Mi 10.06.2020
Beginnend in Minneapolis in der Nacht, in der George Floyd ermordet wurde, haben Massenproteste und Besetzungen die USA überflutet. Dies markiert eine neue und weitaus weiter entwickelte Phase in der Black Lives Matter-Bewegung.
Um 20.25 Uhr am 25. Mai hörte George Floyd auf zu atmen. Augenblicke später stoppte sein Puls. Es dauerte zwei Minuten, bis der Polizeibeamte von Minneapolis, Derek Chauvin, sein Knie von Floyds Hals entfernte. Weniger als eine Stunde später wurde Floyd für tot erklärt.
Am Tag von George Floyd's Tod befanden wir uns seit mehr als zweieinhalb Monaten im Lockdown. Millionen von Amerikaner*innen hatten durch COVID-19 Angehörige verloren und waren in vielen Fällen gezwungen, in völliger Isolation zu trauern. Dutzende Millionen hatten ihre Arbeit verloren, und viele weitere verloren Arbeitsstunden oder ihren Lohn. Die Juni-Miete rückte immer näher, und wieder wogen Familien ab, ob sie Miete zahlen und Lebensmittel einkaufen konnten oder ob man eines weglassen musste.
All dies hat sich unverhältnismäßig stark auf die schwarze Arbeiter*innenklasse ausgewirkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze COVID-19 bekommen, ist dreimal so hoch wie bei Weißen. Millionen von schwarzen Arbeiter*innen sind entweder beurlaubt oder entlassen worden, und die Arbeitslosenquote für Schwarze ist die höchste aller Bevölkerungsgruppen.
In diesem Kontext, in einem System im ungebremsten Fall, entzündete der Tod von George Floyd die größte Protestbewegung in den USA seit 50 Jahren.
#Justice4GeorgeFloyd
Beginnend in Minneapolis in der Nacht, in der George Floyd ermordet wurde, haben Massenproteste und Besetzungen die USA überholt. Dies markiert eine neue und weitaus weiter entwickelte Phase in der Black Lives Matter-Bewegung.
Es hat in jedem einzelnen Bundesstaat Demonstrationen gegeben, mit insgesamt mehr Demonstrationen als bei den Frauenmärschen im Januar 2017, die sich auf über 650 beliefen. Weit davon entfernt, auf Großstädte oder nördliche Bundesstaaten beschränkt zu sein, gab es über 100 Proteste im gesamten Süden der USA. Es gipfelte in Massendemonstrationen am Samstag mit Hunderttausenden auf den Straßen von Washington DC und Hunderttausenden in Städten im ganzen Land.
Diese Proteste brodeln vor energischer Wut. Sie wurden vor allem von schwarzen Jugendlichen angeführt, aber die Demonstrierenden sind auffallend multi-ethnisch. Junge Menschen aller Ethnien sehen diesen Kampf auch als ihren eigenen an. Zehntausende zumeist junger Menschen sind Stadt für Stadt mit einer einfachen, übergreifenden Forderung unterwegs gewesen: keine Morde mehr an unschuldigen schwarzen Menschen durch die Polizei und ein Ende der rassistischen Polizeibrutalität generell.
Anders als während der "Black Lives Matter"-Bewegung 2014-2015 hat diese Bewegung in einer Reihe von Städten den Charakter einer umfassenden Rebellion und Besetzung angenommen.
In Minneapolis haben Demonstrierende den Ort des Todes von George Floyd zum Hauptquartier der Bewegung gemacht. Der gesamte Block rund um den Ort, an dem George Floyd ermordet wurde, hat sich in ein permanentes Camp verwandelt.
Auch in Brooklyn sind die Blöcke um das Barclay's Center ein fast ständiges Zuhause für die Demonstrierenden. Fast wie bei einem Schichtwechsel protestieren tagsüber Kinder und Familien, während sie nachts von Jugendlichen und jungen Erwachsenen abgelöst werden.
