Di 20.12.2016
Warum die Sozialdemokratie nicht zum Sozialismus führen kann. Und auch nicht will.
Helmut Schmidt, ehemaliger deutscher Kanzler und Vorsitzender der SPD meinte im Interview: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ und brachte damit das sozialdemokratische Selbstverständnis als „ideeller Gesamtkapitalist“auf den Punkt. Visionen – wie etwa die einer klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung – haben da keinen Platz.
„Die soziale Revolution“, schrieb der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer 1919, „darf die kapitalistische Organisation der Gütererzeugung nicht zerstören...“ (Der Weg zum Sozialismus) Die stets staatstragende Rolle der Sozialdemokratie machte sie in Regierungsverantwortung zum effektiven Träger der zentralen Aufgabe des bürgerlichen Staates. „Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist."schreibt Engels (Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft). Klein- und Großunternehmen, Bauern und Industrie, export- und importorientierte Betriebe setzen ihre Prioritäten bezüglich Steuer-, Währungs- und Lohnpolitik unterschiedlich. Der Staat muss das kapitalistische Gesamtinteresse im Auge behalten.
Die Sozialdemokratie konnte und kann diese Rolle des Gesamtkapitalisten seit jeher besser ausfüllen als die diversen bürgerlichen Parteien; denn diese vertreten einzelne Kapitalfraktionen, oder sind – wie etwa die ÖVP – gebremst durch ihre Struktur, wo die Begehrlichkeiten ihrer „Bünde“ (Wirtschafts-, Bauern-, Arbeiter und Angestelltenbund etc.) einander widerstreben.
Die reformistische Sozialdemokratie stützt und schützt das Kapital in seiner Gesamtheit; und geht den Weg von einer ArbeiterInnenpartei mit bürgerlicher Führung zur verbürgerlichten Partei. Als es im Jänner 1918 zum bis heute größten Streik kommt und Rufe nach einer Räterepublik laut werden, ist es die sozialdemokratische Parteispitze, die den drohenden Aufstand abwürgt: „Die Steigerung des Streiks zur Revolution konnten wir nicht wollen.“ (Otto Bauer: Die österreichische Revolution, 1923) Auch in der 1. Republik stellt sich die Parteiführung „staatstragend“ an die Seite des Kapitals, wie Leo Trotzki 1929 bemerkt: „Sie bot dem angeschlagenen Privateigentum ein demokratisches Refugium. Während der ganzen Nachkriegszeit war sie somit das wichtigste Instrument der bürgerlichen Herrschaft über die Arbeiterklasse.“ (Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus) An diesem gesamtkapitalistischen Kurs hält die Sozialdemokratie selbst dann fest, als einzelne Kapitalfraktionen ihr Heil schon im Faschismus suchen – was ab 1933 mit der Zerschlagung der organisierten ArbeiterInnenbewegung endet.
Ihrer fatalen Linie bleibt die Sozialdemokratie auch nach 1945 treu. Selbst da, wo die SPÖ scheinbar „sozialistisch“ handelt, tut sie das bei genauerem Hinsehen im Interesse des Kapitals. So hatten die Verstaatlichungen nach 1945 das Ziel, Betriebe dem Zugriff der Sowjetunion zu entziehen. In staatliches Eigentum kamen Unternehmen, bei denen (Nazi)KapitalistInnen abhanden gekommen waren bzw. Kapital zum Wiederaufbau fehlte. Die moderne und effektive Verstaatlichte subventionierte das heimische Privatkapital mit Milliarden. Und die (Re-)Privatisierung ist im §3 Verstaatlichungsgesetz von Anfang an vorgesehen. „Das Verstaatlichungsgesetz brachte der Sozialistischen Partei einen rein optischen Erfolg, der österreichischen Bourgeoisie die Festigung des kapitalistischen Systems“, bemerkt der sozialistische Politiker Erwin Scharf. Auch Kreisky vollzog die Modernisierung der österreichischen Industrie in Rücksprache mit der Industriellenvereinigung und auf Kosten von niedrigen Löhnen. Seit den 1990er Jahren waren SozialdemokratInnen verantwortlich für Privatisierungen, die dem Kapital neue Investitionsmöglichkeiten gaben sowie die Senkung von Lohnkosten. Gerhard Schröder (SPD) brachte mit der „Agenda 2010“ Hartz IV und 1-Euro-Jobs, Tony Blair (New Labour) reformierte das britische Gesundheits- und Bildungssystem wie auch den öffentlichen Verkehr „marktorientiert“ zu Tode. In Frankreich peitschte Hollande (PS) jüngst sein Arbeitsrecht durch, das massive Verschlechterungen für die ArbeiterInnenklasse bringt – und nützt dazu u.a. einen monatelangen Ausnahmezustand.
Der Festigung dieses Systems dient auch die „Sozialpartnerschaft“, deren Zweck nichts als die Erhaltung des „sozialen Friedens“ ist – zumeist auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. Spätestens mit dem „Managerkanzler“ Franz Vranitzky und dem Abbröckeln der klassischen ArbeiterInnenklasse von der SPÖ ist die Verbürgerlichung derselben zu Beginn der 1990er Jahre vollzogen. Parteigranden finden sich nach ihrer politischen „Karriere“ in den Vorstandsetagen nicht nur staatsnaher Unternehmen wieder: Brigitte Ederer etwa bei Siemens, Boehringer Ingelheim, Infineon, Schoeller-Bleckmann und Wien Holding, oder Viktor Klima als Chef von VW in Argentinien.
Von und mit „GenossInnen“ dieses Schlages ist auf dem „Weg zum Sozialismus“ nichts zu erwarten. Dazu braucht es eine starke linke Partei mit klaren Perspektiven, die über den Status Quo des Kapitalismus hinausgehen. Sozialistische Visionen sind gefragt – mehr, denn je. Und eine Kampfpartei, die deren Umsetzung erkämpft.