Wahlen dazu geführt, dass ArbeiterInnen mehrere große Streiks geführt haben. Die Frage des Generalstreiks wird breit diskutiert und ist der Schlüssel. Wie die Beispiele in anderen Ländern gezeigt haben, reicht der bloße Aufruf zum Generalstreik nicht aus. Dieser muss vorbereitet werden, und es muss auf Grundlage eines klaren Programms dafür mobilisiert werden, wobei die Rolle der Arbeiterklasse berücksichtigt werden muss.
In Ägypten ist es zu starken Auseinandersetzungen gekommen. Nach den Streiks der TextilarbeiterInnen von Malhalla im Jahr 2007 fordern Beschäftigte in einer Welle von betrieblichen Auseinandersetzungen bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Rund 1,5 Millionen ArbeiterInnen haben an offensiven wie auch Verteidigungskämpfen teilgenommen; darunter die ArbeiterInnen in der Zementindustrie, ÖlarbeiterInnen, LehrerInnen und weitere Beschäftigte im Bildungsbereich, junge JournalistInnen, Busfahrer und andere. In den Streiks wird zunehmend das Recht auf unabhängige Organisierung eingefordert und dass die ArbeiterInnen ihre VertreterInnen selbst bestimmen können. In einem Fall wurde sogar die Rückverstaatlichung einer Fabrik gefordert. Von weitreichender Bedeutung ist die Bildung der ersten unabhängigen Gewerkschaft seit 50 Jahren. Darüber hinaus gibt es innerhalb einer Schicht ägyptischer AktivistInnen eine Debatte über die Unfähigkeit des Kapitalismus, die Bedürfnisse der ArbeiterInnen zu befriedigen, und ferner über die Notwendigkeit für „demokratischen Sozialismus“ und sogar Aufrufe für „eine sozialistische revolutionäre Partei“. Dies gibt einen Eindruck davon, wie ArbeiterInnen in Ägypten und der ganzen Region im Kampf Ideen entwickeln. Die Bewegung junger Leute für demokratische Reformen und „Freiheit“ wie auch für höhere öffentliche Ausgaben und Löhne hat eine entscheidende Diskussion darüber ausgelöst, wie Demokratie-Forderungen mit Arbeitskämpfen verbunden werden können. Ein Kampf der Fischer in Alexandria (socialistworld.net berichtete) zeigt das Potential für die Zukunft.
Einige rechte Falken und Kommentatoren in Israel reden einem Schlag der USA gegen den Iran offen das Wort. Ziel dabei ist nicht allein die Zerstörung des Atomprogramms, sondern die Unterminierung des iranischen Einflusses in der Region. Obama hat aus der Politik Bushs gelernt, der Regimewechsel mit militärischen Mitteln durchsetzen wollte. Aber trotz des Widerstands der damaligen US-Regierung unter Reagan bombardierte die israelische Armee 1981 die irakischen Atomanlagen in Osirak. Ein Angriff auf den Iran liegt im Bereich des Möglichen. Rein logistisch wäre dies bei weitem schwieriger durchzuführen als im Falle des Schlags gegen den Irak 1981. Auch würde dies Empörung in der ganzen Welt hervorrufen und einen ernsthaften Vergeltungsschlag durch den Iran provozieren. Allerdings kann auch das destabilisierte Regime Ahmadinedschad zu einer Konfrontation mit Israel getrieben werden.
Die palästinensische Misere
In den palästinensischen Gebieten leiden die Menschen immer noch unter der Belagerung und den katastrophalen Auswirkungen des grausamen Angriffs im Januar durch die IDF (israel. Armee; Anm. d. Übers.). Die israelischen bewaffneten Kräfte töteten 1470 EinwohnerInnen des Gazastreifens, darunter hauptsächlich Frauen und Kinder. 50.000 Häuser wurden zerstört, 200 Schulen und 800 Betriebe oder Fabriken. 30.000 BewohnerInnen Gazas blieben obdachlos auf den Straßen zurück und weitere tausende leben in Zelten. Nicht ein Pence von den insgesamt 455 Milliarden US-Dollar, die die Großmächte für den Wiederaufbau zusammengelegt haben, hat den Gazastreifen erreicht. Die vom israelischen Regime und der (ägyptischen; Erg. d. Übers.) Regierung Mubarak unter Kollaboration der Fatah vollzogene Belagerung hat alles von Matratzen bis zum Zement von Gaza abgeschnitten. Ein Kampf der Massen könnte die Belagerung durchbrechen. Doch die Hamas schlägt diesen Weg nicht ein. Statt dessen wird wohl eine weitere Form der Machtteilung auf die Tagesordnung kommen, die der Imperialismus durchzusetzen wissen wird.