Trump und "Recht und Ordnung"
Die Verwandlung dieser Proteste in eine breitere Rebellion in einigen Städten ist zum Teil auf die brutale Antwort der Polizei auf frühe Demonstrationen zurückzuführen. Sie setzten wiederholt Tränengas, Gummigeschosse, Schlagstöcke ins Gesicht und – in einigen wenigen Fällen – direktes Hineinfahren in die Menschenmengen ein, und das gegen friedliche Proteste.
Die Stadträtin Kshama Sawant der Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV in den USA) hat im Stadtrat von Seattle ein Gesetz eingebracht, das den Einsatz von chemischen Waffen (Tränengas, Pfefferspray, Reizgas), Gummigeschossen/Gummiballgranaten/Beanbag-Geschossen, Wasserwerfern und Schallwaffen verbietet. Diese Forderung ist inzwischen weitgehend viral gegangen und zeigt die wichtige Rolle, die sozialistische Mandatsträger*innen spielen können.
So brutal die Unterdrückung durch die Polizei auch war, sie kann der Brutalität nicht das Wasser reichen, die Trump sich für die Demonstrierenden wünscht. Er hat die Gouverneure gedrängt, die Demonstrierenden zu "dominieren", und hat erklärt: "Wenn Plünderungen beginnen, wird geschossen". Er hat das US-Militär nach Washington DC geschickt und damit gedroht, weitere Truppen in andere Städte zu entsenden, um die Bewegung niederzuschlagen. Er wies die Polizei und die Nationalgarde an, einen friedlichen Protest vor dem Weißen Haus mit Tränengas zu unterdrücken, um den Weg für seine Fotoaufnahmen mit einer Bibel in der Hand vor der St. John's Kirche freizumachen.
Trump hat keine breite Unterstützung für seine autoritären Drohungen in der amerikanischen Öffentlichkeit und nicht einmal innerhalb seiner eigenen Regierung gefunden, da hochrangige Offiziere den Einsatz des Militärs ablehnten. Gegenwärtig betrachten 62% der Amerikaner*innen die Proteste als legitim. Noch überraschender für das Establishment ist, dass 54% der Amerikaner*innen glauben, dass das Niederbrennen der Polizeistation des dritten Bezirks in Minneapolis legitim war.
Trumps Vorgehen sowie die gewaltsame Reaktion der Polizei auf die Proteste haben die Situation nur noch verschärft. Trump versucht, sich mit seiner brutalen Reaktion als "Präsident von Recht und Ordnung" neu zu profilieren. Er scheint auf Richard Nixon zurückgreifen zu wollen, der 1968 die Wahl gewann und auf der gleichen Agenda von "Recht und Ordnung" verfolgte. Doch der Kontext ist ein völlig anderer. Im Jahr 1968 war Nixon der Herausforderer, während Lyndon Johnson und die Demokraten den Vorsitz über das Debakel in Vietnam und die massiven Unruhen führten. Politisch gesehen hat Trumps Ansatz Biden Vorteile gebracht, der in nationalen Umfragen deutlich führt.
Demokraten entlarvt
Auf nationaler Ebene hat die Demokratische Partei Lippenbekenntnisse für die Bewegung abgegeben. Doch gleichzeitig verhängen demokratische Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen im ganzen Land Ausgangssperren, genehmigen massive Ausgaben für die Polizei bei gleichzeitigem Abbau sozialer Dienstleistungen, und leugnen die Gewalt ihrer eigenen Polizeikräfte.
Skandalöserweise wiederholten viele demokratische Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen die Erzählung von Trump und Generalstaatsanwalt Barr, dass Konfrontationen mit der Polizei und Plünderungen das Werk "externer Agitatoren" seien. Trump dröhnte gegen Anarchist*innen und „die Antifa“ und sagte einmal sogar, er würde letztere zu einer "terroristischen Organisation" erklären. Die Demokraten, insbesondere in Minneapolis, verbreiteten Angst und Fehlinformationen über eine Welle weißer Rassist*innen, die die Demonstrationen stören wollten. Es wurden so gut wie keine Fakten vorgebracht, um diese Erzählungen zu untermauern, die die Aufmerksamkeit von Polizeigewalt ablenken und weitere Repressionen rechtfertigen sollten.
