Mo 24.08.2009
Wir hörten Sprüche wie diese:
Immer ruhig! Wartet doch nur!
Nach einer größeren Krise
Kommt eine größere Konjunktur!
aus: Bertolt Brecht, das Lied vom Klassenfeind
Inzwischen ist es amtlich: im 2. Quartal ist die deutsche Wirtschaft ein kleines bisschen (0,3%) gewachsen. Da bei der Frage, wann eine Rezession zu Ende ist, eine noch größere Verwirrung herrscht als bei der Frage, wann eine Rezession anfängt, ist es Definitionssache, ob man das als Ende der Krise bezeichnet oder erst die Entwicklung der nächsten Monate abwartet. Entscheidend sind sowieso nicht die Worte, sondern die Folgen für das wirkliche Leben der Menschen. Und auch viele bürgerliche Ökonomen rechnen auf absehbare Zeit nicht mit einem kräftigen Aufschwung, der die sozialen Probleme des Kapitalismus wenigstens mildern würde. Vieles spricht dafür, dass es nach einer kurzen Erholung ein erneutes Abgleiten in die Krise geben wird – also einen W-förmigen Konjunkturverlauf.
Zuerst müsste man klären, was mit einer „Erholung“ gemeint ist. Die kapitalistische Wirtschaft zeichnet sich seit etwa 1825 durch Konjunkturzyklen aus, den beständigen Wechsel von Boom und Krise. In vorkapitalistischen Gesellschaften gab es auch Krisen, verursacht durch außerökonomische Faktoren wie Missernten, Seuchen, Kriege etc. Im Kapitalismus liegen die Ursachen der Krisen in der inneren Widersprüchlichkeit des Systems. Natürlich versuchen die Schönfärber des Kapitalismus, das zu vertuschen, indem sie einzelne Ereignisse, Entscheidungen von Politikern oder Managern etc. zur Ursache der Krise erklären, die in Wirklichkeit bestenfalls Auslöser oder verschärfende Faktoren gewesen sind. Wie viel dabei der menschlichen Intelligenz zugemutet wird, dafür ist die aktuelle Krise ein deutliches Beispiel: Die Pleite von Lehman Brothers im September 2008 soll eine Krise verursacht haben, deren Beginn die US-Statistiker inzwischen auf Dezember 2007 festlegen! Auch in Deutschland schrumpfte die Wirtschaft bereits im 2. Quartal 2008, was unsere Politiker nicht hinderte, das Sommerloch 2008 mit Gefasel über ausgeglichene Haushalte und Vollbeschäftigung zu füllen.
Ein Blick ins „Lehrbuch“
Dass im Kapitalismus ökonomische Faktoren für die Krise verantwortlich sind, bedeutet allerdings auch, dass – nach dem „Lehrbuch“ – die Krisenprozesse die Voraussetzungen für einen neuen Aufschwung schaffen. Wie sieht das aus? Die Krise führt zu einer massiven Entwertung von Kapital. Aktienkurse stürzen, Firmen gehen in Konkurs und werden verramscht. Neben dieser Entwertung findet auch eine Vernichtung von Produktionskapazitäten statt, indem Produktionsanlagen und ganze Betriebe stillgelegt werden. Durch diese massive Vernichtung werden die Überkapazitäten der Industrie abgebaut. Da vor allem weniger produktive, technologisch rückständige Betriebe unter den Opfern sind, können die Überlebenden schließlich wieder Profite machen. Dazu kommt, dass die Kapitalisten Krisen nutzen, um die Arbeitshetze zu steigern, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und auch auf dieser Schiene ihre Profite zu steigern.
