Mi 08.08.2007
Eine Stellungnahme des SLP-Bundesvorstands
Die Regierung ist nun rund ein halbes Jahr im Amt. Die Zeitungen berichten von einem Wirtschaftsaufschwung. Wie sind die Erfahrungen mit der Regierung? wie werden Gusenbauer und die SPÖ nach der Umfaller-Serie gesehen, und wie nehmen ArbeiterInnen den Aufschwung wahr? Eine Stellungnahme des SLP-Bundesvorstands.
- Die Folgen des Umschwungs durch das Ergebnis der Nationalratswahlen 2006 bestätigten die Einschätzungen der SLP bezüglich der SPÖ vollauf. Er brachte eine neue politische Großwetterlage mit sich, ohne dass große Begeisterung und allzu übermäßige Illusionen verbreitet gewesen wären. Am Anfang des Jahres 2007 lag es noch im Bereich des Möglichen, dass aus den Protesten der Sozialistischen Jugend (SJ) mehr entsteht als ein Sturm im Wasserglas; z. B. eine Studierenden-Bewegung, die auf breitere Schichten auszuweiten gewesen wäre. Die neue Große Koalition unter dem neoliberalen Gusenbauer bot grundsätzlich die Voraussetzungen dafür. Seitdem hat sich die Unzufriedenheit und mancherorts sogar Wut über die SPÖ-geführte Regierung gesteigert. Dies kommt jedoch noch nicht in Form aktiver Proteste und Klassenkämpfe zum Ausdruck.
- Die schnelle Einigung zum Doppelbudget (2007 und 2008) deutete die grundlegenden Übereinstimmungen zwischen SPÖ und ÖVP an. Dieses Budget wird weitere Sozialabbaumaßnahmen bringen. Ebenso wurden ehemals polarisierende Punkte aus der Zeit, als die SPÖ formal noch Opposition war, ausgeräumt (z.B. Studiengebühren). Bezüglich der Kampfbomber dauerte dies etwas länger. Letzteres war die Phase der „Streitereien“, der eine „neue Harmonie“ folgte (Einigung bei Kindergartenjahr und Rezeptgebühren im Rahmen der Regierungsklausur im Juli). Die Regierung wird einen permanenter Wechsel von Streitereien und Harmonie erleben. Generell ist international seit Jahren ein Trend zur Destabilisierung etablierter Parteien und der aus ihnen geformten Regierungen zu beobachten.
- Dieser Widerspruch zwischen Streitigkeiten und Einigkeit kann durchaus dialektisch aufgelöst werden: Da sich ÖVP und SPÖ in vielen Dingen immer ähnlicher werden, müssen sie „vor Publikum“ durchaus zu Wahlkampfmethoden und (oftmals künstlicher) Polarisierung greifen. Dies erfüllt einen weiteren Zweck: während der Eurofighter-Zwist medial breitgetreten wurde, ging die Einigung zu den massiven Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten an vielen Menschen (Anfang Juli beschlossen) glatt vorbei.
Was sind/waren die Grundlagen der Koalitions-Streitigkeiten?
- Die Monate Mai und Juni waren von Geplänkel bis hin zu ausgewachsenen Konflikten zwischen SPÖ und ÖVP geprägt. Für was sind diese ein Ausdruck? Vorneweg zusammengefasst: Es hat nichts mit einer linken Neuorientierung der SPÖ oder Teilen von ihr zu tun. Der „härtere Kurs“ der SPÖ seit einiger Zeit ist nicht mehr als eine Reaktion auf die miesen Umfragewerte der Kanzlerpartei nach den ersten Wochen der neuen Regierung. Die SPÖ-Granden setzten offensichtlich eine PR-Initiative um, die im Eurofighter-Deal ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte (Inserate „Neutralitätsflieger statt ÖVP-Kampfbomber“ – ja, es darf gelacht werden). Beide U-Ausschüsse (Eurofighter und Banken/Finanzmarktaufsicht) lagen der ÖVP offensichtlich schwer im Magen. Sie hatte in beiden Fällen viel zu verbergen. Für die SPÖ war es hingegen vom Blickpunkt möglicher Skandal-Aufdeckungen weniger schlimm. Daher konnte und musste SPÖ-Verteidigungsminister Darabos den Eurofighter-U-Ausschuss benutzen. Dieser war ein Hauptgrund für die angespannte Lage. Ein Gefecht mit der ÖVP, gerade recht zur „Schärfung des Profils“, wurde regelrecht inszeniert, jedoch mit Ablaufdatum: Der Deal musste aus Sicht der SPÖ über die Bühne gehen, ehe der Ausschuss mit dem Abschlußbericht einen juristisch durchaus abgesicherten Ausstiegsplan präsentieren hätte können. So kam es in den Schlussbetrachtungen der Ausschüsse zu einer mitunter gar nicht so überraschenden Übereinstimmung der Koalitionspartner. Der Tonfall Molterers ist genau darauf abgestimmt. In der Pressestunde vom 8. Juli freute er sich über die Beendigung der beiden U-Ausschüsse als „Neustart für die Große Koalition“. Noch deutlicher: „Der Schutt der Vergangenheit ist jetzt weggeräumt“.
