Di 17.10.2006
Wie viele Polizisten sind notwendig um ca. 200 Neonazis einen Aufmarsch durch den Hamburger Osten zu ermöglichen? Am Samstag den 14.Oktober waren rund 1.700 Polizisten inklusive mehrerer Wasserwerfer mehr als 6 Stunden im Einsatz, um den Neonazis einen kurzen Weg durch die Straßen zu bahnen.
Klarer Volkentscheid gegen Neonazis wurde ignoriert
An einem normalen Samstag strömen Menschen unbeschwert durch Wandsbek, um ihre Besorgungen zu tätigen. Nicht an diesem Samstag: Straßen und S-Bahnstationen sind abgeriegelt, Tausende Menschen skandieren lautstark „Nazis Raus“, Wasserwerfer beschießen Sitzblockaden, Demonstranten werden von der Straße verhaftet.
Nicht mit einem Wahlschein, sondern mit dem Widerstand auf der Straße haben die Menschen im Hamburger Osten abgestimmt: Keinen Fußbreit den Faschisten! Leider hat der Hamburger Senat eine lange Tradition darin Volksbegehren zu missachten . So wurde auch dieser eindeutige Volksentscheid gegen die Neonazis ignoriert. Das Ergebnis waren gut 6 Stunden Ausnahmezustand, bis die Demonstration der NPD nach der halben Strecke abgebrochen wurde. Es spricht für sich, dass der Hamburger Senat lieber eine bürgerkriegsähnliche Situation provoziert als den Willen der Hamburger Bevölkerung zu akzeptieren.
Die Doppelmoral der herrschenden Politik
Auf der einen Seite beklagen PolitikerInnen der bürgerlichen Parteien die Wahlerfolge der NPD . Zivilcourage wird gefordert. Stellen sich nun auf der anderen Seite couragierte Menschen den Neonazis in den Weg werden sie mit Wasserwerfern und Verhaftungen schikaniert. Der überzogene Einsatz in Hamburg ist kein Einzelfall. Am selben Tag wurde in Nürnberg für rund 8 Stunden die halbe Stadt lahmgelegt, damit 100 Neonazis marschieren konnten. Mit Polizeigewalt wird den Neonazis ermöglicht ihre rassistischen Lügen zu verbreiten, das ist ein Armutszeugnis. Die Schlussfolgerung liegt klar auf der Hand: wir dürfen uns auf die Lippenbekenntnisse der PolitikerInnen nicht verlassen, sondern müssen den Widerstand in die eigene Hand nehmen. Und eines dürfen wir nicht vergessen: die schlimmste Gefahr für MigrantInnen geht nicht von den Übergriffen durch Neonazis aus, sondern von der grausamen Abschiebemaschinerie dieses Staates.
Nullnummer nationaler Sozialismus
Die NPD und freien Kameradschaften marschierten unter dem Motto „ Für nationale Arbeitsplätze- gegen internationale Profite“ Die NPD spielt sich also als Partei des kleinen Mannes auf . Aber was hat sie programmatisch zu bieten?
Das Programm unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem der NSDAP oder dem aktueller faschistischer Organisationen. Es fällt auf, dass das Programm der NPD keine Analyse der Situation anbietet. Die meisten Forderungen sehr unkonkret z.B.: „Nicht das Volk dient der Wirtschaft, vielmehr muss die Wirtschaft dem Volk dienen.“ Aber wie soll das verwirklicht werden? Durch einen Appell an das soziale Gewissen der Unternehmer: „Ziel nationaldemokratischer Wirtschaftspolitik ist die Synthese von unternehmerischer Freiheit und sozialer Verpflichtung. Deshalb bekennt sich die NPD zu einem freien und sozialverpflichteten Unternehmertum.“
Wie diese Wunschvorstellung vom sozialen Unternehmer zu verwirklichen sein soll, bleibt das Geheimnis der NPD. Im Gegenteil machen die Konzerne eben dadurch Profite indem sie Mensch und Natur möglichst stark auspressen . Will die NPD an das soziale Gewissen von Lidl appellieren, um die miese Ausbeutung der KollegInnen zu beenden? Soziale Verbesserungen wie z.B. der Kündigungsschutz wurden uns niemals von sozial gesinnten Unternehmern geschenkt, sondern müssen erkämpft werden.
