Mi 12.06.2013
Die Proteste gegen die AKP-Regierung Tayip Erdogans reißen nicht ab. Nachdem Erdogan Ende vergangener Woche nach einer Dienstreise in die Türkei zurückgekehrt war, hatte er vor vor Tausenden zum Flugplatz mobilisierten AnhängerInnen die DemonstrantInnen im ganzen Land als ausländische Terroristen und Provokateure beschimpft und klargestellt, dass er keine Kompromisse zu machen bereit sei, womit er gleichzeitig auch seine Parteifreunde Gül und Co., die während seiner Abwesenheit einen deutlich liberaleren Ton gegenüber den DemonstrantInnen angeschlagen hatten (gewiss waren auch dies nur Worte, denn die Polizeigewalt ging unvermindert weiter), auf ihre Plätze verwies.
Unterdessen gingen und gehen die Proteste im ganzen Land weiter, ebenso wie die brutale Polizeigewalt. Hatte sich diese bis zum Dienstag früh im Bereich um Taksim zurückgehalten, protestierten auch in den zahllosen Stadtteilen Istanbuls immer wieder zehntausende Menschen und wurden brutal von der Polizei angegriffen, mit der sie sich teilweise heftige Straßenschlachten lieferten. Bis heute wurden während der 1 ½ Wochen des Protestes 5.000 DemonstrantInnen verletzt und drei getötet.
Mit dem Beginn der Räumung des Taksim-Platzes in Istanbul am Dienstagmorgen hat sich die Regierung nun für eine neue Eskalationsstufe der Gewalt gegen die Bewegung entschieden. Nach der enormen Wut, die sich in den letzten Tagen Bahn gebrochen hat, ist es jedoch kaum zu erwarten, dass sich die Hunderttausende, die gegen Erdogan und die AKP auf die Straße gehen, so leicht geschlagen geben. Schon die Räumung von Taksim selbst erwies sich für die Polizei als kaum durchführbar, über Stunden strömten (und strömen) immer wieder von allen Zufahrtsstraßen Protestierende auf den riesigen und unübersichtlichen Platz, so dass dieser sich immer wieder neu füllt. Trotz des Einsatzes von Tränengas, Knüppeln, Wasserwerfern und Panzerfahrzeugen verrichtet die Polizei – angesichts der nicht enden wollenden Flut von Menschen, die sich mit dem Protest solidarisieren – Sisyphusarbeit.
Eine weitere Konfrontation steht der Bewegung mit den angekündigten Pro-AKP-Massenkundgebungen in Istanbul und Ankara am Wochenende bevor.
Wie weiter?
Die Bewegung in der Türkei ist zur Zeit vor allem getragen von jungen Menschen, die bisher nicht politisch aktiv waren. Sie ist zu einem hohen Maß von Spontaneität, Mut und Eigeninitiative geprägt. Was in der gesamten Türkei in den letzten zehn Tagen vor sich gegangen ist, erinnert an das französische Sprichwort über die Jugend „Wenn sie einmal aus der Tube ist, kriegt man sie nicht mehr hinein.“
Es ist großartig, wie viele Menschen aktiviert wurden; besonders hervorzuheben sind auch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die dem Streikaufruf von KESK gefolgt sind, ebenso wie die in DISK organisierten ArbeiterInnen, deren Gewerkschaft ebenfalls zum Streik aufrief, um die Bewegung zu unterstützen.
Doch ist diese nun an einem Punkt angelangt, an dem sich zwei Fragen aufdrängen, die dringend diskutiert werden müssen: Wie weiter? und Was soll folgen, falls die Regierung tatsächlich gestürzt werden sollte?
Das CWI in der Türkei – Sosyalist Alternatif (SoA) – schlägt vor, Nachbarschaft-Komitees-, Fabrik-Komitees und Komitees an allen Arbeitsplätzen zu bilden, um Solidarität gegen die Polizeigewalt zu organisieren, die neuesten Entwicklungen und die nächsten Schritte zu diskutieren und fordert Gewerkschaften, Halk Evleri, HDK und andere linke Organisationen auf, solche Komitees zu initiieren, in Gemeinden, Regionen, landesweit; bei jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Entsandten.
Sie schlagen einen eintägigen Generalstreik ALLER Gewerkschaften als nächsten Schritt der Steigerung des Protestes vor.
SoA fordert außerdem: Weg mit der Erdogan-Regierung, für eine Regierung der Arbeiter und der Armen!
Internationale Solidarität!
Wir in der BRD (und das gilt auch in Österrech, Anm.) sind gefordert, Solidarität zu zeigen mit den Kämpfenden in der Türkei. In den letzten Tagen haben in ganz Deutschland teilweise große Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden. Beteiligt Euch vor Ort an Solidaritätsaktionen. Warme Worte von deutschen Politikern, die mit ihren Mahnungen an die türkische Regierung doch nur eigene Interessen verfolgen, nützen den von den heftigen Repressionen betroffenen Menschen in der Türkei nicht. Wenn wir – selbst GewerkschafterInnen, AktivistInnen oder LINKE-Mitglieder – jedoch unsere Solidarität artikulieren, kann dies die Moral der Bewegung steigern und diese unterstützen.