Wegen der Kapitalentwertung sind dabei die Profitraten nicht schlecht. Investitionen nehmen wieder zu, dadurch entsteht neue Nachfrage, angefangen in den Investitionsgüterindustrien. Die Nachfrage der Kapitalisten nach Maschinen, Vorprodukten, Rohstoffen etc. steigt wieder. Zunächst wird diese Nachfrage durch den Rückgang der Nachfrage der Masse der Bevölkerung nach Konsumgütern (bedingt durch steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne etc.) wettgemacht. Aber schließlich steigt die Gesamtnachfrage wieder. Das führt zu Neueinstellungen, irgendwann zu Lohnerhöhungen. Mit einer gewissen Verzögerung steigt auch die Konsumnachfrage der Masse der Bevölkerung wieder. Ein neuer Konjunkturzyklus beginnt, auf technologisch höherem Niveau, in dem deshalb die Widersprüche des Kapitalismus weiter zugespitzt sind, der schließlich in einer neuen Krise enden muss.
Das ist in groben Umrissen der Prozess nach dem Lehrbuch. Aber egal, wie sich die Weltwirtschaft in der nächsten Phase entwickeln wird – die Entwicklung wird mit dieser skizzierten Entwicklung wenig Ähnlichkeit haben.
Blasen-Wirtschaft und Krise
Tatsächlich hat sich die wirtschaftliche Entwicklung seit über zwei Jahrzehnten ein gewaltiges Stück vom Lehrbuch entfernt. Durch den Anstieg von Aktienkursen, Immobilienpreisen, durch einen gigantischen Anstieg der privaten Verschuldung gab es vor allem in der wichtigsten Wirtschaft, den USA, einen Anstieg des privaten Konsums, der in keinem Verhältnis zur eher bescheidenen Entwicklung der Löhne und Gehälter war. Ohne diese Spekulationsblasen und Verschuldung wäre die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte noch schwächer gewesen. Die Kehrseite war, dass das teilweise Platzen dieser Blasen (vor allem der überhöhten Immobilienpreise und mit ihnen verbundenen Hypothekenschulden) die Krise der letzten Monate zur tiefsten Krise der Nachkriegszeit gemacht hat.
Durch die Spekulationsblasen seit den 80er Jahren wurden die Folgen der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus für die Arbeiterklasse etwas abgemildert, nicht aus Menschenliebe, sonder aus Entsetzen über die Radikalisierung der Arbeiterklasse weltweit als Folge der Krise 1974/75. Aus derselben Angst heraus haben sie in den letzten Monaten nicht wie in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 die Dinge ihren Lauf nehmen lassen, sondern massiv interveniert. Das bedeutet nicht, dass die Herrschenden jetzt keinen Sozialkahlschlag planen würden. Im Gegenteil drohen die schlimmsten Angriffe der Nachkriegsgeschichte. Aber es bedeutet, dass selbst diese Angriffe noch hinter dem zurückbleiben werden, was notwendig wäre, um auf kapitalistischer Grundlage wieder einen selbsttragenden Aufschwung zu ermöglichen.
Denn unsere Politiker haben aus diesem Debakel keineswegs die Folgerung gezogen, zu solideren wirtschaftlichen Methoden zurückzukehren. Daraus, dass die private Verschuldung in einigen Ländern an Grenzen stieß, zogen sie die Folgerung, erstens die staatliche Verschuldung massiv zu erhöhen und zweitens die private Verschuldung in neuen Ländern anzukurbeln – das ist z.B. eine Folge der deutschen Abwrackprämie.
Wenn Regierungen weltweit Konjunkturprogramme im Umfang von 2,5 Billionen Dollar, das entspricht 4% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, auflegen, muss das natürlich eine Auswirkung auf die Weltwirtschaft haben. Die Frage ist, ob es die Initialzündung für einen Aufschwung oder nur ein Strohfeuer ist?