Der Redaktionsausschuss der New York Times veröffentlichte am Freitag eine vernichtende Stellungnahme, in der das dramatische Versagen des New Yorker Bürgermeisters Bill DeBlasio ausführlich beschrieben wurde, der während seiner Kandidatur 2014 versprochen hatte, er werde die Polizeiarbeit reformieren, sowie das Versagen von Gouverneur Andrew Cuomo, den Bedürfnissen dieses Augenblicks gerecht zu werden.
Die NY Times schrieb: "Welche dringenden Aufgaben haben diese beiden Beamten so sehr beschäftigt, dass sie nicht die Zeit haben, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der New Yorker geschützt und die Rechte der New Yorker respektiert werden? Wie ist es möglich, dass sie sich nach so vielen Berichten über polizeiliches Fehlverhalten immer noch nicht die Mühe machen, die Polizei zu überwachen?“
Dies spiegelt die Spaltungen im Establishment wider, wobei ein Teil der Beamten beginnt, auf ernsthaftere Reformen der Polizeiarbeit zu drängen. In New York haben die Staatsanwaltschaften von Manhattan und Brooklyn erklärt, dass sie die vielen hundert wegen "unrechtmäßiger Versammlung" und "ungebührlichen Verhaltens" verhafteten Personen nicht strafrechtlich verfolgen würden.
In Seattle herrscht eine ungeheur machtvolle Stimmung, die demokratische Bürgermeisterin Jenny Durkan aus dem Amt zu treiben, aufgrund ihrer Unfähigkeit, Polizeibeamte, welche Demonstrierende terrorisierten, zu kontrollieren. Kshama Sawant hat sich diesem Aufruf angeschlossen und offiziell den Rücktritt Durkans gefordert.
Einige Stadtratsmitglieder in Minneapolis haben mutige Versprechungen zur Abschaffung der Polizei gemacht. Zweifellos wird es als Reaktion auf den Druck der Bewegung Reformen in der Polizeiarbeit geben. Doch in einer Welt, in der acht Milliardäre so viel Reichtum besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung und in der aktuell 40 Millionen Amerikaner*innen arbeitslos sind, wird sich der Staat zur Aufrechterhaltung der Ordnung immer auf irgendeine Art repressiver Gewalt verlassen. Sozialist*innen argumentieren, dass eine Welt ohne Polizei nur auf einem Fundament von garantierten Arbeitsplätzen, Wohnraum, Gesundheitswesen, Schulen und demokratischer Kontrolle der Ressourcen der Gesellschaft aufgebaut werden kann.
Leider ist Bernie Sanders während dieser Revolte weitgehend abwesend gewesen. Dies ist nur eine weitere Bestätigung für die schrecklichen Folgen seiner vollständigen Kapitulation vor dem Establishment der Demokratischen Partei. Wäre er im Rennen geblieben, hätte er mit seiner Kampagne dazu beitragen können, einen entscheidenden Wandel durchzusetzen.
Diese Bewegung hat zweifellos die Autorität der Demokratischen Partei geschwächt, da man gesehen hat, wie Schlüsselfiguren Angst schürten und weitere Eskalationen der Polizeigewalt ermöglichten und entschuldigten. Aber ein Teil der Partei arbeitet hart daran, die Bewegung zu vereinnahmen.
Eine Ausnahme im Gesamtbild der Demokraten ist die Stärkung von Bidens Kampagne. Dies ist jedoch in erster Linie auf die breite Ablehnung von Trumps gefährlichem Autoritarismus zurückzuführen. Während Biden ein wenig aus seiner Deckung gekommen ist, um Trump anzugreifen, hat er erst vor zwei Wochen skandalöserweise gesagt: „Wer Trump unterstützt, ist nicht schwarz.“
Den Kampf organisieren
Diese Bewegung hat bereits die Entlassung, die Verhaftung und die Anklageerhebung gegen alle vier an der Ermordung von George Floyd beteiligten Polizisten gewonnen. Dies war bei weitem nicht selbstverstädnlich und wurde durch die Ausdauer und Entschlossenheit der Demonstrierenden im ganzen Land - vor allem aber in Minneapolis - herbeigeführt.
