Do 30.01.2014
In Kiew geht das brutale Patt zwischen den Protestierenden und der Polizei weiter und die Unruhe dehnt sich in mehr als ein dutzende regionale Zentren in anderen Teilen der Ukraine aus. Während der letzten Woche haben die Massen Verwaltungsgebäude in Lemberg, Luzk und anderen Teilen im Westen des Landes gestürmt und besetzt. Die Proteste haben sich sogar auf den Osten und Süden ausgedehnt, beides sind traditionell russisch-sprachige Hochburgen von Präsident Viktor Janukowitsch‘s Partei der Regionen.
Durch diese Entwicklungen alarmiert war Janukowitsch am 28. Jänner zu neuen Konzessionen an AnführerInnen der politischen Opposition gezwungen. Er entließ seinen als Hardliner bekannten Premierminister Mykola Asarow sowie die Regierung. Der Präsident versprach außerdem die Rücknahme der drakonischen Gesetze die Proteste kriminalisieren und die Redefreiheit beschneiden.
Vor dem Hintergrund, dass sich Janukowitsch Regime auf den Abgrund zu bewegt und dass Pro-Regierungsdemonstrationen in Donezk, der Krim und anderen Teilen des Westens und Südens des Landes stattfinden was die Gefahr einer Entwicklung in Richtung Bürgerkrieg weiter erhöht, haben sich einflussreiche OligarchInnen letztes Wochenende öffentlich als „Vermittler“ interveniert.
Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, hat am 27. Jänner eine Stellungnahme veröffentlicht in der er zum „Ende des Einsatzes von Gewalt“ und für „friedliche Aktionen“ aufruft um die Krise zu beenden. Die Geschicke von Achmetow und Janukowtisch sind eng mit einander verbunden da Achmetow seine Milliarden gemacht hat als Janukowitsch an die Macht kam. Aber wie die Zeitung Guardian berichtet, die einen politischen Analysten der Ukraine zitiert „Die OligarchInnen sichern sich gute Beziehungen zur Opposition als Versicherung – es ist wie eine Investition in die Zukunft.“ Pflichtbewusst hat der Oppositionspolitiker Klitschko Achmetows Stellungnahme begrüßt.
Es ist noch offen, ob Janukowitsch genug Konzessionen machen kann um die OppositionsführerInnen, die Protestierenden und die OligarchInnen zufrieden zu stellen oder ob Janukowitsch versucht VertreterInnen der Opposition in eine neue Regierung ein zu beziehen.
Der ehemalige Schwergewichtsboxer und heutige Oppositionsführer Vitali Klitschko sowie ein anderer Oppositionspolitiker, Arsenij Jazenjuk, der in Verbindung steht mit der Allukrainischen Vaterlandspartei der ehemaligen Premierministerin Julija Timoschenko (zur Zeit im Gefängnis) haben sich beide gestern geweigert dem Kabinett beizutreten. Sie erklärten sie würden die Proteste nicht beenden, bevor nicht mehr Forderungen erfüllt wären.
Die Hauptforderungen der Protestierenden am Unabhängigkeitsplatz, im Zentrum Kiews, sind der Rücktritt Janukowitschs und sofortige Neuwahlen. Dagegen wird sich Janukowitsch wahrscheinlich wehren, auch aus Angst, dass das neue Regime seine Gefangennahme anordnen würde, so wie es ihm im Fall Timoschenko vorgeworfen wird.
Gleichzeitig werden Janukowitsch Zugeständnisse innerhalb der eigenen Partei scharf kritisiert „Das wird zu eine zusätzlichen Destabilisierung im Land führen.“ warnte Oleg Tsariov, ein Führer der herrschenden Partei der Regionen.
Bemüht ihren Vorteil zu nutzen, verlangen oppositionelle PolitikerInnen, mit Unterstützung des Westens, Neuwahlen und eine neue Verfassung. Ihre Ziele sind nicht im Interesse der arbeitenden Menschen in der Ukraine. Sie wollen die Entstehung eines neuen pro-westlichen Regimes das die Interessen der Superreichen schützt, z.B. indem der Masse der UkrainerInnen Sparprogramme aufgezwungen werden.