Ursachen der Erholung
Davor ist aber noch die Frage zu klären, warum die Wirtschaft sich in Deutschland (und Frankreich und einigen anderen Ländern) schon im zweiten Quartal erholt? Die Ökonomen hatten eine Erholung erst im zweiten Halbjahr erwartet – so wie sie die Krise nicht erwartet hatten, wie sie die Tiefe der Krise nicht erwartet hatten, so wie eigentlich nie das eintritt, was sie erwarten…
Erklärt wird die Erholung in Deutschland jetzt mit „privaten und staatlichen Konsumausgaben und Bauinvestitionen“. Der weitere Faktor „Außenbeitrag“ ist offenbar nur ein statistischer Effekt: Wenn die Importe stärker zurückgehen als die Exporte ist das ein Ausdruck davon, dass im Winter die Krise in Deutschland tiefer war als in der Weltwirtschaft insgesamt. Auffällig ist bei den Angaben, dass zwar Bau- aber nicht Ausrüstungsinvestitionen als Wachstumsquelle genannt werden. Das zeigt deutlich, dass es sich nicht um einen „lehrbuchmäßigen“ Aufschwung handelt.
Ein zentraler Faktor ist offenbar, dass die politischen Maßnahmen, die dafür sorgen sollten, dass die Krise erst nach den Wahlen bei der Masse der Bevölkerung ankommt (z.B. Kurzarbeitergeld) den Effekt hatten, dass die tiefste Krise der Nachkriegszeit nicht von einem Einbruch des Konsums begleitet war – und das zur jetzigen Erholung beiträgt. Offenbar sind Unternehmen auch im Winter im Zuge der tiefen Panik, die das kapitalistische System weltweit erfasst hatte, über das Ziel hinausgeschossen, was die Stornierung von Aufträgen und den Abbau von Lagerbeständen betraf. Diese Überreaktion wurde in den letzten Monaten korrigiert.
Ist die Erholung dauerhaft?
Die bürgerlichen Ökonomen sind sich in dieser Frage durchaus uneinig. Nachdem rund 30 Jahre lang staatliche Konjunkturprogramme als wirkungslose Verschwendung von Steuergeldern verteufelt wurden, ist es verwunderlich, dass überhaupt so viele Hoffnungen in sie gesetzt werden. So wird in der „Financial Times Deutschland“ die Obama-Beraterin Christina Romer zitiert, wonach sich die positiven Folgen der Konjunkturmaßnahmen gegenseitig hochschaukeln würden „mit steigender konjunktureller Wirkung“. Das ist die klassische Argumentation der keynesianischen Wirtschaftspolitik. Der Haken dabei: Warum hat das in den 70er Jahren nicht funktioniert? Bei allem bösen Willen: der Neoliberalismus hätte sich damals nicht so restlos gegen den Keynesianismus durchgesetzt, wenn der zu unübersehbaren Erfolgen geführt hätte.
Auch sonst sind die Argumente für eine dauerhafte Erholung teils reichlich bemüht. So verweist in der „Financial Times Deutschland“ deren „Chefökonom“ Thomas Fricke darauf, dass zwar die Abwrackprämie demnächst auslaufe, aber 70% der in Deutschland hergestellten Autos in den Export gehen und der „zieht mittlerweile wieder stark an“. Der Haken: In den letzten Monaten war die deutsche Abwrackprämie ein wesentlicher größerer Exportschlager als deutsche Autos. Um zu beweisen, dass der wichtigste deutsche Wirtschaftszweig die Krise dauerhaft überwunden hat, müsste man beweisen, dass die Nachfrage nach deutschen Autos überwiegend aus Ländern kommt, die selbst keine Abwrackprämien haben, in denen sich das Problem eines massiven Nachfrageeinbruchs nach Auslaufen der Abwrackprämie (oder wenn der Effekt des Vorziehens von Autokäufen durch die Abwrackprämie ausläuft) also nicht stellt.
Bisher sind in der Autoindustrie trotz Kurzarbeit und Abwrackprämie 3,9% der Stellen abgebaut worden. Insgesamt sank die Beschäftigtenzahl von Juni 2008 auf Juni 2009 um 3%. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sank um 12,6%. Das gibt eine Vorstellung, wie viele Arbeitsplätze ohne verschiedene Formen von Arbeitszeitverkürzung (Abbau von Überstunden, Kurzarbeit etc.) vernichtet worden wären!
