Gegen das EUropa der Banken und Konzerne!

Franz Breier jun.

Am 1. Mai 2004 wurde vielerorts gefeiert. Die EU-Erweiterung, vorwiegend um Ländern Osteuropas, sollte Wohlstand für alle bringen. Doch die Erwerbslosigkeit steigt weiter an, Lohn- und Sozialdumping bedroht die Existenz von Millionen Menschen. Hingegen ziehen viele Unternehmen eine völlig andere Bilanz. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) fasst zusammen: “Je größer die Unternehmen, umso positiver wird die Erweiterung gesehen.” (v.a. Handelsketten, Banken und Versicherungen, generell auslandsorientierte Branchen). Als Hauptvorteile der Erweiterung gaben viele “Geringere Kosten der Geschäftsabwicklung”, “Wegfall von Investitionshemmnissen” sowie “Wegfall von Zöllen und Handelsbeschränkungen” an. Viele Manager sehen  die Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedsländern als Faktoren an, um “Lohnkosten zu senken” und den “Fachkräftemangel in Deutschland auszugleichen”.

Steuerwettlauf

Mit der Osterweiterung beschleunigte sich der Wettlauf, um die niedrigsten Unternehmersteuern. Die Slowakei begann 2004 mit einer 19 %-Flat-Tax. Es gab in Folge in mehreren Ländern Kürzungen der Körperschaftssteuer. In Bulgarien (Kandidat für 2007) liegt sie schon bei extrem niedrigen 15 %. Österreich folgte 2005 mit einer Reduktion von 34 auf 25 Prozent, was in Deutschland entsprechende Unternehmerwünsche anheizte. So wie die Unternehmersteuern gesenkt werden, drückt die wachsende Armut auch auf die Löhne in Ost und West. Slowakische Löhne liegen bei unter 20 % jener Westeuropas. Lohnabhängige, Erwerbslose und Gewerkschaften sind in Ost und West die VerliererInnen. Schon vor der Osterweiterung war bekannt, dass selbst von hohen Wachstumsraten ausgegangen, die osteuropäischen Länder in Jahrzehnten nicht aufschließen werden können. Doch selbst die teils überdurchschnittlichen Wachstumsraten in manchen osteuropäischen Ländern haben sich 2005 reduziert, insbesonders in Polen und Ungarn. Es kann im Kapitalismus kein “gleichberechtigtes Europa” existieren: Der Finanzsektor in allen östlichen EU-Mitgliedsländern wird vor allem von österreichischen, italienischen, belgischen und deutschen Banken kontrolliert. Ein weiteres Element in diesem Abhängigkeitsverhältnis sind die ausländischen Direktinvestitionen, die fast ausschließlich aus den imperialistischen EU-Ländern kommen. Doch auch im Westen steht’s nicht besser; das versprochene Wachstum bleibt aus. Die gegenwärtig vorhergesagten 2 % bedeuten unter dem Strich ein Gleichbleiben der Wirtschaftsleistung, somit Stagnation.

Budget-Krise

In den letzten Wochen war viel vom Streit um das EU-Budget zu hören. Diese Krise ist seit der Osterweiterung nicht gemildert worden. Die Ablehnung der neoliberalen und militaristischen EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden verschärften die Lage für die Herrschenden weiter. Der britische Außenminister Jack Straw veröffentlichte kürzlich den Budget-Vorschlag und erntete viel Empörung. Was war geschehen? Britannien schlug ein Sparbudget vor, das an zwei Punkten ansetzt, die arme Länder doppelt treffen: erstens direkt bei den Zahlungen an die neuen und osteuropäischen Länder sparen (14 Mrd. EUR), sowie die Agrarsubventionen zusammenstreichen (ca. 8 Mrd. EUR). Die EU ist seit langem in der Agrarfrage gespalten. Den sogenannten Nettozahlern rund um Deutschland steht in dieser Frage der Block unter Führung Frankreichs (und seit der Osterweiterung der meisten neuen Länder) entgegen. Schon der letzte Gipfel scheiterte aufgrund dieser Frage. Ob der britische Ratsvorsitz den Budgetvorschlag nun taktisch klüger anlegen hätte können, sei dahingestellt. Klar ist, dass es immer schwieriger werden wird, die verschiedenen nationalen kapitalistischen Staaten unter einen Hut zu bringen. Schnell dreht sich heutzutage das Karusell von Verbündeten und Gegnern: Zog sich der Frage des Irak-Kriegs 2003 ein gewaltiger Riss zwischen “altem und neuem Europa” (Britannien und Polen gegen Frankreich und Deutschland), verhält es sich in Budget-Fragen eben ganz anders. Das Projekt der Ausdehnung der EU ist ein Versuch der Herrschenden, der Konkurrenz des US-Imperialismus sowie Chinas besser entgegenzuhalten. Die moderne Wirtschaft ist der Zwangsjacke des Nationalstaates längst überdrüssig. Gleichzeitig brechen nationalistische Tendenzen immer stärker auf. Führende bürgerliche Politiker betonen deutlicher als früher die “eigenen” gegenüber den “europäischen” Interessen. Diese Einstellung kommt selbst bei den Spitzen der EU zum Vorschein. Kommissionspräsident Barroso verknüpfte die Budget-Streiterei mit einer Infragestellung der geplanten Beitritte von Rumänien und Bulgarien 2007.

