Mo 05.11.2007
Die KurdInnen sind eines der unterdrücktesten Völker auf der Welt. Mit einer eigenen Sprache, Geschichte und Kultur sind sie eine Nation von 25 bis 40 Millionen (je nach Schätzung), dem historisch die elementarsten Rechte vorenthalten werden. Sie leben in einer der am wenigsten entwickelten Regionen der Erde, ohne demokratische Rechte und Freiheiten, wobei ihnen das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird.
Kurdistan ist auf vier Länder aufgeteilt worden: auf die Türkei, wo auch ihre Mehrheit lebt, auf den Irak, Syrien und den Iran. Als allgemeine Regel kann man feststellen, dass sie (mit Ausnahme des Irak) nicht das Recht haben, zu sagen, dass sie Kurden sind, in ihrer Sprache unterrichtet zu werden und diese zu sprechen. Die Kurden sind die größte Nation, die keinen eigenen Staat hat.
Die Heuchelei des Westens
Die entwickelten Industrieländer der Erde - USA, Britannien, Frankreich usw. - beziehen sich auf das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, das angeblich die UNO verteidigt. Alle wenden dieses Recht jedoch nur dort an, wo es ihnen nützt.
Das Recht auf Selbstbestimmung bietet jedem Volk bzw. jeder Nation die Möglichkeit, seinen / ihren eigenen Staat zu schaffen, wenn es / sie dieses wünscht. Den Kurdinnen wurde diese Möglichkeit nie gegeben. Die Verantwortung dafür tragen nicht nur die autoritären Regierungen der Länder, in denen heute die KurdInnen leben, sondern auch die englischen und französischen Imperialisten, die die Region bis zum 2. Weltkrieg verwalteten und in der Folge die USA.
Die Grenzen der vier Länder, die heute von KurdInnen bewohnt werden, wurden von den Imperialisten nach dem 1. Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches gezogen. Der Vertrag von Sevres erkannte den Kurden das Recht zu, ihren eigenen unabhängigen Staat zu bilden. Doch dieser Vertrag wurde nie umgesetzt und der Bezug darauf wurde durch den Vertrag von Lausanne aufgegeben, der zweieinhalb Jahre später folgte.
Trotz der Größe ihrer Bevölkerung und der Ausdehnung ihres Landes wurden die Rechte der Kurden von den Größmächten des Westens vollkommen beiseite gedrängt. Doch das gilt auch für die Sowjetunion, die das Selbstbestimmungsrecht der Kurden nie wirklich unterstützte. Die Haltung der Amerikaner, Briten, Franzosen, Sowjets usw. wurde immer bestimmt durch ihr Bemühen um gute Beziehungen zu den Regimes der Länder, in denen die Kurden lebten.
Nur wenn sie mit diesen Regimes in Konflikt gerieten, wie kürzlich die USA mit Saddam Hussein, erinnerten sie sich daran, dass auch die Kurden Rechte haben.
Das Recht auf Selbstbestimmung im Kapitalismus
Die KurdInnen haben an allen großen nationalen und sozialen Bewegungen in den Ländern, in denen sie lebten, teilgenommen. Sei es im „Befreiungskrieg“ von Kemal Atatürk 1920-1922, sei es im Kampf um eine Republik im Irak (1958), sei es im Kampf für die Unabhängigkeit Syriens (1946) von den britischen und französischen Imperialisten, sei es in der iranischen Revolution 1979. Immer kämpften die KurdInnen zusammen mit den Völkern dieser Länder in dem Glauben, dass in der Folge auch ihre eigenen Rechte geachtet würden.
Dies geschah nicht, weil die Bedürfnisse des kurdischen Volkes mit den Interessen der herrschenden Klassen in Konflikt gerieten, die in der Folge die Herrschaft übernahmen, und die die KurdInnen grausam unterdrückten.