Der Deal mit der EU scheitert
Die Proteste begannen im November letzten Jahres, nachdem Janukowitsch ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU abwies, welches als Schwenk der Ukraine zu einer eventuellen Mitgliedschaft bei der EU gesehen wurde. Die Ukraine, die 15 Milliarden Dollar Schulden hat, sah sich mit dem Staatsbankrott konfrontiert. Jedoch hätte ein Abkommen mit der Europäischen Union, mit Unterstützung des IWF, eine tief greifende Kürzungswelle mit sich gebracht. Da die Ukraine bereits das ärmste Land Europas war, befürchtete Janukowitsch das neue Sparmaßnahmen, inklusive Kürzungen bei Energiesubventionen und im Sozialbereich, zu einer Explosion von Protesten von ArbeiterInnen geführt hätte. Stattdessen schmiedete Janukowitsch ein neues Abkommen mit dem Putin Regime in Russland. Präsident Putin bot Kredite im Umfang von 15 Milliarden Dollar und reduzierte Energiepreise an.
Genauso wie die westlichen Mächte, agiert das Putin Regime nicht im Interesse arbeitenden Menschen in der Ukraine. Während er die EU beim gestrigen Treffen mit führenden EU-VertreterInnen davor warnte, sich in ukrainische Angelegenheiten einzumischen, verlautbarte der russische Präsident, dass er von der Ukraine erwartet "strukturelle Veränderungen" (d.h. Einsparungen) zu sehen, um sicherzugehen, dass die 15 Milliarden Kredite an Moskau zurückgezahlt werden.
Der Deal zwischen Janukowitsch und Putin bedeutete einen Schlag ins Gesicht für die USA und EU, die anstreben ihren Einfluss in der Ukraine, auf Russlands Kosten, zu erweitern. Das verstärkte den internationalen Machtkampf um den Einfluss in der Ukraine, die ein wichtiges geo-strategisches Territorium ist. Zwei bedeutende Erdgasleitungen verlaufen aus Russland durch die Ukraine nach Europa; zusätzlich befinden sich in dem Land russische Marinebasen. Putin macht deswegen Druck: die Ukraine soll der Zollunion, die Russland bereits mit Weißrussland und Kasachstan gebildet hat und die als ein Vorläufer für eine „Eurasische Union“ dienen soll, beitreten. Der Kreml sieht das als einen wichtigen Schritt, um seine regionale Macht zu sichern und den imperialistischen Einflüssen des Westens entgegenzuwirken.
In den zwei Monaten der Proteste als viele auf die Straße gingen waren die Hauptforderungen das Ende von Janukowitsch' autoritären Regierung und der Wirtschaftskrise. Da keine unabhängige ArbeiterInnen-Partei existiert, sehen viele, vor allem im Westen der Ukraine, eine EU-Mitgliedschaft als einen Ausweg an. Dabei wird die wirtschaftliche und soziale Misere, die die Gesetze der EU und des IWF nach Griechenland, Portugal, Spanien und andere Länder gebracht haben, oft außer Acht gelassen. Die Brutalität der „Berkut“ (Bereitschaftspolizei), die alleine letzte Woche für den Tot von fünf Protestierenden verantwortlich ist und die Videoaufnahmen von Folter und Erniedrigungen von bei den Protesten verhafteten, aber auch die geplanten Anti-Protest Gesetze des Regimes brachten immer neue Teile der Bevölkerung dazu, sich dem Protest anzuschließen.
Reaktionäre, pro kapitalistische Oppositionsführung
Ohne organisierte Alternative der ArbeiterInnenklasse waren die Proteste auf der Straße von Anfang an dominiert von reaktionären pro kapitalistischen Oppositionsfiguren wie Klitschko, die vom Westen unterstützt werden. Die Proteste wurden auch stark von der extremen Rechten, inkl. neofaschistischer Gruppen, beeinflusst. Die antisemitische Svoboda Partei und der Rechte Sektor haben bei den Unruhen auf der Straße und den Besetzungen von Regierungsgebäuden in Kiew und anderswo die Fäden gezogen.