Beitrittsdebatte um die Türkei

Das unwiderrufliche Ende der EUphorie der 1980er und 90er bekommt derzeit die Türkei am härtesten zu spüren. Wurden die Pläne der Integration noch in jener Zeit gefasst, kippt ein immer größerer Teil der nationalen kapitalistischen Politik zu einer anderen Betonung. Und umgekehrt: Finden die europäischen kapitalistischen Länder nicht zu einer geschlossenen Linie im Kampf mit USA und Asien (speziell China), dann wird die Rolle jedes einzelnen imperialistischen Landes wie Deutschland, Frankreich und Britannien auf der Weltbühne schwächer. Es ist kein Zufall, dass nicht nur rechtsextreme Kräfte die Klingen ihrer Anti-EU-Propaganda wetzen. Auch in den traditionellen bürgerlichen bzw. ehemals sozialdemokratischen Parteien taucht immer öfter der Ruf nach mehr “nationaler Politik” auf. Doch diese nationale Politik ist aus Sicht der ArbeiterInnenschaft nicht die Alternative zur EU. Denn auch sie bedeutet Sozialabbau und Lohndumping. Ändern würde sich lediglich einiges im Bereich protektionistischer Maßnahmen. Die Illusion einer Abschottung vom europäischen und darüber hinaus vom Weltmarkt wird geschaffen. Das birgt eine Reihe von Widersprüchen, auch innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft selbst. Verschiedene Unternehmen haben unterschiedliche Bedürfnisse in Fragen von Import und Export, Zöllen und anderen Handelsbarrieren, Rechtssicherheit auf nationalem Boden und dem Drang nach uneingeschränktem “Freihandel”. Darüber hinaus blicken die etablierten und rechtsextremen Parteien immer auch auf die nächsten Wahlen. Populistische Zwischenspiele sind ebenso nötig, wie die Präsentation gegenüber der Wirtschaft als seriöse, verlässliche “Pro-Europa-Partei”. Gegenwärtig spielt die ÖVP dieses Spiel am ausgeklügeltsten und die FPÖ am derbsten.