Auf dieselbe Weise, auf die die alten imperialen Regime den Völkern, die sie unterdrückten, das Recht auf Selbstbestimmung verweigerten, weigern sich die kapitalistischen Staaten auch heute, den KurdInnen dieses Recht zuzugestehen. Dasselbe gilt für Staaten, die sich selbst als „sozialistisch“ definieren, wie Syrien, das nach dem Vorbild der stalinistischen Sowjetunion aufgebaut wurde und das von einer bürokratischen Kaste mittels der Baath-Partei regiert wird, die den Nationalismus als grundlegende Ideologie vertritt.
Für Regime wie das der Türkei, des Irak, Syriens und des Iran ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der KurdInnen unvorstellbar. Die Schaffung eines unabhängigen Staates für die KurdInnen würde für alle diese Regimes gewaltige Verluste hinsichtlich der Wirtschaft, der Bevölkerung und der geographischen Ausdehnung bedeuten. Es würde eine Reduzierung ihrer Möglichkeiten bedeuten, ein gewaltiges Potenzial an Menschen und an Rohstoffen auszubeuten, mit denen Reichtum produziert werden kann (insbesondere weil in kurdischen Gebieten die Ölvorkommen von Kirkuk und Mossul liegen). Das würde die ökonomische und strategische Schwächung dieser Länder bedeuten. Kein kapitalistisches Land akzeptiert jemals (im Rahmen der internationalen kapitalistischen Konkurrenz), freiwillig Gebiete abzugeben. Diese Fragen löst der Kapitalismus mit Waffengewalt. Das gleiche gilt auch für Diktaturen sowjetischen Typs wie die von Assad in Syrien.
Die MarxistInnen und das Recht auf Selbstbestimmung
Das Selbstbestimmungsrecht gehört zu den wichtigsten Positionen des Marxismus in seiner ganzen Geschichte.
Sich an die englischen ArbeiterInnen wendend erklärte Marx, dass sie nie wirklich ihre Freiheit gewinnen könnten, solange sie nicht für die Freiheit Irlands von der britischen Besetzung kämpfen würden.
Im Programm der Bolschewiki war eine der wichtigsten Positionen die über die Selbstbestimmung für die dutzenden Nationalitäten und Nationen, die unter der brutalen Unterdrückung im Zarenreich lebten. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass ohne diese Position die Revolution von 1917 in Russland zu einem Zusammenstoß zwischen den verschiedenen Nationen hätte führen können, der die Revolution hätte vernichten können.
Die Praxis der bolschewistischen Oktoberrevolution war einzigartig in der Geschichte. Sofort nach der Eroberung der Macht erkannten die Bolschewiki für alle Völker das Recht an, sich der von ihnen geplanten Föderation nicht anzuschließen, wenn sie dies wollten. Die Teilnahme an der Schaffung der ersten Föderation von ArbeiterInnenstaaten auf der Welt, der Sowjetunion, war somit frei und freiwillig. Ein Land, Finnland, traf die Wahl, nicht teilzunehmen und die Regierung der Bolschewiki unternahm keinerlei Anstrengung, es daran zu hindern. Das Recht aller Nationen, sich loszulösen und ihre eigenen unabhängigen Staaten zu bilden, in der Praxis anerkennend erreichten die Marxisten in Russland etwas einzigartiges: Die Vereinigung der größten Anzahl von Nationen auf freiwilliger Basis und mit friedlichen Mitteln, die es jemals gegeben hat.
Das Recht auf Selbstbestimmung ist eine der wichtigsten Waffen der MarxistInnen, um den nationalen Hass und das nationale Misstrauen zu brechen und die Klasseneinheit zwischen den arbeitenden Menschen unterschiedlicher Herkunft aufzubauen.
Dieses wertvolle Erbe der Russischen Revolution von 1917 wurde in der Folge von Stalin und seinen späteren Nachfolgern mit Füßen getreten. Nachdem diese die Sowjetdemokratie zerstört hatten und an deren Stelle eine der barbarischsten und blutrünstigsten Diktaturen gesetzt hatten, unterdrückten sie ohne Rücksicht die Nationalitäten der früheren Sowjetunion.
Das Ergebnis war, dass das nationale Problem explosive Dimensionen annahm und dass wir mit dem Zusammenbruch der UdSSR 1990 eine Reihe von Kriegen auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR und Jugoslawiens gesehen haben.