Seit des Zusammenbruchs der ehemaligen Sowjetunion 1991 und dem Entstehen einer unabhängigen Ukraine hat die ArbeiterInnenklasse hart für das Fehlen von eigenständigen ArbeiterInnenorganisationen bezahlen müssen. Die Wiedereinführung des Kapitalismus hat den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse massiv gesenkt, während eine kleine Minderheit sich des Staatsbesitzes bemächtigt hat und extrem reich geworden ist. Heute besitzen eine Handvoll OligarchInnen den Großteil der ukrainischen Wirtschaft.
Die Orange Revolution von 2004 hat eine Entladung der Wut der Massen gegen die autoritäre Herrschaft von Janukowitsch und gegen die wirtschaftliche Stagnation gesehen. Diese Bewegung war allerdings von PolitikerInnen wie Timoschenko oder Juschtschenko sicher auf pro-westlich kapitalistischer Linie gehalten worden. Janukowitsch war damals zum Rücktritt gezwungen worden, aber es gab keine wirkliche Verbesserung der Lebensstandards oder in den demokratischen Rechten der Massen unter der Herrschaft seiner Nachfolger Juschtschenko und Timoschenko. Aufgrund der Desillusionierung der Massen konnte Janukowitsch in der Folge als Präsident wiederkehren.
Die PolitikerInnen sind diskreditiert
Alle diese PolitikerInnen sind in den Augen der meisten ArbeiterInnen und Jugendlichen diskreditiert. Dasselbe wird mit Klitschko und den anderen reaktionären OppositionsführerInnen passieren. Was auch immer die Differenzen zu den Pro-EU PolitikerInnen und dem Janukowitsch-Regime sein mögen, sie sind feindlich gegenüber den Interessen der ArbeiterInnenklasse und werden sicherstellen, dass ArbeiterInnen einmal mehr für die tiefe Krise der ukrainischen Wirtschaft zahlen müssen.
Die wichtigste Lehrer für ArbeiterInnen von diesen Ereignissen ist, dass - egal welchen ethnischen Hintergrund sie haben – sie ihre eigene politische Stimme finden müssen. Eine Schlüsselaufgabe ist der Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften und einer geeinten MassenarbeiterInnenpartei die sich gegen Janukowitsch‘ Regime, die reaktionäre Oppositionsführung und ihre internationalen kapitalistischen Verbündeten stellt.
Das bedeutet einen Kampf für demokratische Rechte, aber vor allem für eine grundlegende soziale und wirtschaftliche Veränderung. Es bedeutet sich im Kampf für Jobs, höhere Löhne, leistbare Wohnungen und Sozialleistungen, ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem an die Spitze zu stellen. Es bedeutet, dass die organisierte ArbeiterInnenbewegung die Vorhut des Kampfes für demokratische Rechte und soziale Veränderung bildet und die Methoden des Klassenkampfs anwendet, inklusive Massenmobilisierungen, Streiks und Generalstreiks, demokratisch organisiert durch ArbeiterInnenkomitees. Eine mächtige ArbeiterInnenbewegung könnte die extreme Rechte und die FaschistInnen von den Straßen verdrängen und eine sozialistische Alternative nach vorne stellen. Diese könnte jene Menschen ansprechen, die von den giftigen Ideen der extremen Rechten angezogen werden. Solch eine Bewegung könnte auch einen Appell auf Klassenbasis an die Basis der Polizei machen, um die Kräfte des Staatsapparats zu neutralisieren.
Anstatt der Rada (das ukrainische Parlament), die voll reaktionärer, korrupter PolitikerInnen ist, die von den OligarchInnen kontrolliert werden, würde die organisierte ArbeiterInnenbewegung die Bildung einer wirklich repräsentativen konstituierenden Versammlung fordern und für eine ArbeiterInnenregierung der Mehrheit der Bevölkerung kämpfen. Mit sozialistischen Maßnahmen würde eine ArbeiterInnenregierung die enorm reichen und parasitären OligarchInnen enteignen und die Hauptsektoren der Wirtschaft in öffentliches Eigentum übernehmen und diese demokratisch von und für die ArbeiterInnenklasse planen.