- Die „Gefahr“ von Neuwahlen wird mittlerweile nicht nur von diversen KommentatorInnen als gering eingestuft. Dennoch ist die relative Einigkeit der Großen Koalition in grundsätzlichen Fragen kein Garant für ein Durchhalten. Der Meinungsforscher Filzmaier nennt als mögliche Faktoren für einen Bruch „unvorhersehbare Skandale“ oder „wenn bei den Kärntner Landtagswahlen (2009) eine der beiden Koalitionsparteien der große Verlierer ist“. Wir müssen den Faktor Klassenkämpfe hinzufügen, der ebensowenig „berechenbar“ ist bzw. sein wird. Ob es bei den Themen Staats- und Verwaltungsreform oder anderen zu neuen Reibereien kommt, ist abzuwarten.
Debatten zur Steuerfrage stehen bevor
- Interessant war ein Bericht der „Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) im Frühsommer. Darin wird die österreichische Regierung ermahnt, die Abschaffung von Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer zu überdenken. Gefordert wird eine höhere Besteuerung von Vermögen. Denn Österreich liegt im OECD-Vergleich bei der Vermögensbesteuerung ganz hinten. Die OECD ist keineswegs eine ArbeiterInnen-Organisation, geschweige denn teilt sie sozialistische Standpunkte. Es ist vielmehr ein Ausdruck für das Dilemma, in dem sich der Kapitalismus befindet und für Debatten innerhalb der politischen Eliten. Aufbauend auf wachsendem Unbehagen bezüglich der schreienden Ungerechtigkeit der Steuerlast kann grundlegendes Klassenbewusstsein entstehen. Die Aufgabe von SozialistInnen ist es, auch zu diesem Thema die Hintergründe zu erklären und schlüssige Forderungen (Gegen Massensteuern, für Besteuerung von Vermögen und Profiten) zu entwickeln.
- Inwieweit die Steuerfrage (eine neuerliche „große Reform“ soll laut SPÖVP-Plan 2010 vollendet werden) zum Sprengstoff für die Koalition wird, werden wir sehen. Die SPÖ hält einerseits aus Oppositionszeiten die garstige „Vermögenssteuer“ hoch. Andererseits hat Gusenbauer bei Fragen wie der Gruppenbesteuerung (Verluste von Tochterfirmen im Ausland können mit Gewinnen des Unternehmens in Österreich „gegenverrechnet“ werden = weniger Steuern) seinen Kurs seit 2006 um 180° geändert. Auch tritt er, wie Molterer, offen für die Abschaffung der Werbeabgabe (von der Werbewirtschaft gern rührend „Wettbewerbshindernis“ genannt) ein. Die Entscheidung zum Auslaufen der Erbschaftssteuer war ebenso einhellig wie jene in der Koalition Mitte der 1990er, der Vermögenssteuer den Garaus zu machen (von einem SPÖ-Minister unter einem SPÖ-Kanzler).
- Die Gefahren, die bei Neuwahlen auf jeden der Koalitionspartner lauern, sind sicherlich kein absolutes Hindernis dafür, eine Regierung bei entsprechend aufgeheizten Stimmungen platzen zu lassen. Der Kampf um Machtpositionen zwischen den beiden großen Parteien kann mitunter eine Eigendynamik bekommen. Dennoch spielt die Frage, was durch Neuwahlen herauskommen kann, eine zusätzliche Rolle in den Überlegungen der Parteiführungen. Eine Mehrheit mit der Grünen Partei (z.B. für die ÖVP) ist alles andere als garantiert, ein Pakt mit der Strache-FPÖ (z.B. SPÖ) trotz der fortgesetzten Degeneration unter Gusenbauer durchaus kein leichtes Unterfangen. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass jene Kräfte in der FPÖ dominieren, die gegen den erneuten Gang in eine Regierung stehen. Die möglichen Konstellationen für alternative Koalitionen sind somit stark eingeschränkt.