Um für denselben Kampf und unter derselben Fahne alle Arbeitenden unabhängig von nationaler Herkunft zusammenzuschließen, beschäftigen sich die MarxistInnen sehr ernsthaft mit den nationalen Fragen, das heißt mit den Fällen national unterdrückter Völker. MarxistInnen führen den Kampf für die nationalen Rechte in dem Verständnis, dass der Kampf der Massen gegen ihre Unterdrückung durch einen stärkeren Staat nicht Nationalismus ist, sondern ein Recht.
Ab dem Moment, wo die MarxistInnen zusammen mit der ArbeiterInnenbewegung den Weg zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft betreten können, sind die Fragen, ob es Grenzen zwischen benachbarten Nationen gibt und wo sie genau gezogen werden, ob verschiedene Nationen zusammen zu einem einheitlichen Staat voranschreiten oder zu einem Bundesstaat und welches genau die Struktur des Staates sein wird, völlig zweitrangig. Die MarxistInnen sind bereit, alle „Zugeständnisse“ zu machen, die erforderlich sind, um den Völkern zu helfen, das nationale Misstrauen zu überwinden, das sie möglicherweise vom Kapitalismus ererbt haben.
So werden die Grundlagen gelegt werden, dass die Nationen, die eine zukünftige sozialistische Föderation bilden werden, auf der Basis von Beziehungen kameradschaftlicher und brüderlicher Zusammenarbeit funktionieren anstatt auf der Basis harter Konkurrenz, die die kapitalistischen Staaten charakterisiert.
Die kurdische Frage nach den Entwicklungen im Irak
Eines der Ergebnisse des Irakkrieges ist die Gewährung einer weitgehenden Autonomie für die KurdInnen des Irak.
Diese neue Entwicklung hat bei den KurdInnen international Hoffnungen entstehen lassen, dass die Autonomie der KurdInnen des Irak langsam befestigt werden kann und dass entsprechende Entwicklungen in den übrigen Ländern, in denen KurdInnen leben, diesem Beispiel folgen können und sie so langsam zur Schaffung ihres eigenen unabhängigen Staates voranschreiten können. Die Wirklichkeit ist jedoch eine andere.
Die amerikanischen und britischen Imperialisten entdeckten die Rechte der Kurden, als sie beschlossen hatten, den Krieg gegen Saddam Hussein in Gang zu setzen. Dies war der fall, weil sie Bündnispartner innerhalb des Irak brauchten, auf die sie sich stützen konnten, um ihre Ziele zu erreichen.
In den vorangegangenen Jahrzehnten, als Saddam Hussein einen Völkermord an den KurdInnen beging, schloss die amerikanische Regierung davor die Augen, weil Saddam Hussein ihr Bündnispartner gegen den Iran war.
Die amerikanische und die britische Regierung haben auch nie auf grundsätzliche Weise die Regierung in Ankara für die massenhaften Säuberungen und die Einebnung der kurdischen Dörfer in der östlichen Türkei angeklagt. Im Gegenteil stützen sie auf indirekte, aber klare Weise die türkischen Säuberungsangriffe, wobei sie für die Aggressivität Ankaras den „Terror“ der PKK verantwortlich machen.
Die Autonomie, die die KurdInnen des Irak heute haben, hatten sie schon in der Vergangenheit. Doch sie haben sie verloren. Autonomie war in der Vergangenheit auch den KurdInnen der Türkei, Syriens usw. versprochen worden. Doch sie haben sie nie bekommen. Die Autonomie, die den KurdInnen des Irak aufgrund der Konstellation, die zur Zeit in der Region und international existiert, zugestanden wird, ist keine wirkliche. Denn mit der Änderung dieser Konstellation können sie sie durch diejenigen verlieren, die sie ihnen heute gewährt haben.
Unabhängig davon ist das Zugeständnis der Autonomie an die KurdInnen des Irak weit entfernt von der Lösung des nationalen Problems Kurdistans. Solange die KurdInnen nicht die Möglichkeit haben, frei zu wählen, sich in einem eigenen Staat zu vereinen, wird das KurdInnenproblem ungelöst bleiben.