Die tiefen, vom Imperialismus beförderten Spaltungen fördern auch die Gefahr weiterer Konflikte innerhalb dieser Staaten. Da die US-Truppen im Irak den Konflikt zwischen SunnitInnen, SchiitInnen und KurdInnen nur weiter angeheizt haben, kann das Land in einen umfassenden Bürgerkrieg im Kampf um das Öl und die Bodenschätze abgleiten. Das CWI stellte sich stets gegen imperialistische Besetzungen und ruft zum Aufbau einer starken multi-ethnischen sozialistischen Kraft auf, die für Klasseneinheit kämpft.
Im Libanon fordern religiös-sektiererische Parteien auf Kosten der anderen religiösen Gemeinschaften mehr Mittel für die AnhängerInnen ihrer Religionsgemeinschaft ein. Der Sieg der pro-westlichen Koalition bei den jüngsten Wahlen ist hohl und basiert darauf, dass diese tatsächlich nur eine Minderheit der Bevölkerung hinter sich bringen konnte. 500.000 palästinensische Flüchtlinge siechen in Lagern und ohne Grundrechte dahin. Ihnen ist der Zugang zu etlichen Berufen versperrt. Da hingegen kommt es zu Arbeitskämpfen, die unabhängig von den traditionellen Gewerkschaften und der „Kommunistischen Partei“ losbrechen. Ohne eine Stimme aber, die politisch an die Massen gerichtet ist, sind die sektiererischen Parteien weiter in der Lage, Klassenfragen abzuwürgen, um das ihnen eigene spalterische Programm zu verfolgen. Der Druck auf diese Parteien wir zunehmen. In den Jahren des Öl-Booms sind über 600.000 libanesische ArbeiterInnen ins Ausland gegangen, darunter viele in Richtung der Golfstaaten. Die Hälfte von ihnen plant ihre Rückkehr, weil die Rezession sie hat arbeitslos werden lassen, doch im Libanon wird es keine Jobs geben. Gleichzeitig beharren die „Geldgeber“ auf Kürzungen und Privatisierungen als Gegenleistung für die teilweise Aufhebung der Auslandsschulden des Landes.
Die 40 Millionen KurdInnen im Nahen Osten leiden seit Jahrzehnten unter der Unterdrückung. Kurdische Forderungen nach Selbstbestimmung haben in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Formen angenommen. Im Iran geht es ihnen eher um eine Föderation, im Irak um Autonomie. KurdInnen im Iran wollen das Ende des momentanen Regimes und sehen sowohl Mussawi als auch Ahmadinedschad als Staatsterroristen gegen die kurdische Bevölkerung an.
Der politische Islam ist in einigen Fällen in der Region geschwächt worden oder sieht sich ernsten Herausforderungen gegenüber. Die Bewegung im Iran wirft schwerwiegende Fragen hinsichtlich der reaktionären Ideologie auf, auf der sich das Regime und eine Reihe von Organisationen gründen. Darüber hinaus könnten sogenannte, vom Iran unterstützte Widerstandsorganisationen in die Situation geraten, dass diese iranische Unterstützung endet, sollte das Regime gestürzt werden. Sowohl die Hisbollah wie auch die Hamas stehen aufgrund der quälenden Armut und Verzweiflung ihrer Anhängerschaft von unten her unter Druck. Die rechtsextremistische „al-Qaida im Irak“ ist stark geschrumpft. Unterdessen wird die Muslim-Bruderschaft (MB) in Ägypten ernsthafte Tests durchlaufen. Ein Teil des herrschenden Establishments möchte die MB in staatliche Verantwortung nehmen, um das Regime zu stabilisieren. Von einigen führenden Köpfen würde dies begrüßt werden. Andererseits werden Arbeitskämpfe und sozialistische Ideen die Führung der MB unter Druck setzen. Eine Spaltung ist hier nicht auszuschließen, was nur die Spaltung an der Spitze der ägyptischen Gesellschaft darüber widerspiegeln würde, dass Hosni Mubarak die Zügel der Macht an seinen Sohn Gamal weitergeben will.
Die imperialistische Vorherrschaft über und die imperialistischen Interessen in der Region sind an erster Stelle motiviert durch das dort vorhandene Öl, das für den weltweiten Kapitalismus unerlässlich bleibt. Die Befreiung unterdrückter Minderheiten, wie etwa der KurdInnen, der TurkmenInnen oder der PalästinenserInnen ist im Kapitalismus unmöglich. Der Imperialismus beabsichtigt, die Region voll im Griff zu haben und kann nur durch den massenhaften vereinten Kampf der ArbeiterInnen vertrieben werden.
Der Workshop widerspiegelte die Wut über die verzweifelte Lage, in der die Massen im Nahen Osten stecken. Es wurde aber auch reflektiert, dass die Massen für eine bessere Zukunft kämpfen wollen und können. Die Macht der Massenbewegung im Iran, neu aufkommende Arbeiterorganisationen und sich in Ägypten entwickelnde sozialistische Ansätze sind für uns Anlass für Optimismus im Kampf für Klasseneinheit und Sozialismus.