Die Relativität des Aufschwungs und seine Perspektiven
- Medien und Politik überschlagen sich in Jubelmeldungen über den „Aufschwung“. Die meisten ArbeitnehmerInnen spüren in ihrer Lebensrealitität aber weder bezüglich Einkommen noch Zukunftsperspektiven echte Verbesserungen. Die Basis des „Aufschwungs“ ist wenig stabil und der Höhepunkt dürfte bereits überschritten sein. Neben der Bauwirtschaft, die bedingt durch den milden Winter begünstigt wurde (das betrifft in der Statistik 13.400 Jobs), gibt es vor allem eine relativ hohe Auftragslage aus dem Ausland. Das Institut für Höhere Studien (IHS) betont in seiner aktuellen Prognose die Bedeutung der Investitionen (neben Bau v.a. in Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen). Gleichzeitig sind bereits jetzt eine Verlangsamung der Außenhandelsdynamik sowie ein nach wie vor „eher verhaltener“ privater Konsum festzustellen. Der Aufschwung ist aus Sicht der ArbeiterInnenklasse in mehrerlei Hinsicht relativ, und er steht auf schwachen Beinen.
- Der Konsum der Massen entspricht nicht der Stärke des Wirtschaftswachstums: Während das Brutto-Inlandsprodukt (BIP: Gesamtwert der im Produktionsprozess erzeugten Waren und Dienstleistungen minus investierter Waren und Subventionen) von 2006 auf 2007 um 3,2 % stieg, wuchs der Umfang des Konsums nur um 2,2 %. Für 2008 wird noch weniger erwartet (www.wifo.ac.at).
- Ein Teil der „Aufschwungs“-Propaganda der Herrschenden umfasst den schlichten Wunsch, die Lage schönzureden. Dem entspricht die Bezeichnung der gegenwärtigen Arbeitslosen-Situation als „Vollbeschäftigung“. Die OÖ-Nachrichten vom 11.7. jubeln: „Das gab es seit 22 Jahren nicht: Zum ersten Mal seit Juni 1985 herrscht in Oberösterreich wieder Vollbeschäftigung.“ Ähnliches wird für Salzburg verkündet (orf.at). Die Kluft zwischen offizieller Propaganda und der vielmehr tristen Lebensrealität einer wachsenden Anzahl von Menschen wird größer. Mit knapp einer Viertelmillion Arbeitslosen (und hierin sind noch nicht alle eingerechnet, die keinen Arbeitsplatz haben!) im Juni 2007 sind das noch immer 27,6 % (oder 48.000) mehr als im Juni 2000. Das „absolute Rekordminus“, von dem Wirtschaftsminister Bartenstein phantasiert, kann niemand wirklich ernstnehmen.
- Ein großer Anteil der „neuen Jobs“ sind Teilzeit und hier vor allem im Handel und Sozialbereich. Das trifft vor allem Frauen. Der Lohn reicht oft nicht zum Leben. Nach einer AK-Studie würden 155.000 teilzeitbeschäftigte Frauen lieber Vollzeit arbeiten. 255.000 teilzeitbeschäftigte Männer und Frauen sehen ihre Arbeitssituation nur als Übergangs- oder Notlösung.
- Der bereits oben erwähnte Bau-Boom deckt nicht die Bedürfnisse der Menschen ab. Beispiel Salzburg: In der Stadt mit den höchsten Mietpreisen und Wohnnebenkosten in Österreich warten 4000 Familien und Einzelpersonen beim Wohnungsamt auf eine leistbare Wohnung. 1600 werden als Akutfälle gehandelt. Die Stadt hat jedoch in den Jahren 2005 und 2006 zusammen nur 566 Wohnungen fertiggestellt. (Quelle: Salzburger KPÖ)
- Die Industriellenvereinigung geht bereits mit ihrer Konjunkturumfrage für das Jahr 2007 von keiner weiteren Steigerung des Wirtschaftswachstums aus. In ihrer vierteljährlichen Unternehmens-Befragung vom 16. Mai werden die Auftragsbestände als „erneut leicht rückläufig“ bezeichnet. Zwar wird in der Bilanz des Ergebnisses noch vom „Flankenschutz der verbesserten Konjunkturaussichten bei wichtigen Handelspartnern, insbesondere für Deutschland und die Schweiz“ geschrieben, die „auftrags- und auslastungsstabilisierend“ wirken mögen. Doch neben der „Normalisierung der Industriekonjunktur“ erwartet der IV-Chefökonom Helmenstein die Zunahme von „Störfaktoren“ wie steigendes Preisniveaus auf den Energie- und Rohstoffmärkten, die nach Meinung der IV schleppende Liberalisierung des Welthandels (Industriegüter, Dienstleistungen) sowie „fortgesetzte Zinsanhebungen im Euroraum in Kombination mit einem noch zur Schwäche neigenden Dollar“. Vorsichtig ausgedrückt meint er einen „dämpfenden Einfluss auf die konjunkturellen Auftriebskräfte“ wahrzunehmen.