Die Rolle der Türkei
Das irakische Regime ist heute viel zu schwach, um die Entwicklungen in der Region Irakisch-Kurdistans zu kontrollieren. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass die KurdInnen des Irak heute eine relative, weitgehende Autonomie genießen können. Wenn es möglich wäre, dass sich das Regime des Irak stabilisiert, würde es versuchen, schrittweise die vielen Zugeständnisse wieder zurückzunehmen, die den KurdInnen in der letzten Zeit gemacht wurden. Genau das war schon in der Vergangenheit sowohl im Irak wie auch in der Türkei, in Syrien und im Iran geschehen.
Natürlich gibt es keine Perspektive für die Stabilisierung der Verhältnisse im Irak für die vorhersehbare Zukunft. Die grundlegende Perspektive für die kommende Zeit ist der Bürgerkrieg und Tendenzen zum Zerfall des Irak. Doch trotzdem sind die „Erz“-freunde der KurdInnen, AmerikanerInnen und BritInnen, nicht bereit dazu, die Schaffung eines unabhängigen Staates zu unterstützen.
Die Hoffnungen vieler KurdInnen, dass die Autonomie von Irakisch-Kurdistan der Vorbote für die Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates ist und dass die Stunde naht, Recht zu bekommen werden sich als falsch erweisen. Der Hauptgrund dafür ist der, dass diese Möglichkeit in einem direkten Konflikt mit den Interessen der türkischen herrschenden Klasse steht.
Die türkische Regierung kann Selbstbestimmung für die 15 bis 25 Millionen. Kurden, die auf türkischem Staatsgebiet leben, nicht akzeptieren. Und die Regierungen der USA und Großbritanniens werden nicht den Selbstbestimmungsrechten der Kurden zuliebe einen Konflikt mit dem türkischen Regime eingehen.
Für diese ist das türkische Regime ein außerordentlich wertvoller Verbündeter - trotz der Differenzen, die sich vielleicht von Zeit zu Zeit ergeben. Angesichts der ganzen Instabilität, die die Region des Nahen Ostens charakterisiert, ist die Türkei einer der sehr wenigen stabilen und zuverlässigen Verbündeten der USA. Trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion bleibt die Rolle der Türkei für die westlichen Interessen außerordentlich wichtig. Sie grenzt weiterhin an die arabische Welt, die sich in dauernder Unruhe befindet und (für die Imperialisten) auf gefährliche Weise unberechenbar ist. Sie befindet sich weiterhin neben der Ölregion. Und schließlich ist die Türkei in einer Zeit, in der der Westen in einem frontalen Konflikt mit Hunderten Millionen Muslimen steht, das einzige Land, in dem, ein mit den USA verbündeter laizistischer Staat existiert, obwohl die Bevölkerung muslimisch ist. Die Rolle der Türkei im Rahmen von Bushs „Krieg gegen den Terror“ ist von außerordentlicher Bedeutung. Die enge Beziehung mit dem türkischen Regime wird die amerikanische Außenpolitik nicht den KurdInnen zuliebe opfern.
Es ist nur natürlich, dass unterdrückte Völker sich immer an die Großmächte wenden und darauf hoffen, dass diese eine Lösung für ihre Problemen finden werden. Die Wirklichkeit ist, dass Rechte nur durch Kämpfe errungen werden, dass die einzigen Kräfte, auf die sich die Völker stützen können, ihre eigenen sind und dass ihre einzigen wirklichen Verbündeten die Arbeitenden in der übrigen Welt und die Klassensolidarität ist, die sie ihnen anbieten. Auf dieser Ebene hat der Beitrag der MarxistInnen eine entscheidende Bedeutung.
Für ein Kampfprogramm für die kurdischen nationalen Rechte
1) Das Volk von Kurdistan braucht die Unterstützung und den Beistand der Arbeiterbewegung international.
