Polen: Was steckt hinter dem Erfolg der PiS?

Paul Smith, Alternatywa Socjalistyczna

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Kancelaria Sejmu, CC BY 2.0

Polens regierende rechts-populistische Partei Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist bei den Parlamentswahlen vom 13. September mit 43,6 Prozent der abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt worden und hat damit eine Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus.

Die neoliberale Bürgerplattform (der Donald Tusk angehört; Erg. d. Übers.) wurde zweitstärkste Kraft und kam auf 27,4 Prozent der Stimmen. Lewica Razem (dt.: „Linke Gemeinsam“), ein Wahlbündnis aus progressiven und linken Parteien, erreichte 12,6 Prozent.

Trotz allem war die PiS nicht in der Lage, die Mehrheit der Senatssitze zu erlangen und verpasste ihr eigenes Ziel deutlich, in der Zweiten Kammer die Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Damit hätte sie die Verfassung im Alleingang ändern können.

Vor vier Jahren ist die PiS auf einer Welle der Unzufriedenheit an die Macht gekommen. Die Stimmung damals richtete sich gegen die neoliberale Politik und die Austerität der vorangegangenen Regierung der Bürgerplattform. Stattdessen bot man ein Gemisch aus nationalistischer und konservativer Rhetorik sowie soziale Reformen, die den ärmeren Teilen der Bevölkerung zu Gute kommen sollten. Dazu zählte auch das Versprechen, das Renteneintrittsalter absenken zu wollen.

Bald nach ihrem Regierungsantritt versuchte die PiS, die unmittelbare Kontrolle über die Gerichte in Polen zu bekommen, was Massenproteste im ganzen Land hervorrief, an denen sich in erste Linie die Mittelschicht beteiligte. Doch die Versuche der Regierung, Abtreibungen ohne Ausnahme zu verbieten, stieß auf ein noch stärkeres Echo: Es kam zu einer Massenbewegung wütender junger Frauen, die in den „Schwarzen Montag“ mündete, den Frauen-Streiktag im November 2016, der die Regierung zwang, ihre Pläne wieder zurückzunehmen.

Die Partei hat die Medien voll unter Kontrolle. Radio und Fernsehen werden von ihr schamlos zu parteipolitischen Zwecken genutzt. Vor kurzem hat die PiS Ängste vor einer Invasion von Menschen aus der LGBT-Community geschürt. Diese Invasion würde – so wurde behauptet – die polnische Lebensweise und die Familie zerstören. Das Thema Gender ist ein weiteres, dass die Regierungspartei mit Vorliebe zum Schreckgespenst umfunktioniert.

Abgesehen von den autoritären und reaktionären Maßnahmen hat die PiS viele ihrer Wahlversprechen eingehalten. Sie hat umgehend eine neue Sozialleistung für Kinder eingeführt, die die Lebensstandards vieler armer Familien verbessert hat. Und sie hat das Renteneintrittsalter wie zuvor zugesagt gesenkt. Auch wurden die Bestimmungen für Ladenöffnungszeiten an Sonntagen verschärft, was den Beschäftigten in den Geschäften zugute kam. Viele ärmere Menschen, die Arbeiterklasse und die gesellschaftlich Ausgeschlossenen haben das Gefühl, dass es endlich eine Partei gibt, die für ihre Interessen eintritt. Für die politische Linke ist dies eine schallende Ohrfeige und zeigt, wie dringend nötig es ist, eine Arbeiterpartei zu gründen.

Und dennoch sind bereits einige Teile der Arbeiterklasse (z.B. die Lehrkräfte, Beschäftigte im Gesundheitsbereich und Mitarbeiter*innen der staatlichen Fluggesellschaft) in die Schusslinie der PiS geraten und haben die feindselige Seite dieser Regierung kennengelernt. Trotz gestiegener Sozialausgaben haben die am Markt orientierten Baufinanzierungshilfen der Regierung nicht dazu geführt, dass die Wohnungskrise beendet worden wäre. Das Gesundheitssystem des Landes befindet sich in einem miserablem Zustand.

Im Laufe von 2019 hat die PiS-Regierung mit einem Finanzpaket im Wert von rund zehn Millionen Euro die Wirtschaft stimulieren wollen. Das entspricht zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und bestand vor allem aus der Ausweitung der Sozialleistung für Kinder wie auch zusätzlicher Rentenauszahlungen. Die Regierung hat auch Pläne zur schrittweisen Anhebung des Mindestlohns verkündet. Das Ziel ist es, bis 2023 auf grob 900 Euro zu kommen.

Dank dieser Politik ist die polnische Wirtschaft trotz der Abkühlung in der Eurozone und zurückgehender Exporte relativ rege. Bislang wurde all dies vor allem durch eine verbesserte Politik der Steuereinziehung in Folge des harten Durchgreifens gegen Mehrwertsteuer-Betrug durch fingierte Unternehmen finanziert, den Verkauf des Offenen Rentenfonds und den Transfer staatlicher Anteile am staatseigenen sozialen Versicherungssystems. Hinzu kommen kreative Abrechnungsmethoden und eine geringfügig erhöhte Kreditaufnahme. Und dennoch wird dies nicht von Dauer sein können und früher oder später zu einer Krise der öffentlichen Finanzen führen.

Als ein Ergebnis dieser gesellschaftlichen Transferleistungen und des anhaltenden Wirtschaftswachstums genießt die Regierungspartei – trotz zahlreicher Korruptionsskandale, offenkundigem Filz und Vetternwirtschaft – weiterhin starke Unterstützung von breiten Teilen der Bevölkerung.