Aber auch so werden die Bosse bald, nach den Wahlen, die Messer zücken. In Deutschland ist seit Beginn der Krise die Arbeitsproduktivität um 2,5% gesunken, die Lohnstückkosten sind um 7% gestiegen. Dagegen ist in den USA während der Krise die Arbeitsproduktivität um 8% gestiegen. Aus Sicht der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft ist das ein Rückstand, der nach den Wahlen schnell aufgeholt werden muss – durch Stellenabbau in den Betrieben, Kürzungen von staatlichen Sozialleistungen etc. Das bringt die Gefahr, dass der private Konsum – eine der Säulen der gegenwärtigen Erholung – in den nächsten Monaten wegbrechen könnte. Und das ist keine deutsche Besonderheit. International wird eine Mischung aus keynesianischen Geschenken und neoliberalen Angriffen praktiziert. In den USA mag Obama Konjunkturprogramme machen, aber gleichzeitig vollführen bankrotte Gouverneure wie Schwarzenegger Sparorgien – und der Anstieg der US-Arbeitsproduktivität ist Folge eines brutalen Stellenabbaus. So ist es kein Wunder, dass das US-Konsumentenvertrauen (ermittelt von der Nachrichtenagentur Reuters und der Universität Michigan) im August auf den tiefsten Stand seit März fiel. „Noch nie in der 60-jährigen Geschichte der Umfrage hätten weniger Verbraucher angegeben, dass sich ihre finanzielle Situation verbessert habe, teilten die Forscher mit.“ (FTD-Website, 14.8.)
Eine Folge ist, dass die Hypothekenkrise in den USA nicht zu Ende geht. Experten erwarten eine Zunahme der Zwangsversteigerungen von 3,1 Millionen 2008 auf 4 Millionen 2009. Normal sind 800.000. Dabei steigt die Gefahr, dass nach der Hypothekenkrise die Kreditkartenkrise kommt. Die Ausfälle im Kreditkartengeschäft sind auf das höchste Niveau seit 26 Jahren gestiegen. Das könnte der Auslöser für eine neue Finanzmarktpanik sein, ebenso wie die verheerende Lage vieler osteuropäischer Länder, die vor allem westeuropäische Banken, die viel Geld nach Osteuropa verliehen haben, ins Trudeln bringen könnte. Abgesehen davon haben die Banken weiterhin jede Menge Wertpapiere, deren Wert fragwürdig ist. Als Folge der Krise haben viele Regierungen, auch in Deutschland, die Bilanzierungsvorschriften gelockert. Damit konnten Probleme aufgeschoben, aber nicht gelöst werden. Diese Methoden könnten funktionieren, wenn der Wertverfall dieser Wertpapiere nur vorübergehend ist. Angesichts der beschriebenen wirtschaftlichen Risiken ist das aber keineswegs sicher.
Es gibt also viele Faktoren, die es wahrscheinlich mache, dass sich der Aufschwung als kurzes Strohfeuer erweisen wird. Eine ähnliche Entwicklung gab es in Japan in den 90er Jahren, als die Regierung immer wieder Konjunkturprogramme auflegte, die schnell verpufften, aber eine von Mal zu Mal höhere Staatsverschuldung hinterließen.
Konjunktur und Klassenkampf
Für uns ist die wirtschaftliche Erholung alles andere als bedauerlich. Erstens sind MarxistInnen nie der Ansicht gewesen, dass es der Arbeiterklasse möglichst schlecht gehen soll. Schwere Wirtschaftskrisen können eher eine lähmende Wirkung haben. Und gerade wenn im Herbst der arbeitenden Bevölkerung eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Mut macht, und sie trotzdem unter Stellenabbau leidet und eine neue Bundesregierung mit einer „Agenda 2020“ kommt, dann kann es eine explosive Mischung von Mut und Wut geben.
Und generell ist es eine alte Erfahrung, dass das ständige Wechselbad von Erholung und Krise mehr radikalisieren kann als Wirtschaftskrisen an sich. Dann wird besonders deutlich, dass Wirtschaftskrisen keine Betriebsunfälle sind, sondern ein unvermeidlicher Bestandteil des kapitalistischen Wirtschaftssystems.