Das FPÖ-Volksbegehren

Die sozialen Probleme führen in Verbindung mit der Krise und der Unbeliebtheit der EU dazu, dass auch rechtsextreme Hetzer versuchen, die Lage auszunutzen. Das rassistische FPÖ-Volksbegehren “Österreich bleib frei” ist das beste Beispiel. FP-Chef Strache gibt dazu auf seiner Homepage an: “Das Volksbegehren verfolgt drei Ziele: Die Bewahrung der österreichischen Neutralität, die Vereitelung des EU-Beitritts der Türkei und die Abwehr der EU-Verfassung in der vorliegenden Form.” Die FPÖ versucht die Schuld für soziale Probleme auf Menschen in anderen Ländern zu schieben. Die Anti-Türkei- Hetze der FPÖ richtet sich keineswegs gegen die dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen gegen linke AktivistInnen und Minderheiten wie die KurdInnen. Auch ist die FPÖ immer schon eine militaristische und keine Friedenspartei gewesen. Doch all das zählt nicht. Sie kann diesen Spagat schaffen, weil es erstens keine starke ArbeiterInnen-Partei gibt, die die richtigen Antworten auf die Krise gibt und zweitens, weil die Pro-EU-Politik der etablierten Parteien in weiten Teilen der Bevölkerung – völlig zurecht – abgelehnt wird. Geradezu in anderen Sphären schweben die Grünen: Bundessprecher Van der Bellen meint ernsthaft: “Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie neu erfinden.” Strache hat es leicht bei solchen Gegnern. Bereits im November 2004 schrieb das Vorwärts: “Die rechtsextreme Anti-Türkei-Politik dient nicht dazu, den Lebensstandard der österreichischen ArbeiterInnen zu verteidigen oder zu verbessern. Im Gegenteil ist die Politik der FPÖ praktisch darauf ausgerichtet, diesen diesen drastisch zu senken. Ein solches Volksbegehren würde daher zur Stärkung der FPÖ und des Rassismus führen. Es würde eingesetzt werden, um von der Verantwortung der FPÖ für den Sozialabbau in Österreich abzulenken. Gegen eine solche Hetze, wie auch gegen den Sozialabbau, der sie verstärkt, ist gemeinsamer Widerstand von österreichischen, türkischen, kurdischen, alewitischen ArbeiterInnen und Jugendlichen notwendig.” Der SLP-Standpunkt zur Türkei-Frage hat durch die Entwicklung der letzten Monate an Bedeutung gewonnen: “Wir SozialistInnen haben zur Frage EU-Beitritt der Türkei eine differenzierte Position. Wir sind nicht reflexartig “dafür”, weil die rechten “dagegen” sind, sondern versuchen bei den jeweiligen Kampagnen – für oder gegen den Beitritt – aufzuzeigen, was dahinter steckt. Wir stellen den diversen bürgerlichen Standpunkten eine sozialistische und internationalistische Position entgegen. Wichtig ist es, die Hintergründe zu erklären und die Auswirkungen. Keineswegs würde sich die soziale Situation der türkischen ArbeiterInnen und BäuerInnen verbessern. Die Regierung in Ankara ist bereit, alle neoliberalen Angriffe durchzuführen und von den EU-Agrarsubventionen haben die Klein- und KleinstbäuerInnen nichts (wie sich z.B. in Polen im Zuge der Osterweiterung gezeigt hat). Sozialabbau und Subventionskürzungen in anderen Staaten werden nicht in erster Linie das Ergebnis eines Beitrittes der Türkei sein, sondern einer neoliberalen Politik, die Sozialstaaten zerschlagen, Öffentliche Dienste privatisieren und die Rechte der ArbeiterInnen einschränken will. Die EU wird den Aufbau moderner Fabriken (mit vielen Maschinen und wenig Arbeitskräften) in der Türkei subventionieren, mit denen dann die ArbeiterInnen in ganz Europa erpresst werden, niedrigere Löhne zu akzeptieren. Nicht die türkischen ArbeiterInnen sind schuld, sondern der Kapitalismus und seine Nutznießer.”

Gefahr “Dienstleistungsverordnung”