Aber anstatt mit den KollegInnen zu kämpfen terrorisieren die Neonazis lieber Gewerkschafter wie zuletzt bei UPS in Mannheim und phantasieren vom sozialen deutschen Unternehmer.
Die NPD behauptet keine „Systempartei“ zu sein, aber ihr Wirtschaftsprogramm stellt das System gar nicht in Frage. Der „nationale Sozialismus“ der NPD will nicht die Grundpfeiler des kapitalistischen Systems wie das Privateigentum an den Produktionsmitteln antasten. Das ist kein Wunder. Denn zu ihren Verbündeten zählen Unternehmer wie Frey oder Superreiche Bonzen wie Jürgen Rieger. Ohne die Wirtschaft der Profitgier der Konzerne zu entziehen ist jedes Gerede von sozialer Gerechtigkeit oder Sozialismus leeres Gewäsch. Deswegen bleibt der NPD nichts übrig als einen Mix aus schwammigen Phrasen, alten sozialliberalen Wunschvorstellungen und Ausländerfeindlichkeit anzubieten.
Antifaschismus bedeutet Antikapitalismus
Positiv ist, dass Tausende auf der Straße waren, um keinen Fußbreit den Faschisten zu überlassen. Stundenlang harrten sie aus, trotz der Schikanen durch die Polizei.
Es stellt sich aber die Frage wie wir nachhaltig den Rassismus bekämpfen können. Sich den Neonazis in den Weg zu stellen ist notwendig, reicht aber nicht aus. In ganz Europa gewinnen rechtsextreme Formationen an Zustimmung. Sie nutzen die soziale Krise und die Enttäuschung in die etablierten Parteien aus, um sich als Alternative anzubiedern. Gleichzeitig spielen bürgerliche Parteien und Medien selbst die rassistische Karte, um von den wahren Ursachen der sozialen Krise abzulenken. Das ist nicht neu. Seit Jahrhunderten wird Rassismus benutzt, um MigrantInnen als Sündenböcke vorzuschieben. Steilvorlagen wie die „deutsche Leitkultur“ oder „das Boot ist voll“ spielen den Neonazis in die Hände. Die Neonazis können sich als konsequente Vollstrecker der deutschen Leitkultur aufspielen.
Diese Entwicklungen zeigen eines: Der Traum vom krisenfreien Kapitalismus und der sozialen Marktwirtschaft ist ausgeträumt. Es gibt keinen Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit, Ausbeutung und Preiswucher. Und es gibt auch keinen Kapitalismus ohne Rassismus, denn die herrschende Elite braucht Sündenböcke für ihre eigene Unfähigkeit.
Leere Flaschen sind keine glaubwürdige Alternative
Ein System, welches zwangsläufig zu Massenarbeitslosigkeit und Rassismus führt, verdient es durch ein besseres System ersetzt zu werden. Nicht durch ein totalitäres Regime, wie es sich die Neonazis wünschen, sondern durch ein wirklich demokratisches System. Wir von der SAV treten für eine sozialistische Demokratie ein, wo nicht abgehobene Unternehmer und Politiker die Entscheidungen treffen, sondern die Menschen vor Ort in ihren Betrieben und Stadtteilen. Auf der Basis einer demokratisch geplanten Wirtschaft können Massenarbeitslosigkeit, Preiswucher aufgehoben und rassistische Vorurteile abgebaut werden.
Für solch eine Veränderung müssen wir aber nicht nur Tausende, sondern Millionen sein. Mit dem Umschmeißen von Glascontainern, Anpöbeln von Anwohnern und Flaschenwürfen, werden wir kaum jemanden überzeugen mit uns auf die Straße zu gehen- im Gegenteil. Diese möchtegern-radikalen Methoden schaden nur unserer Bewegung. Es gilt sich zu entscheiden: ernsthafter Widerstand oder Räuber& Gendarm-Spielchen für Fortgeschrittene. Wem es bei Antifademos nur um den „Kick“ geht, sollte sich lieber ein anderes Hobby suchen. Wenn wir den Neonazis wirklich den Boden entziehen wollen, dann nur mit ernsthafter Arbeit in den Betrieben und Stadtteilen. Wir wollen, dass die Leute aus unserem Viertel nicht vor uns Angst haben, sondern mit uns gemeinsam auf die Straße gehen- gegen Sozialabbau und Rassismus- für eine sozialistische Alternative.