Die aktive Verbindung des Kampfes der kurdischen politischen Flüchtlinge und MigrantInnen mit den ArbeiterInnenbewegungen insbesondere in Europa ist notwendig. Es ist notwendig, gemeinsam intensive Kampagnen zu entwickeln für die Gewährung von Asyl für kurdische politische Flüchtlinge. Es sind Kampagnen zur Informierung und Solidarität notwendig, mit ernsthafter Anstrengung und dem offensichtlichen Ziel, dass diese nicht einfach einen humanitären Inhalt haben, sondern einen politischen Klasseninhalt.
Die Unterdrückung der KurdInnen muss aufgezeigt werden. Gleichzeitig muss auf die Heuchelei der Mächtigen der Erde hingewiesen werden, die nicht nur die Augen vor ihrer Unterdrückung verschließen, sondern auch die Schlächter der Kurden mit Waffen ausrüsten. All die Völkermorde an den KurdInnen in den letzten Jahrzehnten geschahen entweder mit amerikanischen, mit britischen oder mit sowjetischen Waffen.
Schrittweise wird eine Massenbewegung mit wirksamen Kampfformen zur Unterstützung aufgebaut werden können. Zu den Beispielen, die zu berücksichtigen nützlich ist, gehören die Streiks der türkischen ArbeitnehmerInnen in Irland vergangenes Jahr und vor zwei Jahren (d.h. 2004 und 2005, der Übers.) mit der Hilfe der irischen Sektion des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale (CWI), die von einem großen Sieg gekrönt wurden. Ebenso die Mobilisierungen der migrantischen Kleinhändler in Griechenland, die sich auf die Hilfe der griechischen Sektion des CWI stützen. Mobilisierungen entsprechender Art und auf höherem Niveau können in der Zukunft gemeinsam mit kurdischen ArbeitnehmerInnen, die in Europa leben stattfinden. Dies insbesondere wenn sich der Kampf der KurdInnen in ihren Herkunftsländern intensiviert und sich die Kämpfe der MarxistInnen auf der übrigen Welt verstärken.
2. Die MarxistInnen/SozialistInnen verteidigen das Recht der KurdInnen auf bewaffneten Widerstand. All die Lügen der westlichen Regierungen, die jede massenhafte bewaffnete Bewegung, die außerhalb ihrer eigenen Kontrolle ist, als „terroristisch“ darstellen, müssen beantwortet werden. Gleichzeitig halten die MarxistInnen das Recht auf Kritik an den Kampfformen aufrecht, die möglicherweise verschiedene Organisationen der kurdischen Bewegung anwenden.
Die MarxistInnen unterstützen nicht den „bewaffneten Kampf“ isolierter Gruppen, jedoch das Recht der Massenbewegung, sich zu bewaffnen, um sich gegen die Angriffe zu verteidigen, denen sie ausgesetzt ist, sei es seitens organisierter Armeen oder paramilitärischer Gruppen. Dieser bewaffnete Kampf muss kombiniert werden mit einem Programm, das auf seine Unterstützung durch die Mehrheits-Nationalität abzielt (das heißt durch die türkischen ArbeitnehmerInnen in der Türkei, die arabischen Arbeitenden in Syrien und dem Irak usw.). Es ist also eine ergänzende und nicht die hauptsächliche, viel weniger noch die einzige Kampfform. Wichtiger als der bewaffnete Kampf selbst ist also das politische Programm, in dessen Namen dieser Kampf durchgeführt wird.
Die Form der Organisierung des bewaffneten Kampfes der Massen ist auch eine sehr wichtige Frage. MarxistInnen treten für Volksmilizen ein, das heißt für bewaffnete Einheiten der Arbeitenden und des Volkes in Dörfern und in Stadtvierteln, die allerdings in ihrem Innern demokratisch funktionieren, demokratisch diskutieren und kollektiv Beschlüsse fassen. Die ihre Offiziere und Vorgesetzten kontrollieren. Wir sind für gewählte Offiziere und für Führer, die von der Basis der Bewegung kontrolliert werden. Wir sind kategorisch gegen den Personenkult des einen und einzigen Führers und für kollektive Führungen.
