Sa 02.08.2008
Der im Folgenden abgedruckte Austausch zwischen dem ehemaligen Parlamentsabgeordneten der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP in Irland), Joe Higgins, und der deutschen Kanzlerin Merkel über das Lissabon-Abkommen, über das in Irland eine Volksabstimmung bekanntermaßen negativ entschieden hat, fand am 14. April während eines Besuchs der Kanzlerin in Dublin statt.
„Der Vertrag von Lissabon fordert höhere Investitionen im Bereich der Rüstungsindustrie und er intensiviert die Militarisierung der Europäischen Union”.
‘Europa-Forum’ - 92. Plenarsitzung des nationalen Europa-Forums, St Patrick"s Hall, Dublin Castle
Die Plenarsitzung wurde am Montag, dem 14. April 2008, wie folgt eingeleitet:
Vorsitzender:
»Well a cháirde, tá sé in am dúinn tús do chur leis an dara cruinniú is nócha den bhFóram Náisiúnta um an Eoraip.«
Herzlich willkommen zum 92. ordentlichen Plenartreffen des Nationalen Europa-Forums. Wir fühlen uns wahrhaft geehrt, heute die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, zu unserem Forum und auf Dublin Castle begrüßen zu dürfen. Ich möchte in ihre Richtung ergänzen: Céad mile failte oder, in ihrer eigenen Sprache, herzlich willkommen. (Applaus)
Besonders dankbar sind wir, dass die Kanzlerin die Zeit gefunden hat, um während ihres kurzen Irlandaufenthaltes auch zu uns zu sprechen. Und wenn meine Willkommensgrüße kurz bleiben, Kanzlerin, so liegt das ausschließlich daran, dass ich unsere Diskussionen nicht verzögern möchte.
Angela Merkel spricht für 20 Minuten
Der irische Premierminister und andere richten ihre Reden an das Forum.
Vorsitzender:
Danke sehr. Mr. Joe Higgins, bitte.
Mr Higgins:
Go raibh maith agat, Cathaoirleach. Kanzlerin Merkel, ich darf zu Beginn der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Fine Gael party (christdemokratische Regierungspartei; Anm. d. Übers.), Ihr Gastgeber dieses Wochenende und - wie ich vermute - auch Ihr ideologischer Seelenbruder, Sie mit dem gebührenden Respekt und Wohlwollen empfangen hat. Und ich sage dies, weil deren Vorsitzender, Herr Kenny, jüngst in unserem Parlament gesagt hat, dass im Zuge der Kampagne für den Vertrag von Lissabon, Zitat, jeder Jasager in Europa nach Irland kommen wird. Ich möchte klarstellen, dass er damit nur diejenigen unter uns beleidigen wollte, die gegen diesen Vertrag sind.
Nun möchte ich vier kurze Fragen stellen, Kanzlerin.
Erstens: Uns wurde erzählt, dass der Vertrag von Lissabon auf Rechtsgrundlage der Grundrechtecharta stehe. Uns wurde erzählt, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu Laval, das eine Niedriglohn-Wirtschaft billigt und legitimiert, was wir race to the bottom (Absenkungs-Wettlauf; Anm. d. Übers.) nennen, nicht mehr möglich sein wird, wenn der Vertrag von Lissabon angenommen würde. Kanzlerin, welche Erklärung haben Sie? Und ich frage Sie das, weil Ihre Regierung gegen einen nationalen Mindestlohn für deutsche Arbeiter eintritt und damit die deutschen Arbeitgeber unterstützt. Ich frage Sie das, weil eine Kollegin von mir in Berlin, Lucy Redler von der Sozialistischen Alternative - Sie haben vielleicht schon einmal von ihr gehört - mir kürzlich einen Bericht der Gewerkschaft VERDI weiterleitete, indem beschrieben wird, dass es vollends Recht und Gesetz entspricht, wenn im Ritz Carlton Hotel in Berlin, wo eine Suite 3.000 Euro die Nacht kostet, Putzkräfte völlig legal 60 Cent pro Zimmer erhalten und für ein gereinigtes Zimmer unfassbare 2,80 Euro Stundenlohn erhalten. Nun, Kanzlerin, wird die Grundrechtecharta diese deutschen Beschäftigten von solcherart Sklavenlöhnen befreien oder sind deutsche Arbeiter wie Ihre Lokführer in deren jüngsten Streiks tatsächlich auf ihre eigene Mobilisierungsfähigkeit angewiesen?
