Gaza: der Horror geht weiter

von Yasmin Morag, Sozialistin aus Israel/Palästina

Nach mehr als 100 Tagen blutiger Eskalation historischen Ausmaßes plant die israelische Regierung, in die dritte Phase des Angriffs auf Gaza auf Druck des Weißen Hauses mit "geringer Intensität" überzugehen. Netanjahus brutale Offensive hat weit über 23.000 Menschen getötet, 85% der Menschen im Gazastreifen vertrieben und 2 Millionen verarmte und belagerte Menschen in Gaza in extremen Hunger und Elend gestürzt. Die internationale Bewegung (auch innerhalb Israels) hat Netanjahu entscheidend dazu gedrängt, Ende November einem Waffenstillstand zuzustimmen, bei dem die Hamas 110 Entführte und Israel 240 palästinensische Gefangene freiließ. Seitdem haben sich die Angriffe jedoch verschärft und auf das Zentrum und den Süden ausgeweitet. Die Folgen: Bombardements von Krankenhäusern, Schulen und Moscheen, massive Verschlechterung der sanitären Bedingungen und schwerer Hunger. Kein Ort in Gaza ist mehr sicher. 

Während Netanjahu darauf abzielt, die Hamas "auszulöschen" (oder deutlich zu schwächen), versucht er sich von der Demütigung durch die Hamas-Attacke vom 7.10. zu erholen. Dieser war ein reaktionärer, verabscheuungswürdiger Angriff, bei dem Hunderte von Zivilisten getötet wurden. Die Illusionen, die in Israel geschürt wurden - dass es die stärkste Militärmacht in der Region ist und durch seine Politik des "Konfliktmanagements" in der Lage ist, ein gewisses Maß an Stabilität und Sicherheit für die Israelis zu gewährleisten (wenn auch auf Kosten der Palästinenser*innen, die unter Belagerung und Besatzung leben) - wurden zerschlagen. Bislang hat diese blutige Offensive keine nennenswerten Erfolge erzielt. Verzweifelt wird versucht, ein Bild des Sieges zu vermitteln - unter anderem mit abenteuerlichen Attentaten auf Hamas- und Hisbollah-Führer im Libanon. Dadurch droht ein weiterer regionaler Konflikt, vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Scharmützel zwischen den US-amerikanischen sowie britischen Streitkräften und den Huthi-Milizen im Roten Meer. 

Kein Frieden ohne Kampf gegen Armut, Besatzung und Unterdrückung!

In der Zwischenzeit fantasieren Biden, Macron und ihre Freund*innen, dass am Tag nach dem Krieg die Palästinensische Autonomiebehörde im Gazastreifen installiert werden würde. Doch über das letzte Jahrzehnt hat Israel die Unterdrückung von Millionen Palästinenser*innen durch schleichende ethnische Säuberungen, verstärkte Belagerungsmaßnahmen gegen den Gazastreifen und staatlichen Terror mit Hilfe neofaschistischer Siedler*innenmilizen weiter verschärft. Selbst wenn die Einsetzung der Palästinensische Autonomiebehörde in Gaza in einer Zeit historisch geringer Unterstützung für Abbas möglich wäre, würde ein palästinensischer Staat, der als Marionette Israels oder der USA agiert, den Palästinenser*innen keine Gleichheit, Befreiung oder ein ordentliches Leben garantieren. 

Die internationale Bewegung kann und sollte auf einen Waffenstillstand drängen, indem sie sich ausweitet, die Bewegung in Schulen und an Arbeitsplätzen aufbaut und die entscheidende Waffe des Streiks einsetzt. Wir müssen einen dauerhaften Waffenstillstand im Rahmen eines Abkommens, das alle Geiseln gegen alle Gefangenen austauscht, und ein Ende der Belagerung des Gazastreifens fordern. Die österreichische Regierung steht der israelischen nahe. Wir brauchen eine Bewegung, die nicht nur darum kämpft, dass Österreich in der UNO für einen Waffenstillstand stimmt, sondern z.B. auch für ein Ende aller Exporte, die für die Aufrechterhaltung von Besatzung und Unterdrückung genutzt werden, um so den Druck auf das Netanjahu & Co weiter zu erhöhen. Der Kampf in Österreich sollte mit Forderungen gegen Rassismus und rassistische Politik, für vollen Zugang für Asylsuchende und Flüchtlinge und dem Kampf gegen die gefährliche extreme Rechte, die Palästinenser*innen, Jüd*innen, Frauen, queere Menschen und viele andere Gruppen bedroht, verknüpft werden.

Die israelische Regierung hat sehr deutlich bewiesen, dass ihre Politik ein Blutbad für Palästinenser*innen, aber auch für Israelis bedeutet. In der Region ist ein grundlegender Wandel nötig, um die nationale Unterdrückung zu beenden und das palästinensische Volk zu befreien - eine demokratisch von unten organisierte Massenbewegung im Geiste der ersten Intifada oder des ”Würde-Streiks” 2021, die die Grundlage für den Sturz des israelischen Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft schaffen könnte, die beiden Völkern ein Leben in Frieden und Würde ermöglicht.

 

 

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