3. Die MarxistInnen sind kategorisch gegen jede Form individuellen Terrors, obwohl sie die Hoffnungslosigkeit verstehen können, die zu solchen Aktivitäten führt.
Angriffe, die sich gegen die ArbeitnehmerInnen der Mehrheits-Nationalität richten, wie die Platzierung von Bomben in Städten, auf Markplätzen oder an Orten, wo sich einfache ArbeitnehmerInnen zu ihrer alltäglichen Beschäftigung oder zur Erholung häufig aufhalten, sind vollkommen falsch, denn indem man Frauen und Kinder tötet schlägt man nicht nur nicht den Feind, sondern wendet massenhaft die Bevölkerung gegen die KurdInnen.
Das Endergebnis ist, dass der Staat solche Vorkommnisse ausnutzt, um seine Unterdrückungsmaschinerie zu verstärken, nicht nur gegen die kurdische Bewegung sondern auch gegen die Mehrheits-Nationalität. Die Türkei ist ein typischer Fall für das oben genannte.
4. Zu den wichtigsten Pflichten der MarxistInnen gehört es, den ArbeiterInnenbewegungen derjenigen Länder, in denen die KurdInnen leben, geduldig die Gründe zu erklären, weshalb die ArbeiterInnenklasse der Mehrheits-Nationalität die nationalen Rechte der KurdInnen verteidigen muss.
Dies kann nur erreicht werden, wenn es kombiniert wird mit dem Aufbau der Kräfte der MarxistInnen in den Ländern, wo die KurdInnen leben. Kurdische, türkische, irakische, syrische und iranische KämpferInnen können gemeinsam auf der Basis eines sozialistischen Programms in den Reihen einer einheitlichen marxistischen Organisation kämpfen. Dies muss kombiniert werden mit der gemeinsamen Aktion der KurdInnen mit der Mehrheits-Nationalität in den Reihen der Gewerkschaften - wo diese existieren.
5. Die kurdischen KämpferInnen müssen Vertrauen haben in ihre eigene Intervention innerhalb der ArbeitnehmerInnen der anderen Nationalitäten, das heißt dass die türkischen, syrischen, irakischen, iranischen ArbeiterInnen sich einander annähern können auf der Basis eines sozialistischen Klassenprogramms, das den gemeinsamen Kampf um die eigenen Probleme gegen einen gemeinsamen Unterdrücker, gegen die herrschende Klasse und die Imperialisten vorschlägt. Auf dieser Grundlage können türkische, arabische usw. ArbeitnehmerInnen die demokratischen und nationalen Rechte der KurdInnen unterstützen.
Die grundlegenden Achsen eines solchen Programms können folgende sein:
- Gemeinsamer Kampf gegen den Krieg und für den Frieden in der Region.
- Gegen die Imperialisten, die die überwältigende Mehrheit der Völker der Region hasst.
- Gegen die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Politik der Privatisierungen und die Ungleichheit.
- Gegen die Vorenthaltung demokratischer Rechte und Freiheiten, für wirkliche Demokratie, für politische und gewerkschaftliche Freiheiten.
- Dafür, dass alle großen Unternehmen, ihr gewaltiger Reichtum und ihre Gewinne, die sich in den Händen einer kleinen Minderheit befinden, in die Hände der Gesellschaft übergehen.
- Dafür, dass sie begleitet werden von großen Investitionen in neue Technologien, in die Gesundheit, die Bildung und in Wohnungen, damit es Arbeit für alle gibt und einen würdigen und steigenden Lebensstandard.
- Dafür, dass ArbeiterInnenkontrolle und ArbeiterInnenverwaltung in der gesamten Produktion eingeführt werden, um die Korruption und den Nepotismus zu kontrollieren und um eine richtige Planung nach den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft sicherzustellen.