Zweitens: 71 Prozent der Deutschen sind gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn. Ihre Regierung aber besteht auf der Privatisierung. Warum sollten wir, die arbeitenden Menschen Europas, bei der Privatisierung des öffentlichen Dienstes helfen, der im Vertrag von Lissabon eindeutig gefördert und ins Auge gefasst wird, wenn Regierungen wie die Ihrige die Ansichten der Mehrheit der eigenen Bevölkerung ignorieren und sich wieder auf die Seite der Unternehmen stellen?
Drittens: Der Vertrag von Lissabon fordert höhere Investitionen im Bereich der Rüstungsindustrie und er intensiviert die Militarisierung der Europäischen Union. Nun, Kanzlerin, Zweidrittel der Menschen in Deutschland sind gegen den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan. Sie selbst haben, wie die irische Regierung, wie unser Taoiseach Bertie Ahern, die kriminelle Invasion des Irak durch die Vereinigten Staaten und Britannien unterstützt, was ein vollkommenes Desaster für die Menschen im Irak darstellt. Sie unterstützen den sogenannten Krieg gegen Terror, der die Auswüchse von Guantanamo beinhaltet, die übergeordnete Rechtsprechung. Eine große Mehrheit der Deutschen aber ist gegen diese Politik. Warum sollten wir für Lissabon stimmen, wenn das der Militarisierung der Außenpolitik einen weiteren Auftrieb gibt, was sich zukünftig negativ auf andere Länder auswirken kann - gerade so, wie es das Beispiel USA zeigt?
Und abschließend, Cathaoirleach und Kanzlerin, letzten Oktober forderten 76 Prozent der Deutschen in einer Meinungsumfrage ein Referendum in Deutschland über den Vertrag von Lissabon. Nun, Sie haben in Ihrer Rede heute viel zu Demokratie und demokratischen Rechten gesagt. Warum haben Sie nicht und warum werden Sie den Menschen in Deutschland nicht das demokratische Recht geben, um über den Vertrag von Lissabon abzustimmen? Go raibh maith agat.
Kanzlerin Merkel:
Zuerst vielen Dank für all die Diskussionsbeiträge. Ich denke, sie geben einen guten Überblick über die Breite der Ansichten. Aufgrund des beschränkten Zeitrahmens kann ich natürlich nicht detailliert auf jeden einzelnen eingehen, aber erlauben Sie mir, die Hauptbelange aufzugreifen.
Warum führt Deutschland kein Referendum durch? Das ist nichts, was in unserem politischen System vorgesehen ist. Auf Bundesebene gibt es in Deutschland keine Volksabstimmungen. Und dafür gibt es eine ganz praktische Erklärung. etc etc etc
Nun zur sozialen Dimension: Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ich mir die Grundrechtecharta angesehen und sie mit der deutschen Verfassung verglichen habe. Sie beinhaltet viele Dinge, viele soziale Rechte. Mit meiner Partei-Perspektive betrachtet wird darin zu vielen Kompromissen aufgerufen. Dennoch sollten die Gewerkschaften anerkennen, dass ihre Belange auf faire Art und Weise versucht wurden aufzugreifen. Ich denke, es ist ein fairer Kompromiss erreicht worden, der auch Europa dazu befähigt, die globale Herausforderung anzunehmen.
Nun zum Mindestlohn: In Deutschland haben wir eine Situation, in der beide Seiten der Industrie, die Sozialpartner, Rechte genießen, die durch unsere Gesetze geschützt sind, um Lohnvereinbarungen zu schließen. Wenige andere europäische Staaten genießen dieses Recht. Das beinhaltet auch einige Pflichten für die Sozialpartner. Und meine Partei denkt darüber, dass die Sozialpartner sich der Verantwortung stellen sollten, wenn Billiglöhne von außen eine Gefahr darstelle. Wir haben die Einrichtung des Entsendegesetzes und andere Schutzmechanismen in unserer Sozialgesetzgebung und im Arbeitsrecht festgeschrieben, um unsere Arbeitnehmer zu schützen. Etc., etc.