Im Gegensatz dazu ist die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform, damit gescheitert, die Arbeiter*innen davon zu überzeugen, dass sie diese Wirtschaftsreformen nicht zurücknehmen würden. Die Erinnerung an die Austerität und die arbeitnehmerfeindliche Politik der letzten Regierung der Bürgerplattform von 2007 bis 2015 ist immer noch präsent.

Das neue Wahlbündnis Lewica landete mit 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen auf dem dritten Platz. Hierbei handelt es sich um eine Plattform, die kurz vor den Wahlen von der SLD, der linksliberalen Wiosna sowie Razem gebildet wurde. Bei der SLD handelt es sich um die post-stalinistischen Sozialdemokrat*innen, die selbst eine neoliberale Politik verfolgt haben, als sie Anfang der 2000er Jahre die Regierung stellten. Nach nur einer Legislaturperiode sind sie von den Arbeiter*innen entschieden in die Schranken gewiesen worden und erlitten ein wahlpolitisches Erdbeben. Wiosna ist eine neue liberale, anti-klerikale Partei unter der Führung von Polens erstem offen homosexuell auftretenden Bürgermeister, der sich selbst mit Macron vergleicht. Hinzu kommt Razem, eine neue linksreformistische Formation, die vor vier Jahren gegründet worden ist und sich an Podemos, Syriza und dem „skandinavischen Sozialstaatsmodell“ orientiert.

Bedauerlicherweise war Razem in den letzten vier Jahren nicht in der Lage, auf der Wahlebene Fortschritte zu machen. Auch ist sie darin gescheitert, bei der Arbeiterklasse den Durchbruch zu schaffen. Teilweise liegt das daran, dass die PiS einige Dinge getan hat, die ansonsten als „traditionell links“ zu bezeichnen wären (wie etwa die Anhebung des Mindestlohns, die Absenkung des Renteneintrittsalters, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auf dem Land, Einführung neuer Sozialleistungen).

Aber auch der Versuch von Razem , sich als moderate Partei zu geben, die im Rahmen des Kapitalismus agiert, hat das seinige dazu beigetragen. Während man in der Lage war, einiges an Unterstützung von radikaleren Teilen der Mittelschicht in den größeren Städten zu bekommen – Parteichef Adrian Zandberg kam in Warschau auf beeindruckende 141.000 Stimmen, war Razem nicht in der Lage, eine Basis in der Arbeiterklasse und den kleineren Städten aufzubauen.

Vor vier Jahren, als die SLD und Razem getrennt voneinander bei Wahlen angetreten sind, scheiterten beide an der Prozenthürde und kamen nicht ins Parlament. Dabei waren sie gemeinsam auf 11,2 Prozent der Stimmen gekommen. Danach verspürten beide Parteien zunehmend den Druck, ihre Kräfte bündeln zu müssen. Und heute haben sie es auf einer gemeinsamen Liste mit Wiosna geschafft, 48 Sitze zu erringen. Ihren Stimmenanteil konnten sie auch mit der gemeinsamen Liste nur um marginale 1,5 Prozent steigern.

Natürlich ist es positiv, dass es nun Abgeordnete im Parlament gibt, die links von der Bürgerplattform stehen – vor allem, da die Konfederacja, ein Bündnis rechter Parteien, auf 6,8 Prozent und elf Sitze gekommen ist. Allerdings stellt Razem nur sechs der insgesamt 48 Abgeordneten, die das Bündnis Lewica nun hat. Die meisten von ihnen kommen von den liberalen Parteien, die von der Wahlkampfunterstützung von Razem profitiert haben.

Die Frage lautet nun, ob diese sechs Parlamentsabgeordneten von Razem in der Lage sein werden, ihre Position dafür zu nutzen, der organisierten Arbeiterklasse eine effektive Stimme zu verleihen – sowohl innerhalb wie auch außerhalb des Parlaments – und eine linke Alternative zu der Krise des Kapitalismus anzubieten. Werden sie sich energisch für die streikenden Lehrkräfte und Beschäftigten im Gesundheitswesen einsetzen? Werden sie eine klare Alternative zur sozialen Ungerechtigkeit des Kapitalismus vorbringen und einen Weg für den Kampf der Arbeiter*innen aufzeigen? Oder werden sie dem Druck erliegen, „seriös“ und „wählbar“ bleiben zu müssen und somit weiter in die Mitte (das heißt nach rechts) rücken?

Leider deuten die Bemerkungen der frisch gewählten Razem-Abgeordneten Marcelina Zawisza eher auf letztere Möglichkeit hin. Anstatt ihre Absicht zu erklären, als Anwältin der Arbeiterklasse im Parlament aufzutreten, schrieb sie, dass es nun an der Zeit sei, Streitereien mit anderen Parteien beiseite zu lassen und dass sie sogar in Betracht ziehe, mit den Neoliberalen von der Bürgerplattform und der konservativ-nationalistischen Gruppierung PSL-Kukiz zu kooperieren.

Trotz des Stimulierungsprogramms schwächt die polnische Wirtschaft sich ab, und es ist unwahrscheinlich, dass sie die bevorstehende globale und europäische Wirtschaftskrise schadlos übersteht. Die PiS wird es in ihrer zweiten Amtszeit schwerer haben. Es wird neue Attacken auf die Arbeiterklasse geben und massenhaften Widerstand dagegen. Aus diesem Grund wird die Frage, ob es eine unabhängige sozialistische Alternative der Arbeiterklasse geben muss, umso dringlicher.