Wir müssen diese Dynamik unbedingt nutzen, um die Bewegung weiter aufzubauen. Hier sind die nächsten Schritte, die die Socialist Alternative der Bewegung vorschlägt:
Forderungen: Wir brauchen möglichst konkrete Forderungen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene. Aufrufe zur Entziehung der Finanzierung und Umstrukturierung von Polizeidienststellen im ganzen Land haben an Kraft gewonnen, wobei einige Städte wie LA sogar schon Schritte zur Kürzung der Polizeifinanzierung unternommen haben. Städte im ganzen Land geben unangemessen hohe Beträge für die Polizei aus. Kshama Sawant hat gefordert, den Polizeihaushalt von Seattle um die Hälfte zu kürzen. Socialist Alternative unterstützt die Umverteilung erheblicher Teile des Polizeibudgets in die Bereiche Wohnen, Bildung und Gesundheitsversorgung.
Wir brauchen auch eine Säuberung der Polizeikräfte im ganzen Land. Jede*r Polizist*in mit einer Vorgeschichte bezüglich Rassismus, Sexismus oder Gewalt sollte sofort entlassen werden. Dies sollte von demokratisch rechenschaftspflichtigen Aufsichtsgremien der Gemeinden durchgeführt werden.
Unsere Forderungen müssen das Ausmaß der Krise widerspiegeln, mit der die arbeitenden Menschen konfrontiert sind. Auch wenn der Ausgangspunkt für diese Forderungen zweifellos speziell auf die Bekämpfung rassistischer Polizeibrutalität ausgerichtet ist, sollten wir uns nicht darauf beschränken. Die steigenden Mietkosten, die anhaltend niedrigen Löhne und unser völlig unzureichendes Gesundheitssystem wirken sich alle unverhältnismäßig stark auf schwarze Amerikaner*innen aus. Wir befinden uns mitten in einer Pandemie und im Anfangsstadium einer globalen Wirtschaftsdepression.
Die Arbeiter*innenbewegung sollte sich beteiligen: Der Kampf gegen den Rassismus erfordert die Beteiligung der gesamten Arbeiter*innenklasse. Das Motto der Arbeiter*innenbewegung lautet: "Ein Angriff auf eine*n von uns ist ein Angriff auf alle". Die Gewerkschaften müssen dringend ihre Beteiligung an den Protesten organisieren. Dies kann in Form von neunminütigen Solidaritätsstreiks anlässlich der neun Minuten geschehen, in denen Derek Chauvin sein Knie auf George Floyd's Hals gedrückt hatte. Dazu kann auch gehören, die Verteidigung der Demonstrationen gegen Polizeigewalt zu organisieren, Gewerkschaftshallen in Depots für die Protestierenden umzuwandeln, damit sie sich mit Vorräten und Schutzausrüstung versorgen können, sowie Kontingente für die tägliche Teilnahme an Märschen und Protesten zu bilden. In Minneapolis hat die Socialist Alternative dazu aufgerufen, in Solidarität mit der Bewegung einen eintägigen lokalen Generalstreik vorzubereiten und ein Ende der Besetzung der Stadt durch die Nationalgarde zu fordern.
Strukturen: Die Bewegung in jeder Stadt braucht Strukturen, damit wir die nächsten Schritte besprechen können. Zu Beginn sollte es tägliche Treffen unter freiem Himmel geben, bei denen wir uns über Pläne für den Tag informieren und Fehler beheben können. Wenn die Bewegung in diesem Tempo weitergehen sollte, müssten diese Treffen in formelle Organisationsgremien mit Vertreter*innen der teilnehmenden Organisationen umgewandelt werden. Wir brauchen auch sichere Online-Foren für eine schnelle Kommunikation.
Verteidigung: Wir brauchen bei jeder Demonstration ein ernanntes, multi-ethnisches Verteidigungsteam, das vor unsozialen und kriminellen, die Situation ausnutzenden Kräften schützen kann. Dies geschieht nicht aus moralischen Bedenken zum Schutz von Privateigentum, sondern um zu verhindern, dass Menschen Taktiken anwenden, die die breitere Unterstützung für die Bewegung untergraben könnten.