Die bevorstehende Dienstleistungsverordnung bringt das sogenannte “Herkunftslandprinzip” mit sich. Es bedeutet die Freigabe aller Dienstleistungen, wobei die arbeitsrechtlichen und Sozial-Standards jenes Landes gelten, aus dem die jeweilige Firma kommt. Das bedeutet natürlich Verschlechterungen für Beschäftigte und KonsumentInnen. Es soll auch die Sozialversicherung, Gesundheitswesen, Bildung und die öffentliche Infrastruktur (Verkehr, Wasser, Müll) umfassen. Wie bereiten sich angesichts dieser Gefahr die Spitzen der österreichischen Gewerkschaften sich und uns darauf vor? Auf der ÖGB-Homepage geben ÖGB-Chef Verzetnitsch und GPA-Vorsitzende Katzian die Marschroute aus. Zum drohenden Herkunftslandprinzip sagt Verzetnitsch: “Wir werden weiterhin alles unternehmen, um der EU einen Sozialkonflikt zu ersparen”. Die SLP meint: Wir müssen auf die leider existierenden und sich weiter verschärfenden Sozialkonflikte reagieren und organisiert entsprechend antworten. “Die Zustimmung zum Herkunftslandsprinzip im Binnenmarktausschuss des Parlaments kann das europäische Sozialmodell ins Wanken bringen”, so Wolfgang Katzian. Dem folgt ein Brief ans Christkind: “Jetzt ist die österreichische EU-Präsidentschaft gefordert, eine Lösung zu finden, die den Befürchtungen der Bevölkerung gerecht wird.” So wird man diese Verschlechterung nicht verhindern. Erstens ist das sogenannte “europäische Sozialmodell” größtenteils bereits sturmreif geschossen. Zweitens vertrauen die Spitzen der Gewerkschaften einschlägigen Sozialabbauern und Freunden des Sozialdumpings, namentlich Schüssel und Bartenstein. Letzterer hatte sich kürzlich wieder offen für einen “Steuerwettbewerb” (= Geschenke für Unternehmer) ausgesprochen. Mit geradezu überheblicher Gelassenheit verkündet die ÖGB-Führung sodann: “Entschieden wird erst in der Jänner-Sitzung des EU-Parlamentes.” Mit Verlaub, das ist in wenigen Wochen. Überdies haben die EU-Abgeordneten im Binnenmarktausschuss der Verordnung bereits zugestimmt! Was hören wir dazu von der Arbeiterkammer (AK). Der derzeitige Chef Tumpel fordert “Weg mit dieser Dienstleistungsrichtlinie.” Doch der AK-Chef analysiert weiters: “Die europäische Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahren fast ausschließlich Deregulierungs- und Liberalisierungsziele verfolgt.” Für ihn zählt der von der kapitalistischen Politik ausgegebene Maßstab: “Mit jeder Erweiterung entfernt sich die EU von ihrem eigenen Ziel zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt mit mehr und besseren Arbeitsplätzen zu werden”. Er ist offensichtlich fest der Überzeugung, es gäbe eine Parallel-EU, eine andere, eine soziale EU. Diese EU der ArbeitnehmerInnen hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Es gibt sie nicht wirklich.

Ein anderes Europa kann nur gegen die EU erkämpft werden!

Für die SLP steht außer Frage: Es ist nötig, dass Gewerkschaftsbewegung und sozialistische Kräfte einen Entwurf für ein wirklich anderes “Europa von unten” geben. Unserer Meinung nach muss es bei folgenden Punkten ansetzen: In den Versuchen, Belegschaften und Standorte gegeneinander auszuspielen, ist sich das europäische Kapital einig. Der Europäische Gewerkschaftsbund hätte die Aufgabe, eine internationalistische Herangehensweise und Arbeit gegen Standortlogik und erpresserisches Sozialdumping zu organisieren. Wir brauchen ein Projekt des gemeinsamen Kampfes von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen in und außerhalb der EU. Es ist auch unsere Verantwortung, dabei die national-chauvinistische Propaganda z.B. einer FPÖ zu überwinden. Möglichkeiten für solche Kämpfe hat es in der Vergangenheit schon gegeben und ArbeiterInnen haben auch schon grenzüberschreitende Kämpfe geführt. Die Lähmung der Gewerkschaften muss überwunden und durch eine internationalistische und kämpferische Politik ersetzt werden. Weder mit den EU-Bürokraten noch mit jedeweder österreichischen Sozialabbau-Regierung kann es hierbei eine Zusammenarbeit geben. Stattdessen braucht es noch vor dem Jänner 2006 eine bundesweite Konferenz, am besten mit internationaler Beteiligung, wo GewerkschaftsaktivistInnen, Betriebsräte und andere KollegInnen einen Plan ausarbeiten, mit welchen Maßnahmen die Dienstleistungsverordnung bzw. deren Umsetzung gestoppt werden könnte. Nur ein wirklich vereinigtes Europa kann mithelfen, eine Welt ohne Ausbeutung und Kriege zu schaffen. Die Profitlogik des Kapitalismus verhindert dies. Eine echte Vereinigung kann nur auf Basis einer grundlegend anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung erfolgen. Angesichts der generellen Zunahme von sozialen Protesten und Arbeitskämpfen brauchen die verschiedenen Bewegungen wieder eine Perspektive, die sich nicht von den Vorgaben der herrschenden Politik einschränken lässt. Wir treten daher gemeinsam mit den Schwestersektionen des Komitees für eine ArbeiterInnen-Internationale (CWI/ KAI) für eine Föderation der sozialistischen Staaten von Europa als echtes Friedens- und Wohlstands-Projekt ein.

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