- IV-Generalsekretär Beyrer dämpft auch die Erwartungen in große Beschäftigungszuwächse. Neben einer „leichten“ Erhöhung argumentiert er mit den „Engpässen bei der Verfügbarkeit von Beschäftigten mit bestimmten Qualifikationen“, die angeblich ein „deutlicheres Beschäftigungsplus“ verhindern.
- Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO geht sogar bereits von einem Rückgang des Wirtschaftswachstums in den nächsten Monaten bzw. 2008 aus. Die Exportwirtschaft werde durch den konstant schwachen Dollar und starken Euro gehemmt.
- Entscheidend ist überdies: Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Abkehr vom neoliberalen Kürzungs- und Angriffskurs zu erwarten ist. Weder von der Regierung, geschweige vom Gros der Unternehmensführungen.
Folgen des „Aufschwungs“
- Dennoch hat die Entwicklung Auswirkungen auf die allgemeine Stimmung. Sie kann der Regierung und den Herrschenden einen gewissen Spielraum bieten. Andererseits wiederum ist aus Sicht vieler Beschäftigter und Erwerbsloser der Aufschwung eine für sie ziemlich „leere“ Angelegenheit. Das wissen durchaus auch VertreterInnen des Kapitals, ob jene in den eigenen Reihen oder solche, die in den Gewerkschaften sitzen. Im aktuellen Titelseitenartikel des Vorwärts schreiben wir: „Selbst eingefleischte VertreterInnen von neoliberalen Konzepten erkennen, dass die bestehende Optik schief ist. Dass zwar die Gewinne steigen, aber nicht die Löhne, dass die ArbeitnehmerInnen vom "Aufschwung" nicht profitieren. Fakt ist: Die Reallöhne werden 2007 um magere 0,1% steigen. Zwischen 1997 und 2005 sind die Gewinne doppelt so stark gestiegen wie Löhne und Gehälter. Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen (die "Lohnquote") ist von 80 % im Jahr 1976 auf 65,4 % im Jahr 2007 abgesunken. Wohl nicht, weil sie plötzlich ihr soziales Gewissen entdeckt haben, sondern um die "Akzeptanz der Arbeitnehmer für das System zu erhalten", zum "Schutz des Systems" (beides O-Ton Böhler-Chef Raidl) fordern nun selbst WirtschaftsvertreterInnen Maßnahmen, um die Einkommen der Beschäftigten zu erhöhen und die schreiende Ungerechtigkeit notdürftig zu kaschieren. Sie treffen sich auf dieser Argumentationslinie mit GewerkschafterInnen, die für (moderate) Lohnerhöhungen argumentieren, um "die Kaufkraft zu erhöhen". In schlechter alter sozialpartnerschaftlicher Manier orientieren sie sich daran, was gut für "die Wirtschaft" ist und nicht daran, was gut, gerechter und eigentlich auch durchsetzbar für die Beschäftigten wäre.“
- Daraus könnten sich jedoch durchaus positive Ansätze für offensive Forderungen ergeben: „Es kann gut sein, dass die Beschäftigten die Ankündigungen der Gewerkschaft ernst nehmen und diese, wenn die Gewerkschaft wieder klein bei gibt, selbst umzusetzen versuchen.“
- Das Fehlen einer starken linken Kraft in Politik UND Gewerkschaften ist (zusätzlich zum zurückgeworfenen Bewusstsein breiter Schichten der Bevölkerung und im speziellen der ArbeiterInnenschaft) weiterhin das wesentliche Hemmnis für die Entwicklung von Bewegungen und Massenprotesten. Es ist jedoch wichtig, die Relativität des zurückgeworfenen Bewusstseins zu betonen: Wohl gibt es derzeit keine kämpferische Aufbruchsstimmung wie im Frühjahr 2003 (vor den Massenprotesten und dem Streiktag), doch ist die Situation keineswegs mit jener vor 1999/2000 zu vergleichen, als Arbeitskämpfe und Streiks nicht nur nicht existent waren, sondern geradezu als unmöglich galten und auch von Teilen der ArbeiterInnenklasse abgelehnt wurden
Ein Blick nach drüben ...