- Dafür, dass die Macht des Kapitals gestürzt wird und dass eine sozialistische Gesellschaft, frei und demokratisch, mit lebendigen Arbeiter- und Volksräten und einem Mehrparteiensystem aufgebaut wird
6. Über den gemeinsamen Kampf für ein solches Programm können die türkischen, irakischen, syrischen, iranischen usw. ArbeitnehmerInnen die KurdInnen als Verbündete für ein besseres Leben sehen und nicht als gefährliche Nationalisten, die die „territoriale Unverletzlichkeit ihres Landes“ bedrohen, wie es die Propaganda der herrschenden Klassen behaupten würde. In diesem Sinne werden sie verstehen können, dass sie nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen haben, wenn sie die demokratischen Rechte der Kurden verteidigen.
7. Mit einem solchen Programm treffen die kurdischen KlassenkämpferInnen eine klare Unterscheidung zwischen der Arbeiterklasse der Mehrheits-Nationalität und der bürgerlichen Klasse und schaffen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Front gegen letztere.
Gleichzeitig unterscheiden sie sich selbst von den kurdischen Nationalisten, die möglicherweise zur Entwicklung des Hasses zwischen den Nationalitäten beitragen, sowie auch von den kapitalistischen Elementen innerhalb der kurdischen Bevölkerungen, die, sobald sie ihre eigenen Interessen befriedigt sehen, leicht die nationalen Forderungen des kurdischen Volkes vergessen und den Kampf verkaufen.
8. Auf dieser Grundlage kann ein auf ihren Klasseninteressen beruhendes Programm der türkischen, arabischen usw. ArbeitnehmerInnen mittels der ausdauernden Anstrengung der MarxistInnen auch die Forderungen des kurdischen Volkes zur Befriedigung seiner demokratischen und nationalen Rechte mit einbeziehen.
- für den Gebrauch ihrer eigenen Sprache und deren Anerkennung als offizielle Sprache.
- für den Aufbau ihrer eigenen Schulen und Universitäten.
- für die Erhaltung ihrer eigenen Traditionen und Kultur.
- für ihre eigenen lokalen Verwaltungen und ihre eigene Selbstregierung,
- und schließlich und notwendig, für das Recht auf Selbstbestimmung der Kurden, das heißt das Recht, wenn sie es wünschen, in einem eigenen kurdischen Staat zu leben.
Dies ist in groben Linien das Programm, das die MarxistInnen zum kurdischen nationalen Problem vorschlagen.
Ein solches Programm wird sicherlich entsprechend der nationalen Besonderheiten und Verhältnisse, die in den verschiedenen Ländern, in denen die KurdInnen leben, angepasst werden. Es ist natürlich, dass es Unterschiede gibt zwischen einem politischen Programm, das die Bedingungen in der Türkei, in Syrien, dem Irak oder dem Iran betrifft.
Das Fehlen demokratischer Rechte in den verschiedenen Ländern, wo KurdInnen leben, ist ein großes Problem für die Formulierung des Programms und für praktische Maßnahmen und Initiativen, die zu unternehmen sind. Kein Land in der Region erlaubt wirkliche demokratische und gewerkschaftliche Rechte. In keinem Land ist es beispielsweise möglich, offen und öffentlich die Schaffung eines unabhängigen Kurdistan zu vertreten (mit Ausnahme zu einem gewissen Grade im Irak).
Eine wirklich offene und öffentliche Aktion wäre in jedem von den vorher genannten Ländern unmöglich. In der Mehrheit der Fälle werden halbgesetzliche Kampfformen verlangt. Und in mehreren Fällen ist nur illegale Aktion möglich.
Die Hauptpflicht, die sich stellt, ist die Notwendigkeit der Ausarbeitung eines Programms, das die Forderungen des kurdischen Volkes für seine nationale Befreiung kombiniert und vereinigt mit den Forderungen der arabischen, türkischen und anderen Völker für soziale Befreiung, befreit vom Imperialismus und für tatsächliche Unabhängigkeit. Der Weg zur Annahme eines solchen Programms durch die Massen in der Region ist nicht einfach. Er verläuft notwendigerweise über den Aufbau einer marxistischen Linken, die geduldig diese Ideen in die Arbeiterklasse und die Volksmassen tragen wird. Dieser Weg ist weit. Doch es gibt keinen anderen. Alle anderen sind auf die Probe gestellt worden und gescheitert.