"Ein Angriff auf eine*n von uns ist ein Angriff auf alle"
Ein wichtiger Teil der Arbeiter*innenbewegung hat dieser Revolte bereits ihren Stempel aufgedrückt. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die sozialistisch geführte Busfahrer*innengewerkschaft in Minneapolis, die sich bereits in der ersten Nacht der Demonstrationen weigerte, die Demonstrierenden ins Gefängnis zu bringen. Dies breitete sich rasch auf New York City und Washington D.C. (neben anderen Städten) aus, wo die Verkehrsbetriebe eine ähnliche Haltung eingenommen haben.
Am 11. Tag der Demonstrationen knieten Pflegekräfte im ganzen Land in Solidarität mit Black Lives Matter auf dem Rasen ihrer Krankenhäuser nieder. Die rückwärtsgewandten Prioritäten unseres Systems waren diesen Krankenpfleger*innen ins Gesicht geschrieben, die durch eine Pandemie gezwungen wordensind , mit Müllsäcken zu arbeiten, während draußen vor ihrem Fenster die Polizei in voller Kampfausrüstung durch die Straßen marschiert.
Als die erste Woche der Proteste zu Ende ging, begannen die Beschäftigten in Lebensmittelgeschäften in Minneapolis damit, Streiks und Arbeitsniederlegungen zur Unterstützung der Bewegung zu organisieren. Am 5. Juni sorgte eine Lebensmittelarbeiterin, die auch Mitglied der Sozialistischen Alternative in Minneapolis ist, dafür dass ihre gesamte Schicht den Arbeitsplatz verließ. Sie marschierten an die Vorderseite ihres Geschäfts, wo sie 8 Minuten und 45 Sekunden lang Sprechchöre riefen und Schilder hochhielten, bevor sie zur Arbeit zurückkehrten. Darüber hinaus leiteten Mitglieder der Socialist Alternative, die im Postamt von Minneapolis arbeiten, eine Solidaritätskundgebung mit 60 Postangestellten an. Sie marschierten von ihrer ausgebrannten Arbeitsstelle zur Besetzung und erklärten mutig, dass ein Gebäude immer wieder aufgebaut werden kann, wohingegen das Leben eines von der Polizei ermordeten Menschen nicht wiederaufgebaut werden kann.
Während die Märsche durch die großen Straßen und Autobahnen des Landes führen, werden einige der lautesten Jubelrufe durch Demonstrierende von einem einfachen Akt der Solidarität anderer gewöhnlicher Arbeiter*innen ausgelöst. Jedes Mal, wenn in New York ein*e Busfahrer*in, Taxifahrer*in oder Lieferwagenfahrer*in zur Unterstützung der Proteste hupt, bricht die Menge in stolzen Jubel aus.
Das Potenzial für organisierte Solidarität seitens der breiteren Arbeiter*innenbewegung ist immens. Allerdings hat sich die bestehende Führung der meisten großen Gewerkschaften – wieder einmal – als völlig unzureichend erwiesen. In einer von der AFL-CIO veranstalteten Pressekonferenz hatte die Führung einiger der größten Gewerkschaften des Landes kaum mehr zu sagen als: "Rassismus ist schlecht, Trump ist schlecht, bitte gehen Sie wählen". Das ist völlig unbefriedigend. Die Anliegen der Bewegung können nicht bis November warten. Wenn die bestehende Gewerkschaftsführung nicht in der Lage ist, ihre Mitglieder im Kampf gegen den Rassismus voll zu mobilisieren, dann brauchen wir eine neue Führung. Wir brauchen die kämpferischsten und bereitwilligsten Elemente in der Arbeiter*innenbewegung, die sich organisieren, um die Gewerkschaften als echte Kampforganisationen zurückzufordern.