- Wohin die Entwicklung auch in Österreich führt bzw. führen wird, zeigt Deutschland (aus einem Interview der deutschen „Tagesschau“ zur Streikbereitschaft in Deutschland mit einem Politikwissenschafter und Soziologen (Schwerpunkt Gewerkschaften/Arbeitswelt)): „Die Opferbereitschaft ist erschöpft. Nicht nur die Bahnbeschäftigten streiken, auch in der Baubranche gehen die Arbeitsniederlegungen weiter, und der Streik bei der Telekom ist erst vor kurzem zu Ende gegangen. Gibt es eine wachsende Neigung zum Arbeitskampf?“ Dazu Josef Esser: „Jetzt boomt die Wirtschaft, und jetzt haben sie nach ihrer Meinung auch das Recht, daran beteiligt zu werden.“ Auf die Frage, ob in der Bevölkerung das Verständnis für Arbeitskämpfe wachse, antwortet Esser: „Das Verständnis wächst schon seit einigen Jahren. ... Der Aufschwung spielt hierfür nicht die zentrale Rolle. Schon vor zwei Jahren war diese Unzufriedenheit und die Protesthaltung gegen den permanenten Appell an die Opferbereitschaft erkennbar. Aber der Aufschwung hat bei den Arbeitnehmern den Eindruck geweckt, dass sie jetzt größere Chancen haben, ihre Forderungen durch Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen.“
- Die Lage in Deutschland brachte durch die Entwicklung der WASG in den letzten Jahren wichtige Schlussfolgerungen für die revolutionäre Linke sowie eine widersprüchliche Situation. Leider führte die Fusion mit der Linkspartei.PDS zu einem vorübergehenden Ende der Chancen, aus der WASG eine wirkliche ArbeiterInnen-Partei mit sozialistischem Programm werden zu lassen. Hier zeigt sich auch die Polarisierung in der österreichischen Linken: Die KPÖ feiert dies genauso formell wie angeblich „marxistische“ Gruppen als „Einheit der Linken“. Übersehen wird, dass die Kürzungs- und neoliberale Politik der Linkspartei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern von den paar Linken mehr nicht gestoppt wird. Damit wird die „neue Linke“, v.a. im Osten, zu einem Ballast für eine wirklich neue Linke. Doch es bleibt eine Anziehungskraft, die diese Partei (v.a. im Westen) teilweise noch entfalten könnte. Entfernt von der realen Politik in Berlin sehen viele Menschen am Beispiel „Linkspartei“ eine neue Hoffnung. Sie drückt tatsächlich den Wunsch nach etwas wirklich Neuem aus. Dies müssen wir aufgreifen und mit sozialistischen Inhalten verbinden. Auch wird oftmals ein Unterschied zwischen Bundespolitik und kommunale Ebene gemacht. Das kann noch einige Illusionen in die Linkspartei bringen, bevor sie enttäuscht werden.
Durchwegs Unzufriedenheit, aber kein aktiver Protest
- Laut Umfrageinstituten herrscht "erschütternde Unzufriedenheit" (O-Ton „Integral“-Chef Betram Barth) mit der Regierung. 77 Prozent vertrauen der Koalition NICHT. Ein absoluter Negativrekord! Der Großen Koaliton gegenüber war sogar das Orangen-Kabinett Schüssel II „beliebter“.
- Offensichtlich wird die Ablehnung der Regierung und v.a. der SPÖ bisher kaum in Aktivitäten und Proteste übersetzt. Ein Widerspruch besteht, der nicht zuletzt mit dem „Reformprozess“ der ÖGB-Bürokratie (= die Wiederverankerung ihrer Macht nach den Bawag-Turbulenzen) in Verbindung steht. Die neue/alte ÖGB-Führung setzt nicht nur die Un-Demokratie in den Gewerkschaften fort und scheint künstlich die Stimmung verbreiten zu wollen, eine „Trendumkehr“ habe bereits stattgefunden. Sie hat mittels der „Sozialpartnerschaft neu“ einen hohen Anteil an einer Serie von Verschlechterungen. Diese Angriffe (Arbeitszeit) weisen durchaus in dieselbe Richtung wie „Reformagenda“ und Hartz-Gesetzgebung in Deutschland unter SPD-Grün.
- Diese „Sozialpartnerschaft neu“ hat mit jener der Vergangenheit fast nur noch den Namen gemeinsam. Die absolute Gewerkschaftsspitze befindet sich noch näher an der neoliberalen SPÖ, den Privilegien und der bürgerlichen Macht. Die Deals mit dem Kapital haben nicht einmal mehr den Anschein „gerechter Kompromisse“, wie dies in der „klassischen Sozialpartnerschaft“ vergangener Jahrzehnte der Fall war. Ideologisch verschwimmen die Grenzen zu den KapitalvertreterInnen immer mehr. Dies zeigt sich u.a. an der Zustimmung zum Prinzip „MitarbeiterInnen-Beteiligung“, die jeglichen Klassenstandpunkt entsorgt. Die Beschäftigten sollen jetzt neben ihrem bisherigen Risiko auch noch jenes des Unternehmens mittragen, ohne auch nur irgendetwas mitbestimmen zu können.
- Trotz fortgeschrittener Entfremdung vom etablierten Parteiensystem gibt es noch keine in breiten Kreisen wahrnehmbare politische Kraft bzw. Bewegung, die als Ansatzpunkt solcher Bewegungen auftreten könnte. Der Bildungsprozess einer solchen Kraft wurde unter anderem durch die politische Konstellation ab den späten 90er Jahren und die zwei ÖVP-FPÖ/BZÖ-Regierungen gebremst. Während sich die „Sozialdemokratie“ in wichtigen Ländern der EU vollauf diskreditierte, saß sie in Österreich sieben Jahre auf der Oppositionsbank.
- Auch wenn die derzeitige Situation vielerorts von einer Mischung aus Frustration, Unzufriedenheit und schwammiger Ablehnung ohne sichtbare Konsequenzen dominiert wird, muss sich die angestaute soziale Wut in der nahen Zukunft entladen. Selbstverständlich ist damit noch nicht vorhergezeichnet, welch genaue Richtung, welche Formen und Größenordnungen dies haben wird. Ein zentraler Unterschied zur Situation unter den weitgehend arbeitskampffreien Jahren der Schüssel II-Regierung besteht jedoch allein darin, dass alle Erfahrungen nun unter einem SPÖ-Kanzler gemacht werden. Mehr noch: die aktive wie passive Unterstützung der bzw. das Festhalten an der SPÖ ist bereits zu großen Teilen aufgebrochen. Auch können wir die wesentlichen Gründe für weitverbreitete Frustration und diese spezielle Form der „Politikverdrossenheit“ erklären. Sie liegen vor allem auch bei den Führungen des ÖGB sowie der Einzelgewerkschaften. Dies äußert sich in einer teilweise deutlichen Ablehnung von ArbeiterInnen gegenüber dem ÖGB und den Fachgewerkschaften (d.h. meist nicht, dass die Gewerkschaftsidee an sich abgelehnt wird). Die Grundlage für eine größere Entfremdung von Teilen der Basis ist da. Soziale Kämpfe sind in der kommenden Periode auch neben dem ÖGB bzw. gegen den Willen seiner Führung möglich!
- Bedeutsam für die Perspektiven im Herbst, Winter und 2008 wird sein, wann auf den „Aufschwung“ deutlich spürbar ein Einbruch inklusive fortgesetzten Angriffen folgt. Es ist offen, wann die auch in den Gewerkschaften vorhandene Stimmung gegen den Kurs der Bürokratie zu offenen Auseinandersetzungen mit ihr führen wird. Erste Anzeichen gab es allein schon durch die Aktivitäten der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften, die Einbindung neuer AktivistInnen und kleine, aber bedeutsame Erfolge (z.B. Annahme des Antrags durch die Post-Gewerkschaft, Aktionen zur Arbeitszeit-Verlängerung). Gerade weil es aufgrund des hohen Zeit- und Arbeitsdrucks für viele Menschen heute schwieriger ist, sich politisch zu engagieren, können künftig v.a. jene Kampagnen Unterstützung finden, die präzise und klare Forderungen haben und praktische Aktionen vorschlagen.