Die Notwendigkeit wirksamer Taktiken
In einigen Städten sind die Proteste vorübergehend in eine Arte "Riot Modus" ausgebrochen, wobei Polizeiautos (und im Fall von Minneapolis ganze Polizeireviere) niedergebrannt wurden. Eine sehr kleine Minderheit der Protestierenden hat antisoziales Verhalten wie Plünderungen an den Tag gelegt. In einigen Fällen sind diese Plünderungen deutlicher auf Armut zurückzuführen, und es wird berichtet, dass Eltern Essen und Windeln mitnehmen. In anderen Fällen sind es jedoch Menschen, die das Chaos opportunistisch ausnutzen.
Die Wut, die hinter den Ausschreitungen steckt, ist nicht nur verständlich, sondern auch positiv. Wir sollten wütend sein. Es gibt viel, über das man wütend sein kann. Wir müssen jedoch strategisch vorgehen, um diese Wut zu kanalisieren. In Abwesenheit demokratischer Strukturen für die Bewegung zum Debattieren des weiteren Vorgehens werden die Menschen eine ganze Reihe von Taktiken anwenden - einige effektiv und andere nicht.
Um aus dieser Rebellion eine anhaltende Massenbewegung zu machen, die in der Lage ist, einen dauerhaften Wandel herbeizuführen, müssen auf lokaler und nationaler Ebene demokratische Strukturen aufgebaut werden, um Strategie und Taktik der Bewegung zu koordinieren. Die Taktiken sollten mit dem Ziel beschlossen werden, weitere Teile der Arbeiter*innenklasse in den Kampf einzubinden.
"Das ganze beschissene System ist verdammt nochmal schuldig"
Im ganzen Land strömen derzeit Menschen auf die Straßen, die über den grassierenden Rassismus in unserer Gesellschaft wütend sind. Doch schon aus einer Meile Entfernung ist klar, dass die Wut viel tiefer sitzt. Sie hängt wie eine Wolke über den Demonstrationen. Für viele Demonstrierende, die Gerechtigkeit für George Floyd fordern, ist es offensichtlich, dass unser gesamtes wirtschaftliches und politisches System kaputt ist.
Während die Black Lives Matter-Demonstrationen in den Jahren 2014-2015 vor allem bei schwarzen Jugendlichen das Gefühl zum Ausdruck brachten, dass das gesamte System gegen sie gerichtet ist - hat sich dies nun noch ausgeweitet, da Millionen weiter in Armut versinken.
Der gestärkte Wunsch nach ernsthaften Veränderungen an allen Fronten, die notwendig sind, kann nicht von den allgemeineren Bedingungen getrennt werden, mit denen wir konfrontiert sind. Junge Menschen und Menschen aller Ethnien aus der Arbeiter*innenklasse verlieren Menschen, die sie lieben, an einen Virus, der hätte eingedämmt werden können. Gleichzeitig sehen sie zu, wie ihre Schulden steigen, ihre Löhne gekürzt werden, ihre Arbeitsplätze verloren gehen, und fragen sich: Gibt es einen Weg nach vorn?
Die Antwort ist ein klares Ja, aber wir müssen dafür kämpfen. Wir müssen im Hier und Jetzt für eine vollständige Überarbeitung der Polizeiarbeit, für sichere und stabile Wohnungen und Gesundheitsfürsorge, für Beschäftigungsprogramme sowie für voll finanzierte Bildungs- und Sozialdienste kämpfen.
Aber wir können diese Reformen auch nicht als Endziel betrachten. Unser Projekt muss darin bestehen, eine multi-ethnische Bewegung der Arbeiter*innenklasse zu schaffen, um dem System des Kapitalismus ein Ende zu setzen - dem System, das die Basis unserer Gesellschaft bildet.
Unsere politischen Institutionen - einschließlich der Polizei - existieren, um die Interessen der kapitalistischen herrschenden Klasse zu verteidigen, nicht die der arbeitenden Menschen. Wenn wir den jahrhundertelangen anti-schwarzen Rassismus und alle anderen Formen der Unterdrückung wirklich überwinden wollen, brauchen wir ein völlig neues System. Eines, das Spaltung, mörderischen Wettbewerb und das Horten von Ressourcen nicht belohnt, sondern echte Solidarität, Zusammenarbeit und eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums belohnt, eine sozialistische Gesellschaft.