- Die Streiks 2003 (Anti-Pensionsraub und Eisenbahnen) endeten mit Niederlagen. Diese wirken bis heute nach, haben sie doch auch keine dauerhafte Basisorganisierung von Beschäftigten hervorbringen können. Gleichzeitig wurde mit diesen Kämpfen ein neues Kapitel in der Nachkriegsgeschichte geöffnet. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und in Verbindung mit wachsender Unzufriedenheit mit der Gewerkschaftsführung (die kein grundlegendes Problem der vorangegangenen Verbrecherbande wirklich gelöst hat), wird es zu sozialen Kämpfen kommen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass diese zuerst im kleinen Rahmen stattfinden und erst später in eine allgemein politische Verallgemeinerung münden werden.
Herbstlohnrunden können polarisieren
- Erwartungen wurden und werden geschürt. So z.B. vom Chef der Metallergewerkschaft, der relativ hohe Lohnforderungen in Aussicht gestellt hat. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Gewerkschaftsbürokratie in Übereinstimmung mit den Unternehmen relativ hohe Abschlüsse mit z.B. Verschlechterungen bei der Arbeitszeit erkauft. Die Herbstlohnrunden werden für GewerkschaftsaktivistInnen mitunter Möglichkeiten bieten, mit offensiven Forderungen Druck auf die Führung aufzubauen.
Dieser Mindestlohn löst die Probleme nicht
- Die von den „Sozialpartnern“ verhandelte Mindestlohn-„Lösung“ ist keine. Bei einer 40-h-Woche sind das 6,10 € brutto bzw. 5,20 € netto. Das ist weiterhin ein Armutslohn. Sehr viele Beschäftigte gewinnen durch diese Regelung überdies keinen einzigen Cent („Atypische“, Beschäftigte der "freien Berufe", Lehrlinge). Ansätze für Proteste im Bereich prekärer Dienstverhältnisse gab es selbst in den letzten zwei Jahren („Österreich“, babmusic). Diese könnten an Bedeutung zunehmen, v.a. wenn es „nichts mehr zu verlieren“ gibt.
- Die Angriffe auf die Arbeitszeit und kommende Verschlechterungen, mitverhandelt durch die Gewerkschaften, werden den Leidensdruck vieler ArbeiterInnen erhöhen. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn erhält dadurch eine neue Aktualität und Brisanz.
- Die FPÖ ist gegenwärtig die einzig wahrnehmbare große und bundesweite Partei, die sich mit Sozialpopulismus in die führende Oppositionsrolle drängt. Mit einer Mischung aus aggressivem Rassismus, Chauvinismus und (!) Pseudo-Antikapitalismus stellt sie einen verkomplizierenden Faktor in der Entwicklung einer wirklichen linken und sozialistischen Alternative dar. Dennoch ist ihre Existenz und die von ihr ausgehende Bedrohung keineswegs ein absolutes Hindernis für unsere Arbeit. Mehr noch wird die FPÖ weiterhin und noch in gesteigertem Maß ein Thema für antifaschistische und antirassistische Arbeit und Mobilisierungen sein. In einem gewissen Ausmaß kann auch der Nazi-Prozess um die drei BFJler in OÖ in die FPÖ hineinwirken. Im Fall des RFJ tut es das schon jetzt.
- Ansätze für eine „Neue ArbeiterInnen-Partei“ (NAP) bestehen noch nicht im breitern Rahmen. Allerdings gibt es mit der SLP eine kleine politische Kraft, die seit Jahren darauf hinarbeitet.Auch in Teilen der „Linken“ gibt es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entwicklung in Deutschland - Diskussionen zu diesem Thema.
- Konkrete Ansätze für eine neue Kraft werden möglicherweise lokal und im kleinen Rahmen aufflackern und von diversen Widersprüchen und Unzulänglichkeiten begleitet werden. Die SLP wird diese Entwicklungen aktiv unterstützen und gegebenenfalls auch Initiativen in Richtung Organisierung des Potentials an Ablehnung und Wut setzen. Das Themendreieck MINDESTLOHN – NIEDRIGLÖHNE – ARBEITSZEIT wird in der kommenden Periode auch für den Formierungsprozess einer solchen neuen politischen Kraft von zentraler Bedeutung sein.
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